TE Vwgh Erkenntnis 2002/3/21 2000/20/0139

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Veröffentlicht am 21.03.2002
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1997 §23;
AsylG 1997 §38;
AsylG 1997 §8;
AVG §67d;
EGVG 1991 Anlage Art2 Abs2 Z43a;
FrG 1997 §57;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Sulzbacher, Dr. Grünstäudl und Dr. Moritz als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hohenecker, über die Beschwerde des M E in U, geboren am 19. Oktober 1975, vertreten durch Mag. Manfred Winkler, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Fadingerstraße 9/2, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 25. November 1999, Zl. 212.920/0-III/12/99, betreffend § 6 Z 2 und § 8 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird in seinem Spruchteil II betreffend die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Sierra Leone wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben. Im Übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Sierra Leone, reiste am 16. Juni 1999 in das Bundesgebiet ein und stellte am 18. Juni 1999 einen Asylantrag. Bei seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 10. August 1999 führte der Beschwerdeführer aus, er sei von 1996 bis zu seiner Ausreise aus Sierra Leone im März oder April 1999 in Freetown als Händler und Verkäufer tätig gewesen. In seinem Heimatland komme es zwischen der Regierung und den Rebellen fortlaufend zu Kampfhandlungen. Wenn er im Falle seiner Rückkehr von den Rebellen erwischt würde und sich weigerte, sich diesen anzuschließen, würde man ihn töten. Direkten Kontakt zu den Rebellen habe er nie gehabt. Immer wenn sie gekommen seien, sei er davongelaufen und habe sich versteckt. Von den Zwangsrekrutierungen wisse er aus Erzählungen.

Darüber hinaus habe er ein weiteres Problem, welches darin bestünde, dass seine Waren - er habe mit gebrauchten und neuen Telefonen und Zubehör gehandelt - teilweise verbrannt seien. Das Feuer sei durch ihn selbst verursacht worden, da er eine Kerze habe brennen lassen, als er sich im Geschäft schlafen gelegt habe.

Vom Bundesasylamt wurde ihm das Friedensabkommen von Lome vom 7. Juli 1999 zwischen der Regierung Sierra Leones und den Rebellen vorgehalten. Dazu erklärte der Beschwerdeführer, nichts davon zu wissen. In Afrika hätten derartige Verträge aber keine Bedeutung. Es wäre etwas anderes, einen solchen Vertrag zu unterzeichnen, und diesen Vertrag zu realisieren.

Mit Bescheid vom 14. September 1999 wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 6 Z 2 Asylgesetz 1997 als offensichtlich unbegründet ab (Spruchteil I) und erklärte seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Sierra Leone gemäß § 8 Asylgesetz 1997 für zulässig (Spruchteil II).

In seiner Berufung gegen diesen Bescheid brachte der Beschwerdeführer vor, er habe seinen Asylantrag mit der Gefahr, die ihm auf Grund des Bürgerkrieges in seinem Heimatland sowie der Zwangsrekrutierung drohe, begründet. Aus seiner Aussage, dass er persönlich keine direkten Kontakte zu Rebellen gehabt hätte, habe die Behörde geschlossen, ihm drohe keine Verfolgung. Er habe aber bei seiner Einvernahme ausdrücklich gesagt, "immer, wenn die Rebellen kamen, liefen wir davon und versteckten uns. Von den Zwangsrekrutierungen weiß ich aus Erzählungen."

Darüber hinaus bemängelte der Beschwerdeführer in der Berufung, dass nicht weiter untersucht worden sei, ob das Abkommen vom 7. Juli 1999 tatsächlich in Kraft getreten sei und irgendwelche Auswirkungen auf die menschenrechtliche Situation in seinem Heimatland gehabt habe. Ohne sich über die Situation in seinem Heimatland konkret zu informieren, hätte die Behörde erster Instanz zu keiner Entscheidung über seinen Asylantrag kommen können. In diesem Zusammenhang zitierte der Beschwerdeführer auch Berichte aus Tageszeitungen vom 7. Jänner 1999 und vom 27. April 1999, in denen vor exzessiven Grausamkeiten der Rebellen und einer Situation des Terrors und der Unsicherheit in Sierra Leone die Rede war.

