TE Vwgh Erkenntnis 2002/3/22 98/21/0004

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Veröffentlicht am 22.03.2002
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

FrG 1993 §37 Abs1;
FrG 1993 §37 Abs2;
FrG 1993 §54 Abs1;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sauberer und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Grünstäudl als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Bauernfeind, über die Beschwerde der T, geboren am 2. Dezember 1978, vertreten durch Mag. Michael-Thomas Reichenvater, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Herrengasse 13/II, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark vom 14. November 1997, Zl. FR 253/1997, betreffend Feststellung gemäß § 54 Abs. 1 Fremdengesetz, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid stellte die belangte Behörde gemäß § 54 Abs. 1 Fremdengesetz - FrG, BGBl. Nr. 838/1992, fest, es bestünden keine stichhaltigen Gründe für die Annahme, dass die Beschwerdeführerin in ihrer angeblichen Heimat Liberia gemäß § 37 Abs. 1 oder Abs. 2 FrG bedroht sei. In der Begründung dieses Bescheides führte sie aus, die Beschwerdeführerin habe bei ihrer Vernehmung durch die Asylbehörde angegeben, dass ihre Eltern im Jahr 1993 verstorben wären und ihr Vater als Angehöriger der Gruppe von Charles Taylor von Angehörigen dieser Gruppe getötet worden sei, weil es vermutlich Rivalitäten gegeben hätte. Die Beschwerdeführerin habe deshalb den - für die belangte Behörde nicht nachvollziehbaren - Verdacht, sie würde selbst getötet werden, wenn sie von Angehörigen des Charles Taylor gefunden würde.

Auch zur Begründung ihres Antrages nach § 54 FrG habe sie lediglich ihre Befürchtung geäußert, sie würde im Falle ihrer Rückkehr "von den kriegsführenden Gruppen getötet werden", was sich "mangels näherer Begründung" von der belangten Behörde "absolut nicht nachvollziehen" lasse.

Im Übrigen sei auf Grund der vagen Angaben der Beschwerdeführerin über den Tod ihres Vaters und mangels diesbezüglicher Bescheinigungsmittel nicht glaubhaft, dass dieser von Leuten des Charles Taylor getötet worden sei. Auch die Identität der Beschwerdeführerin stehe nicht fest, habe sich doch ihr bei der Asylantragstellung vorgewiesener Personalausweis als Fälschung herausgestellt. Da aber eine positive Feststellung nach § 54 FrG das Feststehen der Identität erfordere, habe die Beschwerdeführerin eine konkrete, ihre Person betreffende aktuelle Gefährdungs- bzw. Bedrohungssituation in Liberia nicht aufzeigen können. Wenn die Beschwerdeführerin in ihrer Berufung "ein Minimum an Feststellungen in Bezug auf die tatsächliche Situation" in Liberia gefordert habe, so sei der belangten Behörde "bekannt", dass "die politische Lage in Liberia sehr instabil" sei und dass im Heimatland der Beschwerdeführerin "immer wieder Unruhen" herrschten. Die damit verbundenen Beeinträchtigungen gingen jedoch "nicht über das hinaus", was die Bewohner Liberias "auf Grund der dort herrschenden amtsbekannten Verhältnisse allgemein hinzunehmen" hätten und stellten daher keinesfalls eine individuell gegen die Beschwerdeführerin gerichtete Verfolgung im Sinn des § 54 FrG dar.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Im Verfahren gemäß § 54 Abs. 1 FrG ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes vom Antragsteller mit konkreten, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerten Angaben das Bestehen einer aktuellen, also im Fall seiner Abschiebung in den im Antrag genannten Staat dort gegebenen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten oder infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abwendbaren Bedrohung im Sinn des § 37 Abs. 1 oder 2 FrG glaubhaft zu machen und von der Behörde das Vorliegen konkreter Gefahren für jeden einzelnen Fremden für sich zu prüfen. Ebenso wie im Asylverfahren ist auch bei der Beurteilung des Vorliegens einer Gefahr gemäß § 37 Abs. 1 und 2 FrG im Verfahren gemäß § 54 leg. cit. die konkrete Einzelsituation in ihrer Gesamtheit, gegebenenfalls vor dem Hintergrund der allgemeinen Verhältnisse, in Form einer Prognose für den gedachten Fall der Abschiebung des Antragstellers in diesen Staat zu beurteilen. Für diese Beurteilung ist nicht unmaßgeblich, ob etwa allenfalls gehäufte Verstöße der im § 37 Abs. 1 FrG umschriebenen Art durch den genannten Staat bekannt geworden sind (vgl. zum Ganzen etwa das hg. Erkenntnis vom 23. Jänner 2001, Zl. 96/21/1111).

Die Beschwerde macht als Verfahrensmangel geltend, die belangte Behörde habe entgegen ihrer Verpflichtung keinerlei Ermittlungen über die allgemeine Situation im Heimatland der Beschwerdeführerin vorgenommen, obwohl die Beschwerdeführerin ihre Gefährdung in Liberia auch auf die Situation in ihrem Heimatland zurückgeführt habe.

