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90/02 Führerscheingesetz;Norm
FSG 1997 §24 Abs1 Z1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldner und die Hofräte Dr. Graf, Dr. Gall, Dr. Pallitsch und Dr. Schick als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Runge, über die Beschwerde des E in R, vertreten durch Dr. Alfred Windhager, Rechtsanwalt in 4040 Linz-Urfahr, Flussgasse 15, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Oberösterreich vom 11. April 2001, Zl. VerkR-394.155/2-2001- Si/Sei, betreffend Entziehung der Lenkberechtigung und Aufforderung zur Beibringung eines amtsärztlichen Gutachtens, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.089,68 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 7, § 24 Abs. 1 Z. 1 und Abs. 4 sowie § 28 Führerscheingesetz - FSG die Lenkberechtigung für die Klassen AV und B für die Dauer von acht Monaten ab der am 31. Jänner 2001 erfolgten Zustellung des erstinstanzlichen Bescheides vom 26. Jänner 2001 entzogen und der Auftrag zur Vorlage eines von einem Amtsarzt erstellten Gutachtens erteilt.
In der Begründung dieses Bescheides führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer sei mit Urteil des Landesgerichtes Linz vom 4. August 2000 rechtskräftig wegen des Verbrechens nach § 27 Abs. 1 und 2 und § 28 Abs. 2 SMG und des Vergehens nach § 27 Abs. 1 SMG zu einer (bedingt nachgesehenen) Freiheitsstrafe in der Dauer von einem Jahr verurteilt worden. Er habe vom August 1998 bis Oktober 1999 den bestehenden Vorschriften zuwider Suchtgift gewerbsmäßig anderen überlassen und in einer insgesamt großen Menge in Verkehr gesetzt und von Jänner 1998 bis 15. November 1999 Suchtgift erworben, besessen und anderen überlassen. Bei dem Suchtgift habe es sich um Cannabisharz, Kokain und Ecstasytabletten gehandelt.
Es liege eine bestimmte Tatsache nach § 7 Abs. 4 Z. 5 FSG vor. Es spiele keine entscheidende Rolle, wenn das Strafgericht eine moderate Strafe verhängt habe und bei der Begehung der strafbaren Handlungen kein Kraftfahrzeug verwendet worden sei, weil das Inverkehrsetzen von Suchtmitteln typischerweise durch die Verwendung von Kraftfahrzeugen wesentlich erleichtert werde. Der Beschwerdeführer habe über einen langen Zeitraum Suchtgift mit Gewinnaufschlag in Verkehr gesetzt. Es gehe nicht um die Annahme, der Beschwerdeführer könne die Verkehrssicherheit durch das Lenken eines Kraftfahrzeuges in einem durch Suchtgift beeinträchtigten Zustand gefährden. Es gehe vielmehr um die durch das Lenken von Kraftfahrzeugen bewirkte Erleichterung der Begehung weiterer schwerer strafbarer Handlungen.
Das Überlassen von Suchtgift an andere Personen sei besonders verwerflich. Bei der Beurteilung, wann der Beschwerdeführer die Verkehrszuverlässigkeit wieder erlangen werde, fielen zu seinem Nachteil der lange Deliktszeitraum und die "einschlägigen Straftaten" ins Gewicht. Dem Wohlverhalten während der Anhängigkeit des Strafverfahrens komme nur geringes Gewicht zu. Bei Berücksichtigung dieser Umstände sei die von der Erstbehörde festgesetzte Entziehungsdauer von zwölf Monaten auf acht Monate herabzusetzen gewesen.
