TE Vwgh Erkenntnis 2002/3/19 2001/05/1039

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Veröffentlicht am 19.03.2002
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Index

41/02 Melderecht;

Norm

MeldeG 1991 §17 Abs2 Z2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident DDr. Jakusch und die Hofräte Dr. Giendl, Dr. Kail, Dr. Pallitsch und Dr. Waldstätten als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Thalhammer, über die Beschwerde des Bürgermeisters der Landeshauptstadt Linz gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Oberösterreich vom 26. März 2001, Zl. Gem(Wahl)-900033/4-2001-Gru/Ha, betreffend Reklamationsverfahren nach § 17 Abs. 2 Z. 2 Meldegesetz (mitbeteiligte Parteien: 1. Bürgermeister der Marktgemeinde St. Florian in St. Florian, 2. Sandra Kohlbauer in Linz, Kartouschweg 4, bzw. in St. Florian, Am Impfbach 34), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Kostenersatzbegehren des Beschwerdeführers wird abgewiesen.

Begründung

Die am 2. Oktober 1974 geborene Zweitmitbeteiligte ist seit 13. Dezember 1983 in St. Florian (in der Folge kurz: S), der Gemeinde des erstmitbeteiligten Bürgermeisters, mit Hauptwohnsitz gemeldet. Sie ist seit 26. Jänner 2000 in Linz mit weiterem Wohnsitz gemeldet.

Der beschwerdeführende Bürgermeister hatte in seinem Reklamationsantrag vom 26. Mai 2000 unter anderem vorgebracht, die Zweitmitbeteiligte sei in Linz beschäftigt und halte sich nach eigener Angabe wochentags in Linz auf. Darüber hinaus lebe sie an der Linzer Anschrift mit einem in Linz mit Hauptwohnsitz gemeldeten Linzer (namens K.) in Lebensgemeinschaft.

Die Zweitmitbeteiligte brachte in einer Stellungnahme an die belangte Behörde vom 4. Dezember 2000 vor, sie werde nicht "fix" nach Linz ziehen. Ihr Lebensinteresse liege nach wie vor in S, weil dort ihre Familie und ihre Freunde lebten. Wie die belangte Behörde in S erfragen könne, sei sie dort schon seit längerer Zeit als Wohnungssuchende gemeldet. Sobald sich das passende Objekt finde, werde sie unverzüglich wieder von Linz wegziehen. Sie wohne zur Zeit an einigen Tagen in der Woche in der Wohnung ihres Partners. Da diese Wohnung aber zu klein sei, seien "wir sowieso gezwungen zu wechseln". Es gäbe für sie ohnehin nur ein Ziel, "so schnell wie möglich wieder aufs Land zurück".

Mit dem angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf Durchführung eines Reklamationsverfahrens abgewiesen und ausgesprochen, dass der Hauptwohnsitz der Zweitmitbeteiligten an der näher bezeichneten Anschrift in S verbleibe. Begründend heißt es insbesondere, das Ermittlungsverfahren habe ergeben, dass die Zweitmitbeteiligte in S mit Hauptwohnsitz gemeldet und dort in der Wählerevidenz eingetragen sei. Sie habe S als Mittelpunkt ihrer Lebensbeziehungen angegeben, weil dort ihre Familie und ihre Freunde lebten. Es sei davon auszugehen, dass sie dort ihren Hauptwohnsitz habe. Der Umstand, dass eine Person einer hauptberuflichen Beschäftigung in einer anderen Gemeinde, vorliegendenfalls in Linz, nachgehe und dort auch an einigen Tagen der Woche wohne, begründe zwar auch einen Mittelpunkt einer Lebensbeziehung. Diesbezüglich komme der Zweitmitbeteiligten aber ein Wahlrecht zu. Nicht nachvollziehbar sei das Argument des Beschwerdeführers, dass "der Lebensgefährte jedenfalls schwerer zu gewichten sei, als die Familie". Weiters stehe der Behauptung des Beschwerdeführers, dass sich die Zweitmitbeteiligte das ganze Jahr hindurch überwiegend in Linz aufhalte, die Stellungnahme der Zweitmitbeteiligten vom 4. Dezember 2000 entgegen, in welcher sie ausführe, dass sie lediglich an einigen Tagen in der Woche in Linz wohne.

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und in einer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt. Die Zweitmitbeteiligte erstattete eine Gegenschrift, in welcher sie vorbrachte, sie habe bereits in ihrem Schreiben vom 4. Dezember 2000 festgehalten, dass ihr Lebensinteresse keinesfalls in Linz liege. Wie darin erwähnt, sei sie schon seit einiger Zeit auf Wohnungssuche. Da sie in der Zwischenzeit ein geeignetes Objekt in einer Landgemeinde gefunden habe, sei sie schon mit Übersiedlungsarbeiten beschäftigt. In wenigen Wochen würden Herr K. seinen Hauptwohnsitz und sie ihren Zweitwohnsitz abmelden. Somit sei in ihren Augen dieses Reklamationsverfahren überflüssig.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Im zulässigerweise eingeleiteten Reklamationsverfahren wird die bis dahin für den Hauptwohnsitz des Betroffenen ausschließlich maßgebliche "Erklärung" des Meldepflichtigen dahingehend "hinterfragt, ob der erklärte Hauptwohnsitz den in Art. 6 Abs. 3 B-VG (§ 1 Abs. 7 MeldeG) normierten objektiven Merkmalen entspricht" (siehe das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 26. September 2001, G 139/00-10, u.a.). Die Lösung der im Reklamationsverfahren maßgeblichen Rechtsfrage des Hauptwohnsitzes des Betroffenen hängt an dem materiell-rechtlichen Kriterium "Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen". Bei der Beurteilung dieses Tatbestandsmerkmales kommt es auf eine Gesamtschau an, bei welcher die nunmehr ausdrücklich in § 1 Abs. 8 MeldeG (in der Fassung der Novelle BGBl. I Nr. 28/2001) genannten Kriterien maßgeblich sind:

Aufenthaltsdauer, Lage des Arbeitsplatzes oder der Ausbildungsstätte, Ausgangspunkt des Weges zum Arbeitsplatz oder zur Ausbildungsstätte, Wohnsitz der übrigen, insbesondere der minderjährigen Familienangehörigen und der Ort, an dem sie ihrer Erwerbstätigkeit nachgehen, ausgebildet werden oder die Schule oder den Kindergarten besuchen, Funktionen in öffentlichen und privaten Körperschaften.

