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41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
AsylG 1997 §6 Z3;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Pelant, Dr. Köller und Dr. Thoma als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Schimetits, über die Beschwerde des KI in A, geboren am 22. Mai 1984, vertreten durch Dr. Max Kapferer, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Schmerlingstraße 2/2, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 20. November 2000, Zl. 218.121/0-XII/36/00, betreffend §§ 6 und 8 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein im Mai 1984 geborener Staatsangehöriger von Algerien, wurde am 1. März 2000 in einem aus Deutschland kommenden internationalen Reisezug aufgegriffen und beantragte in der Folge die Gewährung von Asyl. Vor dem Bundesasylamt gab er zu seinen Fluchtgründen gemäß der im Akt erliegenden Niederschrift - auszugsweise - Nachstehendes an:
"F: Aus welchen Gründen haben Sie nun die Heimat verlassen?
A: In meiner Heimat gibt es keine
Hoffnung.
F: Was meinen Sie damit?
A: Ich meine
damit, dass es für mich und die anderen Jugendlichen in meiner Heimat keine Zukunftschancen gibt. Es gibt keine Hoffnung in meinem Land, dass man irgendwann einmal ohne Angst dort leben kann. Jedes Mal, wenn man auf der Straße geht, muss man sich fürchten.
F: Vor wem fürchten Sie sich?
A: Es gibt
immer wieder Auseinandersetzungen zwischen den Sicherheitskräften
und terroristischen Gruppen, so wie es kürzlich erst geschehen ist.
F: Sind Sie vorbestraft oder werden Sie von irgendjemandem
gesucht? A: Ich bin nicht vorbestraft und
werde auch von niemandem gesucht.
F: Waren Sie persönlich jemals irgendwelchen Verfolgungen oder Gefahr einer Verfolgung ausgesetzt?
A: Ich war nie irgendwelchen Verfolgungen ausgesetzt, auch nicht von den Behörden meines Heimatstaates.
F: Welche Probleme haben Sie nun gehabt, dass Sie hier einen Asylantrag gestellt haben?
A: Da ich mich hier illegal und ohne Dokumente aufgehalten habe, habe ich einen Asylantrag gestellt, um die Sicherheit zu haben, legal hier sein zu können.
F: Welche Probleme haben Sie dann in der Heimat gehabt?
A: In meiner Heimat hatte ich
keinerlei Probleme, sondern nur Angst.
F: Hat es einmal einen Sie betreffenden Zwischenfall gegeben, woraus sich Ihre Angst gründet?
A: Ich habe Bilder von getöteten Leuten gesehen und habe deshalb Angst.
F: Wo hat sich der von Ihnen angeführte, kürzlich ereignete Zwischenfall stattgefunden?
A: Dieser Vorfall ereignete sich in Tamnart, in der Nähe von Skikda, das liegt ca. 500 km östlich von Algier.
F: Haben Sie persönlich Probleme mit den Terroristen oder sonstigen Gruppierungen gehabt?
A: Nein, nie.
F: Was befürchten Sie im Falle einer Rückkehr?
A: Alle meine
Verwandten sind im Ausland.
F: Ihren Angaben zufolge befindet sich der Vater in der
Heimat? A: Ja, das
stimmt, aber er gedenkt selbst, das Land zu verlassen.
F: Welche Rückkehrbefürchtung hegen Sie seitens der Behörden?
A: Von den Behörden habe ich im Falle
einer Rückkehr überhaupt nichts zu befürchten. Ich hätte nur
wieder diese Angst.
F: Haben Sie sonst noch etwas für Ihren Asylantrag
vorzubringen? A: Ich möchte noch
sagen, dass es für meine Zukunft besser wäre, hier in Österreich
zu bleiben, als nach Algerien zurückzukehren.
F: Haben Sie sonst noch etwas dazu zu sagen?
A: Sonst habe ich
dazu nichts mehr zu sagen und auch nichts mehr vorzubringen.
F: Haben Sie alles einwandfrei verstanden und konnten Sie der Vernehmung ohne Probleme folgen?
A: Es gab keine sprachlichen Probleme, ich konnte alles verstehen."
