Index
41/02 Melderecht;Norm
MeldeG 1991 §17 Abs2 Z2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident DDr. Jakusch und die Hofräte Dr. Giendl und Dr. Pallitsch als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Thalhammer, über die Beschwerde des Bürgermeisters der Bundeshauptstadt Wien gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 6. November 2001, Zl. 603.002/6-II/13/01, betreffend Reklamationsverfahren nach § 17 Abs. 2. Z. 2 Meldegesetz (mitbeteiligte Parteien: 1. Bürgermeister der Gemeinde Pöls, 2. Sandra Dörfler in 1210 Wien, Brünner Straße 34-38/2/15), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
Die am 20. August 1972 in Judenburg geborene, ledige Zweitmitbeteiligte ist jedenfalls seit 1994 in der Gemeinde des erstmitbeteiligten Bürgermeisters (Gemeinde Pöls) mit Hauptwohnsitz (siehe § 23 Abs. 1 des im Beschwerdefall anzuwendenden Meldegesetzes 1991, BGBl. Nr. 9/1992, in der Fassung des Hauptwohnsitzgesetzes BGBl. Nr. 505/1994; in der Folge kurz:
MeldeG) gemeldet. Seit 4. Jänner 1999 ist sie mit einem weiteren Wohnsitz in Wien gemeldet. Sie studiert dort und tritt den Weg zum Studienplatz grundsätzlich von der Wiener Wohnung aus an, die sie mit ihrem Lebensgefährten bewohnt.
Im Zuge des vom beschwerdeführenden Bürgermeister eingeleiteten Reklamationsverfahrens gab die Zweitmitbeteiligte in der Wohnsitzerklärung vom Mai 2001 an, in der Gemeinde des erstmitbeteiligten Bürgermeisters gemeinsam mit ihren Eltern ca. 130 Tage im Jahr zu wohnen. Die übrige Zeit (rd. 235 Tage im Jahr) verbringe sie am Studienort Wien, der auch der Ausgangspunkt ihres Weges zum Studienplatz sei. Ihr Lebensmittelpunkt sei weiterhin Pöls.
Der erstmitbeteiligte Bürgermeister gab eine inhaltlich ähnliche Stellungnahme ab.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag des beschwerdeführenden Bürgermeisters auf Aufhebung des Hauptwohnsitzes der Zweitmitbeteiligten an der gemeldeten Adresse in Pöls ab. Wien sei lediglich Studienort. Der damit zwangsläufig verbundene Aufenthalt allein reiche nicht aus, den bestehenden Hauptwohnsitz, der jedenfalls eine Mittelpunktqualität aufweise, aufzuheben.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte den Zuspruch des Vorlageaufwandes. Die mitbeteiligten Parteien erstatteten Gegenschriften.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Im Reklamationsverfahren wird die bis dahin für den Hauptwohnsitz des Betroffenen ausschließlich maßgebliche "Erklärung" des Meldepflichtigen dahingehend "hinterfragt, ob der erklärte Hauptwohnsitz den in Art. 6 Abs. 3 B-VG (§ 1 Abs. 7 MeldeG) normierten objektiven Merkmalen entspricht" (siehe das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 26. September 2001, G 139/00-10, u.a.). Die Lösung der im Reklamationsverfahren maßgeblichen Rechtsfrage des Hauptwohnsitzes des Betroffenen hängt an dem materiell-rechtlichen Kriterium "Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen". Bei der Beurteilung dieses Tatbestandsmerkmales kommt es auf eine Gesamtschau an, bei welcher folgende, nunmehr im § 1 Abs. 8 MeldeG (in der Fassung der Novelle BGBl. I Nr. 28/2001), verankerten Kriterien maßgeblich sind:
Aufenthaltsdauer, Lage des Arbeitsplatzes oder der Ausbildungsstätte, Ausgangspunkt des Weges zum Arbeitsplatz oder zur Ausbildungsstätte, Wohnsitz der übrigen, insbesondere der minderjährigen Familienangehörigen und der Ort, an dem sie ihrer Erwerbstätigkeit nachgehen, ausgebildet werden oder die Schule oder den Kindergarten besuchen, Funktionen in öffentlichen und privaten Körperschaften.
Der Verwaltungsgerichtshof hat im Erkenntnis vom 13. November 2001, Zl. 2001/05/0935 klargestellt, dass das subjektive Kriterium "überwiegendes Naheverhältnis", das nur in der persönlichen Einstellung des Betroffenen zum Ausdruck kommt, nur in den Fällen den Ausschlag gibt, in denen als Ergebnis des Ermittlungsverfahrens zwei oder mehrere "Mittelpunkte der Lebensbeziehungen" des Betroffenen hervorgekommen sind. Das Reklamationsverfahren wird nur dann für den antragstellenden Bürgermeister erfolgreich sein, wenn der Betroffene ein "überwiegendes Naheverhältnis" an einem Ort behauptet, an dem er keinen Mittelpunkt der Lebensbeziehungen (§ 1 Abs. 7 MeldeG) hat, mag er dort auch einen Wohnsitz im Sinne des § 1 Abs. 6 MeldeG haben.
Bei Studenten hat der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom 13. November 2001, Zl. 2001/05/0935, im Wesentlichen darauf abgestellt, ob das 26. Lebensjahr vollendet ist; verzögert sich das Studium dermaßen, dass auch die Altersgrenze für die Familienbeihilfe überschritten wird, ist die Annahme gerechtfertigt, dass sich die Nahebeziehung zum Studienort wesentlich verdichtet hat, sodass der Mittelpunktcharakter des Heimatortes im Allgemeinen nicht mehr bejaht werden kann. Davon abzugehen bietet auch der Beschwerdefall keinen Anlass, zumal von der Zweitmitbeteiligten keine über die üblichen familiären Bande eines Menschen zu seinen Eltern hinausgehenden Gründe für eine Nahebeziehung zum Heimatort angegeben worden sind; der für ihre Lebensbeziehungen maßgebliche Mittelpunktcharakter in Wien hat sich vielmehr durch die zugestandene Lebensgemeinschaft verdichtet.
Ausgehend davon hat im vorliegenden Fall die im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides bereits 29 Jahre alte Zweitmitbeteiligte ohne Rechtsgrundlage eine Wahl nach § 1 Abs. 7 letzter Satz MeldeG getroffen, sodass die Reklamation durch den Beschwerdeführer zu Recht erfolgte. Da die belangte Behörde die Rechtslage verkannt hat, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit einer Rechtswidrigkeit des Inhaltes. Dieser Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat - aufzuheben.
Wien, am 19. März 2002
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2002:2001051199.X00Im RIS seit
13.06.2002