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41/02 Melderecht;Norm
MeldeG 1991 §1 Abs7;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident DDr. Jakusch und die Hofräte Dr. Giendl, Dr. Kail, Dr. Pallitsch und Dr. Waldstätten als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Thalhammer, über die Beschwerde des Bürgermeisters der Bundeshauptstadt Wien gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 31. Oktober 2001, Zl. 605.608/6- II/13/01, betreffend Reklamationsverfahren nach § 17 Abs. 2. Z. 2 Meldegesetz (mitbeteiligte Parteien: 1. Bürgermeister der Gemeinde Berg bei Rohrbach, 2. Robert Geretschläger in 1140 Wien, Hadikgasse 24/2), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
Der am 24. April 1973 geborene, ledige Zweitmitbeteiligte ist seit seiner Geburt in der Gemeinde des erstmitbeteiligten Bürgermeisters (4150 Berg bei Rohrbach) mit Hauptwohnsitz (siehe § 23 Abs. 1 des im Beschwerdefall anzuwendenden Meldegesetzes 1991, BGBl. Nr. 9/1992, in der Fassung des Hauptwohnsitzgesetzes BGBl. Nr. 505/1994; in der Folge kurz: MeldeG) gemeldet. Seit 1993 ist der Zweitmitbeteiligte mit einem weiteren Wohnsitz in Wien gemeldet. In seiner Wiener Mietwohnung ist seine Lebensgefährtin mit einem weiteren Wohnsitz gemeldet.
Im Zuge des vom beschwerdeführenden Bürgermeister eingeleiteten Reklamationsverfahrens gab der Zweitmitbeteiligte im Fragebogen zur Feststellung des Hauptwohnsitzes vom Dezember 2000 zunächst an, in der Gemeinde des erstmitbeteiligten Bürgermeisters gemeinsam mit seinen Eltern und seinem Bruder ca. 200 Tage im Jahr zu wohnen. Die übrige Zeit (rd. 165 Tage im Jahr) verbringe er am Studienort Wien mit seiner Lebensgefährtin. In der Wohnsitzerklärung vom 8. Mai 2001 gab er die Aufenthaltsdauer in Berg bei Rohrbach mit rd. 140, in Wien mit ca. 230 Tagen im Jahr an. In Wien wohne er mit seiner Lebensgefährtin; in seiner Unterkunft in Berg bei Rohrbach lebten neben den Eltern auch noch sein Bruder. Er sei nunmehr in Wien berufstätig, den Weg zum Arbeitsplatz trete er von der Wiener Wohnung aus an.
In einer ergänzenden Stellungnahme vom 10. Juni 2001 führte der Zweitmitbeteiligte aus, er habe sein Studium abgeschlossen und sei derzeit in Wien berufstätig. Er trete den Weg zur Arbeitsstätte von seiner Wiener Wohnung aus an. Die Wochenenden, seinen Urlaub und die freien Tage verbringe er in seiner Heimatgemeinde, in welcher seine Eltern und Verwandten wohnten. Seine gesellschaftlichen Betätigungen seien dort sehr intensiv. Seine Lebensgefährtin halte sich überwiegend in ihrem Heimatort Marktgemeinde Altenfelden auf, wo sie auch mit ihrem Hauptwohnsitz gemeldet sei.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag des beschwerdeführenden Bürgermeisters auf Aufhebung des Hauptwohnsitzes des Zweitmitbeteiligten an der gemeldeten Adresse in Berg bei Rohrbach ab. Der Schwerpunkt der beruflichen ("ausbildungsmäßigen") Lebensbeziehungen des Zweitmitbeteiligten läge in Wien; "Familienwohnsitz" und somit gesellschaftlicher Schwerpunkt sei hingegen Berg bei Rohrbach. Auf Grund des Ergebnisses des Ermittlungsverfahrens und einer Gesamtbetrachtung der Lebensbeziehungen reiche der derzeitige Bezug des Zweitmitbeteiligten zu Wien (Studium bzw. Arbeitsplatz) und der damit zwangsläufig verbundene Aufenthalt allein nicht aus, um den bestehenden Hauptwohnsitz aufzuheben.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte Zuspruch des Vorlageaufwandes. Der erstmitbeteiligte Bürgermeister erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde abzuweisen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Im Reklamationsverfahren wird die bis dahin für den Hauptwohnsitz des Betroffenen ausschließlich maßgebliche "Erklärung" des Meldepflichtigen dahingehend "hinterfragt, ob der erklärte Hauptwohnsitz den in Art. 6 Abs. 3 B-VG (§ 1 Abs. 7 MeldeG) normierten objektiven Merkmalen entspricht" (siehe das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 26. September 2001, G 139/00-10, u.a.). Die Lösung der im Reklamationsverfahren maßgeblichen Rechtsfrage des Hauptwohnsitzes des Betroffenen hängt an dem materiell-rechtlichen Kriterium "Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen". Bei der Beurteilung dieses Tatbestandsmerkmales kommt es auf eine Gesamtschau an, bei welcher die nunmehr im § 1 Abs. 8 MeldeG (in der Fassung der Novelle BGBl. I Nr. 28/2001), verankerten Kriterien maßgeblich sind:
Aufenthaltsdauer, Lage des Arbeitsplatzes oder der Ausbildungsstätte, Ausgangspunkt des Weges zum Arbeitsplatz oder zur Ausbildungsstätte, Wohnsitz der übrigen, insbesondere der minderjährigen Familienangehörigen und der Ort, an dem sie ihrer Erwerbstätigkeit nachgehen, ausgebildet werden oder die Schule oder den Kindergarten besuchen, Funktionen in öffentlichen und privaten Körperschaften.
Der Verwaltungsgerichtshof hat im Erkenntnis vom 13. November 2001, Zl. 2001/05/0935 klargestellt, dass das subjektive Kriterium "überwiegendes Naheverhältnis", das nur in der persönlichen Einstellung des Betroffenen zum Ausdruck kommt, nur in den Fällen den Ausschlag gibt, in denen als Ergebnis des Ermittlungsverfahrens zwei oder mehrere "Mittelpunkte der Lebensbeziehungen" des Betroffenen hervorgekommen sind. Das Reklamationsverfahren wird nur dann für den antragstellenden Bürgermeister erfolgreich sein, wenn der Betroffene ein "überwiegendes Naheverhältnis" an einem Ort behauptet, an dem er keinen Mittelpunkt der Lebensbeziehungen (§ 1 Abs. 7 MeldeG) hat, mag er dort auch einen Wohnsitz im Sinne des § 1 Abs. 6 MeldeG haben.
In Anbetracht des Alters des Zweitmitbeteiligten und der damit verbundenen eigenen Lebensgestaltung in Wien mit seiner Lebensgefährtin seit mehreren Jahren sowie unter Berücksichtigung des Umstandes, dass Berg bei Rohrbach von der Bundeshauptstadt weit entfernt ist, kann im Beschwerdefall eine derartige Reduktion der gesellschaftlichen Beziehungen des Zweitmitbeteiligten zum Heimatort angenommen werden, dass eine Mittelpunktqualität des dortigen Wohnsitzes nicht mehr vorliegt (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom 29. Jänner 2002, Zl. 2001/05/0991). Dass weiterhin soziale und gesellschaftliche Kontakte des Zweitmitbeteiligten - von den üblichen in diesem Alter gepflogenen familiären Kontakten abgesehen - in Berg bei Rohrbach bestünden, die auf die Annahme von Umständen schließen ließen, wie sie für Wochenpendler (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom 13. November 2001, Zl. 2001/05/0945) vorausgesetzt werden, sind im Beschwerdefall nicht hervorgekommen.
Ausgehend davon hat im vorliegenden Fall der Zweitmitbeteiligte ohne Rechtsgrundlage eine Wahl nach § 1 Abs. 7 letzter Satz MeldeG getroffen, sodass die Reklamation durch den Beschwerdeführer zu Recht erfolgte. Da die belangte Behörde die Rechtslage verkannt hat, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit einer Rechtswidrigkeit des Inhaltes. Dieser Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Wien, am 19. März 2002
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2002:2001051200.X00Im RIS seit
13.06.2002