TE Vwgh Erkenntnis 2002/3/22 99/02/0334

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 22.03.2002
beobachten
merken

Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
62 Arbeitsmarktverwaltung;
66/02 Andere Sozialversicherungsgesetze;

Norm

AlVG 1977 §16 Abs1 litd idF 1995/297;
AlVG 1977 §19 Abs1;
AlVG 1977 §33 Abs4;
AlVG 1977 §7 Abs1 Z1 idF 1996/201;
AlVG 1977 §7 Abs2 idF 1996/201;
AlVG 1977 §8 Abs1;
AlVG 1977 §8 Abs2;
AlVG 1977 §8 Abs3;
AVG §37;
AVG §38;
AVG §39 Abs2;
AVG §56;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stoll und die Hofräte Dr. Riedinger, Dr. Holeschofsky, Dr. Beck und Dr. Bachler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Schlegel, über die Beschwerde des RK in K, vertreten durch Mag. Johannes Schmidt, Rechtsanwalt in Wien I, Singerstraße 4/4, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Tirol vom 15. Februar 1999, Zl. LGSTi/V/1212/2958 17 01 70-705/1999, betreffend Arbeitslosengeld, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der beschwerdeführenden Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.089,68 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit Bescheid der Regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Kufstein vom 14. Jänner 1999 wurde dem Antrag des Beschwerdeführers auf Arbeitslosengeld gemäß § 8 Abs. 1 i.V.m.

§ 7 Abs. 1 Z. 1, Abs. 2 und Abs. 5 (gemeint wohl: Abs. 4) des Arbeitslosenversicherungsgesetzes 1977 (kurz: AlVG), BGBl. Nr. 609, "keine Folge gegeben."

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Berufung, welcher mit dem angefochtenen Bescheid vom 15. Februar 1999 von der belangten Behörde keine Folge gegeben wurde.

In der Begründung des angefochtenen Bescheides wird u.a. ausgeführt, der Beschwerdeführer habe am 13. Jänner 1999 neuerlich einen Antrag auf Arbeitslosengeld gestellt. Hiebei habe er die auf Seite 2 gestellte Frage nach seiner Arbeitsfähigkeit mit "JA" beantwortet. Mit Schreiben vom 4. Dezember 1998 habe der Beschwerdeführer u.a. angegeben, dass er querschnittgelähmt sei und im Rollstuhl sitze; dennoch sei er arbeitsfähig. So sei er zumindest seit 1990 durchgehend beschäftigt gewesen und verweise auf zwei Firmen. Er habe die entsprechenden Arbeitslosenversicherungsbeiträge geleistet. Ferner habe der Beschwerdeführer eingeräumt, Pflegegeld zu beziehen, doch sei seine Arbeitsfähigkeit nicht unter die §§ 255 ff ASVG zu subsumieren, weil sich sein Gesundheitszustand gebessert habe. Er sei jetzt auf der Suche nach Arbeit.

Die Arbeitsfähigkeit im Sinne des AlVG - so die belangte Behörde weiter - orientiere sich an den Regelungen des Sozialversicherungsrechtes insofern, indem als arbeitsfähig gelte, wer nicht invalid oder berufsunfähig nach den Vorschriften des ASVG sei. Die Bestimmung des § 8 AlVG über die Arbeitsfähigkeit bilde daher ein "sich ineinander wechselseitig bedingtes Gegenstück" zu dem aus dem Berufsschutz des Pensionsversicherungsrechtes resultierenden Invaliditäts- bzw. Berufsunfähigkeitsbegriffes, die in ihren Wechselwirkungen Berücksichtigung finden müsse, "weil jede Rechtsprechung ein geschlossenes System" darstelle.

Es sei richtig, dass der Beschwerdeführer in den letzten Jahren tatsächlich einer Vollbeschäftigung als Angestellter nachgegangen sei und die Arbeitslosenversicherungsbeiträge eingezahlt habe; dennoch sei er "aufgrund der bindenden Feststellungen der Sozialversicherung" als invalid und somit als nicht arbeitsfähig zu erachten. Aus diesem Grund bzw. auf Grund des vordargestellten Sachverhaltes seien seitens des Arbeitsmarktservice Kufstein auch keine weiteren Ermittlungen mehr anzustellen gewesen bzw. habe es keiner zusätzlichen Beiziehung eines Amtsarztes bedurft.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, welcher die Behandlung derselben mit Beschluss vom 28. September 1999, B 547/99, ablehnte und sie dem Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG zur weiteren Behandlung abtrat. Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Nach § 7 Abs. 1 AlVG in der Fassung des Strukturanpassungsgesetzes 1996, BGBl. Nr. 201, hat Anspruch auf Arbeitslosengeld, wer

1.

der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht,

2.

die Anwartschaft erfüllt und

3.

die Bezugsdauer noch nicht erschöpft hat.

