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001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
AlVG 1977 §7 Abs3 Z2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Sulyok, Dr. Köller und Dr. Moritz als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Müller, über die Beschwerde des M in W, vertreten durch Dr. Stefan Stockinger, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Schubertring 6, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice für Wien vom 7. Juli 2001, Zl. LGSW/Abt. 10-AlV/1218/56/2000-5369, betreffend Anspruch auf Arbeitslosengeld, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf Gewährung von Arbeitslosengeld vom 26. April 2001 mangels Verfügbarkeit am Arbeitsmarkt gemäß § 7 AlVG abgewiesen.
Nach Wiedergabe der Bestimmungen des § 7 AlVG und des Verwaltungsgeschehens begründet die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid im Wesentlichen damit, für den Beschwerdeführer sei weder ein Befreiungsschein noch eine Beschäftigungsbewilligung ausgestellt worden; ein Antrag auf Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung sei mit Bescheid vom 12. März 2001 abgelehnt worden und der Beschwerdeführer sei im Besitz einer Niederlassungsbewilligung mit einer Gültigkeit bis 28. Juli 2000 zu jeglichem Aufenthaltszweck, ausgestellt am 28. Juli 1998, und verfüge über eine Niederlassungsbewilligung mit einer Gültigkeit bis 12. Juli 2002 zu jeglichem Aufenthaltszweck, ausgestellt am 12. Juli 2000. Von 1971 bis 1986 sei ein rechtmäßiger Aufenthalt in Österreich gegeben gewesen. Zu den Aufenthaltsrechten im Zeitraum 1987 bis 1998 habe der Beschwerdeführer keine Angaben machen können und "das Vorliegen solcher auch nicht festgestellt" werden können. Versicherte Beschäftigungszeiten seit Mai 1998 lägen nicht vor. Voraussetzung für den Anspruch auf Arbeitslosengeld wie Notstandshilfe sei unter anderem, dass der Beschwerdeführer der Arbeitsvermittlung zur Verfügung stehe. Nur diese Anspruchsvoraussetzung sei Verfahrensgegenstand. Dabei stehe der Arbeitsvermittlung zur Verfügung, wer eine Beschäftigung aufnehmen kann und darf, arbeitsfähig, arbeitswillig und arbeitslos sei. Eine Beschäftigung aufnehmen könne und dürfe, wer sich zur Aufnahme einer Vollbeschäftigung bereithalte, wem die Ausübung einer unselbstständigen Erwerbsbeschäftigung auf Grund gesetzlicher Vorschriften nicht verwehrt sei und wer nicht den Tatbestand des § 34 Abs. 3 Z. 2 des Fremdengesetzes 1997 unter Berücksichtigung des § 34 Abs. 4 dieses letztgenannten Gesetzes erfülle. Nach den insgesamt zu treffen gewesenen Feststellungen zu den Aufenthaltsrechten des Beschwerdeführers und im Hinblick darauf, dass im letzten Jahr vor der Antragstellung keinerlei versicherte Beschäftigungszeiten lägen, sei von einem noch nicht fünfjährigen Aufenthalt auszugehen, einer befristeten Verfügbarkeit und
"zusammen mit dem Nichtvorliegen von Beschäftigungszeiten insgesamt vom Nichtvorliegen der Verfügbarkeit in der Begriffsbestimmung des Arbeitslosenversicherungsgesetzes (§ 7 Abs. 3 Z. 3 AlVG)".
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde, in der zusammengefasst dargetan wird, dass der Beschwerdeführer von 1972 im Wesentlichen durchlaufend bis zum Jahr 1998 in Österreich arbeitslosenversicherten Beschäftigungen nachgegangen sei. Da er länger als acht Jahre im Bundesgebiet niedergelassen sei, sei die Bestimmung des § 34 Abs. 3 FrG auf ihn nicht anzuwenden. Auch sei er nicht gemäß § 34 Abs. 3 Z. 2 in Verbindung mit Abs. 4 FrG 1997 mit Bescheid ausgewiesen worden. Das Vorliegen von Aufenthaltstiteln für die Jahre 1986 bis 1998 sei von der belangten Behörde deshalb nicht festgestellt worden, weil der Beschwerdeführer im März 1998 seinen Reisepass verloren habe, wobei in der Beschwerde auf eine Verlustanzeige vom 9. März 1998 verwiesen wird. Der Beschwerdeführer erfülle die Voraussetzungen des § 7 AlVG.
Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die belangte Behörde hat den Anspruch des Beschwerdeführers auf Zuerkennung von Arbeitslosengeld ausschließlich gestützt auf § 7 Abs. 3 Z. 3 AlVG mangels Verfügbarkeit abgewiesen.
