Index
40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AsylG 1997 §23;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski und Dr. Berger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hohenecker, über die Beschwerde der OIA, geboren am 17. Juli 1974, vertreten durch Dr. Wolfgang Vacarescu, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Jakominiplatz 16/II, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 8. Februar 1999, Zl. 207.597/0-III/07/99, betreffend §§ 7, 8 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die Beschwerdeführerin, eine am 14. Mai 1998 in das Bundesgebiet eingereiste Staatsangehörige von Nigeria, stellte am 15. Mai 1998 einen Asylantrag und gab bei ihrer Einvernahme vor dem Bundesasylamt an, Tochter des Generals A zu sein. Dieser General habe im Dezember 1997 an einem gescheiterten Putschversuch gegen den damaligen Machthaber Nigerias Abacha teilgenommen und sei am 21. Dezember 1997 verhaftet und im April 1998 zum Tode verurteilt worden. Am 28. April 1998 sei im Fernsehen über die Verurteilung A zum Tod berichtet worden. Daraufhin habe sich die Beschwerdeführerin, die geheime Dokumente ihres Vaters (deren Inhalt sie nicht kenne) aufbewahrt habe, zum Wohnort ihrer Mutter begeben, wo ihr am nächsten Tag von Freunden des Vaters mitgeteilt worden sei, dass die Polizei nach ihr suche. Aufgrund dieser Mitteilung habe sie die Dokumente vergraben und sich zur Flucht aus Nigeria entschlossen. Im Falle ihrer Rückkehr nach Nigeria müsse sie damit rechnen, gefoltert und getötet zu werden.
Das Bundesasylamt wies mit Bescheid vom 16. Februar 1998 den Asylantrag gemäß § 7 AsylG ab und erklärte die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführerin nach Nigeria gemäß § 8 AsylG für zulässig. Das Bundesasylamt beurteilte das Vorbringen der Beschwerdeführerin, sie befürchte wegen des Besitzes der Dokumente Verfolgung, als unglaubwürdig und stufte den Umstand, dass sie die Tochter des A sei, als "fraglich" ein. Außerdem sei Nigeria nach dem Tod des Diktators Abacha "auf dem besten Weg zu demokratischen Verhältnissen".
Die Beschwerdeführerin erhob gegen diese Entscheidung Berufung, in der sie u.a. vorbrachte, es sei davon auszugehen, dass die Sippenhaftung in Nigeria noch immer eine große Rolle spiele. Da die Beschwerdeführerin im Besitz der Dokumente ihres Vaters gewesen sei, sei davon auszugehen, dass die Behörden davon überzeugt seien, dass sie von dem Putschversuch gewusst haben müsse, zumal die Beschwerdeführerin bereits von den Behörden gesucht worden sei.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung ohne Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung ab. Die belangte Behörde stellte (im Gegensatz zum Bundesasylamt) fest, dass die Beschwerdeführerin sich am 28. April 1998 nach einem TV-Bericht über die Verurteilung A zum Tod mit geheimen Dokumenten ihres Vaters zum Wohnort ihrer Mutter begeben habe, wo ihr am nächsten Tag von Freunden des Vaters mitgeteilt worden sei, dass die Polizei nach ihr suche, woraufhin sie nach Vergraben der Dokumente geflüchtet sei. Die belangte Behörde ging aber davon aus, es liege bloß subjektive Furcht vor, weil es nicht nachvollziehbar sei, "dass sich eine mit Vernunft begabte Person lediglich aufgrund einer unkonkreten Mitteilung von Freunden des Vaters (aus Konventionsgründen) fürchten würde". Doch selbst, wenn die Beschwerdeführerin tatsächlich von den Behörden gesucht würde, erscheine eine Furcht vor Verfolgung aus einem der in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe nicht nachvollziehbar. Aus einer "bloßen Suche" nach der Beschwerdeführerin könne noch kein Schluss auf asylrelevante Verfolgung gezogen werden. Die Verurteilung des Vaters zum Tod sei kein gefahrenerhöhendes Moment für die Beschwerdeführerin, weil sie selbst nicht am Putschversuch beteiligt gewesen sei. Die Berufungsbehauptung, die Behörden seien überzeugt, dass die Beschwerdeführerin, da sie im Besitz der Dokumente ihres Vaters gewesen sei, von dem Putschversuch gewusst habe, stelle sich "als bloße Vermutung dar, zumal die Asylwerberin nicht einmal angeben kann, um welche Dokumente es sich hiebei gehandelt hat". Einen Anhaltspunkt für eine willkürliche Verfolgung von Familienangehörigen des Vaters der Beschwerdeführerin gebe es nicht, weil die Beschwerdeführerin vier Monate lang unbehelligt geblieben sei; die Beschwerdeführerin habe auch nie behauptet, dass andere Familienangehörige verfolgt worden seien.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:
In der Beschwerde wird insbesondere geltend gemacht, die belangte Behörde habe sich mit dem Berufungsvorbringen nicht ausreichend auseinander gesetzt. Es sei durchaus nachvollziehbar, dass die Tochter eines Politikers, der einen Staatsstreich organisiert habe und in der Folge zum Tode verurteilt worden sei, selbst gröbstens gefährdet sei, zumal sich Geheimdokumente in ihrem Besitz befunden hätten. "Nicht nur aufgrund der Sippenhaftung, sondern aufgrund des Verwandtschaftsverhältnisses" sei anzunehmen, dass von den nigerianischen Behörden davon ausgegangen werde, "dass auch die Beschwerdeführerin regimekritisch ist und eventuell auch selbst gegen das Militärregime ankämpfen würde".
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist der Sachverhalt im Verfahren vor dem unabhängigen Bundesasylsenat im Sinne des Art. II Abs. 2 Z. 43a EGVG dann aus der Aktenlage in Verbindung mit der Berufung als geklärt anzusehen - sodass eine mündliche Berufungsverhandlung entfallen kann -, wenn der Sachverhalt nach Durchführung eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens und schlüssiger Beweiswürdigung der Behörde erster Instanz festgestellt wurde und in der Berufung kein dem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens der Behörde erster Instanz entgegenstehender oder darüber hinausgehender Sachverhalt neu und in konkreter Weise behauptet wird; jedenfalls im letztgenannten Fall ist es dem UBAS verwehrt, durch Würdigung der Berufungsangaben als unglaubwürdig - gleichgültig ob in an sich schlüssiger oder unschlüssiger Beweiswürdigung - den Sachverhalt ohne Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung und insbesondere ohne den Asylwerber selbst persönlich einzuvernehmen, als geklärt anzusehen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 11. November 1998, Zl. 98/01/0308, u.v.a.).
Im vorliegenden Fall ist die belangte Behörde im Gegensatz zum Bundesasylamt von der Glaubwürdigkeit der erstinstanzlichen Angaben der Beschwerdeführerin ausgegangen. Sie hat dies nicht zum Anlass für die Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung genommen und es auch nicht als erforderlich erachtet, die Umwürdigung der Ergebnisse des erstinstanzlichen Ermittlungsverfahrens im angefochtenen Bescheid näher zu begründen. Damit scheint die belangte Behörde in Wahrheit gemeint zu haben, es könne dahinstehen, ob dem erstinstanzlichen Vorbringen Glauben zu schenken sei (vgl. zu einem insoweit ähnlichen Fall schon das hg. Erkenntnis vom 19. Dezember 2001, Zl. 98/20/0312, m.w.N.).
Bei der Abstandnahme von einer mündlichen Berufungsverhandlung hat die belangte Behörde aber jedenfalls unbeachtet gelassen, dass die Beschwerdeführerin in der Berufung - über ihr Vorbringen vor dem Bundesasylamt hinausgehend - als Gründe für ihre Verfolgung sowohl "Sippenhaftung" als auch den Umstand geltend gemacht hat, die Behörden seien davon überzeugt, dass sie von dem Putschversuch gewusst haben müsse. Die belangte Behörde hat das auf "Sippenhaftung" bezogene Vorbringen (das als Behauptung einer Verfolgung von Familienangehörigen des Generals A zu verstehen war) als unglaubwürdig qualifiziert, weil die Beschwerdeführerin nicht behauptet habe, dass andere Familienangehörige verfolgt worden seien. Eine solche Feststellung durfte die belangte Behörde ohne Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung nicht treffen.
Die belangte Behörde hätte daher eine mündliche Berufungsverhandlung durchzuführen und auf der Grundlage der Ergebnisse dieser Verhandlung die Glaubwürdigkeit des Vorbringens der Beschwerdeführerin - einschließlich des Berufungsvorbringens - zu beurteilen gehabt, wobei die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid zu einem anderen Ergebnis hätte kommen können.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001.
Wien, am 16. April 2002
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2002:1999200155.X00Im RIS seit
01.07.2002