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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);Norm
AVG §45 Abs3;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Pelant, Dr. Köller und Dr. Thoma als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Schimetits, über die Beschwerde der MM in G, vertreten durch Dr. Klaus Kocher, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Sackstraße 36, gegen den Bescheid der Steiermärkischen Landesregierung vom 15. März 2000, Zl. 2-11.M/325-97/16, betreffend Verleihung der Staatsbürgerschaft und Erstreckung derselben, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Das Land Steiermark hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Bescheid vom 15. März 2000 wies die Steiermärkische Landesregierung (die belangte Behörde) den Antrag der Beschwerdeführerin auf Verleihung der Staatsbürgerschaft und das Ansuchen um Erstreckung der Verleihung auf ihren Gatten und die vier gemeinsamen Kinder gemäß § 10 Abs. 4 Z 1, §§ 16, 17 und 18 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 (StbG) in Verbindung mit § 39 leg. cit. "i.d.g.F." ab.
Die Beschwerdeführerin sei erstmals am 6. Februar 1991, ihr Gatte am 30. April 1991 im Bundesgebiet zur Anmeldung gelangt. Die Beschwerdeführerin habe mit Eingabe vom 1. April 1998 um Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft unter gleichzeitiger Erstreckung auf ihren Gatten und ihre Kinder angesucht.
Der Magistrat der Landeshauptstadt Graz teile in seiner Stellungnahme mit, dass noch Sozialhilfemittel in der Höhe von S 11.317,11 offen wären.
Das Arbeitsmarktservice Steiermark habe das Ansuchen um Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft aus der Sicht des Arbeitsmarktes nicht befürwortet. Aus der Versicherungszeitenbestätigung der Beschwerdeführerin sei ersichtlich, dass sie von 1991 bis 13. September 1999 bei zwölf verschiedenen Dienstgebern mit Unterbrechungen beschäftigt gewesen und seit 24. September 1999 beim dreizehnten Dienstgeber beschäftigt sei. Aus der Versicherungszeitenbestätigung ihres Gatten sei ersichtlich, dass er vom 1. August 1994 bis 6. Februar 1995 und vom 22. Februar 1995 bis 27. März 1995 beschäftigt gewesen sei. Aus einem Schreiben der Firma P. gehe hervor, dass er seit 17. Dezember 1998 beschäftigt sei. Das heiße, dass er seit seiner Einreise im Jahr 1991 vom 30. April 1991 bis 1. August 1994 und vom 27. März 1995 bis 17. Dezember 1998 keiner Beschäftigung nachgegangen sei.
Weiters sei aus dem Bericht der Bundespolizeidirektion Graz ersichtlich, dass der Ehegatte der Beschwerdeführerin am 16. März 1993 wegen des Verdachtes der Körperverletzung und des Hausfriedensbruches und am 21. Juni 1995 wegen des Verdachtes der Urkundenunterdrückung zur Anzeige gebracht worden sei. Beide Verfahren seien eingestellt worden.
Unter Wahrung des Parteiengehörs sei der Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 14. Oktober 1999 Gelegenheit gegeben worden, zum vorliegenden Sachverhalt eine Stellungnahme abzugeben. Das durch ihren ausgewiesenen Vertreter eingebrachte Schreiben sei zurückzuweisen gewesen, weil es verspätet eingebracht worden sei (Datum der Hinterlegung 20. Oktober 1999; Eingang der Stellungnahme per Telefax am 5. November 1999).
Da die Beschwerdeführerin und ihr Gatte noch keinen zehnjährigen ununterbrochenen Inlandswohnsitz vorweisen könnten, müsse neben der Erfüllung der allgemeinen Einbürgerungserfordernisse ein besonders berücksichtigungswürdiger Grund im Sinn des § 10 Abs. 5 Z 1 bis 6 StbG vorliegen. Die im § 10 Abs. 5 Z 1, 2 und 4 bis 6 leg. cit. geforderten besonders berücksichtigungswürdigen Gründe träfen auf die Beschwerdeführerin nicht zu. Der im § 10 Abs. 5 Z 3 leg. cit. geforderte Nachweis nachhaltiger persönlicher und beruflicher Integration sei durch den festgestellten Sachverhalt nicht gegeben.
Der Antrag auf Erstreckung der Verleihung der Staatsbürgerschaft sei gemäß § 18 StbG ebenfalls abzuweisen gewesen, weil die Erstreckung der Verleihung nur gleichzeitig mit der Verleihung der Staatsbürgerschaft und nur mit demselben Erwerbszeitpunkt verfügt werden dürfe.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde erwogen:
Die hier maßgeblichen Bestimmungen des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985, BGBl. Nr. 311, in der Fassung der Staatsbürgerschaftsgesetznovelle 1998, BGBl. I Nr. 124, lauten - auszugsweise - wie folgt:
"Verleihung
§ 10. (1) Die Staatsbürgerschaft kann einem Fremden verliehen werden, wenn
1. er seit mindestens zehn Jahren seinen Hauptwohnsitz ununterbrochen im Bundesgebiet hat;
...
