TE Vwgh Erkenntnis 2002/3/21 98/20/0568

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Veröffentlicht am 21.03.2002
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1997 §23;
AsylG 1997 §27 Abs1;
AsylG 1997 §38;
AVG §67d;
EGVG 1991 Anlage Art2 Abs2 Z43a;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski und Dr. Berger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hohenecker, über die Beschwerde des PEI in Wien, geboren am 26. Juli 1972, vertreten durch Dr. Werner Weiss, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Museumstraße 3, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 18. September 1998, Zl. 204.981/0-XI/35/98, betreffend § 7 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein am 27. April 1998 in das Bundesgebiet eingereister Staatsangehöriger von Nigeria, stellte am 29. April 1998 einen Asylantrag und gab bei seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt im Wesentlichen an, er sei Armeeangehöriger und als solcher für Generalmajor Abdulkarim Adisa als "persönlicher Botenjunge" tätig gewesen. Dieser General, der eine Zeit lang auch Arbeits- und Wohnbauminister gewesen sei, habe eine Wohnung für den Beschwerdeführer angemietet, in der sich auch ein Raum befunden habe, in dem von Adisa Geheimdokumente aufbewahrt worden seien. General Adisa habe im Dezember 1997 an einem gescheiterten Putschversuch gegen den damaligen Machthaber Nigerias Abacha teilgenommen und sei in der Folge verhaftet und zum Tode verurteilt worden. Aus Angst, als enger Mitarbeiter Adisas selbst verhaftet zu werden, habe sich der Beschwerdeführer in der Folge durch mehrere Monate bei einem Freund versteckt. Über dessen Anraten sei er schließlich aus Nigeria geflüchtet. Im Falle seiner Rückkehr befürchte er, vor das Militärgericht gestellt und zum Tode verurteilt zu werden.

Das Bundesasylamt wies mit Bescheid vom 11. August 1998 den Asylantrag gemäß § 7 AsylG ab, erklärte in Spruchpunkt II des erstinstanzlichen Bescheides die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Nigeria aber für nicht zulässig. Es stellte fest, dass General Adisa wegen des Putschversuches vom Dezember 1997 zum Tode verurteilt worden sei. Diese Todesstrafe sei mittlerweile durch den neuen Präsidenten Nigerias in eine lebenslange Haftstrafe umgewandelt worden. Weiters stellte das Bundesasylamt fest, dass der Beschwerdeführer General Adisa sehr nahe gestanden sei und nun befürchte, auf Grund dieses Naheverhältnisses ebenfalls als Teilnehmer am Putschversuch bezeichnet und als solcher bestraft zu werden. Allerdings sei nicht glaubhaft, dass der Beschwerdeführer Verfolgung im Konventionssinn zu befürchten hätte, weil er nicht habe glaubhaft machen können, tatsächlich etwas mit dem Putsch zu tun gehabt zu haben. Da jedoch nicht auszuschließen sei, dass der Beschwerdeführer im Fall der Rückkehr nach Nigeria in ein Ermittlungsverfahren miteinbezogen werden könnte, würde er bei einer Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung Gefahr laufen, im Zuge behördlicher Befragungen zum Putschversuch einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe oder der Todesstrafe unterworfen zu werden.

In der gegen die Abweisung des Asylantrages in Spruchpunkt I des erstinstanzlichen Bescheides gerichteten Berufung bekämpfte der Beschwerdeführer die Feststellung des Bundesasylamtes, dass er nichts mit dem Putsch zu tun gehabt und auch nicht gewusst hätte, dass General Adisa einen Putschversuch plane. Er habe seinen Angaben vor dem Bundesasylamt zufolge von dem bevorstehenden Putschversuch gewusst, nur den genauen Zeitpunkt, wann dieser hätte stattfinden sollen, habe er nicht gekannt. In seinem Haus seien zahlreiche Geheimdokumente, die nun im Besitz des Militärs seien, versteckt gewesen. Die erstinstanzliche Behörde habe bei ihrer Beweiswürdigung in Bezug auf ihre Annahme, der Beschwerdeführer habe mit dem Putschversuch nichts zu tun gehabt, wichtige Angaben in seiner Vernehmung ignoriert.

