TE Vfgh Erkenntnis 1999/3/11 B1159/98, B1160/98, B1161/98

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Veröffentlicht am 11.03.1999
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Index

41 Innere Angelegenheiten
41/02 Staatsbürgerschaft, Paß- und Melderecht, Fremdenrecht

Norm

StGG Art8
EMRK Art5
PersFrSchG 1988 Art1 ff
BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
FremdenG §32, §33

Leitsatz

Kein Eingriff ins Recht auf persönliche Freiheit durch im Gefolge einer Zurückweisung von Fremden ergangene Anordnungen der Sicherheitsorgane betreffend Anhaltung der Beschwerdeführer im Transitraum des Flughafens Wien-Schwechat; Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch die genannten Anordnungen aufgrund Unterlassens jeglicher Ermittlungstätigkeit über die genauen Umstände der Verbringung der Beschwerdeführer in den Sondertransitraum und über ihre konkrete Situation dort

Spruch

Die Beschwerdeführer sind durch die angefochtenen Bescheide im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

Die Bescheide werden aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, den Beschwerdeführern zu Handen ihres Rechtsvertreters die mit jeweils S 29.500,-- bestimmten Kosten dieses verfassungsgerichtlichen Beschwerdeverfahrens binnen 14 Tagen bei sonstigem Zwang zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Die drei Beschwerdeführer - sie sind indische Staatsangehörige - versuchten am 9. Oktober 1997, von Amsterdam kommend, über den Grenzposten Flughafen Wien-Schwechat in das österreichische Bundesgebiet einzureisen. Sie konnten keine Reisedokumente vorweisen. Die Beschwerdeführer wurden gemäß §32 Abs1 Fremdengesetz 1992, BGBl. 838/1992, zuletzt geändert durch das Bundesgesetz BGBl. 436/1996 (im folgenden: FrG 1992), zurückgewiesen, ferner wurden sie gemäß §33 Abs1 FrG 1992 aufgefordert, sich für die Zeit bis zur Weiterreise in dem zum Grenzkontrollbereich gehörenden Transitraum aufzuhalten.

Die Beschwerdeführer hielten sich vom 9. Oktober 1997 bis 4. November 1997 im allgemeinen Transitraum, vom 4. bis zum 10. November 1997 im Sondertransitraum auf.

2. Gegen die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt durch ein Grenzkontrollorgan dadurch, daß ihnen aufgetragen war, sich für die Zeit bis zur Ausreise an einem Ort im Grenzkontrollbereich aufzuhalten, erhoben die drei Fremden jeweils Beschwerde an den Unabhängigen Verwaltungssenat im Land Niederösterreich (im folgenden: UVS). Diese Beschwerden wurden mit - im wesentlichen gleichlautenden - Bescheiden vom 5. Mai 1998 als unbegründet abgewiesen.

3. Gegen diese abweislichen Bescheide richten sich die - ebenfalls gleichlautenden - vorliegenden, auf Art144 B-VG gestützten Beschwerden an den Verfassungsgerichtshof, in welchen die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten gemäß Art1 Abs2, Art2 Abs1 Z7, Art1 Abs3, Art6 Abs1 und 2 des BVG zum Schutz der persönlichen Freiheit sowie gemäß Art5 Abs2 und Art5 Abs4 EMRK sowie im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander, in eventu die Verletzung in Rechten wegen Anwendung einer verfassungswidrigen Gesetzesbestimmung behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung der bekämpften Bescheide begehrt wird.

4. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und - gleichlautende - Gegenschriften erstattet, in welchen sie die bekämpften Bescheide verteidigt und die Abweisung der Beschwerden beantragt.

