TE Vwgh Erkenntnis 2002/3/19 2002/05/0026

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 19.03.2002
beobachten
merken

Index

41/02 Melderecht;

Norm

MeldeG 1991 §17 Abs2 Z2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident DDr. Jakusch und die Hofräte Dr. Giendl und Dr. Pallitsch als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Thalhammer, über die Beschwerde des Bürgermeisters der Bundeshauptstadt Wien gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 27. November 2001, Zl. 606.976/5-II/13/01, betreffend Reklamationsverfahren nach § 17 Abs. 2 Z. 2 Meldegesetz (mitbeteiligte Parteien: 1. Bürgermeister der Stadtgemeinde Völkermarkt, 2. Arno Piko, 1150 Wien, Kranzgasse 24/9-10), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

Der am 26. Februar 1974 in Klagenfurt geborene, ledige Zweitmitbeteiligte ist seit 26. Februar 1974 in der Gemeinde des erstmitbeteiligten Bürgermeisters (Stadtgemeinde Völkermarkt, 9100 Völkermarkt) mit Hauptwohnsitz (siehe § 23 Abs. 1 des im Beschwerdefall anzuwendenden Meldegesetzes 1991, BGBl. Nr. 9/1992, in der Fassung des Hauptwohnsitzgesetzes BGBl. Nr. 505/1994; in der Folge kurz: MeldeG) gemeldet. Seit 11. Oktober 1996 ist er mit einem weiteren Wohnsitz in Wien gemeldet. Er studiert dort und tritt den Weg zum Studienplatz grundsätzlich von der Wiener Wohnung aus an, die er allein bewohnt. Gleichzeitig ist er in Wien berufstätig; die "Arbeit" dient "der Finanzierung des Studiums".

Im Zuge des vom beschwerdeführenden Bürgermeister eingeleiteten Reklamationsverfahrens gab der Zweitmitbeteiligte in der Wohnsitzerklärung an, in der Gemeinde des erstmitbeteiligten Bürgermeisters gemeinsam mit seiner Mutter ca. 70 Tage im Jahr zu wohnen. Die übrige Zeit (rd. 290 Tage im Jahr) verbringe er in Wien; die dortige Unterkunft sei der Ausgangspunkt des Weges zum Studienplatz und zur Arbeitsstätte. Völkermarkt habe er als Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen auf Grund der Beziehungen zu seinen Familienangehörigen gewählt. Sonstige gesellschaftliche Kontakte bestünden weder in Völkermarkt noch in Wien.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag des beschwerdeführenden Bürgermeisters auf Aufhebung des Hauptwohnsitzes des Zweitmitbeteiligten an der gemeldeten Adresse in Völkermarkt ab.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte Zuspruch des Vorlageaufwandes. Der Zweitmitbeteiligte erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Im Reklamationsverfahren wird die bis dahin für den Hauptwohnsitz des Betroffenen ausschließlich maßgebliche "Erklärung" des Meldepflichtigen dahingehend "hinterfragt, ob der erklärte Hauptwohnsitz den in Art. 6 Abs. 3 B-VG (§ 1 Abs. 7 MeldeG) normierten objektiven Merkmalen entspricht" (siehe das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 26. September 2001, G 139/00-10, u.a.). Die Lösung der im Reklamationsverfahren maßgeblichen Rechtsfrage des Hauptwohnsitzes des Betroffenen hängt an dem materiell-rechtlichen Kriterium "Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen". Bei der Beurteilung dieses Tatbestandsmerkmales kommt es auf eine Gesamtschau an, bei welcher die Bestimmungskriterien des § 1 Abs. 8 MeldeG (in der Fassung der Novelle BGBl. I Nr. 28/2001), maßgeblich sind: Aufenthaltsdauer, Lage des Arbeitsplatzes oder der Ausbildungsstätte, Ausgangspunkt des Weges zum Arbeitsplatz oder zur Ausbildungsstätte, Wohnsitz der übrigen, insbesondere der minderjährigen Familienangehörigen und der Ort, an dem sie ihrer Erwerbstätigkeit nachgehen, ausgebildet werden oder die Schule oder den Kindergarten besuchen, Funktionen in öffentlichen und privaten Körperschaften.