Mit Bescheid vom 19. Juli 2000 wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 6 Z 1 AsylG als offensichtlich unbegründet ab und sprach aus, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Algerien gemäß § 8 AsylG zulässig sei. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Berufung, in der er im Wesentlichen Folgendes vorbrachte:
"Der Berufungswerber wurde Mitte September 1999 gegen 9.00 Uhr früh gemeinsam mit zwei Freunden von fünf muslimischen Terroristen, die als Polizisten verkleidet und über einen Polizeijeep verfügten, auf der 'Alhawar Bowmidin Straße' in Annaba aufgehalten und nach seinem Ausweis gefragt. Nachdem alle drei keine Ausweise bei sich hatten, wurden sie zum Schein festgenommen. Ihnen wurden im Fahrzeug die Augen verbunden. Das Fahrzeug brachte sie zu einer Höhle in den Bergen außerhalb der Stadt. Dort wurde ihnen mitgeteilt, dass es sich bei den Terroristen um Anhänger des muslimischen Terroristen Abbas Madni handelte, der unter anderem von Anwar Hadam aus den Vereinigten Staaten finanziell unterstützt wird. Sie sollten die Terroristen unterstützen. Dafür wurde ihnen Geld und Arbeit geboten. Der Berufungswerber fürchtete, dass er im Falle seiner Ablehnung sofort getötet werden würde. Daher nahm er das Angebot zum Schein an. Die drei wurden am nächsten Tag um 4.00 frei gelassen und fuhren per Autostopp in die Stadt zurück. Sie erstatteten dort sofort Anzeige bei der Polizei. Die Polizei fuhr mit den drei Männern in die Berge zum Versteck der Terroristen. Dieses war jedoch bereits verlassen und waren die Terroristen verschwunden. Da der Berufungswerber den Terroristen seinen Namen und seine Adresse bekannt gegeben hatte, fürchtete er, dass die Terroristen mit ihm wieder Kontakt aufnehmen und ihn gegen seinen Willen zwingen werden, terroristische Handlungen zu setzen. Sollte er sich weigern, fürchtete er, umgebracht zu werden.
Der Berufungswerber teilte dieses Erlebnis seiner Schwester FI, geb. 2.1973, mit, die in Saudi Arabien, in der Stadt Al Taep, wohnt. Diese bat den Berufungswerber, sofort Algerien zu verlassen, zumal er durch die Polizei nicht wirksam vor den islamischen Terroristen geschützt werden könne. Da der Berufungswerber noch nicht volljährig war, verfügte er über keinen Reisepass und war es ihm daher nicht möglich, legal auszureisen. FI bat ihren Ehemann IA, geb. 1969, der in der 9. Straße Haus Nr. 7, Annaba wohnt und bei der Antiterroreinheit der algerischen Polizei arbeitet, ihm bei der Flucht behilflich zu sein. Mit seiner Hilfe konnte er Algerien im November 1999 verlassen. Davor war es ihm aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich, zumal er bereits sieben mal am Magen operiert werden musste und sein Gesundheitszustand eine frühere Flucht nicht zuließ."
Zu Beginn der mündlichen Berufungsverhandlung fasste der Beschwerdeführer seine Fluchtgründe wie folgt zusammen:
"Ich habe Algerien aus verschiedenen Gründen verlassen. Der erste ist, dass es in Algerien keine Sicherheit gibt. Wer sein Haus verlässt, kann nicht wissen, ob er es wieder betreten wird. Zweitens lebte ich in einem kleinen Dorf in der Nähe der tunesischen Grenze, was dazu führte, dass Terroristengruppen, die diese Grenze überschritten, häufig in unser Dorf kamen und uns terrorisierten. Drittens wurde ich einmal zusammen mit vier anderen Burschen von Terroristen entführt, wobei sie versuchten, mich zu rekrutieren. Ganz allgemein sind junge Männer in Algerien quasi gezwungen, sich entweder auf die Seite der Regierung oder der Terroristen zu schlagen. Abschließend möchte ich noch bekannt geben, dass der Mann meiner Schwester bei der Antiterrorpolizei beschäftigt war und deshalb die gesamte Familie von den Terroristen verfolgt wird. Auch meine Schwester musste aus Algerien fliehen und ist derzeit in Holland aufhältig."
Der unabhängige Bundesasylsenat (die belangte Behörde) wies die Berufung mit dem angefochtenen Bescheid gemäß § 6 Z 3 AsylG ab. Zugleich sprach er wie die erstinstanzliche Behörde aus, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Algerien gemäß § 8 AsylG (iVm § 57 Fremdengesetz 1997) zulässig sei. Begründend wurde ausgeführt, dass die vom Beschwerdeführer in der Berufung erstmals vorgebrachten Fluchtgründe - ebenso wie der geschilderte Fluchtweg - "mangels Glaubwürdigkeit" nicht festgestellt werden könnten. Der Beschwerdeführer habe keinen "plausiblen" Grund angegeben, warum er das Berufungsvorbringen nicht bereits im erstinstanzlichen Verfahren erstattet habe. In der Berufung habe er dies damit begründet, dass er Angst gehabt habe, durch seine Angaben den Verwandten in Algerien zu schaden; in der mündlichen Berufungsverhandlung hingegen habe er behauptet, dass er "seine Gründe darlegen wollte, vom Dolmetsch aber aufgefordert wurde, lediglich Fragen zu beantworten, wobei ihm nicht gestattet worden sei, selbständig etwas vorzubringen". Auf den Vorhalt schließlich, dass er bei der Ersteinvernahme die an ihn gerichtete Frage nach persönlichen Problemen mit den Terroristen oder sonstigen Gruppierungen verneint hätte, habe er angegeben, diese Frage falsch verstanden zu haben; darüber hinaus habe ihm der Dolmetsch gesagt, er solle besser schweigen. Zusammenfassend ergebe sich sohin, dass der Beschwerdeführer "keine eindeutige, in sich schlüssige Erklärung" abgeben könne, wieso er das betreffende - für seine Person sehr bedeutsame Vorbringen - erst in der Berufung erstattet habe. Seine Erklärungsversuche seien widersprüchlich gewesen, er habe unter Hinweis auf seine Unglaubwürdigkeit weitere Erklärungen nachzuschieben versucht. Seine Behauptung, ihm sei vor dem Bundesasylamt lediglich die Möglichkeit eingeräumt worden, Fragen zu beantworten, werde dadurch entkräftet, dass er dort auch die ausdrückliche Frage nach einer Gefährdung durch Terroristen oder sonstige Gruppierungen verneint habe. Die belangte Behörde gelange daher zur Auffassung, dass der Beschwerdeführer ein - den Tatsachen nicht entsprechendes - "gesteigertes Vorbringen" erstattet habe, um eine positive Entscheidung herbeizuführen. Weiters sei anzumerken, dass er in der mündlichen Berufungsverhandlung nicht im Stande gewesen sei, den Zeitpunkt der behaupteten Entführung (durch die moslemischen Terroristen) zu nennen; er habe lediglich angeben können, dass diese Entführung "Ende Sommer 1999" stattgefunden habe. Auch aus dieser Ungenauigkeit könne "erschlossen werden", dass der Beschwerdeführer die behaupteten Ereignisse tatsächlich nicht erlebt habe. Der Erklärungsversuch seines Vertreters, wonach "im arabischen Raum genaue Datumsangaben keine Rolle spielen würden", sei nicht geeignet, diese Unkenntnis zu rechtfertigen, weil es sich bei der behaupteten Entführung um ein für den Beschwerdeführer sehr bedeutendes Ereignis hätte handeln müssen. Dazu komme schließlich, dass der Beschwerdeführer kein wie immer geartetes Identitätsdokument habe vorlegen können, weshalb seine Identität ungeklärt sei. Auch seine Angaben zum Fluchtweg seien nicht glaubhaft, weil sich die behauptete Stellung eines Asylantrages und die Vornahme einer erkennungsdienstlichen Behandlung in Italien nicht hätten verifizieren lassen; laut Auskunft der italienischen Behörden lägen bezüglich des Beschwerdeführers keine Daten vor.
Zur "allgemeinen Situation" in Algerien traf die belangte Behörde ua. folgende Feststellungen: Bis Mitte 2000 sei es zu einer Verbesserung der Sicherheitssituation gekommen, Menschenrechtsverletzungen fänden jedoch - wenn auch in einem im Vergleich zu früheren Jahren geringeren Ausmaß - noch immer statt. In den meisten großen Metropolen Nord-Algeriens wie zB. Algier habe sich die Sicherheitssituation deutlich verbessert, es sei zu verstärkten Sicherheitsmaßnahmen wie zB. Straßensperren, Durchkämmungsaktionen, stichprobenartigen Durchsuchungen sowie Tages- und Nachtpatrouillen gekommen. Dennoch solle es in der ersten Hälfte des Jahres 2000 ca. 260 Terroropfer gegeben haben. Die Sicherheitskräfte gingen gegen die verbliebenen Terroristen (geschätzte 2000 Personen) mit voller Härte vor, und zwar mit Durchkämmung bestimmter Gebiete durch Sondereinheiten, die mit Nachtsichtgeräten und Kampfhubschraubern ausgestattet seien.