(4) Von der Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 kann abgesehen werden
1. aus besonders berücksichtigungswürdigem Grund, sofern es sich um einen Minderjährigen, der seit mindestens vier Jahren, oder um einen Fremden handelt, der seit mindestens sechs Jahren seinen Hauptwohnsitz ununterbrochen im Bundesgebiet hat, es sei denn, es wäre in Abs. 5 hinsichtlich dieser Wohnsitzdauer anderes vorgesehen;
...
(5) Als besonders berücksichtigungswürdiger Grund (Abs. 4 Z 1) gilt insbesondere
...
3. der Nachweis nachhaltiger persönlicher und beruflicher Integration
...
§ 11. Die Behörde hat sich unter Bedachtnahme auf das Gesamtverhalten des Fremden bei der Ausübung des ihr in § 10 eingeräumten freien Ermessens von Rücksichten auf das allgemeine Wohl, die öffentlichen Interessen und das Ausmaß der Integration des Fremden leiten zu lassen.
...
§ 16. (1) Die Verleihung der Staatsbürgerschaft an einen Fremden ist unter den Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Z. 2 bis 8 und Abs. 3 auf seinen mit ihm im gemeinsamen Haushalt lebenden Ehegatten zu erstrecken, wenn ...
...
§ 17. (1) Die Verleihung der Staatsbürgerschaft ist unter den Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Z. 2 bis 8 und Abs. 3 zu erstrecken auf
1. die ehelichen Kinder des Fremden,
...
§ 18. Die Erstreckung der Verleihung darf nur gleichzeitig mit der Verleihung der Staatsbürgerschaft und nur mit demselben Erwerbszeitpunkt verfügt werden."
Da die Beschwerdeführerin unstrittig nicht auf einen ununterbrochenen zehnjährigen Hauptwohnsitz im Bundesgebiet zu verweisen vermag, erfüllt sie die Verleihungsvoraussetzung gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 StbG nicht. Davon kann im vorliegenden Fall - wie von der belangten Behörde erkannt - dann abgesehen werden, wenn ein besonders berücksichtigungswürdiger Grund im Sinn des § 10 Abs. 4 Z 1 in Verbindung mit § 10 Abs. 5 StbG vorliegt.
Bei der Beurteilung der Frage, ob ein besonders berücksichtigungswürdiger Grund für die Verleihung der Staatsbürgerschaft vorliegt, handelt es sich um eine zwingende Verleihungsvoraussetzung. Eine nach § 11 StbG vorzunehmende Ermessensentscheidung kommt daher erst dann in Betracht, wenn - zusätzlich zu den weiters erforderlichen Verleihungsvoraussetzungen des § 10 Abs. 1 Z 2 bis 8 StbG - jene nach § 10 Abs. 4 StbG gegeben ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom 11. Oktober 2000, Zl. 99/01/0333, mwN).
§ 10 Abs. 5 StbG enthält eine demonstrative Aufzählung, was unter einem besonders berücksichtigungswürdigen Grund zu verstehen ist. Ein solcher liegt nach der - vorliegend sachverhaltsbezogen in Betracht kommenden - Z 3 dieser Bestimmung bei "Nachweis nachhaltiger persönlicher und beruflicher Integration" vor.
Nach den ErläutRV zur Staatsbürgerschaftsgesetznovelle 1998 (1283 BlgNR 20. GP 8) wird der Nachweis nachhaltiger persönlicher und beruflicher Integration dann als erbracht gelten, wenn der Fremde sowohl beschäftigungsrechtlich (z.B. Arbeitserlaubnis, Befreiungsschein) als auch fremdenrechtlich (z.B. unbefristete weitere Niederlassungsbewilligung) eine bis auf weiteres gesicherte Position in Österreich hat und hier persönlich nachhaltig verankert ist (z.B. Familie lebt mit dem Fremden in Österreich, Kinder besuchen die Schule usw.). Dass es bei der Frage des Ausmaßes der persönlichen Integration eines Fremden auch auf in diesem Beispiel nicht genannte Umstände ankommen soll, ergibt sich ebenfalls aus den zitierten Erläuterungen (aaO., 5). Darnach verfolgt nämlich die Staatsbürgerschaftsgesetznovelle 1998 das Ziel, die Integration des Fremden als das für die Verleihung der Staatsbürgerschaft maßgebliche Kriterium zu verankern. Hiebei solle dem Integrationsmerkmal "Deutschkenntnisse" besonderes Gewicht zukommen.
Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 7. September 2000, Zl. 2000/01/0081, ausgesprochen hat, kann eine "nachhaltige persönliche und berufliche Integration" (im Sinne eines besonders berücksichtigungswürdigen Grundes) nur dann vorliegen, wenn bei einer Gesamtbetrachtung der dafür maßgeblichen Umstände jedenfalls ein solches Maß an Integration gegeben ist, dass sich der Fall des Einbürgerungswerbers von der üblichen Situation, in der sich ein Fremder nach einem gleich langen inländischen Aufenthalt bei üblicher Weise zu erwartenden Integrationsbemühungen befindet, deutlich abhebt. Die "nachhaltige persönliche und berufliche Integration" muss im gegebenen Zusammenhang also deutlich über dem Ausmaß liegen, das von einem Fremden nach einem gleich langen inländischen Aufenthalt regelmäßig erwartet werden kann.
Im vorliegenden Fall verwies die Beschwerdeführerin schon in ihrem Antrag auf Verleihung der Staatsbürgerschaft vom 20. März 1998 auf den Aufenthalt ihres Ehegatten und ihrer - zum Teil in Österreich geborenen - Kinder im Inland.
Die belangte Behörde, die offensichtlich die guten Deutschkenntnisse der Beschwerdeführerin nicht in Zweifel zog, beschränkte sich demgegenüber darauf, Feststellungen darüber zu treffen, dass seitens der Landeshauptstadt Graz Sozialhilfemittel "offen" seien, ohne näher festzustellen, ob jemand und allenfalls wer aus welchem Titel zu Zahlungen verpflichtet sein sollte. Auch die weitere Feststellung, die Beschwerdeführerin sei von 1991 bis 1999 bei zwölf verschiedenen Dienstgebern mit Unterbrechungen beschäftigt gewesen und nunmehr beim dreizehnten Dienstgeber beschäftigt, vermag der Annahme einer besonderen beruflichen Integration noch nicht entgegen zu stehen, weil weder - anders als in dem dem hg. Erkenntnis vom 11. Oktober 2000, Zl. 2000/01/0015, zu Grunde liegenden Fall - die Dauer der "Unterbrechungen" noch die Gründe hiefür, denen für die Beurteilung der Integration ebenfalls Bedeutung zukommt, festgestellt wurden. Wechselnde Beschäftigungsverhältnisse für sich allein sprechen nicht gegen die berufliche Integration (vgl. das hg. Erkenntnis vom 2. Oktober 2001, Zl. 2000/01/0156); bei der Beurteilung des Anteiles der beruflichen Integration an einer in einer Gesamtbetrachtung zu prüfenden überdurchschnittlichen Integration käme diesen Umständen jedoch wesentliche Bedeutung zu.
In diesem Zusammenhang sei auch darauf verwiesen, dass die Versäumung der gegenüber der Beschwerdeführerin mit Erledigung vom 14. Oktober 1999 gesetzten Frist zur Stellungnahme die belangte Behörde nicht davon entband, ein ordnungsgemäßes Verfahren im Hinblick auf die persönliche und berufliche Integration der Beschwerdeführerin zu führen und insbesondere ihre Stellungnahme zu berücksichtigen, die sich detailliert mit ihren Beschäftigungsverhältnissen befasste (vgl. dazu Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze, Bd I2, E. 500 ff zu § 45 AVG).
Schließlich stellt die undifferenzierte Bezugnahme auf die Beschäftigungszeiten des Ehegatten der Beschwerdeführerin (wie den vorgelegten Verwaltungsakten zu entnehmen ist, ist er seit 17. Dezember 1998 dauernd beschäftigt) und die ihn betreffenden Anzeigen wegen des Verdachtes der Begehung strafgerichtlich ahndbarer Vergehen eine unzulässige Gesamtbetrachtung von Verleihungswerberin und Erstreckungswerber dar (vgl. das hg. Erkenntnis vom 21. April 1999, Zl. 97/01/1069). Diese Umstände wären im Fall eines vom Erstreckungswerber gestellten, auf § 10 Abs. 4 Z. 1 StbG gestützten Verleihungsantrages allenfalls für die Beurteilung seiner Integration von Relevanz (auf die § 16 Abs. 1 StbG jedoch nicht abstellt); sie stehen jedoch in Anbetracht seines mehrjährigen inländischen Aufenthaltes der Annahme der Nachhaltigkeit der Integration der Beschwerdeführerin auch dann nicht entgegen, wenn man grundsätzlich davon ausgeht, die persönliche und berufliche Integration des Ehegatten könne sich auf die persönliche Integration des Verleihungswerbers auswirken und bei deren (gesonderter) Beurteilung daher indirekt von - in einem Zweifelsfall vielleicht ausschlaggebender - Bedeutung sein.
Da die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid mit den dargestellten Verfahrensmängeln belastete, war dieser gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001, BGBl. II Nr. 501.
Wien, am 12. März 2002
Schlagworte
Besondere Rechtsgebiete DiversesEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2002:2000010189.X00Im RIS seit
24.06.2002