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41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
AsylG 1997 §6 Z2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Pelant, Dr. Köller und Dr. Thoma als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Schimetits, über die Beschwerde der KA in W, geboren am 25. November 1976, vertreten durch Dr. Peter H. Jandl, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Landesgerichtsstraße 6, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 16. Mai 2001, Zl. 221.674/0-XII/05/01, betreffend §§ 6 und 8 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige von Nigeria, reiste ihren zuletzt getätigten Angaben zufolge am 29. Jänner 2001 in das Bundesgebiet ein und beantragte in der Folge die Gewährung von Asyl. Diesen Asylantrag wies die belangte Behörde mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 16. Mai 2001 gemäß § 6 Z 2 und 3 AsylG als offensichtlich unbegründet ab (Spruchpunkt I.); zugleich stellte sie gemäß § 8 AsylG iVm § 57 FrG fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführerin nach Nigeria zulässig sei (Spruchpunkt II).
Begründend führte die belangte Behörde aus, dass die Beschwerdeführerin während des gesamten Verfahrens vorgebracht habe, wegen Grundstücksstreitigkeiten zwischen ihrer Familie und Bewohnern ihres Heimatdorfes aus Furcht vor lebensbedrohender Verfolgung seitens der Dorfbewohner geflüchtet zu sein; im Zuge der Auseinandersetzungen seien ihr Vater und ihr Bruder von Dorfbewohnern getötet und sei das Haus ihrer Familie niedergebrannt worden. Des Weiteren habe die Beschwerdeführerin vorgebracht, mit staatlichen Behörden keine Probleme gehabt zu haben. Auf Grund dieses Vorbringens müsse zunächst festgehalten werden, dass die geschilderten Grundstücksstreitigkeiten nicht einmal ansatzweise als "Verfolgung" aus einem der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (FlKonv) genannten Gründe zu qualifizieren seien. Dafür, dass der Staat aus asylrechtlich relevanten Gründen nicht willens oder nicht fähig wäre, die Beschwerdeführerin vor Verfolgung durch die Dorfbewohner zu schützen, bestünden keine Anhaltspunkte. Überdies habe die österreichische Botschaft in Lagos in einer aus anderem Anlass eingeholten Stellungnahme vom 30. März 2000 festgehalten, dass jede Grundstückstransaktion in Nigeria von der zuständigen Gemeinde begutachtet und genehmigt werden müsse; anlässlich dieses Vorganges werde jeweils klargestellt, wer über ein solches Grundstück verfügungsberechtigt sei; eine "bereits ungerechtfertigte Inanspruchnahme von Verfügungsrechten würde in keiner Weise für solche Personen ohne Strafverfahren beendet werden". Im Hinblick auf diese Stellungnahme könne mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass der von der Beschwerdeführerin geschilderte Sachverhalt - die unrechtmäßige Inanspruchnahme eines Grundstückes durch Dorfbewohner und die geschilderte Untätigkeit der Polizei trotz erfolgter Anzeige - nicht den Tatsachen entspreche. Zusammenfassend sei der Asylantrag der Beschwerdeführerin daher gemäß § 6 Z 2 und 3 AsylG als offensichtlich unbegründet abzuweisen gewesen.
Zu § 8 AsylG sei auszuführen, dass die Anwendbarkeit des § 57 Abs. 2 FrG ausscheide. Da das Vorbringen der Beschwerdeführerin, wie gezeigt, offensichtlich nicht den Tatsachen entspreche, könne aber auch nicht abgeleitet werden, dass ihr bei einer Rückkehr nach Nigeria eine Gefahr iS des Art. 3 EMRK - dies im Hinblick auf die Prüfung nach § 57 Abs. 1 FrG - drohe. Der Vollständigkeit halber sei bezüglich der angeblichen Bedrohung durch Dorfbewohner noch angemerkt, dass die österreichische Botschaft in ihrer Stellungnahme vom 30. März 2000 darauf hinweise - ungeachtet dessen, dass die Anwendbarkeit des Art. 3 EMRK nicht auf Fälle staatlicher und quasi-staatlicher Verfolgung beschränkt sei -, dass es in Nigeria üblich sei, "Stammeszwistigkeiten und Reibereien" durch Übersiedlung in einen anderen Landesteil auf Dauer und wirksam zu entgehen; so beende nach nigerianischen Verhältnissen die Übersiedlung in einen anderen Teil Nigerias, insbesondere in Ballungsgebiete, einen allfälligen Streit mit allergrößter Wahrscheinlichkeit, weil eine Nachsuche bzw. eine Ausfindigmachung eines solchen "Flüchtigen" einfach nicht möglich sei. Darüber hinaus bestünden keine Anhaltspunkte dafür, dass der nigerianische Staat mögliche gewalttätige Auseinandersetzungen oder ethnische Spannungen zwischen Bevölkerungsgruppen billigen würde. Schließlich - so die belangte Behörde abschließend - werde in einer weiteren Stellungnahme der österreichischen Botschaft in Lagos vom 28. Februar 2000 betont, dass es in Nigeria zwar immer wieder zu Spannungen und sogar gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen den einzelnen Stämmen komme, dass diese Gewalttätigkeiten jedoch nicht von staatlicher Seite ausgingen, sondern vielmehr Polizei und Militär jeweils zur Wiederherstellung der Ordnung, Ruhe und Sicherheit eingesetzt würden; die Regierung versuche durch Bekämpfung der Korruption, Verstärkung der nationalen Sicherheit, Förderung der Wirtschaft, Abbau der Arbeitslosigkeit und Schuldenerlass sowie Entwicklung der Außenwirtschaft die wirtschaftlichen und sicherheitsmäßigen Grundlagen für ein geordnetes, ruhiges und prosperierendes Staatswesen zu gewährleisten. Die drohende Gefahr einer im gesamten nigerianischen Staatsgebiet zu befürchtenden unmenschlichen Behandlung sei daher im Fall der Beschwerdeführerin als zu gering einzuschätzen, um in den Anwendungsbereich des Art. 3 EMRK zu geraten.
Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:
Asylanträge sind gemäß § 6 AsylG als offensichtlich unbegründet abzuweisen, wenn sie eindeutig jeder Grundlage entbehren. Das ist nach der von der belangten Behörde ihrer Entscheidung zunächst zugrunde gelegten Z 2 dieser Bestimmung dann der Fall, wenn die behauptete Verfolgungsgefahr im Herkunftsstaat nach dem Vorbringen der Asylwerber offensichtlich nicht auf die in Art. 1 Abschnitt A Z 2 FlKonv genannten Gründe zurückzuführen ist.
Die belangte Behörde ging davon aus, dass die Beschwerdeführerin gemäß ihrem Vorbringen ausschließlich "wegen Grundstücksstreitigkeiten" geflohen sei. Damit wurde sie den Angaben der Beschwerdeführerin allerdings nicht zur Gänze gerecht. Richtig ist, dass die Beschwerdeführerin Grundstücksstreitigkeiten als Anlass und Ausgangspunkt der gegen sie gerichteten Verfolgung ins Treffen geführt hat. Sie hat dazu in der mündlichen Berufungsverhandlung allerdings weiter Folgendes ausgeführt:
"...Einer der Polizisten riet mir, den Ort zu verlassen, weil die Dorfbewohner auch mir nach dem Leben trachten würden, sie wollten die gesamte Familie ausrotten, um an das Land zu kommen.
... Ich weiß nicht, ob man mich am Leben gelassen hätte, oder
trotzdem ermordet hätte, auch wenn ich ihnen das Land überlassen
hätte. ... Man hätte mich trotzdem getötet, wie man auch meinen
Vater und Bruder tötete, ich weiß das, auch wenn Sie mir nicht
glauben. ... Man würde mich finden und töten, wenn man weiß, dass
ich am Leben bin und möglicherweise auch noch Kinder bekomme, die Anspruch auf dieses Land erheben könnten. ..."
Dieses ergänzende Vorbringen indiziert angesichts der erwähnten Ausrottung der gesamten Familie und der Bezugnahme auf mögliche Kinder der Beschwerdeführerin, dass sie nunmehr schon auf Grund der Zugehörigkeit zur Familie des (ehemaligen) Grundstückseigentümers Verfolgung zu befürchten habe. Davon ausgehend kann aber nicht vom "offensichtlichen" Fehlen eines Konventionsgrundes die Rede sein, würde eine im Hinblick auf die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Familie drohende Verfolgung doch dem Konventionsgrund der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe unterfallen (vgl. näher das hg. Erkenntnis vom 26. Februar 2002, Zl. 2000/20/0517).
Neben § 6 Z 2 AsylG hat die belangte Behörde auch § 6 Z 3 leg. cit. als Grundlage ihrer Entscheidung herangezogen. Dabei stützte sie sich freilich ausschließlich auf einen aus Anlass eines anderen Verfahrens eingeholten Bericht der österreichischen Botschaft über Grundstückstransaktionen in Nigeria vom 30. März 2000, wonach - so der in den Akten erliegende Bericht wörtlich -
"Ein Handel mit 'öffentlichem Gut' ... nicht möglich" ist, "da jede Grundstückstransaktion von der zuständigen Gemeinde begutachtet und genehmigt werden muss. Anlässlich dieses Vorganges wird jeweils klargestellt, wer über was verfügungsberechtigt ist. Eine ungerechtfertigte Inanspruchnahme von Verfügungsrechten würde i. k. W. ohne Strafverfahren beendet werden, ..."
Schon der letztlich auslegungsbedürftige Inhalt dieser Stellungnahme verbietet es, allein gegründet darauf die offensichtliche Unglaubwürdigkeit der Angaben der Beschwerdeführerin anzunehmen, wozu kommt - worauf in der Stellungnahme einleitend ausdrücklich hingewiesen wird -, dass sie (bloß) auf "einer ersten raschen Befassung des ho.
Vertrauensanwaltes" beruht. Im Übrigen hätte eine ordnungsgemäße Beweiswürdigung, wie der Vollständigkeit halber angemerkt sei, auch außerhalb des Kalküls des § 6 Z 3 AsylG (dazu siehe näher das hg. Erkenntnis vom 21. August 2001, Zl. 2000/01/0214) einerseits eine Auseinandersetzung mit dem gesamten Vorbringen der Beschwerdeführerin im Einzelnen erfordert, wobei insbesondere auch auf die von ihr vor dem Bundesasylamt und in der Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid behaupteten Verletzungen und auf die in der mündlichen Berufungsverhandlung erwähnte Bestechlichkeit/Bestechung der örtlichen Polizei einzugehen gewesen wäre. Andererseits hätte die belangte Behörde aber auch nicht ausblenden dürfen, dass in dem ihrer Entscheidung gleichfalls zugrunde gelegten Botschaftsbericht vom 28. Februar 2000 (und zum Teil auch im erstinstanzlichen Bescheid) bezüglich der Situation in Nigeria von Korruption, heftiger Kriminalität und Verteilungskämpfen die Rede ist. Schließlich hätte auch der in der Berufung erhobene Einwand, die Beschwerdeführerin sei infolge ihrer Anhaltung in Schubhaft "psychisch verstört", einer Behandlung bedurft.
Soweit die belangte Behörde - allerdings ohnehin lediglich bei ihrer Beurteilung nach § 8 AsylG - Überlegungen dahingehend anstellte, die Beschwerdeführerin könne sich durch eine Übersiedlung in einen anderen Teil Nigerias, insbesondere in Ballungsgebiete, der behaupteten Verfolgung durch die Bewohner ihres Heimatdorfes entziehen, zeigt sie - abgesehen davon, dass der Einwand der Beschwerdeführerin, sie könne überall in Nigeria gefunden werden, nicht näher behandelt wurde - von vornherein keinen im Rahmen des § 6 AsylG maßgeblichen Gesichtspunkt auf. Gleiches gilt für die dem bekämpften Bescheid allenfalls zugrunde liegende Annahme, die Beschwerdeführerin könnte bei staatlichen Behörden Schutz vor der behaupteten Verfolgung finden (vgl. das hg. Erkenntnis vom 31. Jänner 2002, Zl. 99/20/0332). Der bekämpfte Bescheid war daher jedenfalls gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001. Ein Kostenersatz unter dem Titel von Umsatzsteuer steht neben dem Pauschbetrag für den Schriftsatzaufwand nicht zu.
Wien, am 12. März 2002
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2002:2001010399.X00Im RIS seit
21.05.2002