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20/02 Familienrecht;Norm
AuslBG §14a Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Germ und die Hofräte Dr. Händschke und Dr. Blaschek als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Flendrovsky, über die Beschwerde des N K in W, vertreten durch die Alix Frank Rechtsanwälte KEG in 1010 Wien, Schmerlingplatz 8, gegen den Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien vom 17. September 1998, Zl. 10/13115/902 174, betreffend Nichtausstellung eines Befreiungsscheines nach § 4c Abs. 2 Ausländerbeschäftigungsgesetz, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Arbeitsmarktservice hat der beschwerdeführenden Partei Aufwendungen in der Höhe von 908,-- EUR binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsangehöriger, stellte beim Arbeitsmarktservice Bau-Holz Wien (laut Eingangsstampiglie) am 29. Juli 1998 mit dem amtlich aufgelegten Formular den Antrag auf "Ausstellung eines Befreiungsscheines nach § 4c Abs. 2 des Ausländerbeschäftigungsgesetzes".
Mit Bescheid vom 21. Juli 1998 lehnte das Arbeitsmarkservice Bau-Holz Wien den Antrag des Beschwerdeführers "vom 20. Juli 1998" auf Ausstellung eines Befreiungsscheines gemäß § 4c Abs. 2 des Ausländerbeschäftigungsgesetzes (AuslBG), BGBL. Nr. 776/1996, in der derzeit gültigen Fassung ab.
Mit dem im Instanzenzug ergangenen, vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 17. September 1998 wurde der Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 66 Abs. 4 AVG in Verbindung mit § 4c Abs. 2 AuslBG und Artikel 6 Abs. 1 dritter Untersatz des ARB Nr. 1/1980 keine Folge gegeben und der erstinstanzliche Bescheid vom 21. Juli 1998 bestätigt.
Diese Entscheidung wurde von der belangten Behörde im Wesentlichen damit begründet, der Beschwerdeführer sei - nach den Ergebnissen des erstinstanzlichen Ermittlungsverfahrens - aufgrund eines Befreiungsscheines (gemäß § 15 Abs. 1 Z 2 AuslBG) während dessen Geltungsdauer von 23. Juli 1993 bis 22. Juli 1998 beschäftigt gewesen. Diese Beschäftigungszeiten seien nicht "legal" bzw. nicht anrechenbar, weil die am 24. Mai 1993 geschlossene Ehe des Beschwerdeführers mit der österreichischen Staatsbürgerin K K (geborene B) mit Urteil des Bezirksgerichtes Donaustadt vom 5. September 1994 (1 C x/94s-5) gemäß § 23 Ehegesetz für nichtig erklärt worden sei.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.
Der Beschwerdeführer erachtet sich durch den angefochtenen Bescheid nach seinem gesamten Beschwerdevorbringen in dem Recht auf Ausstellung des beantragten Befreiungsscheines nach § 4c Abs. 2 AuslBG verletzt. Er beantragt, den angefochtenen Bescheid kostenpflichtig aufzuheben.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt wird.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Die Ausstellung des begehrten Befreiungsscheines wurde vom Beschwerdeführer auf die Anspruchsvoraussetzungen nach der Bestimmung des Art. 6 Abs. 1 dritter Unterabsatz des Beschlusses des Assoziationsrates vom 19. September 1980, Nr. 1/80 (ARB Nr. 1/80) gestützt. Prüfungsgegenstand des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens ist daher ausschließlich das Vorliegen dieser - für die Ausstellung eines Befreiungsscheines nach § 4c Abs. 2 AuslBG in Betracht kommenden - Tatbestandsvoraussetzung.
Art. 6 ARB Nr. 1/80 hat folgenden Wortlaut:
"Artikel 6
(1) Vorbehaltlich der Bestimmungen in Artikel 7 über den freien Zugang der Familienangehörigen zur Beschäftigung hat der türkische Arbeitnehmer, der dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaates angehört, in diesem Mitgliedstaat
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nach einem Jahr ordnungsgemäßer Beschäftigung Anspruch auf Erneuerung seiner Arbeitserlaubnis bei dem gleichen Arbeitgeber, wenn er über einen Arbeitsplatz verfügt;
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nach drei Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung - vorbehaltlich des den Arbeitnehmern aus den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft einzuräumenden Vorrangs - das Recht, sich für den gleichen Beruf bei einem Arbeitgeber seiner Wahl auf ein unter normalen Bedingungen unterbreitetes und bei den Arbeitsämtern dieses Mitgliedstaates eingetragenes anderes Stellenangebot zu bewerben;
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nach vier Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung freien Zugang zu jeder von ihm gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis.
(2) Der Jahresurlaub und die Abwesenheit wegen Mutterschaft, Arbeitsunfall oder kurzer Krankheit werden den Zeiten ordnungsgemäßer Beschäftigung gleichgestellt. Die Zeiten unverschuldeter Arbeitslosigkeit, die von den zuständigen Behörden ordnungsgemäß festgestellt worden sind, sowie die Abwesenheit wegen langer Krankheit werden zwar nicht den Zeiten ordnungsgemäßer Beschäftigung gleichgestellt, berühren jedoch nicht die aufgrund der vorherigen Beschäftigungszeit erworbenen Ansprüche.
3) Die Einzelheiten der Durchführung der Absätze 1 und 2 werden durch einzelstaatliche Vorschriften festgelegt."
Diese Bestimmung ist unmittelbar anwendbar und räumt subjektive Rechte ein. Betroffenen, die diese Voraussetzungen nach dem Art. 6 Abs. 1 dritter Unterabsatz ARB Nr. 1/80 erfüllen, ist gemäß § 4c Abs. 2 Ausländerbeschäftigungsgesetz (AuslBG) von Amts wegen ein Befreiungsschein durch das Arbeitsmarktservice auszustellen.
Als Grundlage einer erlaubten Beschäftigung kommt u.a. (auch) ein nach dem AuslBG ausgestellter Befreiungsschein in Betracht, gewährt dieser seinem Inhaber doch mit konstitutiver Wirkung (vgl. §§ 3 Abs. 1 und 28 Abs. 1 AuslBG) das Recht, jede Beschäftigung auszuüben bzw. auch ohne das Erfordernis der Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung den Arbeitsplatz zu wechseln (vgl. hiezu § 6 AuslBG). Dass der Beschwerdeführer - bis zur Erlangung des angefochtenen Bescheides unverändert - Inhaber eines derartigen Befreiungsscheines ist, hat die belangte Behörde festgestellt. Da dieser Befreiungsschein unbestrittenermaßen nicht widerrufen wurde, gehört er (als individuell-konkrete Norm) dem Rechtsbestand an. In der Gegenschrift wird von der belangten Behörde ausdrücklich vorgebracht, dass ein Widerruf des Befreiungsscheines gemäß § 16 Abs. 1 AuslBG nicht erfolgte.
Die belangte Behörde vertritt jedoch die Auffassung, dass der dem Beschwerdeführer ausgestellte Befreiungsschein und die auf seiner Grundlage von ihm zurückgelegten Beschäftigungszeiten nicht zu berücksichtigen seien. Für diese Ansicht vermag die belangte Behörde allerdings keine Rechtsgrundlage anzugeben. Der Hinweis der belangten Behörde auf das Ehenichtigkeitsurteil des Bezirksgerichtes Donaustadt ist verfehlt, weil normativer Abspruch dieses rechtskräftigen Urteils ausschließlich die Nichtigkeit der genannten, vor dem Standesamt Wien-Donaustadt geschlossenen Ehe ist. Den dem Beschwerdeführer ausgestellten Befreiungsschein hat bzw. konnte das Bezirksgericht Donaustadt mit seinem Ehenichtigkeitsurteil nicht widerrufen. Es besteht aber auch keine gesetzliche Regelung, wonach ein Ehenichtigkeitsurteil die unmittelbare Rechtswirkung habe, dass damit ein nach dem AuslBG ausgestellter Befreiungsschein als widerrufen zu gelten habe. Ob der ausgestellte Befreiungsschein (angesichts eines ergangenen Ehenichtigkeitsurteiles) hätte widerrufen werden können, ist nicht zu untersuchen.
Blieb die dem Beschwerdeführer durch den ihm ausgestellten Befreiungsschein mit konstitutiver Wirkung erteilte Erlaubnis, jede Beschäftigung nach dem AuslBG erlaubt auszuüben, bis zur Erlassung des angefochtenen Bescheides aufrecht, dann hat die belangte Behörde, wenn sie zu dem Ergebnis gelangte, die vom Beschwerdeführer auf der Grundlage seines Befreiungsscheines zurückgelegten Beschäftigungszeiten seien nicht zu berücksichtigen, schon in dieser Hinsicht die Rechtslage verkannt (vgl. hiezu die hg. Erkenntnisse vom 18. Oktober 2000, Zl. 98/09/0145, und vom 12. September 2001, Zl. 99/09/0227). Die vom Beschwerdeführer zurückgelegten Beschäftigungszeiten sind daher zu berücksichtigen. Im übrigen hätte die belangte Behörde - wäre der dem Beschwerdeführer ausgestellte Befreiungsschein tatsächlich widerrufen worden - nicht ohne weiteres auch die Voraussetzungen des Art. 6 ARB Nr. 1/1980 verneinen dürfen, sondern sie hätte dann feststellen und prüfen müssen, ob eine Beurteilung der zurückgelegten Beschäftigungszeiten des Beschwerdeführers als nicht ordnungsgemäß mit Art. 14 Abs. 1 ARB Nr. 1/1980 in Einklang steht und demnach eine solche Beschränkung aus einem der genannten Gründe gerechtfertigt wäre (vgl. hiezu sinngemäß die hg. Erkenntnisse jeweils vom 15. März 2000, Zl. 97/09/0260, und Zl. 97/09/0341).
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit § 41 AMSG und der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. II Nr. 501/2001.
Wien, am 20. März 2002
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2002:1999090036.X00Im RIS seit
03.06.2002