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24/01 Strafgesetzbuch;Norm
StbG 1985 §10 Abs5 Z3 idF 1998/I/124;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Pelant, Dr. Köller und Dr. Thoma als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Schimetits, über die Beschwerde 1. der AC und
2. der mj. HC, beide in D, beide vertreten durch Dr. Rolf Philipp, Rechtsanwalt in 6800 Feldkirch, Bahnhofstraße 16, gegen den Bescheid der Vorarlberger Landesregierung vom 30. Juli 2001, Zl. Ia 370-957/2000, betreffend Verleihung der Staatsbürgerschaft und Erstreckung derselben, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Land Vorarlberg hat der Erstbeschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag der Erstbeschwerdeführerin auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft gemäß §§ 10, 11, 11a, 12, 13 und 14 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 (StbG) und den damit verbundenen Antrag auf Erstreckung der Verleihung auf die Zweitbeschwerdeführerin gemäß §§ 16, 17 und 18 leg. cit. ab. Die 1949 in der Türkei geborene Erstbeschwerdeführerin habe seit 12. August 1972 ununterbrochen den Hauptwohnsitz in Österreich und verfüge seit 7. Jänner 1987 über einen unbefristeten Sichtvermerk. Sie habe keine Schulen besucht, sei Analphabetin und seit dem 27. September 1998 verwitwet, weshalb sie eine Witwenpension und für ihre minderjährige Tochter, die Zweitbeschwerdeführerin, eine Waisenpension beziehe. Zwischen 1974 und 1991 sei die Erstbeschwerdeführerin bei verschiedenen Dienstgebern beschäftigt gewesen. Eine Verständigung in deutscher Sprache sei mit ihr "gerade noch so weit möglich, dass eine Niederschrift bei der Bezirkshauptmannschaft Dornbirn aufgenommen werden konnte"; sie verfüge jedoch über keine grammatikalischen Kenntnisse. Sie sei weder Mitglied eines einheimischen Vereines noch übe sie irgendeine Tätigkeit in einer gemeinnützigen Einrichtung aus. Außer zu ihren Familienangehörigen habe sie keine Kontakte zu Einheimischen, die Umgangssprache mit ihren Familienangehörigen sei türkisch. Ihre Tochter, die Zweitbeschwerdeführerin, sei 1989 in Österreich geboren.
Seitens des Bezirksgerichtes Dornbirn sei die Erstbeschwerdeführerin mit Strafverfügung vom 15. Jänner 1999 wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB zu einer bedingt nachgesehenen Geldstrafe von 80 Tagessätzen a S 30,--
verurteilt worden. Der Strafverfügung habe zu Grunde gelegen, dass sie am 27. September 1998 ihrem damals knapp 18-jährigen Stiefenkel mit einem Holzstück einen Schlag gegen den Kopf versetzt habe, wodurch dieser zwei Rissquetschwunden im Bereich des linken Jochbogens erlitten habe.
Im Hinblick auf die Dauer des Hauptwohnsitzes in Österreich komme für eine Verleihung der Staatsbürgerschaft der Tatbestand des § 10 Abs. 1 StbG in Frage. Die Erstbeschwerdeführerin habe jedoch trotz einer Aufenthaltsdauer von knapp 29 Jahren große Verständigungsprobleme in deutscher Sprache; sie könne sich gerade noch soweit verständigen, dass sie ohne die Hilfestellung eines Dolmetsch einen Behördengang erledigen könne. Das Ausmaß der "nicht erfolgten Integration der Verleihungswerberin" in Verbindung mit dem öffentlichen Interesse zur Verhinderung strafbarer Handlungen gegen Leib und Leben wiege schwerer als der 28-jährige Aufenthalt und die damit verbundene Eingliederung der Erstbeschwerdeführerin. Eine Ermessensübung iS des § 11 StbG zu Gunsten der Erstbeschwerdeführerin habe daher nicht erfolgen können. Da ein Tatbestand, der einen Rechtsanspruch auf die Verleihung der Staatsbürgerschaft begründe, nicht vorliege - mangels nachgewiesener nachhaltiger persönlicher und beruflicher Integration (lediglich Kontakt zu Familienangehörigen, seit Oktober 1991 keine Beschäftigung mehr) seien insbesondere die Voraussetzungen des § 12 Z 1 lit. b StbG nicht erfüllt -, sei der Verleihungsantrag der Erstbeschwerdeführerin abzuweisen gewesen. Dies habe zwingend die Abweisung des Antrages auf Erstreckung der Verleihung auf die Zweitbeschwerdeführerin zur Folge.
Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:
Die belangte Behörde geht davon aus, dass die Erstbeschwerdeführerin die Einbürgerungserfordernisse des § 10 Abs. 1 StbG erfülle und dass auch § 10a leg. cit. - ungeachtet der Probleme, sich in deutscher Sprache zu verständigen - der Verleihung der Staatsbürgerschaft nicht entgegen stehe. Die geringen Deutschkenntnisse, "das Ausmaß der nicht erfolgten Integration" und das öffentliche Interesse an der Verhinderung strafbarer Handlungen gegen Leib und Leben (Letzteres im Hinblick auf die Verurteilung der Erstbeschwerdeführerin nach § 83 Abs. 1 StGB) ließen jedoch eine Ermessensübung zu Gunsten der Erstbeschwerdeführerin nicht zu.
Das bei einer Verleihung nach § 10 StbG zu übende Ermessen wird in § 11 leg. cit. - in der hier anzuwendenden Fassung nach der Staatsbürgerschaftsgesetznovelle 1998 - wie folgt determiniert:
"§ 11. Die Behörde hat sich unter Bedachtnahme auf das Gesamtverhalten des Fremden bei der Ausübung des ihr in § 10 eingeräumten freien Ermessens von Rücksichten auf das allgemeine Wohl, die öffentlichen Interessen und das Ausmaß der Integration des Fremden leiten zu lassen."
In den Erläuterungen der Regierungsvorlage zur Staatsbürgerschaftsgesetznovelle 1998 (1283 BlgNR 20. GP 9) war die Neufassung des § 11 StbG primär damit begründet worden, dass die Behörde bei ihrer Entscheidung vor allem die Integration des Fremden und deren Ausmaß zu beachten habe. Von da her ist es richtig, dass die belangte Behörde bei ihrer Entscheidung auch zu § 10 StbG die Frage der Integration der Erstbeschwerdeführerin in den Mittelpunkt stellte. Wenn sie allerdings zu der Auffassung gelangte, diese Integration habe nur ein geringes Ausmaß erreicht, so kann ihr im Ergebnis nicht zugestimmt werden. Abgesehen von der Dauer des Aufenthaltes im Inland (worauf noch einzugehen sein wird) ist nämlich unter diesem Gesichtspunkt zu beachten, dass die Erstbeschwerdeführerin seit 1987 über einen unbefristeten Sichtvermerk verfügt und dass ihre minderjährige Tochter in Österreich geboren wurde und hier - nach der Aktenlage seit 1995 - die Schule besucht. Auf sie treffen daher Umstände zu, die nach den schon erwähnten Erläuterungen zur Regierungsvorlage zur Staatsbürgerschaftsgesetznovelle 1998 (zu § 10 Abs. 5 Z 3; aaO.,
8) Indizien für eine nachhaltige Verankerung im Inland darstellen (zum "Integrationsmerkmal" der Geburt eines Kindes in Österreich vgl. auch das hg. Erkenntnis vom 11. Oktober 2000, Zl. 2000/01/0015). Dazu kommt die nicht unbeträchtliche Beschäftigungsdauer im Inland, sodass die von der belangten Behörde ihrer Entscheidung zu Grunde gelegten geringen Deutschkenntnisse der Erstbeschwerdeführerin im konkreten Fall nicht maßgeblich ins Gewicht fallen, zumal insoweit angesichts dessen, dass die Erstbeschwerdeführerin Analphabetin ist, auch im Rahmen der Ermessensübung keine all zu hohen Anforderungen gestellt werden dürfen. Darüber hinaus ist aber - um nunmehr auf den nahezu 29-jährigen Hauptwohnsitz der Erstbeschwerdeführerin in Österreich zurückzukommen - wesentlich, dass die im Zeitpunkt der Erlassung des bekämpften Bescheides 52-jährige Erstbeschwerdeführerin weit mehr als die Hälfte ihres Lebens in Österreich verbracht und annähernd die 30-jährige Wohnsitzfrist des § 12 Z 1 lit. a StbG erfüllt hat, sodass ihr in Bälde (ab dem 12. August 2002) ein Rechtsanspruch auf Verleihung der Staatsbürgerschaft zustünde. Davon ausgehend kann es nicht im Sinn des Gesetzes sein, im Rahmen des gerade noch offenen Ermessens die Verleihung der Staatsbürgerschaft zu versagen, woran auch das auf Familienzwistigkeiten beruhende einmalige strafrechtliche Fehlverhalten aus dem September 1998 nichts zu ändern vermag. Der angefochtene Bescheid war daher schon deshalb - ohne dass es einer Erörterung der Frage bedürfte, ob der Tatbestand des § 12 Z 1 lit. b StbG vorliegt - gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes - im Hinblick darauf, dass die Entscheidung bezüglich der Zweitbeschwerdeführerin ausschließlich auf das Ergebnis des Verfahrens der Erstbeschwerdeführerin abstellt zur Gänze - aufzuheben.
Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001. Gemäß § 53 Abs. 1 VwGG ist nur der Erstbeschwerdeführerin Schriftsatzaufwand zuzusprechen.
Wien, am 12. März 2002
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2002:2001010413.X00Im RIS seit
03.06.2002