TE Vwgh Erkenntnis 2002/4/16 2001/20/0361

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Veröffentlicht am 16.04.2002
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1997 §7;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Sulzbacher, Dr. Grünstäudl und Dr. Berger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hohenecker, über die Beschwerde des MZ in Wien, geboren 5. November 1969, vertreten durch Dr. Wolfgang Rainer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Schwedenplatz 2/74, gegen den Bescheid des unahbängigen Bundesasylsenates vom 12. Februar 2001, Zl. 207.642/0-IX/26/99, betreffend §§ 7, 8 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger des Iran, reiste nach seinen Angaben im November 1998 in das Bundesgebiet ein und stellte am 12. November 1998 unter Verwendung eines falschen Namens einen Asylantrag.

Bei der Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 11. Dezember 1998 machte der Beschwerdeführer folgende Fluchtgründe geltend: Er sei seit Ende 1991 beim Militärgericht in Chah-Bahar in der Provinz Sistan Beluchistan beschäftigt gewesen und habe Probleme mit Vertretern des im Iran sehr mächtigen Sicherheitsministeriums (Sicherheitsdienstes), weil er die Bevölkerung darüber aufgeklärt habe, dass man Übergriffe des Militärs beim Militärgericht anzeigen könne. Im Jänner 1998 habe er einem Soldaten geraten, wegen Misshandlungen durch den Sicherheitsdienst eine - von diesem Soldaten später jedoch wieder zurückgezogene - Anzeige beim Militärgericht zu erstatten; im Zuge dieses Verfahrens habe er den stellvertretenden Direktor des Sicherheitsdienstes S. vorgeladen, der sich in der Folge "in der Zentrale" über den Beschwerdeführer beschwert habe. Er sei daraufhin zum Leiter des Militärgerichtes vorgeladen worden. Sein Schwager, der in höherer Funktion ebenfalls am Militärgericht tätig sei, habe in Erfahrung gebracht, dass der Beschwerdeführer "Probleme bekommen könnte", es sei ein Akt über ihn angelegt worden und seine Telefongespräche würden überwacht. Als Grund für die Überwachung seiner Telefongespräche gab der Beschwerdeführer an, er sei "wegen der Verwandtschaft zu meinem Schwager" besonders beobachtet worden, weil auch sein Schwager schon Konflikte mit dem Sicherheitsdienst gehabt habe; es gebe einen "Machtkampf" zwischen dem Militärgericht und dem Sicherheitsdienst. Weiters gab er an, er habe eine armenische Christin zur Verlobten, was der Sicherheitsdienst durch die Überwachung seiner Telefongespräche erfahren habe, und er sei Sympathisant einer monarchistischen Gruppe. Von einem beim Sicherheitsdienst tätigen Freund habe er in der Folge erfahren, dass er aufpassen solle, weil der Sicherheitsdienst hinter ihm her sei. Das fluchtauslösende Ereignis sei gewesen, dass ihn ein Soldat bei seinem Schwager angerufen und ihm mitgeteilt habe, dass seine Wohnung aufgrund eines Hausdurchsuchungsbefehls durchsucht worden wäre und man bei der Hausdurchsuchung eine - dem Beschwerdeführer unterschobene - Waffe gefunden hätte. Nachdem ihm sein Schwager nach telefonischen Erkundigungen mitgeteilt habe, es sehe so aus, als ob er "Probleme bekommen" werde, habe der Beschwerdeführer Angst bekommen und sei geflüchtet, wobei er sich zunächst mehrere Monate bei verschiedenen Freunden im Iran versteckt habe.

Das Bundesasylamt wies den Asylantrag ab, weil eine Verfolgung des Beschwerdeführers im Iran nicht glaubhaft sei, und stellte fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in den Iran gemäß § 8 AsylG zulässig sei.

In der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung gab der Beschwerdeführer seinen richtigen Namen bekannt und legte entsprechende Dokumente zum Beweis seiner Identität und seiner Tätigkeit am Militärgericht in Chah-Bahar vor.