Die Erstbehörde habe Bedenken hinsichtlich der gesundheitlichen Eignung des Beschwerdeführers gehabt, weil er selbst Suchtgift konsumiert habe. Die Anordnung, ein von einem Amtsarzt erstelltes Gutachten vor der Ausfolgung des Führerscheines beizubringen, werde auf die Bestimmung des § 24 Abs. 4 FSG gestützt. Gemäß § 28 Abs. 2 leg. cit. habe die Behörde entsprechend den Erfordernissen der Verkehrssicherheit und unter Berücksichtigung der Gründe, die für die Entziehung maßgebend waren, vor der Wiederausfolgung des Führerscheines vom Lenker einen oder mehrere der in den Z. 1 bis 3 aufgezählten Nachweise zu verlangen. Sinnvollerweise sei eine derartige Anordnung sofort im Entziehungsverfahren zu treffen und - wie im vorliegenden Fall - auf § 24 Abs. 4 FSG zu stützen. Gemäß § 26 Abs. 5 FSG stehe dem Beschwerdeführer eine Frist von vier Monaten ab Rechtskraft des Bescheides offen, das geforderte amtsärztliche Gutachten beizubringen.
Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof. Dieser lehnte mit Beschluss vom 3. Oktober 2001, B 782/01-7, die Behandlung der an ihn gerichteten Beschwerde ab und trat diese gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.
Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und beantragt in ihrer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die für den Beschwerdefall maßgebenden Bestimmungen des Führerscheingesetzes - FSG lauten (auszugsweise) wie folgt:
"Allgemeine Voraussetzungen für die Erteilung einer Lenkberechtigung
§ 3. (1) Eine Lenkberechtigung darf nur Personen erteilt werden, die:
...
2.
verkehrszuverlässig sind (§ 7),
3.
gesundheitlich geeignet sind, ein Kraftfahrzeug zu lenken (§§ 8 und 9),
...
Verkehrszuverlässigkeit
§ 7. (1) Als verkehrszuverlässig gilt eine Person, wenn nicht auf Grund erwiesener bestimmter Tatschen (Abs. 3) und ihrer Wertung (Abs. 5) angenommen werden muss, dass sie wegen ihrer Sinnesart beim Lenken von Kraftfahrzeugen die Verkehrssicherheit gefährden wird, insbesondere durch rücksichtsloses Verhalten im Straßenverkehr, Trunkenheit oder einen durch Suchtgift oder durch Medikamente beeinträchtigten Zustand.
(2) Als nicht verkehrszuverlässig gilt eine Person, wenn auf Grund erwiesener bestimmter Tatsachen (Abs. 4) und ihrer Wertung (Abs. 5) angenommen werden muss, dass sie wegen ihrer Sinnesart sich weiterer schwerer strafbarer Handlungen schuldig machen wird, die durch das Lenken von Kraftfahrzeugen erleichtert werden.
...
(4) Als bestimmte Tatsache im Sinne des Abs. 2 hat insbesondere zu gelten, wenn jemand
...
5. eine strafbare Handlung gemäß § 12 Suchtgiftgesetz 1951, BGBl. Nr. 160/1952 begangen hat.
...
Entziehung, Einschränkung und Erlöschen der Lenkberechtigung
Allgemeines
§ 24. (1) Besitzern einer Lenkberechtigung, bei denen die Voraussetzungen für die Erteilung der Lenkberechtigung (§ 3 Abs. 1 Z. 2 bis 4) nicht mehr gegeben sind, ist von der Behörde entsprechend den Erfordernissen der Verkehrssicherheit
1. die Lenkberechtigung zu entziehen oder ...
...
(4) Vor der Entziehung oder Einschränkung der Gültigkeit der Lenkberechtigung wegen mangelnder gesundheitlicher Eignung ist ein von einem Amtsarzt erstelltes Gutachten gemäß § 8, vor der Entziehung wegen mangelnder fachlicher Befähigung ein Gutachten gemäß § 10 einzuholen.
Dauer der Entziehung
§ 25. (1) Bei der Entziehung ist auch auszusprechen, für welchen Zeitraum die Lenkberechtigung entzogen wird. Dieser ist auf Grund der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens festzusetzen.
