Index
41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
AsylG 1997 §7;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Pelant, Dr. Köller und Dr. Thoma als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Schimetits, über die Beschwerde des D N in W, geboren am 12. Dezember 1974, vertreten durch Dr. Christine Wolf, Rechtsanwältin in 1050 Wien, Bräuhausgasse 63/7-8, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 22. Oktober 1998, Zl. 203.233/0-XI/33/98, betreffend §§ 7 und 8 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein sudanesischer Staatsangehöriger, reiste am 11. März 1998 in das Bundesgebiet ein und beantragte am gleichen Tag die Gewährung von Asyl. Bei seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 16. März 1998 gab er zu seinen Fluchtgründen unter anderem an:
"Ich habe zuletzt in Ei, zusammen mit meinem Vater und meiner Mutter in einem Haus, das aus zwei Räumen bestand, gewohnt. Meine Schwester ist im Jänner 1998 bei einem Bombardement gestorben. Sie saß neben mir in der Kirche. Mein Vater und meine Mutter befanden sich auch in der Kirche. Seit diesem Vorfall habe ich meinen Vater und meine Mutter nicht mehr wiedergesehen, meine Schwester ist jedoch neben mir gestorben. Sie wurde mit einem Gewehr erschossen.
Frage: Was hat Sie dazu bewogen, Ihr Heimatland zu
verlassen. Geben Sie Ihre Begründung bitte vorerst in Schlagworten
an!
Antwort: Beim oben beschriebenen Vorfall sind Leute
von der Armee gekommen und es sind viele Leute von uns getötet und
verwundet worden. Vielen Leuten wurden Arme und Beine abgehackt,
und zwar von den Soldaten. Mit siebenundzwanzig Personen wurde ich
am Sonntag, dem 18.01.1998, von den Soldaten von meinem Dorf
weggebracht. Man brachte uns sehr weit von unserem Dorf weg, in
einen dichten Wald. Die Fahrt hat ca. zwei Tage gedauert, und wir
wurden mit Militärfahrzeugen transportiert.
Frage: Beschreiben Sie den Vorfall von Beginn an, wie
spielte sich alles ab?
Antwort: Ich begab mich zusammen mit meinem Vater,
meiner Mutter und meiner Schwester am 18.01.1998, gegen 7.00 Uhr, in die Kirche von Ei. Um 07.00 Uhr begann der Gottesdienst. Ungefähr eine Stunde nach Beginn des Gottesdienstes sind sehr viele uniformierte Soldaten in die Kirche gekommen. Diese Soldaten haben sofort zu schießen begonnen, auf alles was in der Kirche war. Sie haben auch auf die Leute eingeschlagen und Leute aus der Kirche zu zerren. Auch ich wurde aus der Kirche gezerrt. Ich und die siebenundzwanzig Personen wurden in den dichten Wald gebracht.
Meine Schwester war neben mir erschossen worden, ebenso wie viele andere Leute. Die Kirche war voller Leute, ich kann aber die genaue Anzahl nicht angeben. Der Gottesdienst wurde von Referent Lawrence und Pastor Fidelis gehalten. Diese beiden Priester befanden sich nicht unter den 27 Personen.
Frage: Sie haben anfangs etwas von einem Bombardement
gesprochen und daß Arme und Beine abgehackt wurden?
Antwort: Ich habe damit gemeint, daß geschossen wurde.
Ich habe "Bumm, Bumm" gesagt, nichts von Bomben. Durch die Schüsse
verliert man die Arme und die Beine.
Frage: Sie haben keinerlei Verletzungen bei diesem
Angriff davongetragen?
Antwort: Ich wurde nicht verletzt, nachdem meine
Schwester gestorben war, habe ich mich um sie bemüht, und ich
wurde weggezerrt und in den Wald gebracht.
Frage: Was fiel in diesem Wald vor?
Antwort: In diesem Wald befanden sich viele Soldaten.
Sie haben begonnen, uns zu schlagen und uns Fragen zu stellen, was die Leute aus Juba gegen die Moslems planen würden. Auch wollten sie wissen, was in der Kirche gelehrt wird. Auch ich wurde geschlagen. Ich wurde mit einem Armeegürtel am ganzen Körper geschlagen. Ich wurde durch diese Schläge auch tatsächlich verletzt.
Anmerkung: Der AW weist an der Innenseite des rechten Oberschenkels und oberhalb der Kniescheibe Narben auf, die gänzlich verheilt erscheinen.