Mit dem in Beschwerde gezogenen Bescheid hat die belangte Behörde die Berufung zu Spruchteil I gemäß § 6 Z 2 Asylgesetz und zu Spruchteil II gemäß § 8 Asylgesetz abgewiesen.

Begründend führte die belangte Behörde aus, dass weder auf Grund des Umstandes, dass im Heimatland des Asylwerbers Bürgerkrieg herrsche, für sich allein Verfolgungsgefahr im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention vorliege, noch einer allfälligen Zwangsrekrutierung des Berufungswerbers ohne Hinzutreten weiterer konkreter Umstände im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention Asylrelevanz zukomme. In diesem Zusammenhang enthalte die Schilderung des Beschwerdeführers lediglich die Behauptung einer ganz allgemein stets bestehenden Gefahr für junge Männer, in Sierra Leone von Rebellen zum Kämpfen aufgefordert bzw. zwangsrekrutiert zu werden. Ein Anhaltspunkt dafür, dass in Bezug auf seine Person ein konkreter Rekrutierungsversuch durch eine der Bürgerkriegsparteien stattgefunden hätte oder unmittelbar bevorgestanden wäre oder er - etwa nach einem misslungenen Rekrutierungsversuch wegen seiner tatsächlichen politischen oder einer ihm unterstellten politischen Gesinnung - gar von einer Gruppierung verfolgt würde, sei im Verfahren nicht hervorgekommen. In den wirtschaftlichen Gründen, nämlich dem Untergehen seines Geschäftes nach einem von ihm zu verantwortenden Brand und seinen Schwierigkeiten beim Wiederaufbau seiner Existenz mangels entsprechender Starthilfe, seien schon deshalb keine Umstände zu erblicken, die zur Asylgewährung führen könnten, da die schlechte wirtschaftliche Lage des Berufungswerbers hier nicht mit einer Verfolgung aus Gründen der Genfer Flüchtlingskonvention im Zusammenhang stehe. Nach dem Gesamtvorbringen des Beschwerdeführers sei eine Bedrohung (gemeint: aus einem der in der Flüchtlingskonvention genannten Gründe) "mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auszuschließen". Hinsichtlich der Frage der Zulässigkeit einer Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers führte die belangte Behörde im Wesentlichen nur aus, dass es keine stichhaltigen Gründe für die Annahme gebe, dass der Beschwerdeführer Gefahr liefe, in Sierra Leone einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe oder der Todesstrafe unterworfen zu werden. Konkrete Hinweise darauf seien "weder vor dem Hintergrund des eigenen Vorbringens des Berufungswerbers noch sonst während des Verwaltungsverfahrens hervorgekommen".

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid eingebrachte Beschwerde erwogen:

Gemäß § 6 Asylgesetz 1997 sind Asylanträge als offensichtlich unbegründet abzuweisen, wenn sie eindeutig jeder Grundlage entbehren. Dies ist gemäß § 6 Z 2 Asylgesetz 1997 der Fall, wenn ohne sonstigen Hinweis auf Verfolgungsgefahr im Herkunftsstaat die behauptete Verfolgungsgefahr im Herkunftsstaat nach dem Vorbringen des Asylwerbers offensichtlich nicht auf die in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe zurückzuführen ist.