II. Die hier vornehmlich maßgeblichen §§32 und 33 FrG 1992 - außer Kraft gesetzt wie das gesamte FrG 1992 gemäß §111 Abs3 Fremdengesetz 1997, BGBl. I 75, mit Ablauf des 31. Dezember 1997 - hatten (inklusive Überschriften 5. Teil und dessen 1. Abschnitt) folgenden Wortlaut:

"5. Teil: Maßnahmen zur Verhinderung der Einreise,

zur Beendigung des Aufenthaltes und zur

Beförderung ins Ausland

1. Abschnitt: Verfahrensfreie Maßnahmen

Zurückweisung

§32. (1) Fremde sind bei der Grenzkontrolle am Betreten des Bundesgebietes zu hindern (Zurückweisung), wenn Zweifel an ihrer Identität bestehen, wenn sie der Paß- oder Sichtvermerkspflicht nicht genügen oder wenn ihnen die Benützung eines anderen Grenzüberganges vorgeschrieben wurde (§§9 und 24). Eine solche Zurückweisung hat zu unterbleiben, soweit dies einem Bundesgesetz, zwischenstaatlichen Vereinbarungen oder internationalen Gepflogenheiten entspricht.

(2) Fremde sind bei der Grenzkontrolle zurückzuweisen, wenn

1. gegen sie ein durchsetzbares Aufenthaltsverbot besteht und ihnen keine Wiedereinreisebewilligung erteilt wurde;

2. sie zwar zur sichtvermerksfreien Einreise berechtigt sind, aber bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, daß

a) ihr Aufenthalt im Bundesgebiet die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit oder die Beziehungen der Republik Österreich zu einem anderen Staat gefährden würde;

b) sie ohne die hiefür erforderlichen Bewilligungen die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit im Bundesgebiet beabsichtigen;

c) sie im Bundesgebiet Schlepperei begehen oder an ihr mitwirken werden;

3. sie keinen Wohnsitz im Inland haben und nicht über die Mittel zur Bestreitung der Kosten ihres Aufenthaltes und ihrer Wiederausreise verfügen;

4. bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, sie wollten den Aufenthalt im Bundesgebiet zur vorsätzlichen Begehung von Finanzvergehen, mit Ausnahme von Finanzordnungswidrigkeiten, oder zu vorsätzlichen Zuwiderhandlungen gegen devisenrechtliche Vorschriften benützen.

(3) Das Grenzkontrollorgan hat nach Befragung des Fremden auf Grund des von diesem glaubhaft gemachten oder sonst bekannten Sachverhaltes zu entscheiden. Die Zurückweisung kann im Reisedokument des Fremden ersichtlich gemacht werden.

Sicherung der Zurückweisung

§33. (1) Erfolgt die Grenzkontrolle im Bundesgebiet, so hat das Grenzkontrollorgan einen Fremden, der zurückzuweisen ist, zur unverzüglichen Ausreise aufzufordern; ist diese nicht sofort möglich, kann ihm vom Organ aufgetragen werden, sich für die Zeit bis zur Abreise an einem bestimmten Ort im Grenzkontrollbereich aufzuhalten.

(2) Wird ein Fremder, der mit dem Luft- oder Wasserfahrzeug eines Beförderungsunternehmers eingereist ist, gemäß Abs1 zur unverzüglichen Ausreise aufgefordert, so kann ihm untersagt werden, das Fahrzeug zu verlassen, oder angeordnet werden, sich in ein bestimmtes Fahrzeug, mit dem er das Bundesgebiet verlassen kann, zu begeben. Wer den Fremden befördert hat, ist in diesen Fällen verpflichtet, auf eigene Kosten dessen unverzügliche Abreise zu gewährleisten, sofern diese nicht von einem anderen Beförderer ohne Kosten für die Republik Österreich bewirkt wird.

(3) Der Beförderungsunternehmer, der einen Fremden mit einem Luft- oder Wasserfahrzeug nach Österreich gebracht hat, ist verpflichtet, der Grenzkontrollbehörde auf Anfrage die Identitätsdaten des Fremden (Namen, Geburtsdatum, Geburtsort, Wohnort und Staatsangehörigkeit) und die Daten der zur Einreise erforderlichen Dokumente (Art, Gültigkeitsdauer, ausstellende Behörde und Ausstellungsdatum) unverzüglich bekanntzugeben. Dies gilt nicht für Fremde, die zur sichtvermerksfreien Einreise berechtigt sind, sofern sich der Beförderungsunternehmer davon überzeugt hat, daß sie das erforderliche Reisedokument bei sich haben."

III. Der Verfassungsgerichtshof

hat über die - zulässigen - Beschwerden, welche er in sinngemäßer Anwendung der §§187 und 404 ZPO i.V.m. §35 VerfGG 1953 zur gemeinsamen Beratung und Beschlußfassung verbunden hat, erwogen:

1. Die bekämpften Bescheide werden im wesentlichen damit begründet, daß sich schon aufgrund des Wortlautes des §33 Abs1 FrG 1992 ergebe, daß es sich bei dem Auftrag, sich für eine und sei es nur durch den Zeitpunkt der zu erwartenden, datumsmäßig jedoch noch nicht fixierten Abreise determinierte Zeitspanne im Grenzkontrollbereich bzw. an einem bestimmten dort gelegenen Ort aufzuhalten, um eine bloße Folgemaßnahme zu der im Grunde bestehen bleibenden Aufforderung handle, aufgrund einer Zurückweisung unverzüglich aus dem Bundesgebiet auszureisen; sie sei in ihrer Gesamtheit darauf gerichtet, die Einreise einer bestimmten Person hintanzuhalten und die Ausreise dieser Person zu garantieren; sie ziele jedoch nicht darauf ab, die Freiheit der Person an sich zu beschränken. Wäre dies der Fall, so dürfte eine durch den Auftrag, sich im Transitraum aufzuhalten, betroffene Person diesen Bereich in keine Richtung hin aufgrund einer eigenen Willensäußerung verlassen. Tatsächlich habe jedoch der zur Ausreise aufgeforderte Zurückgewiesene grundsätzlich selbst die Möglichkeit, den Zeitpunkt der Ausreise zu bestimmen. Wenn sich der Zurückgewiesene bereits von vorneherein der zur Ausreise nötigen Dokumente (u.U. unwiederbringlich) begeben habe, habe er die daraus resultierenden Folgen, wie die zeitlich schwer abzusehende Unterbringung im Transitbereich und eine damit verbundene eingeschränkte Beweglichkeit zumindest teilweise selbst zu verantworten und damit auch ihn treffende Unannehmlichkeiten in Kauf genommen.

In Schwechat handle es sich bei beiden Transitraumteilen (allgemeiner und Sondertransitraum) zweifelsfrei um Teile des Grenzkontrollbereiches iS des §33 Abs1 FrG 1992. Ein Auftrag gemäß dieser Gesetzesstelle, sich dort bis zur Abreise aufzuhalten, sei daher zulässig und entspreche dem Gesetz. Eine Besonderheit liege in der Tatsache, daß es sich um den Bereich einer im Binnenland gelegenen Grenzkontrollstelle eines internationalen Flughafens, des Flughafens Wien, handle. Aufgrund der im Bereich von Flughäfen wahrzunehmenden erhöhten Sicherungsmaßnahmen, welche einerseits aufgrund der Lage des Areals an sich, der durch den Flugbetrieb entstehenden Gefahren, aber auch im Hinblick auf die besonderen Gefahren, denen die Zivilluftfahrt mitunter ausgesetzt sei (internationaler Terrorismus, Geiselnahmen, ...) zu treffen seien, erscheine es "nahezu denkunmöglich", allen Personen, welche sich innerhalb eines Flughafengeländes aufhalten oder aufzuhalten haben, in gleichem und uneingeschränktem Maße zu gestatten oder zu garantieren, sich auf diesem Gelände überall aufzuhalten oder sich dort frei zu bewegen.

Es seien daher verschiedene Einschränkungen des Aufenthaltes und der Betretungsmöglichkeit für Örtlichkeiten und Personengruppen innerhalb des Flughafen(= Grenzkontroll)bereiches zu treffen. Dazu gehöre auch die eingeschränkte Bewegungs- und Zugangsmöglichkeit von Reisenden vom und zum Transitraum. Diesen international üblichen und Flugreisenden in aller Welt bekannten und vertrauten Einschränkungen seien auch die Beschwerdeführer während ihres Aufenthaltes im allgemeinen Transitraum unterworfen worden. Es erscheine weiters nicht unlogisch, daß für einen Transitbereich eines Flughafens, welcher nicht baulich in das Flughafengebäude eingebunden, sondern gleichsam auf dem dazugehörenden Freigelände errichtet worden sei, wo ein unkontrollierter Zugang von Personen zu Vorfeld, Hangars, Runways, Flugzeugen, etc. aufgrund der oben beschriebenen notwendigen Gefahrenabwehr und -vorbeugung unter keinen Umständen erlaubt oder möglich gemacht werden könne, wesentlich strengere Aufsichtsmaßnahmen und Einschränkungen vorzusehen und durchzuführen seien, als dies im allgemeinen Transitraum notwendig sei.

Es sei aber auch davon auszugehen, daß Personen, "welche durch eigenes verantwortliches Handeln und nicht durch unvorhergesehene und unabwendbare Ereignisse in eine Situation gelangt sind, die es erforderlich macht, sich über einen gewissen Zeitraum im Grenzkontrollbereich aufhalten zu müssen," sich auch diesen genannten Einschränkungen zu unterwerfen hätten.

Aus den genannten Gründen seien die durch Beamte der Grenzkontrolle Flughafen Wien ergangenen Aufträge gemäß §33 Abs1 FrG 1992 und der daraus resultierende Aufenthalt im Transitbereich des Flughafens Wien vom 9. Oktober 1997 bis zum 10. November 1997 in keiner Weise mit Rechtswidrigkeit belastet. Es liege keinerlei rechtsgrundloser oder rechtswidriger Freiheitsentzug im Sinne einer Festnahme, Haft oder dergleichen vor.

2. Dieser Begründung treten die Beschwerden im einzelnen entgegen. Zunächst wenden sie sich gegen die "Intentionalitätsjudikatur des VfGH", wonach Amtshandlungen der vorliegenden Art ihrer Natur und Beschaffenheit nach nicht darauf gerichtet seien, die (Bewegungs-)Freiheit der Beschwerdeführer zu beschränken; dies sei, abgesehen von der Strafhaft, insofern bedenklich, als die österreichische Rechtsordnung eine Freiheitsentziehung oder auch nur Einschränkung, "welche sich sozusagen selbst zum Zweck hat," generell verbiete. Auch die Untersuchungshaft nach der StPO verfolge nicht primär den Zweck, die Freiheit des Untersuchungshäftlings zu beschränken, sondern solle Verdunkelung, etwaige Tatbegehung oder Wiederholung hintanhalten. Auch die Schubhaft dürfe nur verhängt und aufrechterhalten werden, wenn und solange damit bestimmte Ziele gesichert seien. Zudem sei es ein Grundsatz der österreichischen Rechtsordnung, daß eine Freiheitsbeschränkung nur soweit und solange aufrechterhalten werden dürfe, als der dadurch verfolgte Zweck nicht durch gelindere Mittel erreicht werden könne.

Konsequent fortgedacht bedeute das Abstellen auf den Zweck der Maßnahme letztlich auch, daß weder die Dauer noch die Umstände der Maßnahme beachtlich wären. Bei dem vom Flughafengebäude dislozierten Sondertransitbereich könne von Bewegungsfreiheit nur noch sehr eingeschränkt gesprochen werden, es handle sich um einen streng abgegrenzten, bewachten Bereich, der nicht mehr ohne weiteres verlassen werden könne; daß im Sondertransitbereich Möglichkeiten gegeben wären, eine Aus- oder Weiterreise zu organisieren, habe die belangte Behörde nicht festgestellt.

