TE Vwgh Erkenntnis 2002/4/18 2001/01/0146

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Veröffentlicht am 18.04.2002
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1997 §7;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski und Dr. Pelant als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Schimetits, über die Beschwerde des I T in G, geboren am 8. März 1944, vertreten durch Dr. Josef Wegrostek, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Domgasse 6, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 15. Februar 2001, Zl. 208.164/0- V/13/99, betreffend § 7 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1089,68 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Bosnien-Herzegowina, reiste am 6. März 1996 in das Bundesgebiet ein und beantragte in der Folge die Gewährung von Asyl. Diesen Antrag begründete er vor dem Bundesasylamt im Wesentlichen damit, dass er der moslemischen Volksgruppe angehöre und aus Bijeljina (im serbischen Teil Bosniens) stamme. Im September 1994 sei er von den Serben in ein Lager verbracht worden, nach seiner Entlassung im November 1994 habe er für die Serben Zwangsarbeiten in Bijeljina verrichten müssen. Zugleich habe man ihn aus seinem Haus vertrieben, weshalb er in der Folge mit seiner Frau bei einer Stiefschwester gewohnt habe. Anfang März 1996 - dies sei der unmittelbare Anlass für die Flucht gewesen - sei er mit seiner Frau von serbischen Soldaten (auch) aus dem Haus seiner Schwester "hinausgeschmissen" worden.

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 15. Februar 2001 hat die gemäß § 44 Abs. 1 AsylG zur Entscheidung berufene belangte Behörde den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 7 leg. cit. abgewiesen. Im Rahmen des "Berufungsrechtsgesprächs" sei die jüngste Lageentwicklung in Bosnien-Herzegowina mit dem Beschwerdeführer erörtert worden. Zur Lage in Bosnien und Herzegowina werde festgestellt, dass die kriegerischen Auseinandersetzungen mit dem Vertragswerk von Dayton im Dezember 1995 ein Ende gefunden hätten; es habe sich die allgemeine politische Lage bzw. die Menschenrechtslage in Bosnien und Herzegowina in vielerlei Hinsicht verbessert. Der genannte Staat bestehe nunmehr aus zwei "Entitäten", nämlich der "Föderation Bosnien und Herzegowina" und der "Republika Srpska". In der Föderation von Bosnien und Herzegowina gebe es zwei "konstitutive" Volksgruppen, die Bosniaken und die bosnischen Kroaten, die Serben stellten eine Minderheit dar. Die "Republika Srpska" werde überwiegend (zu 97 %) von ethnischen Serben bewohnt. Der Grundrechtskatalog der Verfassung enthalte ua. das Recht auf Freizügigkeit und freie Wahl des Wohnsitzes, eine weitere Verfassungsbestimmung gebe allen Flüchtlingen und Vertriebenen das Recht auf freie Rückkehr in ihre Heimatorte. Es sei (jedoch) nicht auszuschließen, dass so genannte "Minderheitenheimkehrer" asylrechtlich relevanten Übergriffen ausgesetzt sein könnten. Rückkehrer, die sich in jene Gebiete begeben, in welchen sie Angehörige der ethnischen Mehrheitsbevölkerung seien, hätten, wenn dieses Gebiet auch von dieser Bevölkerungsgruppe verwaltet werde, dort keine asylrechtlich relevanten Nachteile zu gewärtigen. Die freiwillige Rückkehr von Angehörigen der Minderheiten habe im Herbst 1999 zugenommen; sie sei meist ohne Zwischenfälle erfolgt, auch wenn Sicherheitsprobleme fortbestünden. Nach wie vor seien Widerstände gegen Rückkehr von Minderheiten groß, wichtigstes Hindernis für "Minderheitenrückkehr" sei die unzureichende Durchsetzung von Eigentumsrechten, wozu sich verschiedene "Obstruktionsmethoden" (Verweigerung von Registrierung oder Ausstellung von Personalausweisen, Verweigerung von Pensionsansprüchen und des Zugangs zur Gesundheitsversorgung, sowie Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt und im Erziehungswesen) gesellten.

