TE Vwgh Erkenntnis 2002/3/19 2001/05/1211

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Veröffentlicht am 19.03.2002
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Index

41/02 Melderecht;

Norm

MeldeG 1991 §17 Abs2 Z2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident DDr. Jakusch und die Hofräte Dr. Giendl, Dr. Kail, Dr. Pallitsch und Dr. Waldstätten als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Thalhammer, über die Beschwerde des Bürgermeisters der Bundeshauptstadt Wien gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 5. November 2001, Zl. 604.092/6- II/13/01, betreffend Reklamationsverfahren nach § 17 Abs. 2 Z. 2 Meldegesetz (mitbeteiligte Parteien:

1.

Bürgermeister der Stadtgemeinde Amstetten in Amstetten,

2.

Barbara Wininger in Wien XVII, Weidmanngasse 8/19, bzw. in Amstetten, Engerthstraße 6/1), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

Die am 31. Jänner 1975 geborene, ledige Zweitmitbeteiligte ist jedenfalls seit 3. September 1990 mit Hauptwohnsitz in der Gemeinde des erstmitbeteiligten Bürgermeisters, Amstetten (kurz: A), gemeldet. Sie ist seit 7. Oktober 1999 mit weiterem Wohnsitz in Wien gemeldet, wo sie berufstätig ist.

In seinem Reklamationsantrag hatte der mitbeteiligte Bürgermeister unter anderem vorgebracht, die Zweitmitbeteiligte wohne in Wien gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten.

In ihrer Wohnsitzerklärung vom 16. Mai 2001 gab die Zweitmitbeteiligte an, sie halte sich in A etwa 150 Tage im Jahr auf, in Wien hingegen an rund 215 Tagen im Jahr. In Wien wohne sie mit ihrem 1975 geborenen Partner, der in Wien mit Nebenwohnsitz gemeldet sei. Den Weg zur Arbeitsstätte trete sie überwiegend von Wien aus an. Die Frage nach "Funktionen in öffentlichen und privaten Körperschaften" wird hinsichtlich A bejaht, hinsichtlich Wien verneint. In einer Stellungnahme an die belangte Behörde vom 20. Mai 2001 (es handelt sich um ein formularmäßiges Erhebungsblatt zur Feststellung des Hauptwohnsitzes gab die Zweitmitbeteiligte ihre Eltern (einen Elternteil? - unklar) sowie zwei Brüder als Mitbewohner in A an (jeweils mit Hauptwohnsitz gemeldet), überdies wohne eine Großmutter in A (ebenfalls mit Hauptwohnsitz gemeldet). Ihre "aktiven gesellschaftlichen Betätigungen" in A seien "sehr intensiv" (Jungschar). Ergänzend fügte die Zweitmitbeteiligte an, ihre berufliche Tätigkeit sei nicht nur auf Wien beschränkt, sie trete ihren Arbeitsweg fallweise auch von A aus an. Sie habe ihre Familie, ihre Verwandten und ihren Freundeskreis in A. Sie sehe derzeit ihren Lebensmittelpunkt in A.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführenden Bürgermeisters auf Aufhebung des Hauptwohnsitzes der Zweitmitbeteiligten an der gemeldeten Adresse in A ab. Hiezu stellte sie fest, dass der Schwerpunkt der beruflichen Lebensbeziehungen in Wien liege. Der "Familienwohnsitz" und somit der gesellschaftliche Schwerpunkt der Lebensbeziehungen der Zweitmitbeteiligten liege hingegen in A. Das subjektive Kriterium "überwiegendes Naheverhältnis", welches nur in der persönlichen Einstellung des Betroffenen zum Ausdruck komme, gebe daher im Beschwerdefall den Ausschlag.

