Index
41/02 Melderecht;Norm
MeldeG 1991 §17 Abs2 Z2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident DDr. Jakusch und die Hofräte Dr. Giendl und Dr. Pallitsch als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Thalhammer, über die Beschwerde des Bürgermeisters der Bundeshauptstadt Wien gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 27. November 2001, Zl. 607.543/5-II/13/01, betreffend Reklamationsverfahren nach § 17 Abs. 2 Z. 2 Meldegesetz (mitbeteiligte Parteien: 1. Bürgermeister der Stadtgemeinde Eggenburg, 2. Ingrid Haider, 1210 Wien, Pilzgasse 23-29/4/4), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
Die am 27. Oktober 1953 in Eggenburg geborene, geschiedene Zweitmitbeteiligte ist seit 1974 in der Gemeinde des erstmitbeteiligten Bürgermeisters (Stadtgemeinde Eggenburg, 3730 Eggenburg) mit Hauptwohnsitz (siehe § 23 Abs. 1 des im Beschwerdefall anzuwendenden Meldegesetzes 1991, BGBl. Nr. 9/1992, in der Fassung des Hauptwohnsitzgesetzes BGBl. Nr. 505/1994; in der Folge kurz: MeldeG) gemeldet. Seit 21. Mai 1982 ist sie mit einem weiteren Wohnsitz in Wien gemeldet. Sie ist dort berufstätig und tritt den Weg zur Arbeitsstätte grundsätzlich von der Wiener Wohnung aus an, die sie mit ihrem minderjährigen Sohn (geb. 1990), der in Wien mit Hauptwohnsitz gemeldet ist, bewohnt.
Im Zuge des vom beschwerdeführenden Bürgermeister der Bundeshauptstadt Wien eingeleiteten Reklamationsverfahrens gab die Zweitmitbeteiligte in der Wohnsitzerklärung an, in der Gemeinde des erstmitbeteiligten Bürgermeisters ca. 150 Tage im Jahr zu wohnen; in der dortigen Unterkunft seien ihre Eltern mit Hauptwohnsitz gemeldet. Die übrige Zeit (rd. 215 Tage im Jahr) verbringe sie in Wien; ihre Wiener Unterkunft sei auch der Ausgangspunkt ihres Weges zur Arbeitsstätte. Eggenburg habe sie als Mittelpunkt ihrer Lebensbeziehungen auf Grund der Aufenthaltsdauer und der Beziehungen zu ihren Familienangehörigen gewählt. Sonstige gesellschaftliche Kontakte bestünden weder in Eggenburg noch in Wien.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag des beschwerdeführenden Bürgermeisters auf Aufhebung des Hauptwohnsitzes der Zweitmitbeteiligten an der gemeldeten Adresse in Eggenburg ab. Der Schwerpunkt der beruflichen Lebensbeziehungen der Zweitmitbeteiligten liege in Wien; ihren "Familienwohnsitz" und somit ihren gesellschaftlicher Schwerpunkt der Lebensbeziehungen habe sie jedoch in Eggenburg. Der berufsbedingte Bezug zu Wien und der damit zwangsläufig verbundene Aufenthalt allein reiche nicht aus, um den bestehenden Hauptwohnsitz der Zweitmitbeteiligten, der jedenfalls Mittelpunktqualität in familiärer und gesellschaftlicher Hinsicht aufweise, und zu dem das persönliche Naheverhältnis definiert worden sei, aufzuheben.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte Zuspruch des Vorlageaufwandes.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Im Reklamationsverfahren wird die bis dahin für den Hauptwohnsitz des Betroffenen ausschließlich maßgebliche "Erklärung" des Meldepflichtigen dahingehend "hinterfragt, ob der erklärte Hauptwohnsitz den in Art. 6 Abs. 3 B-VG (§ 1 Abs. 7 MeldeG) normierten objektiven Merkmalen entspricht" (siehe das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 26. September 2001, G 139/00-10, u.a.). Die Lösung der im Reklamationsverfahren maßgeblichen Rechtsfrage des Hauptwohnsitzes des Betroffenen hängt an dem materiell-rechtlichen Kriterium "Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen". Bei der Beurteilung dieses Tatbestandsmerkmales kommt es auf eine Gesamtschau an, bei welcher die Bestimmungskriterien des § 1 Abs. 8 MeldeG (in der Fassung der Novelle BGBl. I Nr. 28/2001), maßgeblich sind: Aufenthaltsdauer, Lage des Arbeitsplatzes oder der Ausbildungsstätte, Ausgangspunkt des Weges zum Arbeitsplatz oder zur Ausbildungsstätte, Wohnsitz der übrigen, insbesondere der minderjährigen Familienangehörigen und der Ort, an dem sie ihrer Erwerbstätigkeit nachgehen, ausgebildet werden oder die Schule oder den Kindergarten besuchen, Funktionen in öffentlichen und privaten Körperschaften.