"Diese absolute Betrachtungsweise" scheine insbesondere im Hinblick auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte vom 25.6.1996, Zl. 17/1995/523/609, Amuur gegen Frankreich, revisionsbedürftig.

Selbst wenn man aber im Sinne der bisherigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes nur auf den Zweck, nur auf die "Natur und Beschaffenheit" im generellen Sinn abstelle, sei der belangten Behörde ein in die Verfassungssphäre reichender Verstoß gegen Verfahrensvorschriften vorzuwerfen. Die Beschwerdeführer hätten im einzelnen dargetan, daß zwischen ihren Aufenthalten im allgemeinen Transitbereich und im sogenannten Sondertransitbereich erhebliche Unterschiede bestünden; gerade bei letzteren sei offenkundig, daß es sich um einen Ort handle, welcher im Volksmund nur noch als "Gefängnis" bezeichnet werden könne.

Die von der belangten Behörde dargestellten, wesentlich einschneidenderen Bewegungsbeschränkungen im Sondertransitbereich würden von ihr selbst nicht mehr mit der Notwendigkeit begründet, eine Einreise nach Österreich zu verhindern, sondern mit Sicherheitsüberlegungen. Es sei selbstverständlich, daß auch gewöhnliche Flugpassagiere bestimmte Bereiche nicht betreten dürften und durch Absperrungen, Verbote etc. an deren Betreten gehindert werden könnten. Niemand würde aber auf die Idee kommen, etwa im Falle einer Verspätung Flugpassagiere in einen vom allgemeinen Flughafengebäude dislozierten Container zu verbringen, wo sie bewacht würden, zwar "Hofausgang" haben, den sie aber freiwillig nicht mehr jederzeit verlassen könnten.

Im Ergebnis wird festgehalten, daß die Feststellungen und Ermittlungsergebnisse der belangten Behörde jedenfalls völlig unzureichend seien, um mit ausreichender Sicherheit die jederzeitige Möglichkeit der Beschwerdeführer zu bejahen, sowohl den Transitbereich als auch den Sondertransitbereich des Flughafens Wien-Schwechat aus freien Stücken verlassen zu können. Nur wenn und so lange diese jederzeit bestehende Möglichkeit bejaht werden könne, könne davon gesprochen werden, daß der Transitbereich "nach außen hin offen" bleibe. Den Beschwerdeführern sei hingegen dieser Ausgang zumindest über mehrere Tage verschlossen gewesen.

Eventualiter wird die Verfassungswidrigkeit des §33 Abs1 FrG 1992 behauptet, jedenfalls in der "Lesart der belangten Behörde".

3.1. Die angefochtenen Bescheide entsprechen grundsätzlich der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes, wonach Art8 StGG und das Gesetz zum Schutze der persönlichen Freiheit - nunmehr das BVG über den Schutz der persönlichen Freiheit - ebenso wie Art5 EMRK nicht vor jeglicher Beschränkung der Bewegungsfreiheit schlechthin schützen, sondern nur vor willkürlicher Verhaftung, rechtswidriger Inverwahrnahme sowie rechtswidriger Internierung und Konfinierung (VfSlg. 8815/1980, 10378/1985, weitere Nachweise bei Morscher, Der Schutz der persönlichen Freiheit in Österreich (1990), 53 ff., 72 ff.). Eine "Verhaftung" liegt nach dieser Rechtsprechung nur dann vor, wenn Amtsorgane im Zuge der Amtshandlung unter Anwendung physischen Zwanges persönliche Ortsveränderungen entweder überhaupt unterbinden oder auf bestimmte, nach allen Seiten hin begrenzte Örtlichkeiten oder Gebiete, die nicht verlassen werden dürfen, einschränken (so die genannten Erkenntnisse unter Berufung auf VfSlg. 3447/1958, 7149/1973).

