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19/05 Menschenrechte;Norm
AsylG 1997 §7;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski und Dr. Sulzbacher als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hohenecker, über die Beschwerde des am 25. Jänner 1976 geborenen JA, derzeit in Wien, vertreten durch Mag. Edwin Stangl, Rechtsanwalt in 2700 Wiener Neustadt, Neunkirchnerstraße 34, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 2. März 2001, Zl. 213.351/0-XI/34/99, betreffend §§ 7, 8 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen zu ersetzen.
Begründung
Der 1976 geborene Beschwerdeführer, seinen Angaben zufolge ein Staatsangehöriger von Sierra Leone, reiste am 27. Jänner 1999 nach Österreich ein und stellte einen Asylantrag. Bei seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 28. Jänner 1999 gab der Beschwerdeführer an, in Nigeria (Lagos), woher seine Mutter stamme, geboren zu sein und dort den Kindergarten besucht zu haben. Von 1986 bis 1989 habe er in Buthi einer Stadt im Distrikt Kailahun, im Osten Sierra Leones, wohin die Familie offenbar mittlerweile verzogen war, die Grundschule besucht. Danach sei er - mit Ausnahme eines Zeitraumes von zwei Jahren (um 1995), in dem er sich in Nigeria aufgehalten habe - in der väterlichen Landwirtschaft tätig gewesen. Er gehöre dem Stamm der "Susu" an und spreche neben Englisch und "Susu" noch "Mande" und Krio. Der Beschwerdeführer wurde aufgefordert, die Zahlen eins bis zehn in "Susu" anzugeben, wurde zu Städten in seinem Heimatdistrikt, zur Stadt Kailahun und zur Hauptstadt von Sierra Leone und zu deren jeweiliger Lage, zu Hafenstädten sowie zu Nachbarländern und schließlich auch zur Währung befragt. Zu seiner Flucht gab der Beschwerdeführer an, er habe im Jänner 1999 Sierra Leone zu Fuß verlassen und sei von seinem Heimatdorf Buthi, in der Nähe der Stadt Kailahun, zu einem ihm namentlich nicht bekannten Hafen in Liberia, den er in weniger als zwei Tagen erreicht habe, gegangen. Trotz Vorhalts, dass dies im Hinblick auf die Entfernung von Buthi zur liberianischen Küste "jeglicher Realität" widerspreche, blieb der Beschwerdeführer bei seinen Behauptungen. Auch trotz des weiteren Vorhalts, dass er die geographischen Gegebenheiten in Sierra Leone überhaupt nicht kenne, und daher davon auszugehen sei, dass er nicht aus Sierra Leone stamme, hielt der Beschwerdeführer seine bisherige Aussage aufrecht. Die daraufhin gestellte Frage nach dem Aussehen der Flagge Sierra Leones beantwortete er richtig.
In einer weiteren Befragung am 30. Juni 1999 gab der Beschwerdeführer als Fluchtgrund an, er sei im Herbst 1998 von den Rebellen zwangsrekrutiert und in einem Lager der RUF in Kailahun einer Ausbildung unterzogen worden. Nach zwei Wochen sei ihm im Zuge eines militärischen Einsatzes die Flucht gelungen. Er sei aus Sierra Leone einerseits vor seinen früheren Freunden geflüchtet, die für die Regierungsarmee kämpften und ihm gedroht hätten, ihn zu töten. Andererseits hätten ihn die RUF-Rebellen getötet, wenn er sich ihnen nicht weiterhin angeschlossen hätte. Schließlich leide er an Diabetes und man könne mit dieser Krankheit in Sierra Leone mangels entsprechender ärztlicher Versorgung nicht überleben. Auf Vorhalt, dass in Sierra Leone Frieden herrsche und es nur noch im Osten zu vereinzelten Auseinandersetzungen komme, erwiderte der Beschwerdeführer, dass ihn diese geänderte Situation "wirklich sehr freut". Bezüglich seiner Rückkehr möchte er nunmehr sagen, dass er keinen Grund sehe, nun nicht mehr zurückzukehren, wenn nunmehr Frieden herrsche. Auf die weitere Frage, ob er seinen Fluchtgründen noch etwas hinzuzufügen habe, antwortete der Beschwerdeführer, der entscheidende Grund für die Flucht sei der Krieg; sonst gebe es eigentlich keinen Grund. Bezüglich seiner Abschiebung befürchte er, in Sierra Leone nicht die nötige ärztliche Behandlung zu bekommen, die er als Diabetiker benötige.
Mit Bescheid vom 30. September 1999 wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 7 AsylG ab und stellte gemäß § 8 AsylG fest, dass seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Sierra Leone zulässig sei. Das Bundesasylamt stellte fest, der Beschwerdeführer habe sein Heimatland Sierra Leone auf Grund des damals herrschenden Bürgerkrieges verlassen, nehme aber mit Freude zur Kenntnis, dass nunmehr Frieden herrsche. Bezüglich der Abschiebung habe er lediglich angeführt, Angst zu haben, in Sierra Leone kein Insulin zu bekommen, welches er als Diabetiker benötige. Beweiswürdigend führte das Bundesasylamt nur aus: "Ihre Angaben werden zum Gegenstand dieses Bescheides erhoben."
Rechtlich folgerte die Erstbehörde, der Beschwerdeführer habe im Rahmen seiner niederschriftlichen Befragung keine Umstände angeführt, welche die Annahme rechtfertigten, er sei "persönlich" in seinem Heimatstaat einer asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt. Die vom Beschwerdeführer ins Treffen geführten Vorkommnisse zu den kriegerischen Auseinandersetzungen gingen nicht darüber hinaus, was die Bewohner Sierra Leones auf Grund der Kriegshandlungen allgemein hinzunehmen hätten, sodass schon aus diesem Grund keine individuell gegen den Beschwerdeführer gerichtete Verfolgung im Sinne des Asylgesetzes vorliege. Darüber hinaus hätten sich die Verhältnisse im Heimatland des Beschwerdeführers maßgeblich geändert, zumal in Sierra Leone wieder Frieden herrsche und somit die behauptete Verfolgungsgefahr nicht aktuell sei. Auch in der Begründung zur Feststellung nach § 8 AsylG verwies die belangte Behörde auf die ihrer Ansicht nach geänderten Verhältnisse in Sierra Leone und ging davon aus, dass die medizinische Versorgung so weit gegeben sei, dass der Beschwerdeführer "sehr wohl Zugang zu den notwendigen Medikamenten" habe.
In der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung hielt der Beschwerdeführer diesen Ausführungen entgegen, er sei in seinem Heimatland auf Grund der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe (junge Männer der Zivilbevölkerung) asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt. In diesem Sinn habe er bei seiner Vernehmung vorgebracht, dass er von der RUF zwangsweise rekrutiert und in ein Lager verschleppt worden sei. Diese Vorgehensweise der RUF sei allgemein bekannt, wobei der Beschwerdeführer dazu nähere Ausführungen erstattete. Entgegen der Ansicht der Erstbehörde liege somit eine den Beschwerdeführer ganz konkret betreffende Gefährdungssituation vor. Dazu habe er auch ausgesagt, einige seiner auf Regierungsseite kämpfenden früheren Freunde hätten ihn für einen Rebellen gehalten und ihn bedroht. Soweit sich die Erstbehörde auf die zuletzt abgeschlossenen Friedensverträge berufe, müsse abgewartet werden, wie sich die Situation in Sierra Leone tatsächlich entwickle. Außerdem besetze die RUF mittlerweile ministerielle Ämter in der Regierung und es könne nicht ausgeschlossen werden, dass früher Verfolgte weiter verfolgt würden "nun vielleicht sogar durch die Regierungsgewalt der RUF". Es sei zwar "auf dem Papier" eine Generalamnestie verkündet worden, es sei aber keinesfalls sicher, dass diese auch eingehalten werde.
Mit dem angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde diese Berufung gemäß § 7 AsylG abgewiesen und neuerlich die Zulässigkeit (insbesondere) der Abschiebung des Beschwerdeführers nach Sierra Leone festgestellt. "Auf Grundlage der Ersteinvernahme und der mündlichen Berufungsverhandlung", zu der der Beschwerdeführer allerdings (nach der Aktenlage offenbar wegen Verbüßung einer Haftstrafe) nicht gekommen ist, traf die belangte Behörde die Feststellung, der Beschwerdeführer sei kein Staatsangehöriger von Sierra Leone. Darüber hinaus traf sie umfangreiche Feststellungen zur Entwicklung der politischen Verhältnisse in Sierra Leone im Zeitraum vom 1. Mai 2000 bis 8. Dezember 2000. Beweiswürdigend führte die belangte Behörde nur aus:
"Der Asylwerber, der bei der Ersteinvernahme den deutlichen Eindruck erweckte, auch Deutsch zu verstehen, kannte sich mit dem verwendeten Geld in Sierra Leone nicht aus, obwohl er behauptete, am Markt in Buthi Gemüse und Tiere verkauft zu haben.
Auf Grund seiner Fluchtgeschichte war es offensichtlich, dass er die geographischen Gegebenheiten Sierra Leones nicht kannte, da er z.B. behauptete, in nur zwei Tagen von einem Dorf in der Nähe von Kailahun zu einer Hafenstadt in Liberia gegangen zu sein. Das ist nach Ansicht der erkennenden Behörde nicht möglich.
Im übrigen wird auf die Beweiswürdigung der ersten Instanz im bekämpften Bescheid vollinhaltlich verwiesen und diese zum Inhalt des gegenständlichen Bescheides erhoben."
Rechtlich folgerte die belangte Behörde, der Beschwerdeführer habe die von ihm behauptete Gefährdung aus politischen Gründen nicht glaubhaft machen können. Deshalb scheide auch die Anwendbarkeit des § 57 Abs. 2 FrG aus. Auch eine Gefährdung iSd § 57 Abs. 1 FrG habe der Beschwerdeführer nicht darzutun vermocht. Wie sich aus den wiedergegebenen Pressemeldungen und Berichten zur aktuellen Situation in Sierra Leone zusammenfassend ergebe, sei jedenfalls in der Hauptstadt Freetown die Lage sicher und die Staatsmacht so weit aufrecht, dass diese im Stande sei, Gefahren, die sich aus Übergriffen von Rebellen ergeben, gegenwärtig und für die nähere Zukunft wirksam zu begegnen. Auf Grund dieser Situation in der Hauptstadt könne derzeit keine derart extreme Gefahrenlage erblickt werden, dass praktisch jedem, der nach Freetown abgeschoben wird, Gefahr für Leib und Leben in einem Maße drohen würde, wodurch die Abschiebung im Lichte des Art. 3 EMRK unzulässig erschiene.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:
Die belangte Behörde hat sich mit den vom Beschwerdeführer geltend gemachten Fluchtgründen nicht auseinander gesetzt, sondern diesem Vorbringen allein deshalb die Glaubwürdigkeit versagt, weil sie die vom Beschwerdeführer behauptete Staatsangehörigkeit für nicht glaubwürdig erachtete. Soweit die belangte Behörde in diesem Zusammenhang auf die Beweiswürdigung im erstinstanzlichen Bescheid verweist, geht dies schon deshalb ins Leere, weil die Erstbehörde keine gegen die Glaubwürdigkeit der Angaben des Beschwerdeführers sprechenden Erwägungen angestellt, sondern vielmehr sein Vorbringen ihrem Bescheid als richtig unterstellt hat. Was den verbleibenden Begründungsteil, der Beschwerdeführer habe "sich mit dem verwendeten Geld in Sierra Leone nicht ausgekannt", betrifft, so ist dieses Argument weder für sich genommen, noch in Verbindung mit dem Inhalt des Vernehmungsprotokolls für den Verwaltungsgerichtshof nachvollziehbar, weil nicht erkennbar ist, inwieweit die dazu vom Beschwerdeführer getätigten Angaben unrichtig sind, und warum sie den Schluss zulassen sollen, der Beschwerdeführer stamme nicht aus Sierra Leone. Dass dazu auch die Einschätzung der belangten Behörde, der Beschwerdeführer verstehe - entgegen seiner Behauptung - Deutsch, nichts beiträgt, bedarf keiner weiteren Erörterung. Allein auf die Unrichtigkeit der Behauptung, der Beschwerdeführer sei von seiner angeblichen Heimatstadt in eine Hafenstadt an der liberianischen Küste in zwei Tagen zu Fuß gegangen, lässt sich aber die negative Feststellung zur Staatsangehörigkeit nicht stützen. Tatsachenwidrige Angaben zum Fluchtweg können verschiedene Gründe haben. Mit den in diesem Zusammenhang hervorgekommenen geographischen Unkenntnissen lässt sich jedenfalls für sich allein die negative Feststellung zur behaupteten Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers nicht schlüssig begründen, zumal die belangte Behörde auch jede Auseinandersetzung mit den vom Beschwerdeführer zu den Verhältnissen in Sierra Leone richtig beantworteten Fragen unterließ (zum zuletzt genannten Gesichtspunkt vgl. das hg. Erkenntnis vom 21. März 2002, Zl. 2000/20/0547).
Schon infolge dieses Begründungsmangels war der angefochtene Bescheid daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG aufzuheben. Zur Feststellung nach § 8 AsylG sei schließlich noch bemerkt, dass es dazu unter dem Gesichtspunkt des Art. 3 EMRK auch einr tragfähigen Auseinandersetzung mit der vom Beschwerdeführer geltend gemachten unzureichenden medizinischen Versorgung mit für ihn notwendigen Medikamenten (Insulin) bedurft hätte.
Der Kostenausspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001, BGBl. II Nr. 501.
Wien, am 16. April 2002
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2002:2001200329.X00Im RIS seit
09.07.2002