Der Verwaltungsgerichtshof hat im Erkenntnis vom 13. November 2001, Zl. 2001/05/0935, klargestellt, dass das subjektive Kriterium "überwiegendes Naheverhältnis", das nur in der persönlichen Einstellung des Betroffenen zum Ausdruck kommt, nur in den Fällen den Ausschlag gibt, in denen als Ergebnis des Ermittlungsverfahrens zwei oder mehrere "Mittelpunkte der Lebensbeziehungen" des Betroffenen hervorgekommen sind. Das Reklamationsverfahren wird nur dann für den antragstellenden Bürgermeister erfolgreich sein, wenn der Betroffene ein "überwiegendes Naheverhältnis" an einem Ort behauptet, an dem er keinen Mittelpunkt der Lebensbeziehungen (§ 1 Abs. 7 MeldeG) hat, mag er dort auch einen Wohnsitz im Sinne des § 1 Abs. 6 MeldeG haben. Der Verwaltungsgerichtshof hat in diesem Zusammenhang auch klargelegt, dass eine "absolute Sicherheit" über die Lebenssituation des Meldepflichtigen für die Evaluierung des zu beurteilenden Sachverhaltes nicht notwendig ist; der Gesetzgeber hat durch die Regelung des § 17 Abs. 3 MeldeG bewusst die in Rede stehenden Unschärfen aus rechtspolitischen Gründen in Kauf genommen (siehe dazu näher das genannte Erkenntnis vom 13. November 2001, Zl. 2001/05/0935, oder auch das weitere Erkenntnis vom selben Tag, Zl. 2001/05/0930).
Im Beschwerdefall steht fest, dass die nunmehr 49-jährige Zweitmitbeteiligte einen großen Teil des Jahres in Wien aus beruflichen Gründen mit ihrem minderjährigen Sohn, der in der Bundeshauptstadt mit Hauptwohnsitz gemeldet ist, verbringt.
Im Ermittlungsverfahren hat sich zweifelsfrei ergeben, dass die Zweitmitbeteiligte keinen "Mittelpunkt der Lebensbeziehungen" in der Gemeinde des erstmitbeteiligten Bürgermeisters hat. Aus den Feststellungen im angefochtenen Bescheid ist zu schließen, dass bei der Unterkunft der Betroffenen in Eggenburg nur von einem Ferienwohnsitz im Sinne des hg. Erkenntnisses vom 13. November 2001, Zl. 2001/05/0941, die Rede sein kann. Die Behauptung der Zweitmitbeteiligten, sie verbringe vier Tage in der Woche in Eggenburg, ist mit ihrer Angabe in der Wohnsitzerklärung zur "Aufenthaltsdauer" nicht in Einklang zu bringen und unter Berücksichtigung des Umstandes, das ihr schulpflichtiger minderjähriger Sohn mit Hauptwohnsitz in Wien gemeldet ist, als nicht den Tatsachen entsprechend zu bewerten. Insbesondere das minderjährige, schulpflichtige Kind schafft eine derartige Gebundenheit der Zweitmitbeteiligten an Wien, dass dem Wohnsitz in der Gemeinde des erstmitbeteiligten Bürgermeisters ein Mittelpunktcharakter nicht zugebilligt werden kann. (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom 27. Februar 2002, Zl. 200/05/1053).
Ausgehend davon hat im vorliegenden Fall die Zweitmitbeteiligte ohne Rechtsgrundlage eine Wahl nach § 1 Abs. 7 letzter Satz MeldeG getroffen. Dies hat die belangte Behörde verkannt, weshalb der angefochtene Bescheid in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben war.
Wien, am 19. März 2002
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2002:2002050030.X00Im RIS seit
24.06.2002