Index
40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AsylG 1997 §7;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Sulzbacher, Dr. Grünstäudl und Dr. Moritz als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hohenecker, über die Beschwerde des A A in T, geboren am 8. April 1962, vertreten durch Dr. Gernot Kerschhackel, Rechtsanwalt in 2500 Baden, Wiener Straße 44- 46/1/11, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 29. September 1999, Zl. 208.879/0-IV/11/99, betreffend § 7 Asylgesetz (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Armenien, reiste am 18. April 1995 in das Bundesgebiet ein und stellte am 19. April 1995 einen Asylantrag.
Bei seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 20. April 1995 gab der Beschwerdeführer an, dass er seit Mitte Mai 1992 als Kraftfahrer bei dem amerikanischen Unternehmen US-AID in Erewan gearbeitet habe. Dieses Unternehmen habe enge Verbindung mit der amerikanischen Botschaft gehabt, und er sei zeitweilig auch als Kraftfahrer für die Botschaft tätig gewesen. Im Oktober oder November 1992 sei der Beschwerdeführer von drei KGB-Leuten aufgefordert worden, ihnen von der amerikanischen Botschaft Informationen zu liefern. Nach einer Überlegungsfrist von etwa einem Monat habe er dies abgelehnt. Daraufhin seien Drohungen gegen seine Person im Wege von Telefonanrufen gekommen. Am 16. Dezember 1992 habe er seinen "Job" aufgegeben und sei nach Moskau zu Verwandten geflogen, wo er sich etwa einen halben Monat aufgehalten habe. In der Folgezeit sei er einige Male nach Erewan zurückgeflogen und dann wieder nach Moskau. Seine Frau habe ihm telefonisch mitgeteilt, dass seine Familie ebenfalls bedroht würde. Er wisse nicht, weshalb der KGB weiter an ihm interessiert gewesen sei, obwohl er den "Job" bei der amerikanischen Botschaft aufgegeben hätte. Er habe auch keinerlei verwertbare Informationen gehabt, die für den Staatssicherheitsdienst von Interesse gewesen wären. Am 15. oder 16. Oktober 1993 sei er mit seiner Familie nach Moskau geflogen und habe in weiterer Folge mit ihr Unterkunft in Gorky für etwa eineinhalb Jahre genommen. Von Verwandten habe er telefonisch aus Erewan erfahren, dass wieder ein Drohanruf eingegangen sei. Der Beschwerdeführer möge zurückkommen oder man würde ihn in Gorky aufsuchen und es würde ihm Schlimmes zustoßen. Daraufhin sei der Beschwerdeführer nach Österreich geflüchtet.
Mit Bescheid vom 21. April 1995 wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 3 Asylgesetz 1991 ab. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, es habe nicht festgestellt werden können, dass der Beschwerdeführer asylrelevanter Verfolgung unterlegen wäre. Das Vorbringen des Beschwerdeführers sei nicht genügend substanziiert, nicht in sich schlüssig und widerspreche den allgemeinen Erfahrungen. Es sei unglaubwürdig, dass der Beschwerdeführer angesichts der Probleme mit dem KGB eineinhalb Jahre in Gorky unbehelligt leben und wiederholt Flugreisen habe durchführen können.
In seiner Berufung gegen diesen Bescheid stellte der Beschwerdeführer zunächst nochmals das von ihm bereits bei seiner Einvernahme geschilderte Geschehen näher dar. Er verwies weiters darauf, dass in den letzten 70 Jahren seitens des KGB 40 Millionen Menschen "samt ihren Familien und Nachbarn" ermordet worden seien. Es sei ihm auch bekannt, dass "provisorische" Mitarbeiter des KGB nur für die Dauer ihres Bedarfes benützt und dann umgebracht würden. Ein Freund habe ihm nach seiner Absage, mit dem KGB zusammen zu arbeiten, geraten, Armenien zu verlassen, da ein weiterer Verbleib im Land für ihn nicht mehr ungefährlich gewesen wäre und sogar der Verdacht bestanden hätte, dass er für den CIA arbeite. Während der Zeit, in der er alleine von Erewan abwesend gewesen sei, sei seine Familie von anonymen Anrufern bedroht worden, die seine Rückkehr nach Erewan verlangt hätten. Die Anrufe hätten nicht aufgehört, und zum Schluss hätten die Anrufer mit der Entführung seiner Ehegattin bzw. seiner Tochter gedroht. Er habe sich daher nach der Geburt seiner zweiten Tochter am 10. September 1993 gezwungen gesehen, nach Erewan zu fliegen und seine Familie nach Russland zu holen. Nachdem der Beschwerdeführer von Angehörigen in Erewan erfahren habe, dass die anonymen Anrufer mitgeteilt hätten, seinen Aufenthalt in Gorky zu kennen, und seine freiwillige Rückkehr zur Klärung einiger Fragen verlangt hätten, sei er geflohen. Es sei bekannt, dass die Möglichkeit bestanden hätte, den Beschwerdeführer und seine Familie unverzüglich über den russischen KGB nach Armenien zurückzuholen. Betreffend die Liquidierung von Menschen weise der Beschwerdeführer darauf hin, dass der KGB seine Opfer vorher nie warne.
Die belangte Behörde führte eine mündliche Berufungsverhandlung durch und wies mit dem nunmehr in Beschwerde gezogenen Bescheid die Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 7 Asylgesetz ab. Begründend wurde zunächst - dem Vorbringen des Beschwerdeführers folgend - festgestellt, er habe sich 1992 geweigert, mit dem KGB zusammenzuarbeiten, sei deshalb bedroht worden und wegen dieser Drohungen, die sich auch gegen seine Familie gerichtet hätten, zusammen mit dieser nach Gorky, Russland, übersiedelt. Daran anschließend wurde im angefochtenen Bescheid aber u.a. ausgeführt, es habe nicht festgestellt werden können, dass Verwandte des Beschwerdeführers einen Anruf bekommen hätten, wonach man wisse, dass sich der Beschwerdeführer in Gorky aufhalte, man könne seiner auch dort habhaft werden oder er solle selbst zurückkommen. Weiters könne nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer gegenwärtig auf Grund des Umstandes, dass er im Jahre 1992 nicht zur Mitarbeit beim KGB bereit gewesen sei, Repressionen zu befürchten habe. Sei es zwar noch denkbar, dass der Beschwerdeführer seitens des KGB in den Monaten nach seiner Weigerung zur Mitarbeit bedroht worden sei, so sei es aber nicht verständlich, dass er auch noch nach Jahren diesbezüglich mit irgendwelchen Repressionen zu rechnen hätte, zumal er laut seinen eigenen Angaben nicht einmal verwertbare Informationen für den KGB gehabt habe, sodass nicht erkannt werden könne, welches Interesse an der Person des Beschwerdeführers nach der Aufgabe seiner Tätigkeit bei dem amerikanischen Unternehmen noch bestünde. Außerdem sei es nicht nachvollziehbar, dass man bei Verwandten des Beschwerdeführers anrufe und bekannt gebe, dass man über seinen Aufenthalt in Gorky Bescheid wüsste, da man dann davon hätte ausgehen müssen, dass sich der Beschwerdeführer einen anderen Aufenthaltsort suche. Der Beschwerdeführer habe weiters einen ärztlichen Befund vorgelegt, aus dem sich Verletzungen seines Schwagers ergäben. Doch könne daraus nicht gefolgt werden, dass diese Verletzungen im Zusammenhang mit der Person des Beschwerdeführers stünden, zumal es völlig unplausibel sei, dass man den Schwager des Beschwerdeführers lediglich auf Grund des Umstandes, dass der Beschwerdeführer seine Mitarbeit beim KGB verweigert habe, zusammengeschlagen habe. Auch aus der allgemeinen Situation in Armenien lasse sich nicht ableiten, dass dem Asylwerber gegenwärtig Verfolgung drohe.
Diesbezüglich zitierte die belangte Behörde einen Bericht von Amnesty International aus dem Jahre 1999. Demnach habe eine verbotene oppositionelle Partei ihre Arbeit wieder aufnehmen können, der gewählte Präsident habe einen ehemaligen gewaltlosen politischen Gefangenen zum Vorsitzenden einer neuen präsidialen Menschenrechtskommission ernannt, im Oktober sei dem UN-Menschenrechtsausschuss Armeniens der erste periodische Bericht über die Umsetzung der Bestimmungen des internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte zur Prüfung vorgelegen; kritisiert werde in diesem Bericht, dass bei einer Wehrdienstverweigerung mit einem Strafverfahren zu rechnen sei und die Todesstrafe noch bestehe.
Dass die Verweigerung zur Kooperation mit dem Geheimdienst mit Wehrdienstverweigerung gleichzusetzen sei, wie dies lapidar in einem vom Beschwerdeführer vorgelegten Bericht ausgeführt werde, könne keineswegs angenommen werden, zumal in Armenien allgemeine Wehrpflicht herrsche, also eine gesetzliche Grundlage hiefür bestehe, wohingegen keineswegs eine gesetzliche Verpflichtung für einen armenischen Staatsangehörigen bestehe, Spionagetätigkeiten für den armenischen Sicherheitsdienst auszuüben. Letztlich sei überdies auch auf die vorliegenden Informationen hinzuweisen, wonach es nicht ganz ausgeschlossen werden könne, dass man zu Zeiten der Sowjetunion keine Möglichkeit gehabt hätte, sich der Mitarbeit beim KGB zu entziehen, dass aber davon ausgegangen werden könne, dass die armenischen Sicherheitsbehörden keinen Druck auf einzelne Personen ausübten, um diese zur Mitarbeit zu bewegen. Weiters ergebe sich aus diesen Informationen, dass der Polizeiapparat dem Innenministerium unterstehe, der KGB als Staatsverwaltung der Regierung. Der KGB solle sich nach der Unabhängigkeit zudem mehr der Aufgabe der äußeren als der inneren Sicherheit widmen. Gegen eventuelle Übergriffe des KGB oder der Miliz könne von den Betroffenen der Menschenrechtsausschuss des Parlaments angerufen werden. Dieser Ausschuss habe ferner eine Sondergruppe bei der Staatsanwaltschaft gegründet, die sich speziell um mögliche Übergriffe auch alter Kader kümmern solle. Aus diesen Informationen ergebe sich sohin ebenfalls, dass der Beschwerdeführer gegenwärtig auf Grund des Umstandes, dass er im Jahre 1992 die Mitarbeit beim KGB verweigert habe, keine Repressionen zu fürchten habe.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Die belangte Behörde hat dem Beschwerdeführer - offenbar ausgehend davon, seine der Übersiedlung nach Gorky vorangegangene Bedrohung sei im Sinne einer dem Beschwerdeführer vom Geheimdienst unterstellten politischen Gesinnung asylrelevant gewesen - entgegen gehalten, diese Bedrohung sei nicht mehr aktuell und dem Beschwerdeführer würde gegenüber einer solchen Bedrohung unter den nunmehrigen Verhältnissen in Armenien auch staatlicher Schutz gewährt werden.
Für diese Annahmen bietet der in Beschwerde gezogene Bescheid allerdings keine ausreichende Begründung. Die belangte Behörde stützt sich zunächst darauf, dass der Anruf bei Verwandten des Beschwerdeführers - nach dessen Übersiedlung nach Gorky - entgegen den Behauptungen des Beschwerdeführers nicht stattgefunden habe. Damit fiele ein Indiz dafür weg, dass sich der Geheimdienst auch nach der Übersiedlung des Beschwerdeführers nach Russland noch für ihn interessiert habe. Für die Begründung des angefochtenen Bescheides ist damit aber wenig gewonnen, weil es für die Flüchtlingseigenschaft des Beschwerdeführers nicht darauf ankommt, ob er auch Gorky verlassen musste, um den Nachstellungen des armenischen Geheimdienstes zu entgehen. Maßgeblich sind die ihm im Falle einer Rückkehr nach Armenien drohenden Gefahren, wobei die belangte Behörde wohl auch nicht davon ausgehen konnte, der Beschwerdeführer würde vom armenischen Geheimdienst in Armenien nicht mühelos gefunden werden.
Die demnach - abgesehen von der Verweisung des Beschwerdeführers auf staatliche Kontrolleinrichtungen - aus der Sicht der belangten Behörde entscheidende Annahme, der Geheimdienst würde sich für den Beschwerdeführer auch im Falle seiner Rückkehr nach Armenien nicht mehr interessieren, gründet sich im angefochtenen Bescheid zum Teil auf Argumente, die mit den Feststellungen der belangten Behörde über die Bedrohung des Beschwerdeführers und seiner Familie auch noch ein Jahr nach dem misslungenen Anwerbungsversuch nicht vereinbar sind. Dies gilt vor allem für das Argument, der Beschwerdeführer sei nach der Aufgabe seines ursprünglichen Arbeitsplatzes (im Dezember 1992) für den Geheimdienst nicht mehr von Interesse gewesen. Im Übrigen handelt es sich um eine überwiegend bloß spekulative, auf den Zeitabstand als solchen gegründete Vermutung der belangten Behörde, die für sich allein nicht ausreichen kann, um einen Wegfall der für den Zeitpunkt der Ausreise des Beschwerdeführers und seiner Familie aus Armenien auch von der belangten Behörde offenbar angenommenen Gefährdung darzutun.
Zur näheren Begründung hätte sich die belangten Behörde konkreter, als dies in ihren abschließenden Hinweisen auf nicht näher genannte "vorliegende Informationen" im angefochtenen Bescheid geschehen ist, mit der Berichtslage in Bezug auf die Vorgangsweise des armenischen Geheimdienstes in vergleichbaren Fällen, sofern solche bekannt sind, und in Bezug auf die Entwicklung des Geheimdienstes selbst und der ihn kontrollierenden Institutionen auseinander setzen müssen. Bei den "vorliegenden Informationen" scheint es sich - den Beilagen zur Verhandlungsschrift nach zu schließen - um deutsche Außenamtsberichte zu handeln, die sich zum Teil auf Veränderungen im Vergleich zu den "Zeiten der Sowjetunion" und zum Teil auf spätere Entwicklungen beziehen, was in den Ausführungen der belangten Behörde nicht unterschieden wird. Angesichts der festgestellten Bedrohung des Beschwerdeführers und seiner Familie auch noch mehrere Jahre nach dem Zerfall der Sowjetunion hätte die belangte Behörde zur schlüssigen Begründung ihrer oben erwähnten Annahmen aber im Einzelnen - und unter Offenlegung ihrer Informationsquellen - darstellen müssen, durch welche im Herbst 1993 noch nicht gegebenen Umstände eine damals aufrechte Bedrohung durch den armenischen Geheimdienst nun nicht mehr bestehe.
Da die belangte Behörde dies verabsäumt hat, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001.
Wien, am 16. April 2002
Schlagworte
Begründungspflicht und Verfahren vor dem VwGH Begründungsmangel als wesentlicher VerfahrensmangelEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2002:2000200011.X00Im RIS seit
06.08.2002