(2) Bei einer Entziehung wegen mangelnder gesundheitlicher Eignung ist die Dauer der Entziehung auf Grund des gemäß § 24 Abs. 4 eingeholten Gutachtens für die Dauer der Nichteignung festzusetzen.
(3) Bei einer Entziehung wegen mangelnder Verkehrszuverlässigkeit (§ 7) ist eine Entziehungsdauer von mindestens drei Monaten festzusetzen. Wurden begleitende Maßnahmen gemäß § 24 Abs. 3 angeordnet, so endet die Entziehungsdauer nicht vor Befolgung der Anordnung.
Sonderfälle der Entziehung
§ 26.
...
(5) Leistet der Besitzer einer Lenkberechtigung einem rechtskräftigen Bescheid mit der Aufforderung, die Gutachten gemäß § 24 Abs. 4 beizubringen, innerhalb von vier Monaten nach Zustellung des Bescheides keine Folge, so ist ihm die Lenkberechtigung jedenfalls bis zur Beibringung der Gutachten zu entziehen.
...
Ablauf der Entziehungsdauer
§ 28. (1) Der Führerschein ist nach Ablauf der Entziehungsdauer auf Antrag wieder auszufolgen, wenn die gemäß Abs. 2 angeordneten Nachweise erbracht wurden, keine Gründe für eine Entziehung mehr gegeben sind und die Entziehungsdauer kürzer als 18 Monate war.
(2) Die Behörde hat, entsprechend den Erfordernissen der Verkehrssicherheit und unter Berücksichtigung der Gründe, die für die Entziehung maßgebend waren, vor der Wiederausfolgung des Führerscheines vom Lenker einen oder mehrere der folgenden Nachweise zu verlangen:
1. eine verkehrspsychologische Untersuchung, wenn die Entziehungsgründe auf eine mangelnde Bereitschaft zur Verkehrsanpassung schließen lassen und die verkehrspsychologische Eignung nicht innerhalb der letzten zwölf Monate durch eine solche Untersuchung nachgewiesen wurde,
2. ein amtsärztliches Gutachten über die gesundheitliche Eignung (§ 8), wenn Zweifel an der gesundheitlichen Eignung bestehen,
3. ein Gutachten über die fachliche Befähigung (§ 10), wenn die Entziehungsgründe auf eine mangelnde fachliche Befähigung schließen lassen."
Der Verwaltungsgerichtshof hat zu § 75 Abs. 1 KFG 1967 in ständiger Rechtsprechung die Auffassung vertreten, dass Gegenstand eines nach dieser Gesetzesstelle eingeleiteten Ermittlungsverfahrens der seit der Erteilung der Lenkerberechtigung eingetretene Wegfall jeder einzelnen der maßgebenden Eignungsvoraussetzungen (§ 64 Abs. 2 KFG 1967) ist. Daraus folgt, dass bis zur Erlassung des Entziehungsbescheides verwirklichte Tatsachen, die eine der Eignungsvoraussetzungen betreffen, im Bescheid bereits zu berücksichtigen sind. Die wiederholte Ergreifung von Maßnahmen nach § 73 Abs. 1 KFG 1967 jeweils nach Abschluss des Ermittlungsverfahrens hinsichtlich einzelner Erteilungsvoraussetzungen ist daher ebenso wenig zulässig wie die wiederholte Entziehung der Lenkerberechtigung wegen Verkehrsunzuverlässigkeit auf Grund mehrerer nacheinander (aber vor Bescheiderlassung) begangener strafbarer Handlungen. Erlangt die Behörde erst nach der Rechtskraft eines Entziehungsbescheides von Tatsachen Kenntnis, die sie ohne ihr Verschulden im rechtskräftig abgeschlossenen Entziehungsverfahren nicht verwenden konnte, so stellt dies gemäß § 69 Abs. 1 Z. 2 in Verbindung mit Abs. 3 AVG einen Grund für die amtswegige Wiederaufnahme des Verfahrens dar (siehe dazu u.a. die Erkenntnisse vom 3. Juli 1990, Zl. 89/11/0224, vom 29. Oktober 1991, Zl. 91/11/0054, vom 30. Juni 1992, Zl. 91/11/0177, vom 12. Jänner 1993, Zl. 92/11/0205, vom 23. November 1993, Zl. 93/11/0048, und vom 10. Oktober 1995, Zl. 94/11/0178). Ausnahmen von diesem Grundsatz wurden wegen der Besonderheit der im Gesetz gesondert geregelten Entziehungsmaßnahmen nur in jenen Fällen gemacht, in denen schon vom Gesetzgeber zwingend die Entziehung mit einer bestimmten Entziehungszeit festgesetzt wurde (siehe dazu die Erkenntnisse vom 17. November 1992, Zl. 91/11/0140, und vom 19. April 1994, Zl. 92/11/0272).
