TE Vwgh Erkenntnis 2002/3/19 2001/05/1054

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Veröffentlicht am 19.03.2002
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Index

41/02 Melderecht;

Norm

MeldeG 1991 §17 Abs2 Z2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident DDr. Jakusch und die Hofräte Dr. Giendl und Dr. Pallitsch als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Thalhammer, über die Beschwerde des Bürgermeisters der Bundeshauptstadt Wien gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 14. März 2001, Zl. 600.571/5-II/13/00, betreffend Reklamationsverfahren nach § 17 Abs 2 Z. 2 Meldegesetz (mitbeteiligte Parteien: 1. Bürgermeister der Stadtgemeinde Ansfelden, 2. Mag. Doris Müller, verehelichte Leitner, in 1190 Wien, Krottenbachstraße 243/2), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Kostenersatzbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Die am 30. Juli 1970 geborene, (zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides noch) ledige Zweitmitbeteiligte hat seit 8. Februar 1999 einen weiteren Wohnsitz in Wien; in der Gemeinde des erstmitbeteiligten Bürgemeisters (Stadtgemeinde Ansfelden) ist sie seit 1978 mit ihrem Hauptwohnsitz (siehe § 23 Abs. 1 des im Beschwerdefall anzuwendenden Meldegesetzes 1991, BGBl. Nr. 9/1992, in der Fassung des Hauptwohnsitzgesetzes BGBl. Nr. 505/1994; in der Folge kurz: MeldeG) gemeldet.

Im Zuge des über Antrag des Beschwerdeführers eingeleiteten Ermittlungsverfahrens wurde von der Zweitmitbeteiligten über Aufforderung der belangten Behörde die Stellungnahme abgegeben, in Wien berufstätig zu sein und den Weg zur Arbeitsstätte im Regelfall von ihrer Wiener Mietwohnung aus anzutreten. In ihrer Wiener Mietwohnung lebe sie in eheähnlicher Lebensgemeinschaft ca. 245 Tage im Jahr. Ihr Lebensgefährte sei jedoch mit seinem Hauptwohnsitz in Salzburg gemeldet. Rund 120 Tage im Jahr (das seien im Wesentlichen die Wochenenden) verbringe sie in der Gemeinde des erstmitbeteiligten Bürgermeisters gemeinsam mit ihrer Mutter. Für ihr Doktoratsstudium müsse sie für 1 bis 2 Tage im Monat nach Salzburg reisen; diesfalls nächtige sie bei ihrer Mutter in Ansfelden. Ihre Verwandten und Bekannten befänden sich in der Gemeinde des erstmitbeteiligten Bürgermeisters bzw. in der näheren Umgebung ihres Heimatortes. Die Familie ihres Lebensgefährten lebe in Salzburg und werde von ihr des Öfteren besucht. Ihre gesellschaftlichen Betätigungen in Wien gab die Zweitmitbeteiligte mit "kaum vorhanden" an.

Der erstmitbeteiligte Bürgermeister gab eine Stellungnahme im Sinne der Ausführungen der Betroffenen ab.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag des beschwerdeführenden Bürgermeisters auf Aufhebung des Hauptwohnsitzes der Zweitmitbeteiligten an der gemeldeten Adresse in Ansfelden ab. Nach dem durchgeführten Ermittlungsverfahren befinde sich der Schwerpunkt der beruflichen Lebensbeziehungen in Wien, der Familienwohnsitz und somit der gesellschaftliche Schwerpunkt liege jedoch in Ansfelden, das soziale Umfeld der Zweitmitbeteiligten sei dort konzentriert. Festgestellt wurde allerdings auch, dass in Wien eine Lebensgemeinschaft bestehe. Der Bezug zu Wien und der damit zwangsläufig verbundene Aufenthalt reiche nicht aus, um den bestehenden Hauptwohnsitz, der jedenfalls Mittelpunktqualität in familiärer und gesellschaftlicher Hinsicht aufweise und zu dem das persönliche Naheverhältnis definiert wurde, aufzuheben.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in welcher Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung der Verfahrensvorschriften geltend gemacht wird.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor; die zweitmitbeteiligte Partei erstattete eine Gegenschrift.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Im zulässigerweise eingeleiteten Reklamationsverfahren wird die bis dahin für den Hauptwohnsitz des Betroffenen ausschließlich maßgebliche "Erklärung" des Meldepflichtigen dahingehend "hinterfragt, ob der erklärte Hauptwohnsitz den in Art. 6 Abs. 3 B-VG (§ 1 Abs. 7 MeldeG) normierten objektiven Merkmalen entspricht" (siehe das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 26. September 2001, G 139/00-10, u.a.). Die Lösung der im Reklamationsverfahren maßgeblichen Rechtsfrage des Hauptwohnsitzes des Betroffenen hängt an dem materiell-rechtlichen Kriterium "Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen". Bei der Beurteilung dieses Tatbestandsmerkmales kommt es auf eine Gesamtschau an, bei welcher die Bestimmungskriterien des § 1 Abs. 8 MeldeG (in der Fassung der Novelle BGBl. I Nr. 28/2001), maßgeblich sind: Aufenthaltsdauer, Lage des Arbeitsplatzes oder der Ausbildungsstätte, Ausgangspunkt des Weges zum Arbeitsplatz oder zur Ausbildungsstätte, Wohnsitz der übrigen, insbesondere der minderjährigen Familienangehörigen und der Ort, an dem sie ihrer Erwerbstätigkeit nachgehen, ausgebildet werden oder die Schule oder den Kindergarten besuchen, Funktionen in öffentlichen und privaten Körperschaften.

