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41/02 Melderecht;Norm
MeldeG 1991 §1 Abs7;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident DDr. Jakusch und die Hofräte Dr. Giendl, Dr. Kail, Dr. Pallitsch und Dr. Waldstätten als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Thalhammer, über die Beschwerde des Bürgermeisters der Landeshauptstadt Linz gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 18. Jänner 2002, Zl. 616224/5- I/A/1/02-koa, betreffend Reklamationsverfahren nach § 17 Abs. 2 Z. 2 Meldegesetz (mitbeteiligte Partei: Bürgermeister der Bundeshauptstadt Wien), zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Begründung
Der Beschwerde und dem angefochtenen Bescheid ist folgender Sachverhalt zu entnehmen:
Der mitbeteiligte Bürgermeister der Bundeshauptstadt Wien stellte gemäß § 17 Abs. 2 Z. 2 MeldeG den Antrag auf Einleitung eines Reklamationsverfahrens zwecks Feststellung, ob der gemeldete Hauptwohnsitz der Betroffenen in der Gemeinde des Beschwerdeführers (Landeshauptstadt Linz) zu Recht besteht.
Auf Grund der Wohnsitzerklärung stellte die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid fest: Die am 30. September 1974 geborene, ledige Betroffene sei in Linz mit Hauptwohnsitz und in der Gemeinde des Mitbeteiligten mit weiterem Wohnsitz gemeldet. Ihren Angaben zufolge lebe sie mit ihren Eltern und ihrem Bruder 235 Tage im Jahr am Hauptwohnsitz und 130 Tage in Wien alleine in ihrer dortigen Unterkunft. Sie studiere in Wien und sei dort auch berufstätig. Den Weg zum Arbeits- und Studienplatz in Wien trete die Betroffene von ihrer Unterkunft am weiteren Wohnsitz aus an. Funktionen in öffentlichen oder privaten Körperschaften würden von der Betroffenen nicht ausgeübt. Sie sei Mitglied eines Linzer Sportvereines.
Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde dem Antrag des mitbeteiligten Bürgermeisters auf Aufhebung des Hauptwohnsitzes an der gemeldeten Adresse in Linz statt und hob den angeführten Hauptwohnsitz der Betroffenen gemäß § 17 MeldeG auf. Die Betroffene habe in der Gemeinde des Beschwerdeführers keinen Mittelpunkt ihrer Lebensbeziehungen; das von ihr zu dieser Gemeinde zum Ausdruck gebrachte überwiegende Naheverhältnis erscheine realitätsfern. Bei der Entscheidung sei neben dem Alter der Betroffenen ihre Berufstätigkeit und ihr Studium zu berücksichtigen gewesen; noch bestehende Beziehungen zum Heimatort verschafften diesfalls keine Mittelpunktqualität.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, mit der Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Im Reklamationsverfahren wird die bis dahin für den Hauptwohnsitz des Betroffenen ausschließlich maßgebliche "Erklärung" des Meldepflichtigen dahingehend "hinterfragt, ob der erklärte Hauptwohnsitz den in Art. 6 Abs. 3 B-VG (§ 1 Abs. 7 MeldeG) normierten objektiven Merkmalen entspricht" (siehe das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 26. September 2001, G 139/00-10, u.a.). Die Lösung der im Reklamationsverfahren maßgeblichen Rechtsfrage des Hauptwohnsitzes des Betroffenen hängt an dem materiell-rechtlichen Kriterium "Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen". Bei der Beurteilung dieses Tatbestandsmerkmales kommt es auf eine Gesamtschau an, bei welcher folgende, nunmehr im § 1 Abs. 8 MeldeG (in der Fassung der Novelle BGBl. I Nr. 28/2001), verankerten Kriterien maßgeblich sind:
Aufenthaltsdauer, Lage des Arbeitsplatzes oder der Ausbildungsstätte, Ausgangspunkt des Weges zum Arbeitsplatz oder zur Ausbildungsstätte, Wohnsitz der übrigen, insbesondere der minderjährigen Familienangehörigen und der Ort, an dem sie ihrer Erwerbstätigkeit nachgehen, ausgebildet werden oder die Schule oder den Kindergarten besuchen, Funktionen in öffentlichen und privaten Körperschaften.
