Index
61/01 Familienlastenausgleich;Norm
FamLAG 1967 §8 Abs4;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Hargassner, Dr. Fuchs, Dr. Büsser und Dr. Mairinger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Valenta, über die Beschwerde der E in W, vertreten durch Dr. Erwin Dick, Rechtsanwalt in 1120 Wien, Hilschergasse 25/15, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 26. April 2000, Zl. RV/382-08/99, betreffend erhöhte Familienbeihilfe für den Zeitraum 1. Juli 1994 bis 31. Mai 1998, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird in seinem Abspruch über den Zeitraum vom 1. November 1995 bis 31. Mai 1998 wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben. Im Übrigen, somit in seinem Abspruch über den Zeitraum vom 1. Juli 1994 bis 31. Oktober 1995, wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von 1.089,68 EUR binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Bescheid des Finanzamtes vom 2. November 1998 wurde der Antrag der Beschwerdeführerin vom 4. September 1997 auf Bezug erhöhter Familienbeihilfe rückwirkend ab Juli 1994 für ihre am 15. Mai 1979 geborene Tochter abgewiesen. Begründend führte das Finanzamt aus, dem Antrag liege wohl eine Bescheinigung der Universitätsklinik Wien vom 4. September 1997 über einen Behinderungsgrad der Tochter von 50 % zugrunde und es werde in dem Befund vom 24. Juli 1997 festgehalten, dass die Erkrankung der Tochter an Asthma bronchiale bereits seit 1986 bekannt sei. Die Beschwerdeführerin übersehe jedoch, dass für dieses Kind ebenfalls durch die Universitätsklinik Wien im Dezember 1994 eine Behinderung von lediglich 25 % festgestellt worden sei. Diese Bescheinigung habe dazu geführt, dass der seinerzeit gestellte Antrag auf Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe rechtskräftig mit Bescheid vom 26. Juli 1995 abgewiesen worden sei. Auf Grund dieser beiden voneinander stark abweichenden Beurteilungen für denselben Antragszeitraum ab Juli 1994 sei nicht erwiesen, dass bei dem Kind eine dauernde Behinderung im Ausmaß von mindestens 50 % drei Jahre hindurch gegeben gewesen sei bzw. laufend bestehe.
Dagegen erhob die Beschwerdeführerin Berufung mit der Begründung, die Tochter leide seit ihrer frühen Kindheit an Asthma. Der ärztlichen Begutachtung im Jahr 1994 wären keine detaillierten Feststellungen über die Vorerkrankungen der Tochter zugrunde gelegen. Infolge der damals noch nicht ausreichenden Deutschkenntnisse und wegen fehlender medizinischer Kenntnisse habe die Beschwerdeführerin die seinerzeitige Entscheidung unbekämpft gelassen.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag auf Gewährung erhöhter Familienbeihilfe für die Zeit vom 1. Juli 1994 bis 31. Oktober 1995 wegen entschiedener Sache zurück und für die Zeit vom 1. November 1995 bis 31. Mai 1998 ab. Eingangs hielt die belangte Behörde fest, das mit der Gutachtenserstellung im Sinne des § 8 Abs. 6 FLAG 1967 befasste Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen habe der belangten Behörde mit Schreiben vom 24. März 2000 mitgeteilt, dass die Tochter der Beschwerdeführerin den wiederholten Aufforderungen, zur Untersuchung zu erscheinen (und zwar am 21. Februar und am 13. März 2000 unentschuldigt), nicht nachgekommen sei. Da die Beschwerdeführerin somit ihre Mitwirkungspflicht verletzt habe, sei die belangte Behörde gehalten, den maßgebenden Sachverhalt an Hand der beiden vorliegenden "Gutachten" festzustellen. Beide Bescheinigungen stammten von derselben Universitätsklinik und attestierten dem Kind "Asthma bronchiale". Nach Ansicht der belangten Behörde komme den Feststellungen in der ärztlichen Bescheinigung vom 30. Dezember 1994 die höhere Beweiskraft zu, da sie "in Bezug auf den Antragszeitpunkt (Juli 1994) aktueller" seien, als die fast drei Jahre später ausgestellte Bescheinigung vom 4. September 1997. Ausgehend von dem 1994 festgestellten Behinderungsgrad von 25 % stehe die erhöhte Familienbeihilfe für den Streitzeitraum nicht zu. Allerdings hätte das Finanzamt den Antrag der Beschwerdeführerin für den Zeitraum 1. Juli 1994 bis 31. Oktober 1995 nicht abweisen, sondern wegen entschiedener Sache gemäß § 273 BAO zurückweisen müssen. Über den Erstantrag der Beschwerdeführerin vom 29. Dezember 1994 sei nämlich bereits mit Bescheid des Finanzamtes vom 26. Juli 1995 "ab Juli 1994" abweisend entschieden worden. Dieser unbekämpft gebliebene Bescheid sei unter Berücksichtigung der Rechtsmittelfrist im Oktober 1995 rechtskräftig geworden.
Über die dagegen erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:
Gemäß § 8 Abs. 5 FLAG gilt als erheblich behindert ein Kind, bei dem eine nicht nur vorübergehende Funktionsbeeinträchtigung im körperlichen, geistigen oder psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung besteht. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von voraussichtlich mehr als drei Jahren. Der Grad der Behinderung muss - von hier nicht interessierenden Fällen abgesehen - mindestens 50 % betragen. Gemäß § 8 Abs. 6 FLAG ist der Grad der Behinderung durch eine Bescheinigung eines inländischen Amtsarztes, einer inländischen Universitätsklinik, einer Fachabteilung einer inländischen Krankenanstalt oder eines Mobilen Beratungsdienstes der Bundesämter für Soziales und Behindertenwesen nachzuweisen. Kann auf Grund dieser Bescheinigung die erhöhte Familienbeihilfe nicht gewährt werden, hat das Finanzamt einen Bescheid zu erlassen. Zur Entscheidung über eine Berufung gegen diesen Bescheid hat die Finanzlandesdirektion ein Gutachten des nach dem Wohnsitz des Berufungswerbers zuständigen Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen einzuholen.