Mit dem angefochtenen, ohne Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung erlassenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 7 AsylG ab. Begründend wurde ausgeführt, dass gegen die Glaubwürdigkeit der Angaben des Beschwerdeführers erhebliche Bedenken bestünden, die sich in zahlreichen Widersprüchen innerhalb seiner Angaben einerseits und zur allgemeinen Lebenserfahrung andererseits manifestierten. Die belangte Behörde führte die von ihr erblickten Widersprüche im Einzelnen an und ging davon aus, dass der gesamte vom Berufungswerber vorgebrachte Sachverhalt "nicht objektivierbar" sei, wobei von der belangten Behörde offensichtlich auch die vom Bundesasylamt getroffene Feststellung, wonach der Beschwerdeführer in einem Naheverhältnis zu dem am Putschversuch führend beteiligten General Adisa gestanden sei und nun befürchte, als Teilnehmer an dem Putschversuch bezeichnet und bestraft zu werden, nicht übernommen wurde. Dies geht auch daraus hervor, dass die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid schließlich ausführt, "richtigerweise (wäre) auch die Rückführung des Berufungswerbers nach Nigeria mangels festgestellter Identität einerseits und Unglaubwürdigkeit seiner Angaben andererseits als zulässig zu betrachten gewesen", was jedoch im Hinblick auf die eingetretene Teilrechtskraft von der Berufungsbehörde nicht mehr habe aufgegriffen werden können.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

Der Beschwerdeführer wendet sich in erster Linie gegen die Beweiswürdigung der belangten Behörde und bringt u.a. vor, dass die belangte Behörde "konkrete Tatsachen hinsichtlich der Verfolgung von Erfüllungsgehilfen Adisas" hätte ermitteln müssen.

Damit ist die Beschwerde im Ergebnis im Recht. Die belangte Behörde weicht nämlich von den Feststellungen des Bundesasylamtes insofern ab, als sie - ohne Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung - davon ausgeht, dass das gesamte Vorbringen des Beschwerdeführers nicht glaubhaft sei. Das Bundesasylamt stellte hingegen fest, dass der Beschwerdeführer "grundsätzlich die Wahrheit" gesagt habe; als unglaubwürdig erachtete es nur, dass der Beschwerdeführer "tatsächlich etwas mit dem Putsch zu tun gehabt" habe.

Wie der Verwaltungsgerichtshof mit seinem Erkenntnis vom 18. Februar 1999, Zl. 98/20/0423, ausgesprochen hat, ist u.a. auch dann eine mündliche Berufungsverhandlung durchzuführen, wenn der unabhängige Bundesasylsenat nicht einem erst im Berufungsverfahren erstatteten, sondern schon dem ursprünglichen, nach wie vor aufrechten Vorbringen des Asylwerbers zu entscheidungswesentlichen Elementen des Sachverhalts in ausdrücklichem Gegensatz zur Beweiswürdigung der Behörde erster Instanz keinen Glauben schenken will.

Hätte die belangte Behörde den Beschwerdeführer in einer mündlichen Berufungsverhandlung selbst einvernommen, so wäre aber nicht ausgeschlossen, dass die belangte Behörde das Vorbringen des Beschwerdeführers für glaubwürdig erachtet hätte.

Bei Annahme der Glaubwürdigkeit des Vorbringens des Beschwerdeführers und nach (in diesem Falle allenfalls noch erforderlichen weiteren) Ermittlungen darüber, welche Behandlung vermeintliche oder tatsächliche Erfüllungsgehilfen der Putschisten auf Grund deren (wenn auch nur unterstellter) politischer Gesinnung erfahren haben und ob eine Verfolgung des Beschwerdeführers im Entscheidungszeitpunkt noch mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten sei, hätte die belangte Behörde zu einem anderen Bescheid kommen können. Die Feststellung des Bundesasylamtes, wonach von den auf Grund des Putschversuches festgenommenen 31 Personen 15 inzwischen wieder freigelassen worden seien, beweist im Übrigen nicht schlüssig, dass auch andere im Zusammenhang mit dem Putschversuch gesuchte Personen nicht mehr verfolgt würden.

Da die belangte Behörde somit Verfahrensvorschriften außer Acht gelassen hat, bei deren Einhaltung sie zu einem anderen Ergebnis hätte kommen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001.

Wien, am 21. März 2002

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2002:1998200568.X00

Im RIS seit

26.06.2002
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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