Gemäß § 7 Abs. 2 AlVG in der Fassung des Strukturanpassungsgesetzes 1996, BGBl. Nr. 201, steht der Arbeitsvermittlung zur Verfügung, wer eine Beschäftigung aufnehmen kann und darf (Abs. 3) und arbeitsfähig (§ 8), arbeitswillig (§ 9) und arbeitslos (§ 12) ist.

Von der Voraussetzung der Arbeitsfähigkeit ist gemäß § 7 Abs. 4 AlVG in der Fassung der Novellen BGBl. Nr. 412/1990, 201/1996 und BGBl. I Nr. 78/1997, bei Arbeitslosen abzusehen, denen Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation gewährt wurden, die das Ziel dieser Maßnahmen (§ 300 Abs. 1 und 3 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes) erreicht und die erforderliche Anwartschaft nach dieser Maßnahme zurückgelegt haben.

Arbeitsfähig ist nach § 8 Abs. 1 AlVG in der Fassung der Wiederverlautbarung BGBl. Nr. 609/1977, wer nicht invalid beziehungsweise nicht berufsunfähig im Sinne der für ihn in Betracht kommenden Vorschriften der §§ 255, 273 beziehungsweise 280 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes ist.

§ 255 Abs. 1 bis 3 ASVG lauten:

"(1) War der Versicherte überwiegend in erlernten (angelernten) Berufen tätig, gilt er als invalid, wenn seine Arbeitsfähigkeit infolge seines körperlichen oder geistigen Zustandes auf weniger als die Hälfte derjenigen eines körperlich und geistig gesunden Versicherten von ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten in jedem dieser Berufe herabgesunken ist.

(2) Ein angelernter Beruf im Sinne des Abs. 1 liegt vor, wenn der Versicherte eine Tätigkeit ausübt, für die es erforderlich ist, durch praktische Arbeit qualifizierte Kenntnisse oder Fähigkeiten zu erwerben, welche jenen in einem erlernten Berufe gleichzuhalten sind. Als überwiegend im Sinne des Abs. 1 gelten solche erlernte (angelernte) Berufstätigkeiten, wenn sie in mehr als der Hälfte der Beitragsmonate nach diesem Bundesgesetz während der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag (§ 223 Abs. 2) ausgeübt wurden.

(3) War der Versicherte nicht überwiegend in erlernten (angelernten) Berufen im Sinne der Abs. 1 und 2 tätig, gilt er als invalid, wenn er infolge seines körperlichen oder geistigen Zustandes nicht mehr imstande ist, durch eine Tätigkeit, die auf dem Arbeitsmarkt noch bewertet wird und die ihm unter billiger Berücksichtigung der von ihm ausgeübten Tätigkeiten zugemutet werden kann, wenigstens die Hälfte des Entgeltes zu erwerben, das ein körperlich und geistig gesunder Versicherter regelmäßig durch eine solche Tätigkeit zu erzielen pflegt."

Als berufsunfähig gilt nach § 273 Abs. 1 ASVG der Versicherte, dessen Arbeitsfähigkeit infolge seines körperlichen oder geistigen Zustandes auf weniger als die Hälfte derjenigen eines körperlich und geistig gesunden Versicherten von ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten herabgesunken ist.

Der Beschwerdeführer wendet in der Beschwerde u.a. ein, er habe in seiner Eingabe vom 21. Dezember 1998 beantragt, dass einerseits seine Parteieinvernehmung im Rahmen des Verfahrens durchgeführt werde, andererseits ein Sachverständigengutachten aus dem Bereich der Berufskunde bzw. ein amtsärztliches Gutachten erstellt werde. Die Behörde habe seine Anträge in keiner Weise berücksichtigt. Überdies leide der angefochtene Bescheid auch an inhaltlichen Mängeln. Tatsache sei, und dies sei aktenkundig, dass sich sein Unfall am 31. Jänner 1988 ereignet und die Rehabilitation auch nicht 1998 (wie im angefochtenen Bescheid unzutreffend ausgeführt), sondern 1988 geendet habe. Es möge zwar sein, dass der Beschwerdeführer zum Teil invalid sei. Es könne jedoch nicht angehen, dass diese "angeblich bindende Feststellung der PVA" im Ergebnis bedeute, dass der Beschwerdeführer annähernd 1 Million Schilling an Beiträgen gezahlt habe, und er trotz seiner Arbeitsfähigkeit beim Bezug einer Invalidenrente von S 1.867.-- pro Monat vom Arbeitslosengeld ausgeschlossen sei. Die Rechtswidrigkeit des Bescheides komme insbesondere dadurch zum Ausdruck, dass die belangte Behörde sich lapidar auf den Standpunkt stelle, dass keinerlei weitere Ermittlungen nötig seien.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom 16. Februar 1999, Zl. 96/08/0083, zu den Bestimmungen des § 7 Abs. 1 Z. 1 und Abs. 2 i.V.m. § 8 Abs. 1 bis 3 AlVG ausgeführt, dass sich aus diesen Bestimmungen in ihrem Zusammenhang zunächst nicht ergibt, dass die Geschäftsstellen des Arbeitsmarktservice an einen Bescheid, mit welchem dem Arbeitslosen eine Pension aus dem Versicherungsfall der Invalidität oder der Berufsunfähigkeit zuerkannt worden ist, gebunden wären. Eine solche Bindung ist nicht nur deshalb zu verneinen, weil das Vorliegen von Berufsunfähigkeit bzw. Invalidität lediglich ebenso ein Sachverhaltsmoment der Zuerkennung einer Pension aus diesem Grund ist, wie es ein (negatives) Sachverhaltselement für das Vorliegen von Arbeitsfähigkeit im Sinne des § 8 Abs. 1 AlVG darstellt. Die im Pensionsbescheid zu entscheidende Hauptfrage steht daher zur hier zu lösenden Frage, ob ein Arbeitsloser berufsunfähig oder invalid ist, nicht im Verhältnis der Hauptfrage zur Vorfrage. Überdies haben die Behörden der Arbeitsmarktverwaltung das Fehlen von Berufsunfähigkeit bzw. Invalidität als Leistungsvoraussetzung im Zeitpunkt der Antragstellung (bzw. des Einsetzens von Arbeitslosigkeit) zu beurteilen, während der Pensionsversicherungsträger das Vorliegen von Berufsunfähigkeit oder Invalidität (als Tatbestandsmoment) zum Stichtag für die Pensionsleistung zu beurteilen hat (so zum Ganzen der Gerichtshof in diesem zitierten Erkenntnis).