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens

vorgelegt; angesprochen wird der Vorlageaufwand.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Im zulässigerweise eingeleiteten Reklamationsverfahren wird die bis dahin für den Hauptwohnsitz des Betroffenen ausschließlich maßgebliche "Erklärung" des Meldepflichtigen dahingehend "hinterfragt, ob der erklärte Hauptwohnsitz den in Art. 6 Abs. 3 B-VG (§ 1 Abs. 7 MeldeG) normierten objektiven Merkmalen entspricht" (siehe das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 26. September 2001, G 139/00-10, u.a.). Die Lösung der im Reklamationsverfahren maßgeblichen Rechtsfrage des Hauptwohnsitzes des Betroffenen hängt an dem materiell-rechtlichen Kriterium "Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen". Bei der Beurteilung dieses Tatbestandsmerkmales kommt es auf eine Gesamtschau an, bei welcher die Bestimmungskriterien des § 1 Abs. 8 MeldeG (in der Fassung der Novelle BGBl. I Nr. 28/2001), maßgeblich sind: Aufenthaltsdauer, Lage des Arbeitsplatzes oder der Ausbildungsstätte, Ausgangspunkt des Weges zum Arbeitsplatz oder zur Ausbildungsstätte, Wohnsitz der übrigen, insbesondere der minderjährigen Familienangehörigen und der Ort, an dem sie ihrer Erwerbstätigkeit nachgehen, ausgebildet werden oder die Schule oder den Kindergarten besuchen, Funktionen in öffentlichen und privaten Körperschaften.

Der Verwaltungsgerichtshof hat im Erkenntnis vom 13. November 2001, Zl. 2001/05/0935, klargestellt, dass das subjektive Kriterium "überwiegendes Naheverhältnis", das nur in der persönlichen Einstellung des Betroffenen zum Ausdruck kommt, nur in den Fällen den Ausschlag gibt, in denen als Ergebnis des Ermittlungsverfahrens zwei oder mehrere "Mittelpunkte der Lebensbeziehungen" des Betroffenen hervorgekommen sind (also wenn ausnahmsweise zwei oder mehrere Wohnsitze des Betroffenen solche Mittelpunkte darstellen, wobei die vom Betroffenen vorgenommene Bezeichnung eines Hauptwohnsitzes allein nicht jedenfalls maßgeblich ist). Das Reklamationsverfahren wird nur dann für den antragstellenden Bürgermeister erfolgreich sein, wenn der Betroffene ein "überwiegendes Naheverhältnis" an einem Ort behauptet, an dem er keinen Mittelpunkt der Lebensbeziehungen (§ 1 Abs. 7 MeldeG) hat, mag er dort auch einen Wohnsitz im Sinne des § 1 Abs. 6 MeldeG haben. Der Verwaltungsgerichtshof hat in diesem Zusammenhang auch klargelegt, dass eine "absolute Sicherheit" über die Lebenssituation des Meldepflichtigen für die Evaluierung des zu beurteilenden Sachverhaltes nicht notwendig ist; der Gesetzgeber hat durch die Regelung des § 17 Abs. 3 MeldeG bewusst die in Rede stehenden Unschärfen aus rechtspolitischen Gründen in Kauf genommen (siehe dazu näher das genannte Erkenntnis vom 13. November 2001, Zl. 2001/05/0935, oder auch das weitere Erkenntnis vom selben Tag, Zl. 2001/05/0930).

Die zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides nahezu 27-jährige Zweitmitbeteiligte ist in Wien berufstätig, wo sie mit einem Partner wohnt (von dem nicht hervorgekommenen ist, dass er aus A "einpendelte"). Zu Wien bestehen daher berufliche wie auch gesellschaftliche Beziehungen. Sie macht gesellschaftliche, insbesondere familiäre Beziehungen zu A geltend, die zu Wien nicht bestünden. Aus der erforderlichen Gesamtbetrachtung ist der beruflichen (wie auch gesellschaftlichen) Lebensbeziehung zu Wien ein deutliches Übergewicht gegenüber der Beziehung zu A zuzumessen. Bei der im Reklamationsverfahren gebotenen generalisierenden Betrachtungsweise tritt insbesondere die familiäre Bindung an die Eltern umso mehr in den Hintergrund, je mehr sich das Alter der betroffenen Person vom Erreichen der Volljährigkeit entfernt hat. Insgesamt kann der von der Zweitmitbeteiligten vorgebrachten gesellschaftlichen Beziehung zu A kein solches Gewicht zugemessen werden, dass A - neben Wien - als (weiterer) "Mittelpunkt von Lebensbeziehungen" qualifiziert werden könnte.

Davon ausgehend hat die Zweitmitbeteiligte ohne Rechtsgrundlage eine Wahl nach § 1 Abs. 7 letzter Satz MeldeG getroffen, sodass die Reklamation durch den Beschwerdeführer zu Recht erfolgte. Da die belangte Behörde dies verkannte, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.

Wien, am 19. März 2002

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2002:2001051211.X00

Im RIS seit

13.06.2002
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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