Der Verwaltungsgerichtshof hat im Erkenntnis vom 13. November 2001, Zl. 2001/05/0935 klargestellt, dass das subjektive Kriterium "überwiegendes Naheverhältnis", das nur in der persönlichen Einstellung des Betroffenen zum Ausdruck kommt, nur in den Fällen den Ausschlag gibt, in denen als Ergebnis des Ermittlungsverfahrens zwei oder mehrere "Mittelpunkte der Lebensbeziehungen" des Betroffenen hervorgekommen sind. Das Reklamationsverfahren wird nur dann für den antragstellenden Bürgermeister erfolgreich sein, wenn der Betroffene ein "überwiegendes Naheverhältnis" an einem Ort behauptet, an dem er keinen Mittelpunkt der Lebensbeziehungen (§ 1 Abs. 7 MeldeG) hat, mag er dort auch einen Wohnsitz im Sinne des § 1 Abs. 6 MeldeG haben.

Ausgehend davon steht im Beschwerdefall fest, dass die nunmehr 31-jährige Zweitmitbeteiligte in Wien einer Beschäftigung nachgeht und in Wien in ihrer Wohnung zwar ohne Familienmitglieder, aber mit einem Lebensgefährten wohnt. Sie macht gesellschaftliche, insbesondere familiäre Beziehungen zu Ansefelden geltend, die in Wien nicht bestünden.

Wohl kann bei der erforderlichen Abwägung der einzelnen Kriterien für eine ledige 31-jährige Person auch noch eine gegebene familiäre Bindung eine Rolle spielen. Andererseits führt aber die Berufstätigkeit zu einer wirtschaftlichen Selbstständigkeit. Die Lebensgemeinschaft mit einem Menschen schafft jedenfalls eine neue familiäre Beziehung, zumal der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom 13. November 2001, Zl. 2001/05/0941, die (unstrittig bestehende) Lebensgemeinschaft in diesem Zusammenhang der Ehe gleichgestellt hat.

Diese in Wien bestehende familiäre und somit gesellschaftliche sowie die berufliche und die wirtschaftliche Lebensbeziehung muss gegenüber der bloß gesellschaftlichen Lebensbeziehung in Ansfelden als derart überwiegend angesehen werden, dass der Mittelpunktcharakter des angegebenen Heimatortes nicht mehr bejaht werden kann (vgl. hiezu auch das hg. Erkenntnis vom 29. Jänner 2002, Zl. 2001/05/1070).

Ausgehend davon hat im vorliegenden Fall die Zweitmitbeteiligte ohne Rechtsgrundlage eine Wahl nach § 1 Abs. 7 letzter Satz MeldeG getroffen, sodass die Reklamation durch den Beschwerdeführer zu Recht erfolgte. Da die belangte Behörde die Rechtslage verkannt hat, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit einer Rechtswidrigkeit des Inhaltes. Dieser Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat aufzuheben.

Das Kostenersatzbegehren des Beschwerdeführers (angesprochen wurde ein Schriftsatzaufwand) war abzuweisen, weil er nicht durch einen Rechtsanwalt vertreten war (§ 49 Abs. 1 VwGG idF der Novelle BGBl I Nr. 88/1997).

Wien, am 19. März 2002

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2002:2001051054.X00

Im RIS seit

10.06.2002
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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