TE Vwgh Erkenntnis 2002/3/19 2002/05/0031

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Veröffentlicht am 19.03.2002
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Index

41/02 Melderecht;

Norm

MeldeG 1991 §17 Abs2 Z2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident DDr. Jakusch und die Hofräte Dr. Giendl und Dr. Pallitsch als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Thalhammer, über die Beschwerde des Bürgermeisters der Bundeshauptstadt Wien gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 27. November 2001, Zl. 606.687/5-II/13/01, betreffend Reklamationsverfahren nach § 17 Abs. 2 Z. 2 Meldegesetz (mitbeteiligte Parteien: 1. Bürgermeister der Gemeinde Bocksdorf, 2. Gerda Ertl, 1200 Wien, Treustraße 61-69/8/5), zu Recht erkannt:

Spruch

Der Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

Die am 5. Juni 1969 in Güssing geborene, ledige Zweitmitbeteiligte ist seit Geburt in der Gemeinde des erstmitbeteiligten Bürgermeisters (Gemeinde Bocksdorf, 7551 Bocksdorf) mit Hauptwohnsitz (siehe § 23 Abs. 1 des im Beschwerdefall anzuwendenden Meldegesetzes 1991, BGBl. Nr. 9/1992, in der Fassung des Hauptwohnsitzgesetzes BGBl. Nr. 505/1994; in der Folge kurz: MeldeG) gemeldet. Seit 19. Jänner 2000 ist die Zweitmitbeteiligte mit einem weiteren Wohnsitz in Wien gemeldet. Sie ist dort berufstätig und tritt den Weg zur Arbeitsstätte grundsätzlich von der Wiener Wohnung aus an, die sie mit ihrem Lebensgefährten, der dort mit Hauptwohnsitz gemeldet ist, bewohnt.

Im Zuge des vom beschwerdeführenden Bürgermeister eingeleiteten Reklamationsverfahrens gab die Zweitmitbeteiligte in der Wohnsitzerklärung an, in der Gemeinde des erstmitbeteiligten Bürgermeisters ca. 180 Tage im Jahr zu wohnen. Die übrige Zeit (rd. 90 Tage im Jahr) verbringe sie in Wien, wo auch der Ausgangspunkt ihres Weges zur Arbeitsstätte sei. (Anm.: Für die restlichen Tage fehlen Angaben der Zweitmitbeteiligten.) Bocksdorf habe sie als Mittelpunkt ihrer Lebensbeziehungen auf Grund der Aufenthaltsdauer und der Beziehungen zu ihren Familienangehörigen gewählt. Sonstige gesellschaftliche Kontakte bestünden weder in Bocksdorf noch in Wien.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag des beschwerdeführenden Bürgermeisters auf Aufhebung des Hauptwohnsitzes der Zweitmitbeteiligten an der gemeldeten Adresse in Bocksdorf ab. Die Zweitmitbeteiligte halte sich 180 Tage im Jahr am Hauptwohnsitz auf, dort wohne sie mit ihren Eltern. Am weiteren Wohnsitz lebe sie mit ihrem Lebensgefährten.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte Zuspruch des Vorlageaufwandes. Der Bürgermeister der mitbeteiligten Gemeinde erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Im Reklamationsverfahren wird die bis dahin für den Hauptwohnsitz des Betroffenen ausschließlich maßgebliche "Erklärung" des Meldepflichtigen dahingehend "hinterfragt, ob der erklärte Hauptwohnsitz den in Art. 6 Abs. 3 B-VG (§ 1 Abs. 7 MeldeG) normierten objektiven Merkmalen entspricht" (siehe das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 26. September 2001, G 139/00-10, u.a.). Die Lösung der im Reklamationsverfahren maßgeblichen Rechtsfrage des Hauptwohnsitzes des Betroffenen hängt an dem materiell-rechtlichen Kriterium "Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen". Bei der Beurteilung dieses Tatbestandsmerkmales kommt es auf eine Gesamtschau an, bei welcher die Bestimmungskriterien des § 1 Abs. 8 MeldeG (in der Fassung der Novelle BGBl. I Nr. 28/2001), maßgeblich sind: Aufenthaltsdauer, Lage des Arbeitsplatzes oder der Ausbildungsstätte, Ausgangspunkt des Weges zum Arbeitsplatz oder zur Ausbildungsstätte, Wohnsitz der übrigen, insbesondere der minderjährigen Familienangehörigen und der Ort, an dem sie ihrer Erwerbstätigkeit nachgehen, ausgebildet werden oder die Schule oder den Kindergarten besuchen, Funktionen in öffentlichen und privaten Körperschaften.

Der Verwaltungsgerichtshof hat im Erkenntnis vom 13. November 2001, Zl. 2001/05/0935, klargestellt, dass das subjektive Kriterium "überwiegendes Naheverhältnis", das nur in der persönlichen Einstellung des Betroffenen zum Ausdruck kommt, nur in den Fällen den Ausschlag gibt, in denen als Ergebnis des Ermittlungsverfahrens zwei oder mehrere "Mittelpunkte der Lebensbeziehungen" des Betroffenen hervorgekommen sind. Das Reklamationsverfahren wird nur dann für den antragstellenden Bürgermeister erfolgreich sein, wenn der Betroffene ein "überwiegendes Naheverhältnis" an einem Ort behauptet, an dem er keinen Mittelpunkt der Lebensbeziehungen (§ 1 Abs. 7 MeldeG) hat, mag er dort auch einen Wohnsitz im Sinne des § 1 Abs. 6 MeldeG haben.

In Anbetracht des Alters der Zweitmitbeteiligten und der damit verbundenen erkennbaren eigenen Lebensgestaltung in Wien mit ihrem Lebensgefährten kann im Beschwerdefall derzeit eine derartige Reduktion der gesellschaftlichen Beziehungen der Zweitmitbeteiligten zum Heimatort angenommen werden, dass eine Mittelpunktqualität des dortigen Wohnsitzes nicht mehr vorliegt (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom 29. Jänner 2002, Zl. 2001/05/0991). Dass weiterhin soziale und gesellschaftliche Kontakte der Zweitmitbeteiligten - von den üblichen in diesem Alter gepflogenen familiären Kontakten abgesehen - in Bocksdorf bestünden, die auf die Annahme von Umständen schließen ließen, wie sie für Wochenpendler (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom 13. November 2001, Zl. 2001/05/0945) vorausgesetzt werden, sind im Beschwerdefall nicht hervorgekommen. Dem Umstand, dass derzeit von der Zweitmitbeteiligten das Haus ihrer Großeltern mit ihrem Lebensgefährten umgebaut werde, kommt im Beschwerdefall keine entscheidungswesentliche Bedeutung zu, weil es sich hiebei um Tätigkeiten handelt, welche Personen mit Ferienwohnsitz üblicherweise vornehmen. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen dass das Reklamationsverfahren, wie sich aus § 1 MeldeG unzweifelhaft ergibt, gegenwartsbezogen ist ("... dort weiterhin den Hauptwohnsitz hat"); es kommt also nicht auf beabsichtigte Veränderungen (hier: die Absicht, ein Eigenheim zu erwerben) an, da jederzeit eine neue Meldung erfolgen kann bzw. muss. Dass die Zweitmitbeteiligte in Hinkunft ihre Lebensinteressen in Bocksdorf vielleicht wiederum intensivieren wird, kann daher im Beschwerdefall nicht berücksichtigt werden. Die Heimatverbundenheit einer Person ist in den in § 1 Abs. 8 MeldeG genannten Kriterien nicht enthalten.

Ausgehend davon hat im vorliegenden Fall der Zweitmitbeteiligte ohne Rechtsgrundlage eine Wahl nach § 1 Abs. 7 letzter Satz MeldeG getroffen, sodass die Reklamation durch den Beschwerdeführer zu Recht erfolgte.

Da die belangte Behörde die Rechtslage verkannt hat, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit einer Rechtswidrigkeit des Inhaltes. Dieser Bescheid war daher in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Wien, am 19. März 2002

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2002:2002050031.X00

Im RIS seit

13.06.2002
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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