Frage: Warum haben sie bei der Ersteingabe auf die
Frage nach besonderen Kennzeichen von diesen Narben nichts erwähnt?
Antwort: Ich habe geglaubt, damit wäre nur mein
Gesicht gemeint.
Frage: Wie lange wurden Sie in dem Wald festgehalten,
und wann sind die Verletzungen ungefähr entstanden?
Antwort: Die Verletzungen sind am nächsten Tag nach
der Ankunft im Wald entstanden. Das muß somit am 21.01.1998 gewesen sein. Wir wurden dort fotografiert und befragt und wir mußten unsere Adressen angeben, wo wir wohnen. Man hat uns gesagt, wir würden als Soldaten ausgebildet werden, und wir sollten für die Armee in anderen Dörfern des Südsudan kämpfen. Manche von den Leuten, die mir dorthin gebracht wurden, wurden krank und sind auch gestorben. Ich wurde in diesem Wald sehr lange festgehalten. Ich glaube, ich war bis zum 05.02.1998 dort. Man hat begonnen, uns auszubilden. Zusammen mit zwei weiteren Personen ist mir die Flucht gelungen. Man hat versucht, uns ausgebildet, indem man uns den Umgang mit Gewehren beibringen wollte. Sie haben uns nie eine Waffe gegeben. Sie haben uns nur festgehalten, bis mir die Flucht gelungen ist. ...
Frage: Kann man zusammenfassend sagen, daß sie Opfer eines Angriffes von Soldaten wurden, und diese Sie zu einem Soldaten ausbilden wollten.
Antwort: Ja, das ist richtig. Unsere Religion verbietet es jedoch der Armee beizutreten und Menschen zu töten. Von der Armee werden jeden Tag Christen getötet."
Ein vom Bundesasylamt eingeholtes unfallchirurgisches Gutachten ergab, dass die Narben des Beschwerdeführers auf Grund ihrer Struktur und ihrer Entstehungszeit weit vor dem Zeitpunkt der behaupteten Misshandlungen nicht von diesen stammen könnten. Mit diesem Ergebnis konfrontiert blieb der Beschwerdeführer bei seiner neuerlichen Einvernahme am 22. April 1998 bei seiner ursprünglichen Darstellung, wonach die Narben die Folge von Verletzungen durch Gürtelschläge seien.
Mit Bescheid vom 30. April 1998 wies das Bundesasylamt den Asylantrag gemäß § 7 AsylG ab, weil es dem Vorbringen des Beschwerdeführers die Glaubwürdigkeit versagte. Es ging davon aus, dass ihm im Herkunftsstaat keine Verfolgung drohe, und sprach gemäß § 8 AsylG aus, dass seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in den Sudan zulässig sei.
In der gegen diesen Bescheid erhobenen - umfangreichen - Berufung brachte der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen zusammengefasst vor, er sei aus politischen und religiösen Gründen geflüchtet, weil er aus Gewissensgründen nicht gegen seine Mitbrüder habe kämpfen wollen und können. Im Falle einer Weigerung hätte er mit weiterer Folter und Tötung rechnen müssen. Da er so lange im Camp der moslemischen Truppen gewesen sei, wäre er als vermeintlicher Überläufer mit Maßnahmen seitens seiner eigenen Leute konfrontiert worden. Durch die moslemischen Truppen und durch die Regierung habe er aber auf Grund seiner Flucht mit seiner Erschießung rechnen müssen. Truppen der Moslems brächten nicht nur Christen im Sudan "reihenweise um", sondern rekrutierten auch junge Männer für ihren Kampf und brächten sie durch Misshandlungen dazu, gegen ihre Brüder zu kämpfen. In einer mündlichen Verhandlung möge ihm Gelegenheit gegeben werden, die näheren Umstände seiner Flucht zu schildern und zu den Behauptungen der Behörde erster Instanz Stellung zu nehmen.
