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41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
AsylG 1997 §7;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski und Dr. Köller als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Schimetits, über die Beschwerde des K H in W, vertreten durch Dr. Leonhard Romig, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Mahlerstraße 7, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 15. Dezember 1998, Zl. 206.184/0-XI/35/98, betreffend §§ 7 und 8 Asylgesetz (weiter Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein algerischer Staatsangehöriger, der am 24. September 1998 in das Bundesgebiet eingereist ist und am 30. September 1998 einen Asylantrag gestellt hat, hat bei seiner niederschriftlichen Einvernahme am 8. Oktober 1998 zu seinen Fluchtgründen im Wesentlichen folgendes ausgeführt:
Er habe mit seinen Eltern und seinen sieben Geschwistern in der Nähe von Tiarte auf einer Farm gelebt. Mitte Juni 1998 habe er die Farm verlassen, um an der Universität eine Prüfung abzulegen, als er vor der Farm einen Mann gesehen habe. Er habe gewusst, dass es sich dabei um einen Terroristen handle; der Mann sei in der Gegend der Farm bereits als Terrorist bekannt gewesen. Der Mann sei ihm entgegengekommen und sei dann zum Nachbarn der Familie des Beschwerdeführers gegangen. Am Abend habe der Beschwerdeführer erfahren, dass der Nachbar von dem Terroristen getötet worden sei. Auch andere Bewohner der Gegend hätten den Terroristen wahrgenommen. Am Abend hätten sich Polizisten zum Haus des Terroristen begeben, diesen jedoch nicht vorgefunden; die Polizisten hätten aber den Vater und den Bruder des Terroristen mitgenommen. Am nächsten Tag habe der Terrorist von der Aktion der Polizei erfahren. Der Beschwerdeführer habe Tags darauf ein unter die Eingangstüre geschobenes Schreiben erhalten, in dem es - gemäß der Protokollierung des Bundesasylamtes - geheißen habe:
"Im Namen Allahs des Barmherzigen
Die islamische bewaffnete Front, ich erfuhr, dass meine Eltern, Mitglieder meiner Familie, festgenommen wurden. Ich weiß, daß du derjenige bist, der die Polizei informiert hat. Aus diesem Grunde hat die Front dich zum Tode verurteilt."
Unter diesen Text sei ein runder Stempel mit den Worten "Die islamische bewaffnete Front" angebracht gewesen; auf dem Kuvert sei der Name des Beschwerdeführers gestanden. Der Vater des Beschwerdeführers habe ihm gesagt, die Terroristen könnten den Beschwerdeführer heute oder morgen töten. Am nächsten Tag habe sich der Beschwerdeführer zu seinem Cousin nach Oran begeben und dort von seinem Vater telefonisch erfahren, dass zwei Männer nach dem Aufenthaltsort des Beschwerdeführers gefragt und nach der Antwort seines Vaters, er sei an der Universität, angekündigt hätten, sie würden wiederkommen. Die vom Beschwerdeführer um Hilfe gebetene Polizei habe geantwortet, er sei nicht der einzige, der einen Drohbrief erhalten hätte und die Polizei wäre nicht in der Lage, alle Dorfbewohner zu schützen. In der Folge habe der Beschwerdeführer wegen des Drohbriefes das Land verlassen.
In der Berufung gegen den diesen Asylantrag abweisenden Bescheid brachte der Beschwerdeführer unter anderem vor, die algerischen Behörden würden Massaker der Islamisten gegen Oppositionelle jeden Lagers, deren Angehörige und Zivilisten dulden bzw. sogar anordnen; die Terroristen besäßen ein dichtes, landesweites Informationsnetz, um Widersacher im ganzen Land aufzuspüren. Der algerische Staat sei unwillig, den islamistischen Terror zu bekämpfen.
Ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung hat die belangte Behörde mit Bescheid vom 15. Dezember 1998 die Berufung gemäß § 7 Asylgesetz abgewiesen und gemäß § 8 Asylgesetz festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Algerien zulässig sei.
Die belangte Behörde vertrat die Ansicht, dass die vom Beschwerdeführer behaupteten Bedrohungen nicht asylrelevant seien, weil sie nicht dem Staat zuzurechnen wären; aus dem Vorbringen ergebe sich kein Anhaltspunkt dafür, dass die Verfolgung des Beschwerdeführers vom Staat ausgegangen sei oder von ihm zumindest gebilligt würde. Eine lediglich von Privatpersonen ausgehende Verfolgung stelle keine im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention (FlKonv) dar.
Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Die belangte Behörde hat die Flüchtlingseigenschaft des Beschwerdeführers bereits deswegen verneint, weil die vorgebrachte Verfolgung nicht vom algerischen Staat ausgehe und diesem auch nicht zurechenbar sei. Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes kommt einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden Verfolgung aber Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintanzuhalten (vgl. zuletzt das Erkenntnis vom 26. Februar 2002, Zl. 99/20/0509, mit weiteren Judikaturhinweisen).
Zur Situation in Algerien hat der Verwaltungsgerichtshof mehrfach ausgeführt, dass die allgemeine Gefahr der Bevölkerung, Opfer von Übergriffen von islamistischen Terrorgruppen zu werden, keine mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit drohende Verfolgung indizierte (vgl. das Erkenntnis vom 22. März 2000, Zl. 99/01/0256 mit weiteren Judikaturnachweisen).
Im Beschwerdefall kann auf Grund der vorgebrachten individuellen Verfolgung des Beschwerdeführers wegen des ihm unterstellten Verrates eines Terroristen und der darauf beruhenden Morddrohung aber nicht ausgeschlossen werden, dass es sich um eine Verfolgung wegen einer ihm unterstellten, gegen die politischen Ziele der Islamisten gerichteten politischen Ansicht handelt, wobei der Beschwerdeführer sowohl die Schutzfähigkeit als auch die Schutzbereitschaft des algerischen Staates bezweifelt.
Die Schutzwilligkeit im genannten Sinne vorausgesetzt ist der Verwaltungsgerichtshof im bereits angeführten Erkenntnis vom 22. März 2000 von den im Wesentlichen auch im vorliegenden Fall - wortgleich - getroffenen Feststellungen der belangten Behörde über die Situation in Algerien ausgegangen und hat vor diesem Hintergrund dem Vorbringen eines aus Algerien stammenden Asylwerbers, es werde ihm der Verrat des Aufenthaltsortes von islamistischen Terrorgruppen bei der Gendarmerie unterstellt und er werde von den Terroristen mit dem Tod bedroht, als relevant angesehen.
Soweit die belangte Behörde im vorliegenden Fall von derselben allgemeinen Lage in Algerien und von einer Verfolgung durch islamistische Terroristen wegen eines unterstellten Verrates ausging, entspricht die Sach- und Rechtslage jener im zitierten Erkenntnis vom 22. März 2000, weshalb sich die belangte Behörde auch im vorliegenden Fall aus den in diesem Erkenntnis ausführlich dargestellten Erwägungen, auf die gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird, mit der Frage hätte auseinandersetzen müssen, ob dem Beschwerdeführer trotz der festgestellten Maßnahmen des algerischen Staates gegen Terroristen mit einer für die Asylgewährung maßgeblichen Wahrscheinlichkeit ein Nachteil von asylrelevanter Intensität drohte.
Der somit an inhaltlicher Rechtswidrigkeit leidende Bescheid war gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001.
Wien, am 12. März 2002
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2002:1999010230.X00Im RIS seit
27.05.2002