Mit dem Strukturanpassungsgesetz 1996 wurde der Aspekt der Verfügbarkeit der Arbeitslosen zur Arbeitsvermittlung in das Gesetz aufgenommen. Der diesbezügliche § 7 AlVG
i. d.F. BGBl. Nr. 201/1996 lautete auszugsweise wie folgt:
"§ 7. (1) Anspruch auf Arbeitslosengeld hat, wer
1.
der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht,
2.
...
(2) Der Arbeitsvermittlung steht zur Verfügung, wer eine Beschäftigung aufnehmen kann und darf (Abs. 3) und ...
(3) Eine Beschäftigung aufnehmen kann und darf, wer
1. sich zur Aufnahme und Ausübung einer auf dem Arbeitsmarkt üblicherweise angebotenen, den gesetzlichen und kollektivvertraglichen Vorschriften entsprechenden zumutbaren versicherungspflichtigen Beschäftigung bereithält und
2. sich zur Ausübung einer unselbstständigen Erwerbstätigkeit in Österreich aufhalten darf (Abs. 4).
(4) Im Sinne des Abs. 3 Z. 2 dürfen sich zur Ausübung einer unselbstständigen Erwerbstätigkeit aufhalten:
1. Ausländer, die eine Aufenthaltsbewilligung für eine unselbstständige Erwerbstätigkeit (§ 1 Abs. 1 Z. 1 der Verordnung des Bundesministers für Inneres über die Aufenthaltszwecke und die Form der Aufenthaltsbewilligung, BGBl. Nr. 395/1995) besitzen,
2. Ausländer, die nach § 12 des Aufenthaltsgesetzes (AufG), BGBl. Nr. 466/1992, aufenthaltsberechtigt sind,
3. Ausländer, die nach § 13 Abs. 1 AufG aufenthaltsberechtigt sind, wenn sie die sonstigen Voraussetzungen für den Anspruch auf Arbeitslosengeld erfüllen,
4. Ausländer, die nach dem Abkommen mit dem Schweizerischen Bundesrat betreffend zusätzliche Vereinbarungen über die Niederlassungsverhältnisse der beiderseitigen Staatsbürger, BGBl. Nr. 204/1951, aufenthaltsberechtigt sind,
5. Ausländer, die vom Geltungsbereich des Ausländerbeschäftigungsgesetzes, BGBl. Nr. 218/1975, ausgenommen sind,
6. Ausländer, die eine Arbeitserlaubnis bzw. einen Befreiungsschein (§ 14a bzw. § 15 des Ausländerbeschäftigungsgesetzes) besitzen,
7.
8.
nicht jedoch Grenzgänger im Sinne des § 13 Abs. 3 des Aufenthaltsgesetzes, BGBl. Nr. 466/1992.
..."
Diese Bestimmung wurde mit der am 1. Jänner 1998 in Kraft getretenen Änderung des Arbeitslosenversicherungsgesetzes durch das BGBl. I Nr. 78/1997, dahingehend geändert, dass im § 7 der Abs. 4 entfällt (der bisherige Absatz 5 erhielt die Absatzbezeichnung (4)) und im Abs. 3 die Z. 2 den folgenden Wortlaut erhielt:
"§ 7. ...
(3) ...
2. wem die Ausübung einer unselbstständigen Beschäftigung auf Grund der gesetzlichen Vorschriften nicht verwehrt ist."
Mit dem BGBl. I Nr. 179/1999 wurde der Abs. 3 des § 7 insofern geändert, als eine Z. 3 angefügt wurde, die wie folgt lautet:
"3. die nicht den Tatbestand des § 34 Abs. 3 Z. 2 des Fremdengesetzes 1997 (FrG), BGBl. I Nr. 75, unter Berücksichtigung des § 34 Abs. 4 FrG erfüllt."
Die Materialien zu den Änderungen durch die Bundesgesetze BGBl. I Nr. 78/1997 bzw. BGBl. I Nr. 179/1999 geben keine Auskunft über die Gründe für die Änderung der mit dem Strukturanpassungsgesetz 1996 eingefügten Bestimmung. Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem zu § 7 Abs. 3 Z. 2 i.V.m. Abs. 4 AlVG i.d.F. BGBl. Nr. 201/1996 ergangenen Erkenntnis vom 22. Dezember 1998, 96/08/0314, ausgesprochen, dass dieser Bestimmung in verfassungskonformer Interpretation nicht die Bedeutung beigemessen werden kann, dass sie einen Fremden, dessen Inlandsaufenthalt rechtlich nicht beendet werden darf, aus Gründen, die auf einen österreichischen Staatsbürger nicht zutreffen könnten, vom Bezug von Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung ausschließt. Zur näheren Begründung dieser Ansicht wird gemäß § 43 Abs. 2 auf das genannte Erkenntnis verwiesen. Diese Erwägungen wurden auch für die Bestimmung des § 7 Abs. 3 Z. 2 AlVG i.d.F. der Novelle BGBl. I Nr. 78/1997 für anwendbar erklärt (vgl. das Erkenntnis vom 4. Mai 1999, 98/08/0371).
Zur Bestimmung des § 7 Abs. 3 Z. 3 AlVG in der Fassung der Novelle BGBl. I Nr. 179/1999 (also zu der auch hier anzuwendenden Rechtslage) hat der Verwaltungsgerichtshof bereits ausgesprochen, dass diese Bestimmung zwar auf solche Fremde anzuwenden ist, die sich auf Grund eines Aufenthaltstitels oder während eines Verfahrens zur Erteilung eines solchen im Bundesgebiet aufhalten, nicht aber auf Personen, die ihr Aufenthaltsrecht auf § 19 Asylgesetz 1997 stützen (vgl. das Erkenntnis vom 15. November 2000, Zl. 2000/08/0136). Im Erkenntnis vom 29. März 2000, Zl. 98/08/0203, hat der Verwaltungsgerichtshof unter Hinweis auf die Entscheidung des EGMR vom 16. September 1996 (Gaygusuz gegen Österreich) ausgeführt, es verbiete die Verfassungsrechtslage den Ausschluss von der Gewährung von Arbeitslosengeld in einem Fall, in dem ein Arbeitsloser sowohl im Zeitpunkt der Antragstellung als auch im Zeitpunkt der Erlassung des Bescheides im Besitz einer Aufenthaltsbewilligung gewesen ist. Es sei verfassungsrechtlich geboten, eine Ergänzung des § 7 Abs. 4 AlVG dahingehend vorzunehmen, dass - vor dem Hintergrund der Zwecke der Arbeitslosenversicherung und der verfassungsrechtlichen Schranken, unter denen ihre beitragsfinanzierten Geldleistungen gesetzlich eingeschränkt oder aufgehoben werden dürfen - der Status eines Arbeitslosen, der über eine Aufenthaltsberechtigung verfügt und sich erlaubterweise im Inland aufhält, jenem auf Grund eines Aufenthaltstitels im Sinne des § 7 Abs. 4 AlVG (nämlich im Zusammenhang mit der Beurteilung der Verfügbarkeit) gleichzuhalten sei. Im Erkenntnis vom 30. Mai 2001, Zl. 2001/08/0029, hat der Verwaltungsgerichtshof schließlich klargestellt, dass den Tatbestand des § 7 Abs. 3 Z. 3 AlVG nur der erfüllt, der gemäß § 34 Abs. 3 Z. 2 in Verbindung mit Abs. 4 FrG 1997 mit Bescheid ausgewiesen worden ist.
Der Tatbestand des § 34 Abs. 3 Z. 2 iVm Abs. 4 FrG ist im vorliegenden Fall mangels Vorliegens eines auf diese Gesetzesstelle gestützten Ausweisungsbescheides nicht verwirklicht, worauf die Beschwerde mit Recht hinweist.
Dem tritt die belangte Behörde in ihrer Gegenschrift der Sache nach nicht entgegen: sie meint nur, die Bestimmung des § 34 Abs. 3 Z. 2 FrG 1997 "normiere den Fall", dass Fremden eine Niederlassungsbewilligung erteilt wurde und sie länger als ein Jahr, aber kürzer als acht Jahre im Bundesgebiet niedergelassen und während der Dauer eines Jahres nahezu ununterbrochen keiner erlaubten Erwerbstätigkeit nachgegangen sind. Sie übersieht dabei, dass - vor dem erwähnten Hintergrund der Verfassungsrechtslage, wie sie sich aus der oben erwähnten Entscheidung des EGMR in der Rechtssache Gaygusuz und der darauf gestützten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zur Verfügbarkeit iS des § 7 AlVG ergibt - auch die Neufassung des § 7 Abs. 3 AlVG verfassungskonform so interpretiert werden muss, dass der Anspruch auf Arbeitslosengeld für Ausländer, sofern die sonstigen Anspruchsvoraussetzungen vorliegen, auch im Falle der Z. 3 dieser Gesetzesstelle nur für den Fall beschränkt werden darf, dass sich die betreffende Person nicht im Inland aufhalten darf und ihre Verschaffung in das Ausland rechtlich auch durchsetzbar ist. Der Tatbestand des § 34 Abs. 3 Z. 2 iVm Abs. 4 FrG trifft daher auf einen Fremden von vornherein nur dann zu, wenn der in dieser Bestimmung vorgesehene Ausweisungsbescheid gegen ihn erlassen wurde und einer Vollstreckung dieses Bescheides keine rechtlichen Hindernisse entgegenstehen. Davon kann im Falle des Beschwerdeführers aber keine Rede sein.
Der angefochtene Bescheid war daher schon aus diesem Grunde wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Von der beantragten Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 4 VwGG abgesehen werden.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 501/2001. Wien, am 4. April 2002
Schlagworte
Auslegung Gesetzeskonforme Auslegung von Verordnungen Verfassungskonforme Auslegung von Gesetzen VwRallg3/3European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2002:2001080226.X00Im RIS seit
14.08.2002