Der belangten Behörde kann nicht mit Erfolg entgegengetreten werden, wenn sie weder der schlechten wirtschaftlichen Lage des Beschwerdeführers noch dem Umstand, dass im Heimatland des Beschwerdeführers Bürgerkrieg herrscht (vgl. dazu z.B. das hg. Erkenntnis vom 21. September 2000, Zl. 99/20/0373), noch auch der vom Beschwerdeführer in allgemein gehaltener Form behaupteten Gefahr von Zwangsrekrutierungen ohne Hinzutreten weiterer konkreter Umstände im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention Asylrelevanz zuerkannt und eine Bedrohung des Beschwerdeführers aus einem der in der Flüchtlingskonvention genannten Gründe "mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit" (gemeint: als im Sinne des Gesetzes "offensichtlich" nicht gegeben) verneint hat. Das Vorbringen enthielt - entgegen der Beschwerde - auch keinen Hinweis darauf, dass der Beschwerdeführer auf einer "Personenliste" der Rebellen gestanden sei. Soweit sich die Beschwerde gegen Spruchteil I des angefochtenen Bescheides richtet, kommt ihr daher keine Berechtigung zu.

Ist ein Asylantrag abzuweisen, so hat die Behörde gemäß § 8 Asylgesetz von Amts wegen bescheidmäßig festzustellen, ob die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in den Herkunftsstaat zulässig ist (§ 57 Fremdengesetz); diese Entscheidung ist mit der Abweisung des Asylantrages zu verbinden.

Auf Grund des Art. II Abs. 2 Z 43a EGVG in Verbindung mit § 67d AVG in der Fassung vor der Novelle BGBl. I Nr. 137/2001 darf eine mündliche Verhandlung (wegen "geklärten" Sachverhaltes) vor dem unabhängigen Bundesasylsenat nur dann unterbleiben, wenn der Sachverhalt nach Durchführung eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens und schlüssiger Beweiswürdigung der Behörde erster Instanz festgestellt wurde und in der Berufung kein dem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens der Behörde erster Instanz entgegenstehender oder darüber hinausgehender Sachverhalt neu und in konkreter Weise behauptet wird (vgl. das hg. Erkenntnis vom 11. November 1998, Zl. 98/01/0308, und die daran anschließende Judikatur).

Weder die Behörde erster Instanz noch die Berufungsbehörde hat im vorliegenden Fall Ermittlungen zu der vom Beschwerdeführer in Frage gestellten faktischen Umsetzung des Abkommens von Lome und der tatsächlichen Entschärfung der zu Beginn des Jahres 1999 insbesondere auch in Freetown gegebenen, vom Beschwerdeführer geltend gemachten Gefahrenlage durchgeführt. (Die Sachlage ist daher anders als jene, die dem hg. Erkenntnis vom 4. Mai 2000, Zl. 99/20/0599 zu Grunde gelegen ist; in diesem Erkenntnis wurde für den damals zu beurteilenden Entscheidungszeitpunkt nur die Notwendigkeit amtswegiger Ermittlungen verneint.) Zwar können die vom Beschwerdeführer in seiner Berufung zitierten Auszüge aus Tageszeitungen schon insofern nicht ausschlaggebend sein, als sie aus der Zeit vor dem Friedensabkommen vom 7. Juli 1999 stammen. Dies entbindet die belangte Behörde aber nicht von ihrer Verpflichtung, eine mündliche Verhandlung durchzuführen und den für ihre Entscheidung hinsichtlich der Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Sierra Leone maßgebenden Sachverhalt in Auseinandersetzung mit den dazu erstatteten Berufungsvorbringen zu ermitteln. Hinzu kommt noch, dass die belangte Behörde es - im Gegensatz zum Bundesasylamt - gar nicht mehr als erforderlich erachtete, das erwähnte Abkommen festzustellen und dem Vorbringen des Beschwerdeführers anders als mit der leeren Gegenbehauptung, es gebe keine "konkreten Hinweise" auf die Gefahr einer unmenschlichen Behandlung in Sierra Leone, entgegenzutreten.

Da somit insofern Verfahrensvorschriften außer Acht gelassen wurden, bei deren Einhaltung die belangte Behörde zu einem anderen Ergebnis hätte kommen können, war Spruchteil II des angefochtenen Bescheides gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben. Im Übrigen war die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH - Aufwandersatzverordnung 2001.

Wien, am 21. März 2002

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2002:2000200139.X00

Im RIS seit

03.06.2002
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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