Aus dem festgestellten Sachverhalt folge, dass der Beschwerdeführer jedenfalls bei einer Rückkehr in ein Mehrheitsgebiet der moslemischen Volksgruppe nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung aus Konventionsgründen ausgesetzt wäre. Er habe nicht nachvollziehbar darzutun vermocht, dass es ihm gänzlich "verunmöglicht bzw. allenfalls grob unzumutbar wäre", sich in das Gebiet der bosnischkroatischen Föderation zu begeben. Der Beschwerdeführer sei einerseits nicht Mitglied einer besonderen (ethnischen oder sonstigen) Risikogruppe und es seien auch objektiverweise keine Gründe für eine allgemeine Unzumutbarkeit für die Rückkehr ersichtlich. Diesbezüglich sei auf die Rückkehrhilfen vor Ort zu verweisen. Dass dem Beschwerdeführer bei Rückkehr gänzlich jegliche Lebensgrundlage entzogen wäre bzw. er in eine gänzlich ausweglose Situation geraten würde, habe nicht erkannt werden können.

Über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat - erwogen:

Der Beschwerdeführer zeigt zutreffend auf, dass die belangte Behörde auf einen wesentlichen Gesichtspunkt seines Vorbringens überhaupt nicht eingegangen ist. In der mündlichen Berufungsverhandlung vom 14. Februar 2001 hat er nämlich auf den Vorhalt, dass er im Bereich der bosnisch-kroatischen Föderation jedenfalls nicht mit massiver Verfolgung aus asylrechtlich relevantem Grunde zu rechnen habe, Folgendes vorgebracht:

"BW: Zunächst möchte ich sagen, dass auf Grund dieser Berichte es so scheint, als würde die ethnische Säuberung anerkannt werden, weiters möchte ich sagen, dass ich auf keinen Fall in die Republik Srpska zurückkehren möchte, da ich auch Zeuge vieler Verbrechen geworden bin und ich aus diesem Grund schon verfolgt werden würde. Mein Leben wäre auch auf dem Gebiet der bosnisch-kroatischen Föderation nicht sicher, denn ich weiß, dass potentielle Zeugen dieser Verbrechen auch auf diesem Gebiet nicht sicher sind.

BW: Ich war nie für Serben tätig bzw. habe nicht mit ihnen zusammengearbeitet, aber ich war Zeuge verschiedener Gräueltaten, ich habe gesehen, wie Menschen ermordet wurden oder in Minenfelder geraten sind.

VL: Aber eine Verfolgung von Seiten der Leute Ihrer eigenen Volksgruppe haben Sie diesbezüglich ja jedenfalls nicht befürchten. Das wäre doch unlogisch.

BW: Ich meine auch nicht, dass mich der Polizeichef der Moslemen bedrohen würde, aber ich kann Ihnen Zeitungsberichte vorlegen, wo es immer wieder zu Morden kommt. Es kommt immer wieder zu Vorfällen, dass Leute die Linien der Entitäten überqueren und das ist auf dem Gebiet ganz Bosniens der Fall und es werden viele Morde begangen.

VL verweist den BW auf die obig referierte Sicherheitslage in der Föderation bzw. darauf, dass sich die Sicherheitssituation in der bosnischen Entität weitgehend verbessert und beruhigt hat.

BW: Ich verstehe, was Sie damit meinen. Aber jetzt ist die Situation so, dass die ehemaligen Kriegsverbrecher in ganz Bosnien versuchen, Zeugen aus dem Weg zu räumen, da sie Angst haben, vor dem Haager-Kriegsverbrechertribunal angeklagt und verurteilt zu werden."

Über dieses Vorbringen ist die belangte Behörde kommentarlos hinweggegangen. Sie hat sich nur mit der "allgemeinen Lage" in Bosnien-Herzegowina beschäftigt, jedoch keinerlei Feststellungen zu den eben zitierten Angaben des Beschwerdeführers - die gegebenenfalls eine spezifische Betrachtungsweise erfordern - getroffen (vgl. zur "Zeugenproblematik", wenngleich unter etwas anderem Gesichtspunkt, auch das im Akt erliegende und im bekämpften Bescheid erwähnte "Positionspapier" von UNHCR vom August 2000, S. 17). Da die vom Beschwerdeführer dargestellte Bedrohungssituation erkennbar - zumindest auch - einen ethnisch motivierten Hintergrund hätte, kann nicht ausgeschlossen werden, dass die belangte Behörde bei Beschäftigung mit diesem Vorbringen zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre. Dem bekämpften Bescheid haftet daher ein wesentlicher Begründungsmangel an, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben war.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001.

Wien, am 18. April 2002

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2002:2001010146.X00

Im RIS seit

13.06.2002
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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