Im Erkenntnis VfSlg. 10378/1985 meinte der Verfassungsgerichtshof, von einer solchen Verhaftung im Sinne der genannten Rechtsprechung könne im konkreten Fall nicht gesprochen werden, weil die in Beschwerde gezogene Maßnahme der Sicherheitswachebeamten nur darauf abgezielt habe, die Beschwerdeführerin aus dem Lokal zu entfernen. Dementsprechend sei sie zwar am Verbleiben in diesem Raum (zwangsweise) gehindert, aber darüber hinaus in ihrer Bewegungsfreiheit keineswegs eingeschränkt worden. Die für die kurze Zeit der allein beabsichtigen Hinausbeförderung eingetretene Bewegungsbehinderung erweise sich bei all dem bloß als notwendige und unvermeidbare - sekundäre - Begleiterscheinung der - primär - auf eine Entfernung unbefugter Personen aus einem Lokal gerichteten Amtshandlung, die schon von ihrer Zielsetzung her nicht einer "Verhaftung" gleichgehalten werden könne.

Unter Berufung auf eben diese Rechtsprechung war die mit Erkenntnis VfSlg. 11397/1987 erledigte Beschwerde erfolglos, die sich gegen ein von Kriminalbeamten ausgesprochenes Verbot richtete, ein Schiff zu verlassen und an Land zu gehen; die bekämpfte Amtshandlung sei nicht darauf gerichtet gewesen, die (Bewegungs-)Freiheit des Beschwerdeführers zu beschränken, sondern habe darauf abgezielt, seine Einreise nach Österreich zu verhindern.

Schließlich entschied der Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis 12.523/1990 - wiederum unter Hinweis auf die dargestellte Rechtsprechung -, die damals bekämpfte Amtshandlung - nämlich das von Organen der Bundespolizeidirektion Schwechat erlassene Verbot, den Transitbereich des Flughafens Wien-Schwechat an der Übertrittstelle in das Landesinnere zu verlassen - sei "ihrer Natur und Beschaffenheit nach offensichtlich nicht darauf gerichtet, die (Bewegungs-)Freiheit der Bf. zu beschränken; sie bezweckte vielmehr einzig und allein die Verhinderung einer Ein-(Weiter-)Reise nach Österreich (keineswegs die Hintanhaltung einer Rückkehr nach Larnaca oder der (Flug-)Reise an irgendeinen anderen Ort außerhalb des österreichischen Staatsgebietes)."

3.2. Der Verfassungsgerichtshof bleibt grundsätzlich bei dieser Rechtsprechung, zumal ihr auch die Europäische Kommission für Menschenrechte in ihrer Entscheidung vom 5.4.1993, Beschwerde Nr. 19.066/1991 (ÖJZ 1994, 57 ff.) gefolgt ist. Die Kommission meinte, die damaligen Beschwerdeführer seien aus freiem Willen auf dem Flughafen Wien angekommen und seien frei gewesen, Österreich jederzeit zu verlassen.

3.3. Für den vorliegenden Fall bedeutet dies, daß den bekämpften Bescheiden jedenfalls insoweit keine in die Verfassungssphäre reichenden Fehler anzulasten sind, als sie über die Anordnungen der Sicherheitsorgane, daß sich die Beschwerdeführer im allgemeinen Transitraum (vom 9. Oktober 1997 bis 4. November 1997) aufzuhalten haben, entschieden und diesen Anordnungen keinen die persönliche Freiheit einschränkenden Charakter beimaßen.

4. Hinsichtlich der Anordnungen, sich im Sondertransitraum (vom 4. bis 11. November 1997) aufzuhalten, gilt jedoch folgendes:

Der Verfassungsgerichtshof stellte, wie die Beschwerde zutreffend erkennt, im schon erwähnten, den Aufenthalt von Fremden im Transitraum des Flughafens Wien-Schwechat betreffenden Erkenntnis VfSlg. 12523/1990 auf die "Natur und Beschaffenheit" der bekämpften Amtshandlung ab. Inzwischen aber erkannte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in seinem Urteil vom 25.6.1996, Zl. 17/1995/523/609, Amuur gegen Frankreich (EuGRZ 1996, 577 ff.), daß bei der Beurteilung der Frage, ob jemand im Sinne des Art5 Abs1 EMRK die Freiheit entzogen wurde, auch von der konkreten Situation auszugehen ist und eine ganze Reihe von Kriterien berücksichtigt werden müsse, wie zB die Art, Dauer, Auswirkungen und die Art der Durchführung der betreffenden Maßnahme. Der Unterschied zwischen Entzug und Beschränkung der Freiheit sei lediglich eine Frage des Grades oder der Intensität und nicht eine der Natur oder der Substanz (Hinweis auf das Urteil 6.11.1980, Guzzardi gegen Italien, EuGRZ 1983, 633 ff.). Das Festhalten von Fremden in der internationalen Zone beinhalte in der Tat eine Freiheitsbeschränkung, jedoch keine, die in jeder Hinsicht derjenigen, die in Zentren für das Festhalten von Fremden, die ausgewiesen werden, vergleichbar sei. Eine solche Einschränkung, die mit angemessenen Garantien für die betroffenen Personen einhergeht, sei nur zum Zwecke hinnehmbar, es den Staaten zu ermöglichen, illegale Einwanderungen zu verhindern. Ein solches Festhalten sollte nicht exzessiv verlängert werden. Andernfalls bestünde das Risiko, eine bloße Freiheitsbeschränkung in eine Freiheitsentziehung zu verwandeln. Unter Gesamtwürdigung aller Aspekte kam der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte zum Ergebnis, daß das Festhalten der Beschwerdeführer in der Transitzone des Flughafens Paris-Orly praktisch, im Hinblick auf die erlittenen Einschränkungen, einer Freiheitsentziehung gleichgekommen sei; Art5 Abs1 EMRK sei also auf den Fall anwendbar.

Der Verfassungsgerichtshof folgt dem EGMR in dessen Bewertung von Art5 Abs1 EMRK.

Für die vorliegenden Beschwerdeverfahren ergibt sich daraus, daß die belangte Behörde, weil sie von einer unzutreffenden Rechtsanschauung ausging, entsprechende Erhebungen im Sinne der genannten Rechtsprechung des EGMR über die genauen Umstände (Ursache und Ablauf) der Verbringung der Beschwerdeführer in den Sondertransitraum und über ihre konkrete Situation im Sondertransitraum überhaupt nicht gepflogen hat (diesbezüglich enthalten die Bescheide nur allgemeine Hinweise). Zu diesen maßgeblichen Fakten zählt etwa auch die Klärung der Fragen, ob die Beschwerdeführer auch im Sondertransitraum im Grunde jederzeit die Möglichkeit hatten, den Ort zum Zweck des Abfluges zu verlassen, und ob sie die Möglichkeit hatten, ihre Ausreise selbst zu organisieren.

Die Beschwerdeführer wurden deshalb wegen Unterlassens jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (vgl. VfSlg. 14728/1997, 14745/1997, 14823/1997) durch die angefochtenen Bescheide insoweit im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt.

Da der Spruch der bekämpften Bescheide jeweils ein unteilbares Ganzes darstellt, waren die bekämpften Bescheide insgesamt aufzuheben.

IV. 1. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §88 VerfGG; in den zugesprochenen Kosten ist jeweils eine Eingabegebühr gemäß §17a VerfGG in Höhe von

S 2.500,-- sowie Umsatzsteuer in Höhe von S 4.500,-- enthalten.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4, erster Satz, VerfGG 1953 ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt, Fremdenrecht, Festnehmung, Ermittlungsverfahren

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1999:B1159.1998

Dokumentnummer

JFT_10009689_98B01159_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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