Der Verwaltungsgerichtshof hat im Erkenntnis vom 13. November 2001, Zl. 2001/05/0935, klargestellt, dass das subjektive Kriterium "überwiegendes Naheverhältnis", das nur in der persönlichen Einstellung des Betroffenen zum Ausdruck kommt, nur in den Fällen den Ausschlag gibt, in denen als Ergebnis des Ermittlungsverfahrens zwei oder mehrere "Mittelpunkte der Lebensbeziehungen" des Betroffenen hervorgekommen sind (also wenn ausnahmsweise zwei oder mehrere Wohnsitze des Betroffenen solche Mittelpunkte darstellen, wobei die vom Betroffenen vorgenommene Bezeichnung eines Hauptwohnsitzes allein nicht jedenfalls maßgeblich ist). Das Reklamationsverfahren wird nur dann für den antragstellenden Bürgermeister erfolgreich sein, wenn der Betroffene ein "überwiegendes Naheverhältnis" an einem Ort behauptet, an dem er keinen Mittelpunkt der Lebensbeziehungen (§ 1 Abs. 7 MeldeG) hat, mag er dort auch einen Wohnsitz im Sinne des § 1 Abs. 6 MeldeG haben. Der Verwaltungsgerichtshof hat in diesem Zusammenhang auch klargelegt, dass eine "absolute Sicherheit" über die Lebenssituation des Meldepflichtigen für die Evaluierung des zu beurteilenden Sachverhaltes nicht notwendig ist; der Gesetzgeber hat durch die Regelung des § 17 Abs. 3 MeldeG bewusst die in Rede stehenden Unschärfen aus rechtspolitischen Gründen in Kauf genommen (siehe dazu näher das genannte Erkenntnis vom 13. November 2001, Zl. 2001/05/0935, oder auch das weitere Erkenntnis vom selben Tag, Zl. 2001/05/0930).

Zum Vorbringen in der Gegenschrift der zweitmitbeteiligten Partei ist zunächst darauf zu verweisen, dass im verwaltungsgerichtlichen Verfahren, in welchem es um die nachprüfende Kontrolle der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides geht, auf Änderungen des Sachverhaltes nach Erlassung des angefochtenen Bescheides nicht Bedacht genommen werden kann (§ 41 VwGG). Im Beschwerdeverfahren hat daher insbesondere außer Betracht zu bleiben, dass die Zweitmitbeteiligte, wie sie vorbringt, "schon mit Übersiedlungsarbeiten" beschäftigt ist (um aus Linz wegzuziehen). Das Reklamationsverfahren ist, wie sich aus § 1 MeldeG unzweifelhaft ergibt, gegenwartsbezogen ("... dort weiterhin den Hauptwohnsitz hat"); es kommt also nicht auf beabsichtigte Veränderungen (hier: die Aufgabe der Wiener Wohnung) an, da jederzeit eine neue Meldung erfolgen kann bzw. muss (hg. Erkenntnis vom 27. Februar 2002, Zl. 2001/05/1163).

Im Beschwerdefall kommt dem Umstand entscheidende Bedeutung zu, dass die - unstrittig in Linz berufstätige - Zweitmitbeteiligte in Linz mit einem Partner lebt (der im Übrigen in Linz seinen Hauptwohnsitz hat). Bei der im Entscheidungszeitpunkt der belangten Behörde schon im

27. Lebensjahr befindlichen Zweitmitbeteiligten kann eine derartige familiäre Bindung an das Elternhaus nicht mehr angenommen werden, dass dieser gesellschaftlichen Lebensbeziehung noch entscheidendes Gewicht zuzumessen wäre.

Dass die Wohnsitznahme in Linz ausschließlich berufsbedingt erfolgt wäre, erscheint bei zwei derart benachbarten Gemeinden nicht nachvollziehbar, weil nicht erklärbar ist, warum der Weg zur Arbeitsstätte nicht auch von der Wohnung in der Heimatgemeinde aus angetreten werden kann (siehe abermals das hg. Erkenntnis vom 27. Februar 2002).

Nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes ist diese zu Linz bestehende Lebensbeziehung gegenüber der (im Wesentlichen gesellschaftlichen) Lebensbeziehung zu S als derart überwiegend anzusehen, dass der Mittelpunktcharakter von S nicht mehr bejaht werden kann.

Ausgehend davon hat vorliegendenfalls die Zweitmitbeteiligte ohne Rechtsgrundlage eine Wahl nach § 1 Abs. 7 letzter Satz MeldeG getroffen, sodass die Reklamation durch den Beschwerdeführer zu Recht erfolgte. Da die belangte Behörde diese Rechtslage verkannte, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.

Das Kostenersatzbegehren des Beschwerdeführers war abzuweisen (angesprochen wird der Schriftsatzaufwand), weil er nicht durch einen Rechtsanwalt vertreten war (§ 49 Abs. 1 VwGG in der Fassung der Novelle BGBl. I Nr. 88/1997).

Wien, am 19. März 2002

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2002:2001051039.X00

Im RIS seit

10.06.2002
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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