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41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
AsylG 1997 §6;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Sulzbacher, Dr. Grünstäudl und Dr. Berger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hohenecker, über die Beschwerde des PM in Wien, geboren am 24. Dezember 1976, vertreten durch Dr. Florian Gibitz, Rechtsanwalt in 1220 Wien, ARES-Tower, Donau-City-Straße 11, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 28. August 2000, Zl. 210.458/0-XII/37/99, betreffend § 7 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, seinen Angaben zufolge ein Staatsangehöriger von Liberia, reiste am 10. Oktober 1996 in das Bundesgebiet ein und beantragte am 15. Oktober 1996 Asyl. Bei der Einvernahme zu seinen Fluchtgründen am selben Tag gab er im Wesentlichen an, Liberia nach der Ermordung seines Bruders durch Rebellen und der Flucht seiner Eltern aus Angst davor, im Bürgerkrieg sein Leben zu verlieren, verlassen zu haben.
Das Bundesasylamt wies den Antrag des Beschwerdeführers mit Bescheid vom 24. Oktober 1996 gemäß § 3 des Asylgesetzes 1991 ab, wobei es - abgesehen von der Annahme, der Beschwerdeführer sei schon in einem anderen Staat vor Verfolgung sicher gewesen - ausführte, der Beschwerdeführer habe keine asylrelevante Verfolgungsgefahr behauptet und seine Angaben seien außerdem nicht glaubwürdig.
In seiner Berufung gegen diese Entscheidung wandte sich der Beschwerdeführer vor allem gegen die Zweifel an seiner Herkunft aus Liberia, wobei er u.a. darauf verwies, dass er auf die ihm diesbezüglich gestellten Fragen zum Teil ohnehin geantwortet habe und im erstinstanzlichen Bescheid im Übrigen nicht begründet worden sei, dass es sich insoweit, als der Beschwerdeführer keine Antworten gewusst habe, um Umstände gehandelt habe, die ein 19- jähriger Liberianer kennen müsse. Es treffe auch nicht zu, dass der Beschwerdeführer in Liberia keinen konkreten Verfolgungshandlungen ausgesetzt gewesen sei. Die Rebellen hätten versucht, ihn wie seinen Bruder dazu zu zwingen, mit ihnen zu kämpfen. Der Bruder des Beschwerdeführers habe sich geweigert und sei von den Rebellen getötet worden, und den Beschwerdeführer hätte dasselbe Schicksal ereilt, wenn ihm nicht die Flucht gelungen wäre.
Die belangte Behörde führte eine mündliche Berufungsverhandlung durch, in der der Beschwerdeführer - vorwiegend über sein Allgemeinwissen in Bezug auf Liberia - ergänzend befragt wurde. Das daran anschließende Ersuchen, der belangten Behörde "kurz" mitzuteilen, weshalb er aus Liberia geflüchtet sei, beantwortete er im Wesentlichen dahingehend, dass er im Geschäft seines Vaters tätig gewesen sei und eines Tages, als seine Eltern nicht zu Hause gewesen seien, Rebellen versucht hätten, ihn zu rekrutieren. Der Beschwerdeführer habe das abgelehnt, denn er habe mit der Politik der Rebellen nichts zu tun haben wollen. Daraufhin hätten die Rebellen das Geschäft und das Wohnhaus angezündet und den Besitz der Familie verbrannt. Schon zuvor seien die Eltern des Beschwerdeführers angegriffen worden, weil man sie beschuldigt habe, die Regierung mit Nahrungsmitteln und Geld zu unterstützen. Der Vater des Beschwerdeführers habe diesem auch erzählt, dass die Gruppierung rund um Charles Taylor ihn bedroht habe, weil man ihm nachsage, er besitze Informationen über Regierungstätigkeit.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung gemäß § 7 AsylG ab. Die belangte Behörde kam zum Ergebnis, die Herkunft des Beschwerdeführers aus Liberia sei nicht feststellbar. Die Angaben des Beschwerdeführers zum Herkunftsstaat seien "offensichtlich falsch und entsprechen die damit verbundenen Fluchtgründe offensichtlich nicht den Tatsachen".
Dies begründete die belangte Behörde wie folgt:
"Im Rahmen der öffentlichen mündlichen Verhandlung teilte der Asylwerber mit, in Monrovia gelebt zu haben. In diesem Zusammenhang wird darauf verwiesen, dass dem Asylwerber eine Reihe von Farbfotos bezüglich wichtiger Gebäude in Monrovia gezeigt wurde und dieser die darauf abgebildeten Gebäude nicht erkannte, welche jedoch jede einmal dort gelebt habende Person erkennen müsste. Angemerkt wird weiters, dass die von ihm genannte Straße, wo er in Monrovia gelebt haben soll, auf dem Stadtplan nicht auffindbar ist. Auch andere vom Berufungswerber genannte Straßen konnten nicht auf dem Stadtplan von Monrovia gefunden werden. Ferner wird angemerkt, dass es dem Asylwerber nicht möglich war, die 5-liberianische Dollar Banknote richtig zu beschreiben, obwohl dieser vorgab, Händler und Verkäufer gewesen zu sein. Weiters war der Asylwerber nicht im Stande, verschiedene Verwaltungsbezirke, Stämme, Berge oder Flüsse von Liberia namhaft zu machen."
In der rechtlichen Würdigung des Sachverhaltes vertrat die belangte Behörde die Ansicht, es liege "offenbar eine Täuschung der Asylbehörde bzw. ein Missbrauch des Asylverfahrens" vor, weil der Beschwerdeführer mitgeteilt habe, aus Liberia zu stammen, und überdies vorgegeben habe, in Monrovia gelebt zu haben, sich jedoch gezeigt habe, dass er über keine Grundkenntnisse bezüglich seiner angegebenen Heimatstadt bzw. seines angegebenen Heimatlandes habe (gemeint: verfüge). Da der Beschwerdeführer offenbar nicht aus Liberia stamme und auch nicht (zu ergänzen: die) Staatsbürgerschaft von Liberia besitze, ergebe sich "darüber hinaus zwangsläufig", dass "eine asylrelevante Bedrohung seinerseits durch diesen Staat nicht in Betracht" komme. Davon abgesehen habe der Beschwerdeführer aber nur Angst vor dem Bürgerkrieg und vor einer Zwangsrekrutierung zum Ausdruck gebracht, und im Übrigen habe sich die Situation in Liberia inzwischen "dahingehend verändert, dass der Bürgerkrieg - sohin die Ursache der Flucht - durch das Friedensabkommen von Abuja beendet wurde und eine weit gehende Normalisierung der Situation eingetreten ist".
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Der angefochtene Bescheid leidet im Wesentlichen an den Begründungsmängeln, die der Beschwerdeführer schon in Bezug auf den erstinstanzlichen Bescheid in der Berufung beanstandet hat. Für den Verwaltungsgerichtshof ist auf Grund der Ausführungen im angefochtenen Bescheid - auch in Verbindung mit dem Verhandlungsprotokoll der belangten Behörde - nämlich nicht im Einzelnen nachvollziehbar, welche der in Bezug auf sein Allgemeinwissen über Liberia an den Beschwerdeführer gerichteten Fragen er falsch beantwortete, was jeweils die richtigen Antworten gewesen wären und aus welchen Gründen die dabei zu Tage getretenen Wissenslücken mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers insbesondere über seine Herkunft nicht vereinbar seien. Dies gilt sowohl für die dem Beschwerdeführer vorgehaltenen Fotos als auch für die Feststellungen aus dem "Stadtplan von Monrovia", bei dem es sich nach den Beilagen zum Verhandlungsprotokoll um einen Orientierungsplan mit insgesamt wenig mehr als 30 Straßennamen für ganz Monrovia handelt (unter denen sich im Übrigen auch einer der vom Beschwerdeführer genannten findet). Was das Aussehen der Banknote anlangt, so rügt die Beschwerde mit Recht, dass sich die belangte Behörde nicht die Frage gestellt hat, welches diesbezügliche Erinnerungsvermögen mehr als drei Jahre nach der Ausreise aus dem Herkunftsstaat noch erwartbar ist. Es trifft auch zu, dass die belangte Behörde keinen Versuch unternommen hat, die Wissenslücken des Beschwerdeführers gegen die von ihm beantworteten Fragen abzuwägen. Die Ausführungen zur Beweiswürdigung sind insgesamt zu kurz und zu abstrakt gehalten, um inhaltlich überprüfbar zu sein. Die Wahl besonders bestimmter - an den Voraussetzungen des § 6 AsylG orientierter - Formulierungen für das angenommene Ausmaß der Unglaubwürdigkeit des Beschwerdeführers bietet dafür keinen Ausgleich.
Zu den Alternativbegründungen der belangten Behörde ist auszuführen, dass der Beschwerdeführer nicht Furcht vor einer Zwangsrekrutierung, sondern die ihm drohende Ermordung wegen seiner Weigerung, sich den Rebellen des mittlerweile zum Staatspräsidenten aufgerückten Charles Taylor anzuschließen, geltend gemacht und dies in der mündlichen Verhandlung mit einem schon gegenüber seinen Eltern erhobenen Vorwurf, die damalige Regierung zu unterstützen, in Verbindung gebracht hat, und der kursorische Hinweis, es sei eine "weit gehende Normalisierung" der Situation eingetreten, schon mit Rücksicht auf die nunmehrige Machtausübung des früheren Rebellenführers nicht genügen kann, um die Abweisung des Asylantrages schlüssig zu begründen. Die belangte Behörde hat es auch verabsäumt, das zuletzt genannte Thema - abgesehen von einer in der Verhandlungsschrift erwähnten, aber nicht näher beschriebenen Erörterung einer langen Liste von Unterlagen, worauf in der Beschwerde unter dem Gesichtspunkt der nur 90-minütigen Gesamtdauer der Verhandlung kritisch Bezug genommen wird - in einer das Recht des Beschwerdeführers auf Einräumung des rechtlichen Gehörs nachvollziehbar wahrenden Weise in der Berufungsverhandlung zur Sprache zu bringen.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001.
Wien, am 21. März 2002
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2002:2000200547.X00Im RIS seit
03.06.2002