Mit dem nunmehr - ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung erlassenen - angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung gemäß § 7 AsylG ab und stellte gemäß § 8 AsylG fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in den Sudan zulässig sei. In der Begründung schloss sich die belangte Behörde der Beweiswürdigung des Bundesasylamtes insofern an, als sie befand, dass es dem Beschwerdeführer im Rahmen des erstinstanzlichen Ermittlungsverfahrens nicht möglich gewesen sei, "auch nur annähernd den Eindruck zu erwecken, daß seine gemachten Angaben den Tatsachen bzw. der Wirklichkeit entsprechen." Aus der Einvernahme des Beschwerdeführers hob die belangte Behörde hervor, "daß im Jänner 1998 in seiner Kirche ein Bombardement stattgefunden hätte und daß Beine und Arme von Kirchenbesuchern angehackt worden wären, später behauptete er jedoch, daß lediglich geschossen worden wäre." und meinte dazu beweiswürdigend : "Seine Verantwortung zu diesem Widerspruch, daß er mit den Worten "Bumm, Bumm" kein Bombardement gemeint hätte und daß man durch Schüsse Arme und Beine verlieren würde, ist nicht nachvollziehbar. Der Lebenserfahrung entsprechend, werden Extremitäten des Körpers durch Gewehrschüsse nicht abgehackt." Von den beantragten Anfragen - so die belangte Behörde weiter - habe Abstand genommen werden können, da ihr die Tatsache, dass gelegentlich Christen im Sudan von moslemischen Militärs zwangsrekrutiert würden, bekannt sei. Die belangte Behörde könne aber nicht erkennen, wie der Sache des Beschwerdeführers damit geholfen wäre, da ihm die Glaubwürdigkeit abgesprochen werde. Auch von der beantragten neuerlichen Einvernahme des Beschwerdeführers habe Abstand genommen werden können, da er in der Berufung angegeben habe, er selbst wisse nicht, wie es ihm habe gelingen können, davonzulaufen, ohne entdeckt zu werden. Die belangte Behörde sei daher zu dem Schluss gekommen, dass eine neuerliche Einvernahme über die näheren Umstände der Flucht - welche laut eigenen Angaben des Beschwerdeführers diesem selbst nicht bekannt seien - entbehrlich erschienen sei.
Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:
In seiner Berufung hat der Beschwerdeführer zu den wesentlichen Punkten der Beweiswürdigung des Bundesasylamtes ausführlich Stellung genommen und versucht, diese Vorwürfe und angeblichen Widersprüche zu erklären. Dem Berufungsvorbringen kann entnommen werden, der Beschwerdeführer sei seiner Meinung nach in der Lage, jene Bedenken, die gegen seine Glaubwürdigkeit sprechen, durch Klarstellungen im Rahmen einer neuerlichen Einvernahme auszuräumen und damit die relevante Beweisgrundlage zu verbreitern.
Die belangte Behörde hätte sich in Anbetracht dieses Vorbringens nicht bloß auf eine Überprüfung der Beweiswürdigung anhand der Aktenlage beschränken dürfen, sondern hätte den Beschwerdeführer im Rahmen einer mündlichen Verhandlung zu den Punkten, auf die sie die mangelnde Glaubwürdigkeit des Gesamtvorbringens des Beschwerdeführers stützte, vernehmen müssen (vgl. etwa das Erkenntnis vom 15. Februar 2001, Zl. 99/20/0080).
Zudem brachte der Beschwerdeführer erstmals in der Berufung vor, er hätte bei einer Weigerung, gegen seine christlichen Mitbrüder zu kämpfen, mit seiner Tötung zu rechnen, wie es bereits vielen seiner Mitbrüder gegangen sei. Auch wegen dieser neuen Behauptung hätte die belangte Behörde verhandeln müssen.
Dem aufgezeigten Verfahrensmangel kommt auch Relevanz zu:
Abgesehen von der vom Beschwerdeführer befürchteten Todesgefahr behauptet er eine auf Grund der Zugehörigkeit zur christlichen Religion erfolgte Zwangsrekrutierung, die zum Kampf gegen andere Christen hätte dienen sollen, und ihn somit einem vorprogrammierten Gewissenskonflikt ausgesetzt habe. Träfen diese Behauptungen des Beschwerdeführers zu, so könnte ihnen nicht ohne weiteres die asylrechtliche Relevanz abgesprochen werden (vgl. die Erkenntnisse vom 22. April 1998, Zl. 97/01/0146, und vom 21. August 2001, Zl. 98/01/0600).
Im vorliegenden Fall ist auch nicht von vornherein auszuschließen, dass die belangte Behörde bei Durchführung der mündlichen Verhandlung zur Überzeugung gelangt wäre, das gesamte Vorbringen des Beschwerdeführers sei glaubwürdig, und dass dies zu einer anderen Entscheidung geführt hätte.
Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001 BGBl. II Nr. 501/2001.
Wien, am 12. März 2002
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2002:1999010114.X00Im RIS seit
27.05.2002