Rechtlich folgerte die belangte Behörde, dass die Voraussetzungen des § 6 Z 3 AsylG gegeben seien. Wenn nämlich ein Asylwerber ein allenfalls asylrelevantes Vorbringen erst in der Berufung nachschiebe, keine "plausible und widerspruchsfreie" Erklärung dafür geben könne, dass der betreffende Sachverhalt so spät vorgebracht werde und darüber hinaus "offenbar" unzutreffende Angaben zum Fluchtweg mache, so liege offenbar eine Täuschung der Asylbehörde bzw. ein Missbrauch des Asylverfahrens vor. Dabei sei anzumerken, dass die allgemeine Situation in Algerien (Auseinandersetzung zwischen Regierungskräften und verbliebenen Terroristen, Anschläge von Terroristen) nicht zur Asylgewährung führen könne, weil die gesamte Bevölkerung ohne Unterschied von Rasse, Religion, politischer Gesinnung oder Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe daraus resultierenden Beeinträchtigungen ausgesetzt sei. Angesichts der von staatlicher Seite gesetzten Maßnahmen gegen den Terrorismus könne überdies - so die belangte Behörde abschließend zu ihrem Ausspruch nach § 8 AsylG - nicht davon ausgegangen werden, dass der algerische Staat grundsätzlich außer Stande wäre, seine Bürger vor Übergriffen zu schützen. Es liege demnach kein Anhaltspunkt dafür vor, dass keine ausreichende Ordnungsmacht vorhanden bzw. dass damit zu rechnen wäre, dass jeder nach Algerien abgeschobene Fremde mit hinreichender Wahrscheinlichkeit einer Gefahr iS des § 57 Abs. 1 "und" 2 Fremdengesetz 1997 ausgesetzt sein könnte.
Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:
Der Asylantrag des Beschwerdeführers wurde letztlich gemäß § 6 Z 3 AsylG als offensichtlich unbegründet abgewiesen. Die genannte Gesetzesstelle setzt voraus, dass der Asylantrag eindeutig jeder Grundlage entbehrt, weil - ohne sonstigen Hinweis auf Verfolgungsgefahr im Herkunftsstaat - das Vorbringen der Asylwerber zu einer Bedrohungssituation offensichtlich den Tatsachen nicht entspricht. Hiezu hat der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, dass nur Fälle "qualifizierter Unglaubwürdigkeit" erfasst werden und eine "schlichte Unglaubwürdigkeit" des Asylwerbers nicht zur Anwendung dieses Tatbestandes führen kann (vgl. das hg. Erkenntnis vom 7. September 2000, Zl. 99/01/0273).
Mit der Frage, wann die geforderte "qualifizierte Unglaubwürdigkeit" vorliegt, hat sich der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 21. August 2001, Zl. 2000/01/0214, näher beschäftigt. Demnach erfordert die Anwendung des § 6 Z 3 AsylG das Vorliegen von Umständen, die besonders deutlich die Unrichtigkeit der erstatteten Angaben vor Augen führen. Es muss unmittelbar einsichtig sein, dass die abgegebene Schilderung tatsächlich wahrheitswidrig ist. Dieses Urteil muss sich quasi "aufdrängen", der (die) dazu führende(n) Gesichtspunkt(e) muss (müssen) klar auf der Hand liegen.
Im vorliegenden Fall kann der Verwaltungsgerichtshof nicht erkennen, dass eine Unrichtigkeit des Berufungsvorbringens des Beschwerdeführers im eben gesagten Sinn geradezu "ins Auge springt". Zwar ist es richtig, dass das "Nachschieben" von Fluchtgründen in der Berufung - worauf die belangte Behörde in erster Linie abstellt - ein gewichtiges Indiz für die Unglaubwürdigkeit eines Asylwerbers darstellt, zumal dann, wenn er wie hier unterschiedliche Erklärungsversuche für diese Vorgangsweise abgibt. Allerdings ist im konkreten Fall zu berücksichtigen, dass der Beschwerdeführer - der gemäß seinen unbestrittenen Angaben nur zwei Jahre die Volksschule besucht hatte - sowohl bei der Einvernahme vor dem Bundesasylamt als auch in der mündlichen Berufungsverhandlung vor der belangten Behörde erst 16 Jahre alt war, sodass das Beschwerdevorbringen, er sei bei der (ersten) Einvernahme verängstigt und vollkommen eingeschüchtert gewesen, nicht von vornherein von der Hand zu weisen ist. Dazu kommt, dass die in der Berufung behaupteten Fluchtgründe relativ detailliert dargestellt wurden, was üblicherweise eher für als gegen die Glaubwürdigkeit eines Asylwerbers spricht. Wenn die belangte Behörde in diesem Zusammenhang ins Treffen führt, dass der Beschwerdeführer den Zeitpunkt der behaupteten Entführung in der mündlichen Berufungsverhandlung nur mit "Ende Sommer 1999" habe umschreiben können, so ist einerseits auf