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41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
AsylG 1997 §6 Z3;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski und Dr. Grünstäudl als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hohenecker, über die Beschwerde des K S in Wien, geboren am 3. März 1967, vertreten durch Dr. Bernhard Hainz, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Ebendorferstraße 3, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 27. September 2000, Zl. 215.100/0-X/31/00, betreffend §§ 6 und 8 Asylgesetz (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Indien, begründete seinen Asylantrag vor dem Bundesasylamt am 21. Dezember 1999 damit, dass er befürchte, er könnte an Stelle seines um 10 Jahre älteren Bruders verhaftet werden. Dieser sei bei einer terroristischen Organisation der Sikhs tätig, deren Namen der Beschwerdeführer nicht kenne. Er wisse auch nicht, welche Tätigkeit sein Bruder dort ausübe. Da sein Bruder "untergetaucht" sei, sei die Polizei immer wieder (zuletzt im Oktober 1999) in das Haus des Beschwerdeführers gekommen, um nach seinem Bruder zu suchen. Dabei wären die Familienangehörigen des Beschwerdeführers befragt worden und die Polizei hätte gedroht, den Beschwerdeführer an Stelle seines Bruders in Haft zu nehmen, damit sich letzterer melde. Der Beschwerdeführer habe sich jedoch von der Polizei nicht erwischen lassen, sondern sich bei den jeweiligen Hausdurchsuchungen immer aus dem Haus entfernt und sei danach wieder nach Hause zurückgekehrt.
Mit Bescheid vom 18. Jänner 2000 wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 6 Z 1 AsylG als offensichtlich unbegründet ab und stellte die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Indien gemäß § 8 AsylG fest.
In seiner dagegen erhobenen Berufung brachte der Beschwerdeführer vor, sein Bruder gehöre als führendes Mitglied der All India Sikh Student Federation Partei an, die gegen die indische Bundesregierung für einen eigenen Sikh-Staat kämpfe. Sein Bruder habe von der Polizei nicht verhaftet werden wollen und sei deswegen nicht nach Hause gekommen, weshalb ihn die Polizei nicht habe verhaften können. Statt dessen habe sie den Beschwerdeführer verfolgt, der deshalb tagelang von zu Hause habe wegbleiben müssen. Der Beschwerdeführer habe mit einem Freund in Frankreich telefoniert, der ihm erzählt habe, er solle keinesfalls nach Hause zurückkehren, weil er seine Familie dort nicht finden werde. Die Polizei habe seine Familie festgenommen und werde, wenn der Beschwerdeführer in sein Heimatland komme, ihn "für das ganze Leben ins Gefängnis stecken".
Nach Anberaumung einer mündlichen Berufungsverhandlung für den 25. Juli 2000 (mit Ladungsbescheid vom 18. Juli 2000, dem Zustellbevollmächtigten des Beschwerdeführers am 20. Juli 2000 zugestellt), welcher der Beschwerdeführer fernblieb, wies die belangte Behörde die Berufung mit der Maßgabe ab, dass sie den Bescheid auf § 6 Z 3 AsylG stützte. Im Übrigen erklärte sie gemäß § 8 AsylG erneut die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in die Republik Indien für zulässig.
Nach Wiedergabe des Vorbringens des Beschwerdeführers begründete die belangte Behörde die Heranziehung des § 6 Z 3 AsylG als Rechtsgrundlage ihrer Entscheidung damit, dass sich das Vorbringen des Beschwerdeführers "als ein aus der Zielvorstellung gesteigertes und in sich unstimmiges Konstrukt, dem eine mögliche Übereinstimmung mit den Tatsachen nicht attestiert zu werden vermag", erweise, und sein Vorbringen zur Bedrohungssituation daher offensichtlich den Tatsachen nicht entspreche. Indem der Beschwerdeführer in der Berufung nicht nur die Organisation, der sein Bruder angehöre, genannt habe, sondern auch dessen Stellung als "führendes Mitglied dieser Partei" beschrieben habe, habe der Beschwerdeführer sein Vorbringen gegenüber den erstinstanzlichen Angaben gesteigert. "Diese Wissenserweiterung", so die belangte Behörde, sei "angesichts der aus dem Vorbringen des Asylwerbers hervorleuchtenden offenkundigen Verbindungslosigkeit zum Bruder und zur Familie in höchstem Maße unglaubwürdig". Auch die Schilderung des Beschwerdeführers, dieser habe sich bei den Hausdurchsuchungen jeweils entfernt und sei daraufhin wieder nach Hause zurückgekehrt, enthülle "ein kaum übertreffbares Maß an Naivität gegenüber der durchschnittlichen Wirklichkeit der Fahndung von Sicherheitskräften nach einem Gesuchten und ist somit so weit von jeder diesbezüglichen Lebenserfahrung entfernt, dass diese Darlegung einer Bedrohung ganz offensichtlich den Tatsachen nicht entspricht". Schließlich sei mit den Angaben des Beschwerdeführers, er solle als Ersatz für den flüchtigen Bruder in Verwahrung genommen werden, das Berufungsvorbringen, wonach nun die Familie des Beschwerdeführers von der Polizei arrestiert worden sei, um des Beschwerdeführers und dessen Bruders habhaft zu werden, "unvereinbar".
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:
Die Beschwerde wendet sich gegen die Beurteilung der Angaben des Beschwerdeführers als widersprüchlich. Die belangte Behörde versuche, Widersprüche dort zu konstruieren, wo keine vorhanden seien.
Nach § 6 AsylG sind Asylanträge als offensichtlich unbegründet abzuweisen, wenn sie eindeutig jeder Grundlage entbehren. Das ist nach Z 3 dieser Bestimmung dann der Fall, wenn ohne sonstigen Hinweis auf Verfolgungsgefahr im Herkunftsstaat das Vorbringen des Asylwerbers zu einer Bedrohungssituation offensichtlich den Tatsachen nicht entspricht.
Die gemäß § 6 Z 3 AsylG geforderte Offensichtlichkeit ist nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes so zu verstehen, dass nur Fälle "qualifizierter Unglaubwürdigkeit" erfasst werden und eine "schlichte Unglaubwürdigkeit" des Asylwerbers nicht zur Anwendung dieses Tatbestandes führt. Gelangt die Asylbehörde im Rahmen ihrer Beweiswürdigung zu dem Ergebnis, dass das Vorbringen eines Asylwerbers als unglaubwürdig zu werten ist, so ist damit noch nichts darüber ausgesagt, ob ein solches Maß an Unglaubwürdigkeit erreicht ist, dass der Tatbestand des § 6 Z 3 leg. cit. als erfüllt angesehen werden kann. Letzteres kann nur dann angenommen werden, wenn Umstände vorliegen, die besonders deutlich die Unrichtigkeit der erstatteten Angaben vor Augen führen. Es muss unmittelbar einsichtig ("eindeutig", "offensichtlich") sein, dass die abgegebene Schilderung wahrheitswidrig ist. Dieses Urteil muss sich quasi "aufdrängen", die dazu führenden Gesichtspunkte müssen klar auf der Hand liegen (vgl. zum Ganzen zuletzt das hg. Erkenntnis vom 31. Jänner 2002, Zl. 2001/20/0381, unter Hinweis auf das Erkenntnis vom 21. August 2001, Zl. 2000/01/0214).
Wie die Beschwerde zu Recht einwendet, treffen diese Voraussetzungen auf den vorliegenden Fall nicht zu. Wenn die belangte Behörde die "Wissenserweiterung" des Beschwerdeführers hinsichtlich des Namens und der Funktion in der Partei, in der sein Bruder angeblich tätig ist, "in höchstem Maße unglaubwürdig" einstuft, weil der Beschwerdeführer mit seinem Bruder "offenkundig" nicht in Verbindung stehe, so stellt dies nicht nur eine aus der Aktenlage nicht ableitbare Mutmaßung dar, sondern auch eine Außerachtlassung des Berufungsvorbringens, nach dem der Beschwerdeführer über telefonischen Kontakt Informationen über seine Familie bezogen hat. Auch die Angaben des Beschwerdeführers, er habe jeweils vor den Hausdurchsuchungen durch die indische Polizei das Haus verlassen können, stehen nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes (schon in Anbetracht der Möglichkeit, dass der Beschwerdeführer von solchen Hausdurchsuchungen jeweils informiert worden sein könnte) mit der Lebenserfahrung nicht in einem solchen Widerspruch, dass die Angaben des Beschwerdeführers zu seiner Bedrohung "offensichtlich" den Tatsachen widersprächen. Weshalb es die belangte Behörde schließlich für "unvereinbar" hält, dass der Beschwerdeführer einerseits nach seinen Angaben als Ersatz für den flüchtigen Bruder festgenommen werden sollte und nun andererseits (angesichts der Flucht des Beschwerdeführers) dessen Familie zum Zwecke seiner Habhaftwerdung (und jener seines Bruders) inhaftiert worden sei, ist für den Verwaltungsgerichtshof nicht nachvollziehbar. Vielmehr scheint gerade die angegebene nunmehrige Verhaftung der Familie des Beschwerdeführers das Argument des Beschwerdeführers zu untermauern, dass die indische Polizei über die Inhaftierung von Verwandten eine Festnahme des Bruders des Beschwerdeführers zu erreichen versucht.
Gleich jenem dem zitierten hg. Erkenntnis vom 31. Jänner 2002 zugrunde liegenden Fall sind auch gegenständlich schon Argumente für eine "schlichte" Unglaubwürdigkeit des Vorbringens des Beschwerdeführers kaum erkennbar und somit erst recht keine Anhaltspunkte für die nach § 6 Z 3 AsylG geforderte "Offensichtlichkeit" tatsachenwidriger Angaben des Beschwerdeführers zu seiner Bedrohungssituation.
Nach dem Gesagten war der angefochtene Bescheid daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Der Spruch über den Kostenersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001.
Wien, am 21. März 2002
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2002:2000200568.X00Im RIS seit
03.06.2002