TE Vwgh Erkenntnis 2002/3/19 2002/05/0027

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Veröffentlicht am 19.03.2002
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Index

41/02 Melderecht;

Norm

MeldeG 1991 §17 Abs2 Z2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident DDr. Jakusch und die Hofräte Dr. Giendl und Dr. Pallitsch als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Thalhammer, über die Beschwerde des Bürgermeisters der Bundeshauptstadt Wien gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 26. November 2001, Zl. 605.298/6-II/13/01, betreffend Reklamationsverfahren nach § 17 Abs. 2 Z. 2 Meldegesetz (mitbeteiligte Parteien: 1. Bürgermeister der Marktgemeinde Wilhering, 2. Sabine Durstberger, 1140 Wien, Matznergasse 5/2), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

Die am 16. April 1971 in Linz geborene, ledige Zweitmitbeteiligte ist seit 1971 in der Gemeinde des erstmitbeteiligten Bürgermeisters (Marktgemeinde Wilhering, 4073 Wilhering) mit Hauptwohnsitz (siehe § 23 Abs. 1 des im Beschwerdefall anzuwendenden Meldegesetzes 1991, BGBl. Nr. 9/1992, in der Fassung des Hauptwohnsitzgesetzes BGBl. Nr. 505/1994; in der Folge kurz: MeldeG) gemeldet. Seit 11. April 2000 ist sie mit einem weiteren Wohnsitz in Wien gemeldet. Sie studiert dort und tritt den Weg zum Studienplatz grundsätzlich von der Wiener Mietwohnung aus an, die sie mit ihrem Freund bewohnt.

Im Zuge des vom beschwerdeführenden Bürgermeister eingeleiteten Reklamationsverfahrens gab die Zweitmitbeteiligte an, in der Gemeinde des erstmitbeteiligten Bürgermeisters gemeinsam mit ihren Eltern ca. 180 Tage im Jahr zu wohnen. Die übrige Zeit (rd. 185 Tage im Jahr) verbringe sie am Studienort Wien, der auch der Ausgangspunkt ihres Weges zum Studienplatz sei. Wilhering habe sie als Mittelpunkt ihrer Lebensbeziehungen auf Grund der Aufenthaltsdauer und der Beziehungen zu ihren Familienangehörigen gewählt. In ihrer Wohnsitzerklärung vom 28. Juli 2001 gab die Zweitmitbeteiligte auch an, in Wr. Neudorf berufstätig zu sein und den Weg zur Arbeit von ihrer Wiener Wohnung aus anzutreten. In ihrer Wiener Wohnung lebe sie mit ihrem Freund, der ebenfalls die Fachhochschule besuche. Ihr gesamter Freundeskreis sowie ihre Familie lebten jedoch in Oberösterreich; dort verbringe sie jede freie Minute.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag des beschwerdeführenden Bürgermeisters auf Aufhebung des Hauptwohnsitzes der Zweitmitbeteiligten an der gemeldeten Adresse in Wilhering ab.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte Zuspruch des Vorlageaufwandes.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Im Reklamationsverfahren wird die bis dahin für den Hauptwohnsitz des Betroffenen ausschließlich maßgebliche "Erklärung" des Meldepflichtigen dahingehend "hinterfragt, ob der erklärte Hauptwohnsitz den in Art. 6 Abs. 3 B-VG (§ 1 Abs. 7 MeldeG) normierten objektiven Merkmalen entspricht" (siehe das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 26. September 2001, G 139/00-10, u.a.). Die Lösung der im Reklamationsverfahren maßgeblichen Rechtsfrage des Hauptwohnsitzes des Betroffenen hängt an dem materiell-rechtlichen Kriterium "Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen". Bei der Beurteilung dieses Tatbestandsmerkmales kommt es auf eine Gesamtschau an, bei welcher die Bestimmungskriterien des § 1 Abs. 8 MeldeG (in der Fassung der Novelle BGBl. I Nr. 28/2001), maßgeblich sind: Aufenthaltsdauer, Lage des Arbeitsplatzes oder der Ausbildungsstätte, Ausgangspunkt des Weges zum Arbeitsplatz oder zur Ausbildungsstätte, Wohnsitz der übrigen, insbesondere der minderjährigen Familienangehörigen und der Ort, an dem sie ihrer Erwerbstätigkeit nachgehen, ausgebildet werden oder die Schule oder den Kindergarten besuchen, Funktionen in öffentlichen und privaten Körperschaften.

Der Verwaltungsgerichtshof hat im Erkenntnis vom 13. November 2001, Zl. 2001/05/0935, klargestellt, dass das subjektive Kriterium "überwiegendes Naheverhältnis", das nur in der persönlichen Einstellung des Betroffenen zum Ausdruck kommt, nur in den Fällen den Ausschlag gibt, in denen als Ergebnis des Ermittlungsverfahrens zwei oder mehrere "Mittelpunkte der Lebensbeziehungen" des Betroffenen hervorgekommen sind. Das Reklamationsverfahren wird nur dann für den antragstellenden Bürgermeister erfolgreich sein, wenn der Betroffene ein "überwiegendes Naheverhältnis" an einem Ort behauptet, an dem er keinen Mittelpunkt der Lebensbeziehungen (§ 1 Abs. 7 MeldeG) hat, mag er dort auch einen Wohnsitz im Sinne des § 1 Abs. 6 MeldeG haben.

Bei Studenten hat der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom 13. November 2001, Zl. 2001/05/0935, im Wesentlichen darauf abgestellt, ob das 26. Lebensjahr vollendet ist; verzögert sich das Studium dermaßen, dass auch die Altersgrenze für die Familienbeihilfe überschritten wird, ist die Annahme gerechtfertigt, dass sich die Nahebeziehung zum Studienort wesentlich verdichtet hat, sodass der Mittelpunktcharakter des Heimatortes im Allgemeinen nicht mehr bejaht werden kann.

Im Erkenntnis vom 13. November 2001, Zl. 2001/05/0945, wiederum hat der Verwaltungsgerichtshof ausgeführt, dass sog. "Wochenpendler", die eine Unterkunft (Wohnung) am Ort oder in der näheren Umgebung des Arbeitsplatzes als weiteren Wohnsitz nehmen, damit keinen Hauptwohnsitz begründet haben.

Die Zweitmitbeteiligte hat Wien als Wohnsitz aus mehreren Gründen (Studienort und Unterkunftnahme zwecks leichterer Erreichbarkeit ihres Arbeitsplatzes) gewählt. Der beruflichen Lebensbeziehung der Zweitmitbeteiligten ist im Beschwerdefall ein deutliches Übergewicht gegenüber der familiären und gesellschaftlichen Bindung in Oberösterreich zuzuerkennen. Die letztgenannten Bindungen treten nämlich bei einer ledigen Person um so mehr in den Hintergrund, je mehr sich ihr Alter vom Erreichen der Volljährigkeit entfernt hat (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom 27. Februar 2002, Zl. 2001/05/1146). Es ist hier davon auszugehen, dass die Zweitmitbeteiligte Wien nicht nur vorübergehend als Wohnsitz gewählt hat, vielmehr derzeit auch eine umfassende Erwerbstätigkeit ausübt, also eine Beschäftigung, die es ihr ermöglicht, selbst für ihren Unterhalt zu sorgen. Die erforderliche Gesamtbetrachtung verleiht der beruflichen und ausbildungsmäßigen Lebensbeziehung im Zusammenhang mit der angegebenen Aufenthaltsdauer ein deutliches Übergewicht, während bei der im Reklamationsverfahren gebotenen generalisierenden Betrachtungsweise die familiäre Bindung an die Eltern umso mehr in den Hintergrund tritt, je mehr sich ihr Alter vom Erreichen der Volljährigkeit entfernt hat.

Hinzuweisen ist auch darauf, dass das Reklamationsverfahren, wie sich aus § 1 MeldeG unzweifelhaft ergibt, gegenwartsbezogen ("... dort weiterhin den Hauptwohnsitz hat") ist; es kommt also nicht auf beabsichtigte Veränderungen (hier: nicht in Wien bleiben zu wollen), da jederzeit eine neue Meldung erfolgen kann bzw. muss. Die Heimatverbundenheit einer Person ist in den in § 1 Abs. 8 MeldeG genannten Kriterien nicht enthalten.

Ausgehend davon hat im vorliegenden Fall der Zweitmitbeteiligte ohne Rechtsgrundlage eine Wahl nach § 1 Abs. 7 letzter Satz MeldeG getroffen, sodass die Reklamation durch den Beschwerdeführer zu Recht erfolgte.

Da die belangte Behörde die Rechtslage verkannt hat, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit einer Rechtswidrigkeit des Inhaltes. Dieser Bescheid

war daher in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Wien, am 19. März 2002

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2002:2002050027.X00

Im RIS seit

13.06.2002
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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