die dieser Datumsangabe durchaus entsprechende zeitliche Einordnung jenes Vorfalls in der Berufungsschrift mit "Mitte September 1999" und im Übrigen auf die im angefochtenen Bescheid insoweit unerwähnt gebliebene Stellungnahme des Beschwerdeführers vom 12. Oktober 2000 zu verweisen, wonach sich aus dem ihm vorgehaltenen Berichten gerade für August und September 1999 eine besondere Häufung gewaltsamer Vorfälle ergebe, was die Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers unterstreiche; andererseits ist die Überlegung, in Anbetracht der Bedeutung des Ereignisses könne ein "entsprechendes Erinnerungsvermögen" erwartet werden, angesichts des schon erwähnten Alters und der Schulbildung des Beschwerdeführers sowie infolge der daran anschließenden Flucht als unbegleiteter Minderjähriger nicht zwingend. In diesem Zusammenhang ist anzumerken, dass die jeweils primären Bezugnahmen des Beschwerdeführers auf sein jugendliches Alter als Erklärung für das Verhalten bei der Ersteinvernahme (in der Berufung) und für das Fehlen einer genauen Datumsangabe (in der Berufungsverhandlung) in der Beweiswürdigung der belangten Behörde (Seite 7 bzw. Seite 8 des angefochtenen Bescheides) schon bei der Wiedergabe der argumentativ zu behandelnden Erklärungsversuche des Beschwerdeführers fehlen. Davon abgesehen bleibt festzuhalten, dass der Beschwerdeführer in konsistenter Form - unter Nennung von Namen - einen Vorfall schilderte, den die belangte Behörde nicht als für sich genommen unplausibel qualifizierte und der daher offenkundig mit ihren Feststellungen über die "allgemeine Situation" in Algerien in Einklang gebracht werden kann. Nicht zu folgen ist der belangten Behörde zumindest im vorliegenden Fall eines jugendlichen Asylwerbers aber vor allem darin, dass sie als Maßstab für die "offensichtliche" Wahrheitswidrigkeit des erst im Berufungsverfahren erstatteten Vorbringens das Fehlen eines "plausiblen" bzw. "eindeutigen, in sich schlüssigen" oder "plausiblen und widerspruchsfreien" Erklärung für dessen späte Erstattung genügen lässt. Zusammenfassend ergibt sich damit, dass im konkreten Fall im Wesentlichen allein aus der "Steigerung des Vorbringens" keine ausreichend qualifizierte Unglaubwürdigkeit des Berufungsvorbringens des Beschwerdeführers abgeleitet werden durfte. Auch das hinzu tretende Fehlen eines Identitätsdokumentes und die von der belangten Behörde angestellten Überlegungen zur Unglaubwürdigkeit der Angaben über den Fluchtweg vermögen an dieser Beurteilung nichts zu ändern, weil es dabei nicht um die in § 6 Z 3 AsylG angesprochene Bedrohungssituation geht. Im Übrigen sei darauf hingewiesen, dass der Beschwerdeführer nach dem in den Verwaltungsakten erliegenden Bericht des Gendarmeriepostens Jenbach vom 2. März 2000 bei seiner Aufgreifung 45.000 italienische Lira bei sich hatte, was ungeachtet der negativen Auskunft der italienischen Behörden für einen Voraufenthalt des Beschwerdeführers in Italien, wie von ihm angegeben, spricht. Schließlich hat es die belangte Behörde nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes aber auch verabsäumt, sich für den Fall, dass ihr das Berufungsvorbringen über den Vorfall im September 1999 als "offensichtlich" wahrheitswidrig erschien, mit dem in der Berufungsverhandlung - in Übereinstimmung mit den sonstigen Angaben des Beschwerdeführers zu seinen familiären Verhältnissen - erstatteten Vorbringen, wonach der Beschwerdeführer wegen der Berufstätigkeit seines Schwagers einer individuellen Bedrohung seitens der Terroristen ausgesetzt sei, konkret zu befassen. Dass die Annahme ausreichenden staatlichen Schutzes gegenüber einer nicht vom Staat ausgehenden Verfolgungsgefahr die Abweisung eines Asylantrages als "offensichtlich" unbegründet nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht zu begründen vermag, sei in diesem Zusammenhang nur der Vollständigkeit halber erwähnt.
Nach dem Gesagten ist der bekämpfte Bescheid mit einer Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet. Er war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Der Spruch über den Kostenersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001.
Wien, am 12. März 2002
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2002:2001010122.X00Im RIS seit
03.06.2002