Der Verwaltungsgerichtshof hat im Erkenntnis vom 13. November 2001, Zl. 2001/05/0935 klargestellt, dass das subjektive Kriterium "überwiegendes Naheverhältnis", das nur in der persönlichen Einstellung des Betroffenen zum Ausdruck kommt, nur in den Fällen den Ausschlag gibt, in denen als Ergebnis des Ermittlungsverfahrens zwei oder mehrere "Mittelpunkte der Lebensbeziehungen" des Betroffenen hervorgekommen sind. Das Reklamationsverfahren wird nur dann für den antragstellenden Bürgermeister erfolgreich sein, wenn der Betroffene ein "überwiegendes Naheverhältnis" an einem Ort behauptet, an dem er keinen Mittelpunkt der Lebensbeziehungen (§ 1 Abs. 7 MeldeG) hat, mag er dort auch einen Wohnsitz im Sinne des § 1 Abs. 6 MeldeG haben.

Bei Studenten hat der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom 13. November 2001, Zl. 2001/05/0935, im Wesentlichen darauf abgestellt, ob das 26. Lebensjahr vollendet ist; verzögert sich das Studium dermaßen, dass auch die Altersgrenze für die Familienbeihilfe überschritten wird, ist die Annahme gerechtfertigt, dass sich die Nahebeziehung zum Studienort wesentlich verdichtet hat, sodass der Mittelpunktcharakter des Heimatortes im Allgemeinen nicht mehr bejaht werden kann.

Im Erkenntnis vom 13. November 2001, Zl. 2001/05/0945,wiederum hat der Verwaltungsgerichtshof ausgeführt, dass sog. "Wochenpendler", die eine Unterkunft (Wohnung) am Ort oder in der näheren Umgebung des Arbeitsplatzes als weiteren Wohnsitz nehmen, damit keinen Hauptwohnsitz begründet haben.

Der Zweitmitbeteiligte hat Wien als Wohnsitz aus mehreren Gründen gewählt; als Studienort und zur Ausübung einer Beschäftigung zwecks Finanzierung dieses Studiums. Der beruflichen Lebensbeziehung des Zweitmitbeteiligten ist bei dieser Sachlage ein deutliches Übergewicht gegenüber der familiären und gesellschaftlichen Bindung in Kärnten zuzuerkennen. Die letztgenannten Bindungen treten nämlich bei einer ledigen Person umso mehr in den Hintergrund, je mehr sich ihr Alter vom Erreichen der Volljährigkeit entfernt hat (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom 27. Februar 2002, Zl. 2001/05/1146). Es ist im Beschwerdefall davon auszugehen, dass der Zweitmitbeteiligte Wien nicht nur vorübergehend als Wohnsitz gewählt hat; er übt derzeit vielmehr eine umfassende Erwerbstätigkeit aus, also eine Beschäftigung, die es ihm ermöglicht, selbst für seinen Unterhalt zu sorgen. Die erforderliche Gesamtbetrachtung verleiht der beruflichen und ausbildungsmäßigen Lebensbeziehung, insbesondere auch im Zusammenhang mit der angegebenen Aufenthaltsdauer in Wien ein deutliches Übergewicht, während bei der im Reklamationsverfahren gebotenen generalisierenden Betrachtungsweise die familiäre Bindung an die Eltern umso mehr in den Hintergrund tritt, je mehr sich ihr Alter vom Erreichen der Volljährigkeit entfernt hat.

Hinzuweisen ist auch darauf, dass das Reklamationsverfahren, wie sich aus § 1 MeldeG unzweifelhaft ergibt, gegenwartsbezogen ("... dort weiterhin den Hauptwohnsitz hat") ist; es kommt also nicht auf beabsichtigte Veränderungen (hier: nicht in Wien bleiben zu wollen) an, da jederzeit eine neue Meldung erfolgen kann bzw. muss. Die Heimatverbundenheit einer Person ist in den in § 1 Abs. 8 MeldeG genannten Kriterien nicht enthalten.

Ausgehend davon hat im vorliegenden Fall der Zweitmitbeteiligte ohne Rechtsgrundlage eine Wahl nach § 1 Abs. 7 letzter Satz MeldeG getroffen, sodass die Reklamation durch den Beschwerdeführer zu Recht erfolgte.

Da die belangte Behörde die Rechtslage verkannt hat, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit einer Rechtswidrigkeit des Inhaltes. Dieser Bescheid

war daher in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Wien, am 19. März 2002

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2002:2002050026.X00

Im RIS seit

13.06.2002
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten