TE Vwgh Erkenntnis 2002/4/16 99/20/0430

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Veröffentlicht am 16.04.2002
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1997 §7;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Sulzbacher, Dr. Grünstäudl und Dr. Berger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hohenecker, über die Beschwerde des RAY in Linz, geboren am 6. November 1963, vertreten durch Dr. Franz Haunschmidt, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Marienstraße 4, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 30. April 1999, Zl. 201.200/0-VI/17/98, betreffend § 7 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger des Irak, reiste am 30. Mai 1996 in das Bundesgebiet ein und beantragte am 31. Mai 1996 Asyl. Bei seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 3. Juni 1996 gab er an, Ende 1992 seien Angehörige des irakischen Geheimdienstes zu ihm nach Hause gekommen und hätten sich nach seinem Bruder erkundigt. Dieser sei daraufhin untergetaucht. Der Geheimdienst habe den Beschwerdeführer (in der Folge) des Öfteren vorgeladen, um ihn nach dem Verbleib seines Bruders zu befragen. Im Zuge dieser Ladungen sei der Beschwerdeführer im März 1993 drei Tage lang inhaftiert und misshandelt worden. Er sei geschlagen und mit einem Schweißgerät verbrannt worden. Man habe auch Zigaretten auf seiner Haut ausgedämpft und ihm Elektroschocks versetzt. In der Niederschrift wurde dazu festgehalten, an den Armen des Beschwerdeführers seien Brandwunden sichtbar. Im November 1993, so das weitere Vorbringen des Beschwerdeführers, sei er neuerlich verhaftet und misshandelt worden. Letztendlich habe der Geheimdienst von ihm einen Beitritt zur Baath-Partei, den er aber abgelehnt habe, und Informationen über die geheimen Zellen der kommunistischen Partei, deren aktives Mitglied der Bruder des Beschwerdeführers gewesen sei, verlangt. Auf Grund der ständigen Ablehnung des Beschwerdeführers, mit dem Geheimdienst zusammenzuarbeiten, habe dieser im Februar oder März 1994 das Taxi des Beschwerdeführers in Brand gesetzt. Nach dem Verlust dieser Existenzgrundlage sei der Beschwerdeführer mit seiner Familie in den Herkunftsort seiner Frau (Tel-Askuf in einem außerhalb des autonomen Kurdengebiets liegenden Teil des Nordirak) gezogen, wo er seine Schwiegereltern bei der Landwirtschaft unterstützt habe. Im September 1994 und in der Folge noch des Öfteren sei der Geheimdienst bei der Familie der Ehegattin des Beschwerdeführers erschienen, um sich nach dem Beschwerdeführer zu erkundigen. Der Beschwerdeführer sei aber "jedes Mal nicht zu Hause" gewesen. Aus Angst, verhaftet zu werden, habe er sich zur Flucht entschlossen. Im "Norden des Irak" (der Beschwerdeführer hatte angegeben, sich vor der Ausreise aus dem Irak vom März bis Mai 1996 in Zakho aufgehalten zu haben) habe er nicht bleiben können, weil es dort keine Arbeitsmöglichkeit gebe und der Beschwerdeführer der kurdischen Sprache nicht mächtig sei. Der letzte Besuch des Geheimdienstes bei der Familie der Ehegattin des Beschwerdeführers habe Ende 1995 stattgefunden. Der Schwiegervater des Beschwerdeführers habe zu diesem gesagt, es sei besser, wenn er das Land verlasse, weil sein Schwiegervater und die übrigen Verwandten seiner Ehegattin sonst in Gefahr sein würden.

Mit Bescheid vom 4. Juni 1996 wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 3 des Asylgesetzes 1991 ab. Es traf ausgehend vom Vorbringen des Beschwerdeführers die Feststellung, dieser habe den Irak verlassen, weil er befürchtet habe, durch die dortigen Behörden neuerlich zum Verschwinden seines Bruders befragt zu werden. Einen "tauglichen Asylgrund" habe der Beschwerdeführer nicht vorgebracht, weil sich die Vorgangsweise seines Heimatstaates nicht individuell gegen seine Person gerichtet habe, sondern er "lediglich als Auskunftsperson" herangezogen worden sei. "So" sei auch die dreitägige Anhaltung, während der der Beschwerdeführer seinen Behauptungen zufolge misshandelt worden sei, "zu verstehen". Es handle sich dabei "um keine Folter im ursprünglichen Sinn, sondern diese diente der Ermittlung" des Aufenthaltes des Bruders des Beschwerdeführers. Sie stelle "somit nach hierortiger Ansicht den Übergriff einzelner Beamter dar". Die "besagte Inhaftierung" sei nach den Angaben des Beschwerdeführers auch "ohne Konsequenzen beendet" worden. Dass das Auto des Beschwerdeführers vom Geheimdienst angezündet worden sei, vermute der Beschwerdeführer nur. Seit seiner Übersiedlung Mitte 1994 sei er "in keinerlei direkten Kontakt mehr" zum Geheimdienst getreten. Seine Befürchtungen seien "bloß subjektiv empfundene Furcht, die durch keinerlei Anhaltspunkte für konkret gegen Sie gerichtete oder geplante Verfolgungshandlungen untermauert" worden sei. Der Beschwerdeführer habe aber auch eine "innerstaatliche Fluchtalternative" in der autonomen Kurdenzone des Nordirak gehabt und sei überdies in der Türkei vor Verfolgung sicher gewesen.

In seiner Berufung gegen diesen Bescheid verwies der Beschwerdeführer u.a. darauf, dass ihn der Geheimdienst nach der dreitägigen Inhaftierung weiterhin unter Druck gesetzt und in der Folge wiederholt gesucht habe und nur auf Grund des Umstandes, dass sich der Beschwerdeführer auf der Landwirtschaft seiner Schwiegereltern "versteckt" habe, seiner nicht habhaft geworden sei. Auf die - nun näher dargestellten - Gründe, aus denen der nichtkurdische Beschwerdeführer im Kurdengebiet nicht sicher gewesen wäre, sei während der Einvernahme aus Zeitmangel nicht ausreichend eingegangen worden.

Die belangte Behörde führte am 11. November 1998, 21. Dezember 1998 und 2. März 1999 eine insgesamt 13-stündige mündliche Berufungsverhandlung durch, in deren Verlauf außer dem Beschwerdeführer auch seine Ehegattin und der im erstinstanzlichen Verfahren beigezogene Dolmetscher vernommen wurden.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 7 AsylG ab.

Zur Begründung dieser Entscheidung stellte die belangte Behörde im Anschluss an eine ausführliche Wiedergabe des Verfahrensganges als entscheidungswesentlichen Sachverhalt fest, der aus dem Zentralirak stammende kaldäisch-katholische Beschwerdeführer sei "laut seinen Angaben" von den irakischen Behörden "aus keinem aus der Genfer Flüchtlingskonvention ableitbaren Grund gefoltert oder gesucht", sondern "nur wegen seines Bruders gesucht" worden. Es habe "kein besonderer Anlass" dafür vorgelegen, dass der Beschwerdeführer mit seiner Familie 1994 Bagdad verlassen habe, um sich von Ende September 1994 bis März 1996 in Tel-Askuf auf der Farm seines Schwiegervaters aufzuhalten. Der Beschwerdeführer habe Bagdad verlassen, weil es ihm "psychisch immer schlechter" gegangen sei und sein Auto angezündet worden sei. In Tel-Askuf hätten die irakischen Sicherheitsorgane die Gattin des Beschwerdeführers mehrmals nach dessen Aufenthaltsort und nach dem ihres Schwagers befragt, da sie angenommen hätten, der Beschwerdeführer wisse genau, wo sich sein Bruder aufhalte. Der Beschwerdeführer selbst sei "laut seinen Aussagen" in Tel-Askuf eineinhalb Jahre lang "persönlich vor Verfolgung sicher" gewesen (womit - nach den zu Grunde gelegten Angaben des Beschwerdeführers - der Umstand gemeint ist, dass es ihm während dieser Zeit gelungen sei, sich vor dem irakischen Geheimdienst zu verstecken). Er habe den Zentralirak verlassen, weil die Sicherheitsleute von ihm verlangt hätten, den Aufenthaltsort seines Bruders bekannt zu geben. Der Beschwerdeführer hätte auch die Genossen seines Bruders, die mit diesem in der kommunistischen Partei zusammengearbeitet hätten, bekannt geben sollen. Vor dem Verlassen des Irak habe sich der Beschwerdeführer mit seiner Familie mehr als zwei Monate lang bei kurdischen Freunden seines Schwiegervaters in der "Sicherheitszone des Nordiraks" aufgehalten. Während dieses Aufenthaltes sei er weder als Spitzel für den Zentralirak angesehen worden noch habe er Indizien dafür, dass er dort durch eine konkrete, individuelle Bedrohung gefährdet gewesen oder "von den beiden Parteien des Nordiraks als Verdächtiger angesehen" worden sei (Seiten 25 und 26 des angefochtenen Bescheides).

Diese Feststellungen gründete die belangte Behörde (auf den Seiten 26 bis 31 des angefochtenen Bescheides) auf eine Beweiswürdigung, in der sie die Angaben des als Zeugen vernommenen Dolmetschers uneingeschränkt und diejenigen der Ehegattin des Beschwerdeführers - die über die Zeit des Aufenthaltes des Beschwerdeführers in Tel-Askuf befragt worden war - "in wesentlichen Punkten offensichtlich ebenfalls" als glaubwürdig, das Vorbringen des Beschwerdeführers selbst hingegen auf Grund zahlreicher im Einzelnen dargestellter Abweichungen zwischen seinen Angaben als (grundsätzlich) unglaubwürdig erachtete. Als glaubwürdig sei in den Aussagen des Beschwerdeführers anzusehen, dass er nach der Vernichtung seiner Existenzgrundlage, des Taxis, mit seiner Familie zu seinen Schwiegereltern gezogen sei und diese in der Landwirtschaft unterstützt habe, und dass er nicht "im Nordirak" geblieben sei, weil es dort für ihn keine Arbeitsmöglichkeit gegeben habe und er der kurdischen Sprache nicht mächtig sei. Hingegen komme "dem sonstigen erstinstanzlichen Vorbringen in allen asylrelevanten Punkten keine Glaubwürdigkeit zu, ebenso wenig dem über die gegenständlichen Feststellungen hinaus gehenden Sachverhalt seines Berufungsvorbringens" (Seite 28 des angefochtenen Bescheides).

In rechtlicher Hinsicht würdigte die belangte Behörde den Fall im Wesentlichen wie folgt (Seite 32 des angefochtenen Bescheides):

"Im gegenständlichen Fall konnte vom Berufungswerber kein tauglicher, den Berufungswerber selbst betreffender Asylgrund geltend gemacht werden. Die irakischen Behörden wollten durch den Berufungswerber lediglich den Aufenthaltsort seines Bruders und dessen Genossen in Erfahrung bringen. Eine eigene politische Gesinnung wurde dem Berufungswerber nicht unterstellt und eine Verfolgung wegen seines kaldäisch-katholischen Glaubens hat der Berufungswerber im Verfahren nicht behauptet. Daraus können keine Anhaltspunkte für eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung i.S.d. Genfer Flüchtlingskonvention abgeleitet werden (vgl. VwGH, 14.01.1998, Zl. 97/01/0765).

Dazu kommt, dass sich der Berufungswerber mehr als zwei Monate in der Sicherheitszone des Nordiraks bei Freunden seines Schwiegervaters aufgehalten hatte. Der dort gegebenen innerstaatlichen Fluchtalternative konnte der Berufungswerber auf Vorhalt in der Berufungsverhandlung nicht entgegentreten. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann eine Verfolgung nur dann angenommen werden, wenn sich die behaupteten, maßgeblichen Umstände auf das gesamte Gebiet des Heimatstaates beziehen und der Asylwerber Schutz vor Verfolgung nicht in anderen Teilen seines Heimatlandes finden konnte (VwGH, 28.03.1996, Zl. 95/20/0127). Eine bloß subjektiv empfundene Furcht vor Verfolgung genügt für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft jedoch nicht (VwGH, 11.11.1998, Zl. 98/01/0312)."

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

1. Der Beschwerdeführer rügt seine "peinliche Befragung" in der Berufungsverhandlung als "unangemessen", zumal sie der Herausarbeitung im Ergebnis völlig irrelevanter Widersprüche gedient habe. Die belangte Behörde verweist dazu in der Gegenschrift - im Zusammenhang mit der von ihr angenommenen Erheblichkeit der Widersprüche - auf ihren "gesetzlichen Auftrag, den wahren Sachverhalt festzustellen". Bei der Erfüllung dieses Auftrages, auf den sich die belangte Behörde im Prinzip zu Recht beruft, ist aber darauf Bedacht zu nehmen, dass das primäre Ziel des Asylgesetzes nach dem Vorblatt der Erläuterungen zur Regierungsvorlage die "Garantie eines fairen Asylverfahrens" ist (686 BlgNR XX. GP 14). Auch die Einrichtung einer gerichtsähnlichen, unparteilichen und unabhängigen Berufungsbehörde in Asylsachen (vgl. a.a.O., 30, sowie 756 und 785 BlgNR XX. GP) dient u.a. diesem Ziel, was nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes bei der Gestaltung der Berufungsverhandlungen in einer für den Asylwerber erkennbaren Weise nach außen hin zum Ausdruck kommen sollte.

Im vorliegenden Fall erwecken zumindest Teile der Niederschrift über die Berufungsverhandlung mehr den Eindruck eines gemeinschaftlichen, auf die Widerlegung der Berufungsbehauptungen abzielenden Verhörs des Asylwerbers durch den Verhandlungsleiter und die Vertreterin des Bundesasylamtes als den einer Verhandlung über die Berechtigung der Standpunkte der beiden Parteien des Berufungsverfahrens. Dass sich die Befragung vor allem auf Punkte konzentrierte, die gegen die Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers oder gegen die Berechtigung seines Antrages zu sprechen schienen, mag aus der Sicht der belangten Behörde der Wahrheitsermittlung gedient haben. In Verbindung mit dem Ton mancher Äußerungen der Vertreterin des Bundesasylamtes, mit den immer wiederkehrenden Vorhalten des Verhandlungsleiters, dass die Angaben des Beschwerdeführers (auch in Punkten, in denen ihnen schließlich gefolgt wurde) "völlig unglaubwürdig" und die behaupteten Tatsachen "alle keine Asylgründe" seien, und mit dem zum Teil zweifelhaften Verhältnis der Vorhalte zum Akteninhalt (Vorhalt erwiesener "familiärer Bindungen" in der "Sicherheitszone" oder des Fehlens einer Berufungsbehauptung, sich in Tel-Askuf "versteckt" zu haben) ergibt sich daraus aber der erwähnte Eindruck.

Letztlich beeinträchtigt dies die Schlüssigkeit der Beweiswürdigung, für deren Nachvollziehbarkeit es u.a. darauf ankommt, ob die ihr zugrunde gelegten Widersprüche in die zu vernehmende Person "hineingefragt" wurden oder sich bei einer nicht von vornherein auf die Widerlegung ihrer Angaben abzielenden Befragung ergeben haben. Dass sich die belangte Behörde des Ausdrucks "in allen asylrelevanten Punkten" bedient, um die den Feststellungen nicht zugrunde gelegten Teile des erstinstanzlichen Vorbringens zu umreißen, denen auf Grund der Ergebnisse der Berufungsverhandlung kein Glauben zu schenken sei, trägt ebenfalls nicht zur Nachvollziehbarkeit der Beweiswürdigung bei. Mit der erwähnten Formulierung scheinen - ungeachtet der noch zu erörternden Ansicht der belangten Behörde, das Vorbringen sei insgesamt nicht asylrelevant - u.a. die behaupteten Folterungen und weiteren Misshandlungen im März und November 1993 gemeint zu sein. Auf die Frage, ob die diesbezüglichen Behauptungen des Beschwerdeführers als unwahr zu werten seien, wird im angefochtenen Bescheid aber nicht direkt eingegangen, und es finden sich auch keine Ausführungen zu den objektivierten Verletzungen des Beschwerdeführers.

2. Im Ergebnis ist die belangte Behörde aber davon ausgegangen, dass der Beschwerdeführer - dem in Wahrheit wesentlichen Kern seines Vorbringens entsprechend - den Irak verlassen habe, weil "Sicherheitsorgane" bzw. "Sicherheitsleute" (nach dem ursprünglichen Vorbringen des Beschwerdeführers: Angehörige des Geheimdienstes) ihn gesucht hätten, um ihn - neuerlich - nach dem Aufenthaltsort seines in der kommunistischen Partei tätigen Bruders zu "befragen". Dabei hätten sie - aus keinem anderen ersichtlichen oder von der belangten Behörde angenommenen Grund als dem der familiären Beziehung - angenommen, der Beschwerdeführer wisse "genau", wo sich sein Bruder aufhalte. Welche Behandlung der Beschwerdeführer, der sich weiteren "Befragungen" durch den Aufenthalt in Tel-Askuf und die anschließende Flucht ins Ausland entzogen hat, im Falle nunmehriger Ergreifung durch die erwähnten Organe zu erwarten habe, geht aus dem angefochtenen Bescheid aber nicht hervor. Die belangte Behörde spricht zwar wie das Bundesasylamt von der mangelnden Asylrelevanz "bloß subjektiv empfundener Furcht", doch bezieht sich dies - anders als im erstinstanzlichen Bescheid - nur auf die angenommenen Verhältnisse in der "Sicherheitszone" des Nordirak. Die Frage, wie der irakische Geheimdienst den verfügbaren Länderberichten zufolge vorgeht, wenn Angehörige einer aus politischen Gründen gesuchten Person diese nach Ansicht des Geheimdienstes vor seinem Zugriff zu schützen versuchen, wird nicht behandelt.

Das Fehlen einer diesbezüglichen Prognose der belangten Behörde für den Fall einer Rückkehr des Beschwerdeführers in den Tätigkeitsbereich der irakischen "Sicherheitsorgane" gründet sich im angefochtenen Bescheid auf die Rechtsansicht, es gebe keine Anhaltspunkte für eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung im Sinne der Flüchtlingskonvention, wenn dem Beschwerdeführer selbst "eine eigene politische Gesinnung nicht unterstellt" werde und die irakischen Behörden "durch den Berufungswerber" (auf nicht näher erörterte Weise) "lediglich den Aufenthaltsort seines Bruders und dessen Genossen in Erfahrung bringen" wollten.

Diese Rechtsansicht nimmt unter der Voraussetzung, dass dem Beschwerdeführer im Falle seiner nunmehrigen Ergreifung durch irakische "Sicherheitsorgane" ein Nachteil von für die Annahme von Verfolgung ausreichender Intensität drohen könnte, was die belangte Behörde nicht geprüft hat, nicht ausreichend darauf Bedacht, dass der Beschwerdeführer diese Nachteile auf Grund der Verwandtschaft mit seinem in der kommunistischen Partei tätigen und deshalb gesuchten Bruder - somit wegen der Zugehörigkeit zur Familie als "sozialer Gruppe" - zu erleiden hätte, und steht schon deshalb nicht im Einklang mit der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum geltenden Gesetz (vgl. dazu die Erkenntnisse vom 19. Dezember 2001, Zl. 98/20/0312 und Zl. 98/20/0330, mit weiteren Nachweisen).

Davon abgesehen wäre in Bezug auf das Vorgehen staatlicher Organe im Irak auch darauf einzugehen gewesen, ob die (mit der Annahme "genauen Wissens" um den Aufenthaltsort des Bruders) unterstellte Ablehnung der Preisgabe eines Angehörigen nicht als Hintanstellung der Interessen der Staatsführung infolge unzureichender Verbundenheit mit Letzterer und somit als Ausdruck einer verfehlten politischen Gesinnung gewertet würde. Die Würdigung des Sachverhaltes unter derartigen Gesichtspunkten hat sich anders als im angefochtenen Bescheid nicht darauf zu beschränken, wie der Asylwerber auf die Frage antwortet, ob er "aus einem Grund, der aus der GFK ableitbar ist, wie politische oder religiöse Verfolgung, gefoltert bzw. gesucht" worden sei (Seite 11 der Niederschrift vom 2. März 1999: "Nein, ich wurde nur wegen meines Bruders gesucht"; aus dieser Antwort könnte - anders, als dies in den wörtlich gleich lautenden und auf diese Stelle in der Niederschrift verweisenden Feststellungen der belangten Behörde anklingt - auch nicht abgeleitet werden, dass der Beschwerdeführer nicht gefoltert worden sei).

3. Zur Ansicht der belangten Behörde, im Norden des Irak gebe es eine "Sicherheitszone", auf die sich eine vom Zentralirak ausgehende staatliche Verfolgung nicht erstrecken könne oder zumindest in absehbarer Zukunft nicht erstrecken werde und wo der aus dem Zentralirak stammende Beschwerdeführer bei asylrelevanter Verfolgung durch den irakischen Staat innerstaatlichen "Schutz" suchen solle, kann wegen des insoweit gleich gelagerten Sachverhaltes gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf das Erkenntnis vom 21. März 2002, Zl. 99/20/0401, verwiesen werden.

Der angefochtene Bescheid war aus den dargestellten Gründen gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001.

Wien, am 16. April 2002

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2002:1999200430.X00

Im RIS seit

09.07.2002
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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