Im gegenständlichen Fall hat die Beschwerdeführerin den Grad der Behinderung durch eine Bescheinigung einer hierfür zuständigen Stelle nachgewiesen. Die belangte Behörde ist dieser Bescheinigung im Hinblick auf eine von derselben Universitätsklinik im Jahr 1994 ausgestellte Bescheinigung eines Behinderungsgrades von lediglich 25 % nicht gefolgt. Die Einholung eines Gutachtens des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen sei an der mangelnden Mitwirkung der Beschwerdeführerin gescheitert.
Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen den Vorwurf der mangelnden Mitwirkung im Verwaltungsverfahren, indem sie auf eine unglückliche Verkettung verschiedener Umstände hinweist, was von der belangten Behörde zu Unrecht als Missachtung behördlicher Anordnungen verstanden worden sei. Den ersten Untersuchungstermin habe die Tochter über Verlangen des Arbeitgebers, den Termin auf einen arbeitsfreien Tag zu verschieben, nicht wahrgenommen. Am Tag des zweiten Untersuchungstermines habe sie unvorhergesehen für eine vom Dienst unentschuldigt ferngebliebene Kollegin einspringen müssen. Die Tochter sei aus Sorge um ihren Arbeitsplatz den Wünschen des Arbeitgebers nachgekommen, habe sich aber telefonisch bemüht, ihr Fernbleiben zu entschuldigen und einen neuen Untersuchungstermin zu vereinbaren. Vom zuständigen Bearbeiter beim Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen sei auch ein dritter Termin - allerdings mit dem Bemerken, die Akten seien bereits an die Finanzlandesdirektion retourniert - in Aussicht gestellt worden. Die telefonischen Nachfragen bei der belangten Behörde hätten jedoch lediglich zu der Ermahnung, dass Termine wahrzunehmen seien, geführt und schließlich mit der Erlassung des angefochtenen Bescheides "geendet".
Die belangte Behörde tritt in ihrer Gegenschrift dieser Darstellung der Beschwerdeführerin in der Sache nicht entgegen. Dass - wie die belangte Behörde einzig einwendet - die gewünschte Kontaktaufnahme "auch schriftlich bzw. anlässlich einer persönlichen Vorsprache" hätte erfolgen können, ändert nichts daran, dass das Vorbringen der Beschwerdeführerin grundsätzlich geeignet ist, den Vorwurf der mangelnden Mitwirkung im Verfahren zu entkräften. Solcherart kann aber nicht gesagt werden, die belangte Behörde sei von der ihr gemäß § 8 Abs. 6 FLAG obliegenden Pflicht, ein Gutachten des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen einzuholen, in Folge mangelnder Mitwirkung der Beschwerdeführerin entbunden gewesen.
Davon abgesehen erweist sich auch die im angefochtenen Bescheid vorgenommene Beweiswürdigung als nicht schlüssig:
Die belangte Behörde misst der im Dezember 1994 erstellten Bescheinigung über einen Behinderungsgrad von 25 % allein deshalb höhere Beweiskraft zu, weil diese Bescheinigung dem "Antragszeitpunkt" zeitlich näher liege. Im Erkenntnis vom 24. Oktober 2000, 95/14/0119, hat der Verwaltungsgerichtshof ausgeführt, dass die Frage, ob für einen bestimmten (in der Vergangenheit gelegenen) Zeitraum Familienbeihilfe zusteht, - will man den Beihilfenanspruch nicht von zufälligen (behördlicher Entscheidungszeitpunkt) oder willkürlich beeinflussbaren Umständen (Zeitpunkt der Antragstellung) abhängig machen - anhand der rechtlichen und tatsächlichen Gegebenheiten, wie sie bei der Tatbestandsverwirklichung bestanden haben, zu beantworten ist. Ob die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für den Anspruch auf (im Beschwerdefall erhöhte) Familienbeihilfe erfüllt sind oder nicht, bestimmt sich somit nach den Verhältnissen im Anspruchszeitraum. Der strittige Anspruchszeitraum reicht gegenständlich von Juli 1994 bis Mai 1998. Das Abstellen auf den Beginn des Streitzeitraums 1. Juli 1994, wie dies die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid getan hat, erweist sich daher als ungeeignet, die behördlichen Überlegungen zur "Aktualität" der ersten Bescheinigung zu tragen, kann die Bescheinigung aus dem Jahr 1997 doch gleichfalls (wenn auch für andere Monate des Streitzeitraums) "größere Aktualität" für sich beanspruchen.
Soweit die belangte Behörde ihre Entscheidung darauf gestützt hat, dass der Gewährung erhöhter Familienbeihilfe für die Zeit ab 1. Juli 1994 bis zum 31. Oktober 1995 das Entscheidungshindernis der entschiedenen Sache entgegen stehe, enthält die Beschwerde kein Vorbringen. Die Beschwerde war daher insoweit gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Im Übrigen erweist sich der angefochtene Bescheid wie oben ausgeführt mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet, sodass er in seinem Abspruch über den Zeitraum vom 1. November 1995 bis 31. Mai 1998 gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 VwGG aufzuheben war.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 501/2001.
Wien, am 27. März 2002
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2002:2000130104.X00Im RIS seit
06.08.2002