Der Verwaltungsgerichtshof hat diese Rechtsprechung auch im Geltungsbereich des FSG fortgeführt. Auch das Entziehungsverfahren nach dem FSG ist ein einheitliches im oben beschriebenen Sinn (siehe dazu die Erkenntnisse vom 1. Juli 1999, Zl. 99/11/0004, und vom 23. Oktober 2001, Zl. 2001/11/0185). Ausgenommen davon sind nur jene Fälle, in denen schon vom Gesetz eine bestimmte Entziehungszeit festgesetzt wurde (siehe dazu das hg. Erkenntnis vom 26. Februar 2002, Zl. 2000/11/0019).
Gegen den dargelegten Grundsatz der Einheitlichkeit des Entziehungsverfahrens - eine der zuvor genannten Ausnahmen liegt hier nicht vor - verstößt die belangte Behörde mit dem angefochtenen Bescheid, indem sie einerseits die Lenkberechtigung (wegen Verkehrsunzuverlässigkeit) entzieht und andererseits das Entziehungsverfahren wegen Bedenken gegen die gesundheitliche Eignung des Beschwerdeführers zum Lenken von Kraftfahrzeugen dadurch weiter führt, dass sie bescheidmäßig eine innerhalb von vier Monaten zu befolgende Aufforderung gemäß § 26 Abs. 5 in Verbindung mit § 24 Abs. 4 FSG erlässt. Der angefochtene Bescheid ist schon deshalb inhaltlich rechtswidrig.
§ 28 FSG stellt keine taugliche Grundlage für die von der belangten Behörde gewählte Vorgangsweise dar (siehe auch dazu das zuvor zitierte Erkenntnis vom 26. Februar 2002, auf dessen Entscheidungsgründe gemäß § 43 Abs. 2 VwGG hingewiesen wird). Nur der Vollständigkeit halber sei bemerkt, dass die begründeten Bedenken gegen die gesundheitliche Eignung, welche die Voraussetzung für die Erlassung eines Aufforderungsbescheides nach § 26 Abs. 5 FSG sind, im angefochtenen Bescheid nicht dargetan werden, sodass insofern ein Begründungsmangel vorliegt. Auch die Erstbehörde hat diese Bedenken nicht näher begründet, sondern darauf hingewiesen, dass der Beschwerdeführer Suchtmittel konsumiert habe. Ein gelegentlicher, allenfalls Jahre zurückliegender Suchtmittelkonsum allein rechtfertigt noch keine Bedenken gegen die gesundheitliche Eignung des Betreffenden zum Lenken von Kraftfahrzeugen (vgl. dazu die hg. Erkenntnisse vom 24. August 1999, Zl. 99/11/0092 und 0175, und vom 23. Mai 2000, Zl. 99/11/0340). Es bedürfte dazu vielmehr konkreter Feststellungen über die Zeitpunkte des Suchtmittelkonsums sowie die Art und Menge des konsumierten Suchtmittels.
Aus den dargelegten Gründen war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 501/2001.
Wien, am 22. März 2002
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2002:2001110342.X00Im RIS seit
10.06.2002Zuletzt aktualisiert am
01.10.2018