Der Verwaltungsgerichtshof hat im Erkenntnis vom 13. November 2001, Zl. 2001/05/0935, klargestellt, dass das subjektive Kriterium "überwiegendes Naheverhältnis", das nur in der persönlichen Einstellung des Betroffenen zum Ausdruck kommt, nur in den Fällen den Ausschlag gibt, in denen als Ergebnis des Ermittlungsverfahrens zwei oder mehrere "Mittelpunkte der Lebensbeziehungen" des Betroffenen hervorgekommen sind. Das Reklamationsverfahren wird nur dann für den antragstellenden Bürgermeister erfolgreich sein, wenn der Betroffene ein "überwiegendes Naheverhältnis" an einem Ort behauptet, an dem er keinen Mittelpunkt der Lebensbeziehungen (§ 1 Abs. 7 MeldeG) hat, mag er dort auch einen Wohnsitz im Sinne des § 1 Abs. 6 MeldeG haben.
Bei Studenten hat der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom 13. November 2001, Zl. 2001/05/0935, im Wesentlichen darauf abgestellt, ob das 26. Lebensjahr vollendet ist; verzögert sich das Studium dermaßen, dass auch die Altersgrenze für die Familienbeihilfe überschritten wird, ist die Annahme gerechtfertigt, dass sich die Nahebeziehung zum Studienort wesentlich verdichtet hat, sodass der Mittelpunktcharakter des Heimatortes im Allgemeinen nicht mehr bejaht werden kann.
Im Erkenntnis vom 13. November 2001, Zl. 2000/05/0945, wiederum hat der Verwaltungsgerichtshof ausgeführt, dass sog. "Wochenpendler", die eine Unterkunft (Wohnung) am Ort oder in der näheren Umgebung des Arbeitsplatzes als weiteren Wohnsitz nehmen, damit keinen Hauptwohnsitz begründet haben.
Die Betroffene hat Wien als Wohnsitz aus mehreren Gründen gewählt; einerseits als Studienort und andererseits zur Ausübung einer Beschäftigung (als AHS-Lehrerin); dadurch hat sie - auch wenn man, wie von ihr behauptet, von einer Teilzeitbeschäftigung von wöchentlich 15 bis 20 Wochenstunden ausgeht - eine wirtschaftliche Selbständigkeit erreicht, die ihr auch die Finanzierung ihres Studiums ermöglicht. Der beruflichen Lebensbeziehung der Betroffenen ist bei dieser Sachlage ein deutliches Übergewicht gegenüber der familiären und gesellschaftlichen Bindung in Linz zuzuerkennen. Die letztgenannten Bindungen treten nämlich bei einer ledigen Person umso mehr in den Hintergrund, je mehr sich ihr Alter vom Erreichen der Volljährigkeit entfernt hat (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom 27. Februar 2002, Zl. 2001/05/1146).
Es ist im Beschwerdefall davon auszugehen, dass die Betroffene in Wien ausschließlich eine derart umfassende Erwerbstätigkeit ausübt, also eine Beschäftigung, die es ihr ermöglicht, selbst für ihren Unterhalt zu sorgen. Die erforderliche Gesamtbetrachtung verleiht der beruflichen und ausbildungsmäßigen Lebensbeziehung ein deutliches Übergewicht, während bei der im Reklamationsverfahren gebotenen generalisierenden Betrachtungsweise hier angenommen werden kann, dass die familiäre Bindung der über 27 Jahre alten Betroffenen an die in Linz wohnenden Eltern und entfernteren Verwandten in den Hintergrund tritt. Ausgehend von den unstrittigen Feststellungen ist daher mit der belangten Behörde festzuhalten, dass die Behauptung der Betroffenen, sie halte sich in Wien trotz ihrer beruflichen - mit einem Studium verbundenen Tätigkeit - nur 130 Tage im Jahr auf, nicht nachvollziehbar und offenkundig mit der Realität nicht vereinbar ist. Da diese Angabe einer Plausibilitätsprüfung nicht standhalten kann, ist im Beschwerdefall bezüglich der Aufenthaltsdauer von einer Durchschnittsbetrachtung dahingehend auszugehen, dass die Betroffene in Linz nur insoweit Unterkunft nimmt als dies für Freizeitwohnsitze üblich ist.
Ausgehend davon hat im vorliegenden Fall die Betroffene ohne Rechtsgrundlage eine Wahl nach § 1 Abs. 7 letzter Satz MeldeG getroffen; die belangte Behörde ist daher im angefochtenen Bescheid ohne Rechtsirrtum davon ausgegangen, dass die Reklamation durch den Mitbeteiligten zu Recht erfolgte.
Da somit schon der Inhalt der Beschwerde erkennen lässt, dass die behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, war die Beschwerde ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung gemäß § 35 Abs. 1 VwGG abzuweisen.
Wien, am 19. März 2002
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2002:2002050172.X00Im RIS seit
24.06.2002