In der mündlichen Berufungsverhandlung gab der Beschwerdeführer an, der gegen ihn gerichtete Hausdurchsuchungsbefehl sei erlassen worden, weil er eine armenische Christin zur Freundin gehabt habe, weil er die Bevölkerung über ihre Rechte gegen Militärübergriffe aufgeklärt habe und weil sein Schwager - allerdings schon mehrere Jahre vor der Flucht des Beschwerdeführers - Auseinandersetzungen mit dem damaligen Chef des Sicherheitsdienstes des Bezirkes Chah-Bahar gehabt habe. Dieser sei als Leiter des Sicherheitsdienstes abgesetzt und wegen verschiedener Delikte (Bestechung, Misshandlungen, Vergewaltigung), die sein Schwager aufgedeckt habe, verurteilt worden. Allerdings habe sein Nachfolger in dieser Funktion - der vom Beschwerdeführer im März 1998 zur Einvernahme vorgeladene S. - die Methoden seines Vorgängers übernommen. Bei der Hausdurchsuchung in der Wohnung des Beschwerdeführers habe man nicht nur eine ihm unterschobene Waffe, sondern auch monarchistische Zeitschriften, die er von seiner armenischen Freundin erhalten habe, sichergestellt. Wäre er im Iran geblieben, hätte er "viele Schwierigkeiten bekommen, der Sicherheitsdienst hätte mich vielleicht umgebracht." Würde er in den Iran zurückkehren, wäre es sogar "noch schlimmer". Er hätte im Iran "viele Probleme: Auffinden der Waffe, armenische Freundin, Fernbleiben vom Dienst, Einstellung gegen das Regime, Aufklärung der Bevölkerung, Auseinandersetzung mit dem Sicherheitsdienst". Er befürchte, vom Sicherheitsdienst "ohne Verfahren eliminiert zu werden".

Nach der Berufungsverhandlung langte eine Auskunft der österreichischen Botschaft in Teheran ein, die dem Beschwerdeführer zur Stellungnahme übermittelt wurde. In dieser Auskunft wurde die Frage der belangten Behörde, ob allein die Tatsache, dass ein Bediensteter eines Militärgerichtes mit einer armenischen Christin befreundet sei, Probleme bereite, wie folgt beantwortet:

"Prinzipiell nicht. Sollten allerdings sexuelle Kontakte bestehen, so kann dies zu folgenden Auswirkungen führen: Strafe für den Moslem: 30 bis 70 Peitschenhiebe, Strafe für die Christin:

Gefängnis bis Todesstrafe (abhängig vom Richter)".

Die belangte Behörde gab mit dem angefochtenen Bescheid der Berufung des Beschwerdeführers keine Folge. Sie stellte fest, dass der Beschwerdeführer am Militärgericht in Chah-Bahar beschäftigt gewesen sei, erachtete dessen Vorbringen zu den Fluchtgründen aber zur Gänze als unglaubwürdig. Wegen der fehlenden Glaubhaftmachung der Fluchtgründe sei auch nicht hervorgekommen, dass der Beschwerdeführer unerlaubt vom Dienst ferngeblieben sei. Es lägen auch keine Informationen darüber vor, dass ein unerlaubtes Fernbleiben vom Dienst "automatisch von den iranischen Behörden mit einer politisch oppositionellen Gesinnung gleichgesetzt würde". Ohne Begründung führte die belangte Behörde ferner aus, es sei "nicht feststellbar", ob der Beschwerdeführer mit einer armenischen Christin "eng befreundet gewesen" sei. Dies könne aber dahingestellt bleiben, weil aufgrund einer bei der österreichischen Botschaft in Teheran eingeholten Auskunft die Tatsache einer Freundschaft mit einer armenischen Christin "prinzipiell keine Probleme" bereite, "sohin eine Verfolgung oder Misshandlungsgefährdung alleine aus diesem Grund von vornherein auszuschließen" sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Der Beschwerdeführer hat schon bei seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt als Gründe für seine fluchtauslösenden Probleme mit dem Sicherheitsdienst angegeben, dass er einem Soldaten zu einer Anzeige geraten habe, wobei in dieses Verfahren auch der (stellvertretende) Direktor des Sicherheitsdienstes S. involviert gewesen sei, dass er Sympathisant einer monarchistischen Gruppe sei und dass er eine armenische Christin zur Verlobten habe.