Weiters hat der Verwaltungsgerichtshof in diesem vorzitierten Erkenntnis darauf hingewiesen, dass die Behörden prinzipiell - im jeweils nach der Sachlage angezeigten Umfang unter Berücksichtigung der vom Sozialversicherungsträger eingeholten Gutachten - nicht nur dann von Amts wegen selbständige Feststellungen darüber zu treffen haben, ob ein Arbeitsloser arbeitsfähig ist, wenn Zweifel daran bestehen, sondern auch dann, wenn dieser eine Pensionsleistung aus einem Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit bezieht. Es kann - unter dem Gesichtspunkt der Vermeidung überflüssigen Verfahrensaufwandes einerseits, jedoch unter Beachtung des Rechtsschutzes andererseits - von der Behörde nicht schlechthin in jedem Fall (d.h. soweit die Gutachten des Sozialversicherungsträgers nicht im Sinne des § 8 Abs. 3 AlVG verwertbar sind, weil sie schon länger zurückliegen und deshalb über den arbeitslosenversicherungsrechtlich relevanten Zeitraum keine Aussagen enthalten) eine weitere Begutachtung verlangt werden. In einem solchen Fall ist vom Antragsteller zumindest zu fordern, dass er Behauptungen über eine gegenüber der seinerzeitigen Gewährung der Pensionsleistung eingetretene Besserung seines Gesundheitszustandes aufstellt.

Der Beschwerdeführer hat bereits in seiner Eingabe vom 4. Dezember 1998 auf eine Besserung seines Gesundheitszustandes sowie die seit Jahren bereits gegebene Arbeitsfähigkeit hingewiesen. Damit macht der Beschwerdeführer jedoch erkennbar eine Änderung des Sachverhalts gegenüber dem Zeitpunkt der Zuerkennung seiner Invaliditätspension geltend. Es ist aus den Verwaltungsakten auch nicht ersichtlich, dass die Behörden im Zuge des Verwaltungsverfahrens den Bescheid betreffend die Invaliditätspension oder das in diesem Zusammenhang erstellte ärztliche Gutachten beigeschafft hätten. Die belangte Behörde wäre auf Grund der konkreten Behauptungen des Beschwerdeführers betreffend die Besserung seines Gesundheitszustandes und die seiner Meinung nach auch wieder gegebene Arbeitsfähigkeit verpflichtet gewesen, durch ergänzende - auf sachkundiger Basis belegte - Ermittlungen entsprechende Feststellungen zur Frage der Arbeitsfähigkeit des Beschwerdeführers zu treffen. Da sie jedoch - trotz entsprechender Berufungseinwendungen des Beschwerdeführers - in Verkennung der Rechtslage diesbezüglich jegliche Ermittlungen unterließ, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit, weshalb dieser gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff. VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 501/2001. Das Mehrbegehren betreffend Umsatzsteuer war abzuweisen, weil diese im zu leistenden pauschalierten Schriftsatzaufwand - dieser betrug in der Fassung der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994 lediglich S 12.500,--, nunmehr 908,-- EUR - bereits enthalten ist.

Wien, am 22. März 2002

Schlagworte

Maßgebende Rechtslage maßgebender Sachverhalt

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2002:1999020334.X00

Im RIS seit

24.06.2002
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten