Index
10 VerfassungsrechtNorm
B-VG Art83 Abs2Leitsatz
Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter durch einen Bescheid des UVS betreffend Festnahme, Anhaltung, Anlegen von Handfesseln und Hausdurchsuchung; verfassungswidrige Behördenbesetzung aufgrund Entscheidung durch einen karenzierten Beamten der Bundespolizeidirektion; keine Entscheidung durch "unabhängige Behörde" aufgrund des "äußeren Anscheins der Parteilichkeit"Spruch
1. Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid, insoweit seine an den Unabhängigen Verwaltungssenat gerichtete Beschwerde gegen seine Festnahme und die daran anschließenden Vorgänge abgewiesen wurde, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.
In diesem Umfang sowie hinsichtlich der diesbezüglichen Kostenentscheidung wird der Bescheid aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zu Handen seines Rechtsvertreters die mit S 29.500,-- bestimmten Verfahrenskosten binnen 14 Tagen bei sonstigem Zwang zu ersetzen.
2. Im übrigen wird die Behandlung der Beschwerde, soweit sie sich gegen den ersten Teil des bekämpften Bescheides betreffend die Zurückweisung der an den Unabhängigen Verwaltungssenat gerichteten Beschwerde wendet, abgelehnt.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Am 11. Februar 1997 wurden die minderjährigen Töchter des Beschwerdeführers durch Organe des Magistrates der Stadt Wien (MA 11 - Amt für Jugend und Familie als Jugendwohlfahrtsträger) zwangsweise aus der Obsorge des Beschwerdeführers verbracht.
Der Beschwerdeführer selbst wurde im Zuge dieses Vorganges am 11. Februar 1997, um 14.30 Uhr, von Organen der Bundespolizeidirektion Wien festgenommen. Hiebei wurden ihm Handfesseln angelegt, wobei es zu einer Verletzung des Beschwerdeführers kam.
2. Der Beschwerdeführer erhob daraufhin Beschwerde an den Unabhängigen Verwaltungssenat Wien (im folgenden: UVS) gemäß Art129a B-VG. In dieser im eigenen Namen sowie als gesetzlicher Vertreter seiner beiden beschwerdeführenden minderjährigen Töchter erhobenen Beschwerde rügte er, die Verbringung der beiden minderjährigen Töchter sei ohne behördlichen Auftrag oder gerichtliche Verfügung erfolgt. Die vorgenommene Festnahme des Beschwerdeführers sei durch §50 SPG nicht gedeckt.
In der vom UVS eingeholten Gegenschrift der Bundespolizeidirektion Wien behauptete diese, daß sowohl die Festnahme als auch die dabei erfolgte Handfesselung rechtmäßig vorgenommen worden seien. Die vom Beschwerdeführer behauptete Zerrung sei auf eine von ihm begonnene Rauferei mit den Beamten zurückzuführen.
In der vom Magistrat der Stadt Wien als im Administrativverfahren belangter Behörde abgegebenen Gegenschrift wies diese darauf hin, daß sie privatwirtschaftlich und nicht hoheitlich tätig geworden sei. Das Recht, Exekutivorgane als Hilfsorgane heranzuziehen, ergebe sich aus der in §36 JWG normierten Amtshilfe, wonach die Organe des Bundes, der Länder, der Gemeindeverbände, der Gemeinde und die Träger der Sozialversicherung im Rahmen ihres gesetzmäßigen Wirkungsbereiches dem Jugendwohlfahrtsträger bei der Vollziehung seiner Aufgaben zur Hilfe verpflichtet seien.
3. Der UVS hat die Anbringen des Beschwerdeführers mit dem nunmehr vor dem Verfassungsgerichtshof angefochtenen mündlich verkündeten Bescheid vom 30. Jänner 1998 erledigt, indem einerseits die Beschwerde, "soweit sie sich gegen die am 11.2.1997 nach 14.00 Uhr erfolgten zwangsweisen Verbringung der minderjährigen Töchter aus der Obsorge und Erziehung des Vaters durch Organe des Magistrates der Stadt Wien (MA 11 - Amt für Jugend und Familie als Jugendwohlfahrsträger) und durch Organe der BPD Wien, und so weit sich die Beschwerde gegen die Festhaltung der Minderjährigen durch Organe des Magistrates der Stadt Wien außerhalb der elterlichen Wohnung, nach deren Entfernung aus dieser, richtet, sowie der Antrag die weitere Festhaltung der genannten Minderjährigen in der Gewalt des Trägers der Jugendfürsorge Wien aufzuheben, als unzulässig zurückgewiesen" und andererseits die Beschwerde, "soweit sie sich gegen die am 11.2.1997, um 14.30 Uhr, erfolgten Festnahme, der darauf erfolgten Schließung der Arme des Beschwerdeführers und der offensichtlich daraus resultierenden Verletzung des Beschwerdeführers richtet, so wie der nicht dezidiert eingewendete Beschwerdepunkt der rechtswidrigen Amtshilfe (Assistenzleistung für den Magistrat der Stadt Wien) durch Organe der Bundespolizeidirektion Wien als unbegründet abgewiesen" wurde.
4. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, in der die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte beantragt wird.
5. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in welcher sie die Abweisung der Beschwerde begehrt.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
1. Der Beschwerdeführer ist, soweit seine Beschwerde vom UVS abgewiesen wurde, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden:
Der Beschwerdeführer erachtet sich unter Hinweis auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes VfSlg. 14939/1997, auf Grund der Tatsache, daß ein dem Personalstand der Bundespolizeidirektion Wien angehörendes Einzelmitglied der belangten Behörde über eine Beschwerde gegen Amtshandlungen von Organen der Bundespolizeidirektion entschieden hat, in seinen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt.
Der hier zu beurteilende Sachverhalt gleicht diesbezüglich in wesentlichen Belangen jenem, der dem genannten Erkenntnis VfSlg. 14939/1997 sowie der zu B3103/97 protokollierten Beschwerde zugrundegelegen ist. Mit Erkenntnis vom 2. März 1999 - eine Ausfertigung dieses Erkenntnisses ist der vorliegenden Erledigung angeschlossen - erkannte der Verfassungsgerichtshof, daß der damalige Beschwerdeführer durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden sei.
Nichts anderes gilt auch hier: Art129a B-VG setzt voraus, daß der UVS in allen ihm durch einfaches oder Verfassungsgesetz zur Entscheidung zugewiesenen Angelegenheiten als "unabhängiges Gericht" im Sinne des Art6 EMRK zu entscheiden hat. Im vorliegenden Fall hat dasselbe Mitglied des UVS entschieden wie in dem zu B3103/97 mit Erkenntnis vom 2. März 1999 erledigten Fall; die dort angestellten Erwägungen gelten folglich auch hier.
Der bekämpfte Bescheid war daher im dargestellten Umfang als verfassungswidrig aufzuheben.
2. Insoweit sich die Beschwerde gegen die Zurückweisung der Beschwerde durch den UVS richtet, wird ihre Behandlung aus folgenden Gründen abgelehnt:
Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde in einer nicht von der Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes ausgeschlossenen Angelegenheit ablehnen, wenn sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat oder von der Entscheidung die Klärung einer verfassungrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs2 B-VG). Eine solche Klärung ist dann nicht zu erwarten, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.
Vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes, wonach eine Erziehungshilfe, die vom Jugendwohlfahrtsträger gesetzt wurde, nicht als Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt zu qualifizieren ist (vgl. VfSlg. 11492/1987, 11498/1987), läßt ihr Vorbringen die behaupteten Rechtsverletzungen, aber auch die Verletzung eines anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes oder die Verletzung in einem sonstigen Recht wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm als so wenig wahrscheinlich erkennen, daß sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat.
Da die Angelegenheit auch nicht von der Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes ausgeschlossen ist, wird - insoweit der angefochtene Bescheid vom Verfassungsgerichtshof nicht aufzuheben war (s. II.1.) - von einer Behandlung der Beschwerde abgesehen.
III. 1. Die Kostenentscheidung
stützt sich auf §88 VerfGG. Im zugesprochenen Betrag ist eine Eintragungsgebühr gemäß §17a VerfGG von S 2.500,-- sowie Umsatzsteuer in Höhe von S 4.500,-- enthalten.
2. Dies konnte gemäß §19 Abs4, erster Satz, bzw. §19 Abs3 Z1 VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.
Schlagworte
Unabhängiger Verwaltungssenat, Verwaltungsstrafrecht, Festnehmung, BefangenheitEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1999:B550.1998Dokumentnummer
JFT_10009393_98B00550_2_00