In Bezug auf den zuletzt genannten Umstand geht die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid davon aus, dass "alleine die Tatsache einer Freundschaft mit einer armenischen Christin ... prinzipiell keine Probleme bereitet, sohin eine Verfolgung oder Misshandlungsgefährdung alleine aus diesem Grund von vornherein auszuschließen ist" (im Original ohne Hervorhebung). Zu Recht weist die Beschwerde darauf hin, dass eine "Freundschaft" nicht dasselbe ist wie die vom Beschwerdeführer behauptete "Verlobung". Es erschöpft sich aber auch die im angefochtenen Bescheid zitierte Antwort der österreichischen Botschaft in Teheran auf die Anfrage der belangten Behörde nach möglichen "Problemen" wegen der Tatsache, dass ein Bediensteter eines Militärgerichtes mit einer armenischen Christin "befreundet" sei, nicht darin, dass dies "prinzipiell" keine Probleme bereite. Dem wurde vielmehr - insoweit im angefochtenen Bescheid aber nicht mehr wiedergegeben -

hinzugefügt, dass dann, wenn sexuelle Kontakte bestehen sollten, dies zu 30 bis 70 Peitschenhieben für den Moslem und - abhängig vom Richter - zu "Gefängnis bis Todesstrafe" für die Christin führen könne. Unter diesem Gesichtspunkt - und unter dem einer beabsichtigten Eheschließung - hat sich die belangte Behörde mit den möglichen Auswirkungen der behaupteten Verlobung nicht auseinandergesetzt.

Die belangte Behörde hat möglicherweise auch verkannt, dass diese dem Beschwerdeführer im Falle intimer Kontakte zu seiner christlichen Verlobten drohende Bestrafung aufgrund der Schwere und der darin zum Ausdruck gelangenden staatlichen Reaktion auf die Abweichung von der im Iran staatstragenden islamischen Religion durchaus als asylrelevante Verfolgung anzusehen sein kann. Der Verwaltungsgerichtshof hat im Zusammenhang mit der Verquickung von Staat und Religion im Iran das Erfordernis einer Prüfung auch dem Schutz religiöser Werte dienender Strafvorschriften unter dem Gesichtspunkt einer unterstellten politischen Gesinnung zum Ausdruck gebracht (vgl. in diesem Sinn die Erkenntnisse vom 21. Jänner 1999, Zl. 98/20/0350, vom 16. September 1999, Zl. 98/20/0543, die Strafverfolgung wegen Weitergabe einer Bibel bzw. Besitzes eines Buches von Salman Rushdie betreffend, und vom 27. September 2001, Zl. 99/20/0409, die drohende Strafverfolgung wegen einer Lebensgemeinschaft mit einem Christen betreffend).

Wegen der nicht auszuschließenden Asylrelevanz der vom Beschwerdeführer behaupteten Verlobung mit einer Christin hätte sich die belangte Behörde daher unter den zuvor genannten Gesichtspunkten schon bei der Entscheidung über die Asylgewährung mit dem betreffenden Vorbringen des Beschwerdeführers auseinander zu setzen gehabt. Sie hätte entweder darlegen müssen, aus welchen Gründen die behauptete Verlobung mit einer Christin nicht habe festgestellt werden können, oder - im Falle des Vorliegens der Verlobung - mit nachvollziehbarer Begründung festzustellen gehabt, ob wegen dieser Verlobung mit einer Christin (und der damit möglicherweise verbundenen oder vom Verfolger bloß vermuteten intimen Beziehung) eine Verfolgung des Beschwerdeführers mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit anzunehmen sei.

Der angefochtene Bescheid war schon deshalb gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben. Auf die zumindest teilweise nicht unbeachtlichen Argumente der Beschwerde gegen die Beweiswürdigung der belangten Behörde in Bezug auf die übrigen Verfolgungsbehauptungen des Beschwerdeführers braucht unter diesen Umständen - vorerst - nicht eingegangen zu werden.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001.

Wien, am 16. April 2002

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2002:2001200361.X00

Im RIS seit

01.07.2002
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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