Tatsächlich hat die Beschwerdeführerin in ihrer Berufung darauf hingewiesen, dass sie in ihrer Heimat bereits wegen der allgemein dort herrschenden Gefahrenlage um ihr Leben fürchte, indem sie unter Quellenzitaten vorbrachte, es komme zwischen den Krieg führenden Parteien Liberias zu "zahlreichen Ausschreitungen, Folter und unbeschreiblichen Übergriffen sogar auf Spitäler". Eine der Bürgerkriegsparteien sei nach UN-Untersuchungen für schuldig befunden worden, 1993 Massaker an 500 obdachlosen Personen, in der großen Mehrzahl Frauen und Kinder, begangen zu haben. Die andere Bürgerkriegspartei (NPFL) stehe nach einem Länderbericht unter Verdacht, "über 200 Zivilpersonen massakriert" zu haben. Das US-Departement habe auch von zahlreichen Folteraktionen der ECOMOG-Soldaten berichtet. Die jeweiligen Bürgerkriegsparteien hätten (nach den Länderberichten) Zivilisten geschlagen und gefoltert, wobei ein Gutachten des UNHCR zum Schluss komme, dass Zivilpersonen im liberianischen Bürgerkrieg am meisten leiden und in großer Zahl von verschiedenen Kombattanten getötet würden.

Mit diesem Berufungsvorbringen hat die Beschwerdeführerin somit - ungeachtet ihrer (unschlüssigen) Behauptungen über die Gefährdung ihrer Person wegen der politischen Aktivitäten ihres Vaters - eine Bedrohung im Sinn des § 37 Abs. 1 FrG aus der allgemeinen Gefahrenlage in ihrer Heimat abgeleitet. Die belangte Behörde setzte sich damit aber inhaltlich nicht weiter auseinander, sondern bezeichnete die politische Lage in Liberia nur als bekanntermaßen "sehr instabil", ohne konkrete Feststellungen über die politische Lage in Liberia und ihre Auswirkungen auf potenziell dorthin abgeschobene Personen zu treffen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat jedoch bereits mehrfach (hinsichtlich der Bürgerkriegssituation in Liberia auch wiederholt unter Bezugnahme auf das zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides bereits ergangene Erkenntnis vom 26. Juni 1997, Zl. 95/21/0294) ausgesprochen, dass die Verfolgung einer Bevölkerungsgruppe durch eine andere bei Fehlen einer stabilen räumlichen Abgrenzung der Bürgerkriegsparteien eine hier maßgebliche Gefährdung des Einzelnen zur Folge haben kann. Führt demgemäß eine in einem Land gegebene Bürgerkriegssituation dazu, dass keine ausreichend funktionierende Ordnungsmacht mehr vorhanden und damit zu rechnen ist, dass ein dorthin abgeschobener Fremder - auch ohne Zugehörigkeit zu einer bestimmten Bürgerkriegspartei oder verfolgten Bevölkerungsgruppe - mit erheblicher Wahrscheinlichkeit der im § 37 Abs. 1 FrG umschriebenen Gefahr (im gesamten Staatsgebiet) unmittelbar ausgesetzt sein würde, so wäre dies im Rahmen einer Feststellung gemäß § 54 FrG beachtlich. Dies wäre insbesondere dann der Fall, wenn auf Grund der bewaffneten Auseinandersetzungen eine derart extreme Gefahrenlage besteht, dass praktisch jedem, der in diesen Staat abgeschoben würde, Gefahren für Leib und Leben in einem Maße drohten, dass die Abschiebung im Licht des Art. 3 EMRK unzulässig erschiene (vgl. aus mehreren etwa das hg. Erkenntnis vom 27. Jänner 2000, Zl. 96/21/0032).

Vor dem Hintergrund des genannten Berufungsvorbringens, mit dem die Beschwerdeführerin eine solche extreme Gefahrenlage für praktisch jeden nach Liberia Abgeschobenen eingewendet hat, hätte die belangte Behörde daher zumindest nähere Feststellungen zu diesem Punkt treffen müssen. Auch durfte sie von solchen Ermittlungen nicht schon deswegen Abstand nehmen, weil sie den Angaben der Beschwerdeführerin über ihre Identität keinen Glauben geschenkt hat (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 21. Juni 2001, Zl. 99/20/0460).

Nach dem Gesagten war der angefochtene Bescheid daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben. Die Durchführung einer Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 VwGG unterbleiben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 501/2001. Das Mehrbegehren für die Pauschalgebühr nach § 24 Abs. 3 VwGG war abzuweisen, weil der Beschwerdeführerin Verfahrenshilfe gewährt wurde.

Wien, am 22. März 2002

Schlagworte

Verfahrensgrundsätze im Anwendungsbereich des AVG Offizialmaxime Mitwirkungspflicht Manuduktionspflicht VwRallg10/1/1

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2002:1998210004.X00

Im RIS seit

03.06.2002
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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