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20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB);Norm
ABGB §1332;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Pelant, Dr. Köller und Dr. Thoma als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Schimetits, über die Beschwerde des T F, geboren am 7. Jänner 1981, vertreten durch Dr. Maximilian Schludermann, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Reisnerstraße 32/12, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 10. August 2001, Zl. 223.344/0-V/14/01, betreffend Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist in einer Angelegenheit des Asylgesetzes 1997 (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, seinen Angaben zufolge ein Staatsangehöriger von Äthiopien und am 12. Jänner 2001 in das Bundesgebiet eingereist, beantragte die Gewährung von Asyl. Diesen Antrag wies das Bundesasylamt mit Bescheid vom 23. April 2001 gemäß § 7 AsylG ab (Spruchpunkt I.); weiters sprach es aus, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Eritrea - er habe glaubwürdig dargelegt, einen Reisepass dieses Staates erhalten zu haben - gemäß § 8 AsylG zulässig sei (Spruchpunkt II.).
Der zunächst in der Betreuungsstelle Traiskirchen aufhältige Beschwerdeführer hatte mit Telefax vom 14. März 2001 seine (neue) Adresse mit Notquartier des Evangelischen Flüchtlingsdienstes, Grimmgasse 6, 1150 Wien, bekannt gegeben. Eine Zustellung des Bescheides vom 23. April 2001 an dieser Adresse scheiterte jedoch, die Sendung wurde mit dem Vermerk "Empfänger verzogen" retourniert. Eine seitens des Bundesasylamtes eingeholte Meldeanfrage ergab, dass der Beschwerdeführer am 20. April 2001 von dieser Adresse, "verzogen nach unbekannt", abgemeldet worden sei. Seitens der Behörde wurde daraufhin eine neuerliche Zustellung durch Hinterlegung ohne vorhergehenden Zustellversuch beim Postamt 1150 Wien, bei dem die Sendung am 3. Mai 2001 eintraf, angeordnet.
Am 21. Mai 2001 langte beim Bundesasylamt eine vom Beschwerdeführer am 15. Mai 2001 erteilte Zustellvollmacht an Barbara C., per Adresse "Asyl in Not", Währinger Straße 59/2/1, 1090 Wien, ein. Am 5. Juni 2001 nahm der Beschwerdeführer persönlich beim Bundesasylamt eine Kopie des Bescheides vom 23. April 2001 in Empfang. Mit dem dort am 18. Juni 2001 eingelangten Schriftsatz erhob er gegen diesen Bescheid Berufung. Mit dieser Berufung verband er den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist, was er im Wesentlichen damit begründete, dass er am 20. April 2001 aus dem Notquartier des Evangelischen Flüchtlingsdienstes entlassen worden sei; er sei auf der Straße gestanden und habe keine Unterkunft mehr gehabt; es sei ihm daher nicht möglich gewesen, nach der Entlassung aus dem Notquartier eine neue Wohnanschrift bekannt zu geben; er habe bei allen caritativen und gemeinnützigen Organisationen versucht, Unterstützung zu erlangen; am 15. Mai 2001 habe sich "Asyl in Not" bereit erklärt, als Postabgabestelle zu fungieren; er habe hierauf Zustellvollmacht erteilt und diese unverzüglich an das Bundesasylamt weitergeleitet; seither rufe er etwa alle zwei Wochen bei der Behörde an und erkundige sich nach dem Stand seines Asylverfahrens, was das Interesse am positiven Fortgang dieses Verfahrens beweise; dass für ihn beim Postamt 1150 Wien ein Schriftstück hinterlegt worden sei, habe er nicht wissen können, hievon habe er erst am 5. Juni 2001 Kenntnis erlangt; infolge seiner Obdachlosigkeit sei er daran gehindert gewesen, eine Zustelladresse bekannt zu geben und die Berufungsfrist einzuhalten; es könne ihm daher nicht zur Last gelegt werden, dass er von der Zustellung durch Hinterlegung am 3. Mai 2001 keine Kenntnis erlangt habe.
Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 10. August 2001 wies der unabhängige Bundesasylsenat (die belangte Behörde) den erwähnten Wiedereinsetzungsantrag gemäß § 71 Abs. 1 Z 1 AVG ab. Die belangte Behörde stellte ergänzend zu dem schon beschriebenen Zustellvorgang betreffend den Bescheid vom 23. April 2001 fest, dass dem Beschwerdeführer noch am 12. Jänner 2001 zwecks ergänzender Einvernahme ein Ladungsbescheid für den 2. März 2001 ausgehändigt worden sei. Aus diesem Ladungsbescheid (Rubrik "Hinweis") gehe hervor, dass ein Asylwerber jede Änderung der Wohnadresse dem Bundesasylamt unverzüglich mitzuteilen habe. Damit erweise sich - so die belangte Behörde im Rahmen ihrer rechtlichen Erwägungen - die unsubstantiierte Berufungsbehauptung, wonach der Beschwerdeführer über die Vorgehensweise bezüglich seiner Zustelladresse nicht informiert worden sei, als falsch. Im vorliegenden Fall habe der Beschwerdeführer in Kenntnis eines ihn betreffenden Verwaltungsverfahrens und der Folgen der nicht unverzüglichen Bekanntgabe einer Änderung seiner Abgabestelle an die Behörde diese Änderung nicht mitgeteilt. Auf Grund dieser Sorgfaltswidrigkeit könne von einem tauglichen Wiedereinsetzungsgrund nicht die Rede sein. Einer Partei könne es auch im Fall der Aufgabe eines ordentlichen Wohnsitzes zugemutet werden, hinsichtlich zu erwartender amtlicher Schriftstücke im Zuge eines Asylverfahrens für eine Postnachsendung oder anderwärtig für die Zustellung Vorsorge zu treffen. Außerdem sei das Vollmachtsverhältnis (mit Barbara C.) bereits am 15. Mai 2001 und damit innerhalb der Rechtsmittelfrist begründet worden. Dem Vollmachtnehmer wäre es zuzumuten gewesen, durch Nachfrage bei der Erstinstanz Auskunft über zu erwartende Schriftstücke zu erhalten.
Dies sei "äußerst sorglos" gehandhabt worden.
Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der
Verwaltungsgerichtshof erwogen:
Der Beschwerdeführer macht zunächst geltend, dass die
Zustellung des erstinstanzlichen Bescheides vom 23. April 2001, die nach § 8 Abs. 2 iVm § 23 ZustG erfolgte, rechtswidrig gewesen sei. Träfe diese Auffassung zu, so hätte dem gegenständlichen Wiedereinsetzungsantrag freilich schon deshalb keine Folge gegeben werden können, weil die Wiedereinsetzung die Versäumung einer Frist voraussetzt und die Frist für die Erhebung einer Berufung bei Einbringung der mit dem Wiedereinsetzungsantrag verbundenen Berufung gegebenenfalls noch offen gewesen wäre. Auf die zur behaupteten Rechtswidrigkeit der Zustellung ins Treffen geführten Argumente braucht daher nicht näher eingegangen zu werden. Es kann vielmehr - zumal der bekämpfte Bescheid im Hinblick auf die nachstehend darzulegende Fehlbeurteilung in der Frage des Vorliegens eines tauglichen Wiedereinsetzungsgrundes keinen Bestand haben kann - an dieser Stelle der pauschale Hinweis genügen, dass diese Argumente nicht zielführend sind und dass sie daher die Wirksamkeit der Zustellung des Bescheides des Bundesasylamtes durch Hinterlegung beim Postamt 1150 Wien nicht in Frage zu stellen vermögen. (Auf den Umstand, dass der Beschwerdeführer gemäß seinen Behauptungen nach Entlassung aus dem Notquartier des Evangelischen Flüchtlingsdienstes - zunächst - keine neue Abgabestelle begründete, wird allerdings auch im Hinblick auf § 8 Abs. 1 ZustG noch einzugehen sein.)
Gemäß § 71 Abs. 1 Z 1 AVG ist gegen die Versäumung einer Frist oder einer mündlichen Verhandlung auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn die Partei glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten oder zur Verhandlung zu erscheinen und sie kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft.
Wie die belangte Behörde zutreffend ausgeführt hat, kommt als "Ereignis" im Sinn der eben zitierten Vorschrift jegliches Geschehen, ohne Beschränkung auf Vorgänge in der Außenwelt, in Betracht (vgl. die bei Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2, E 45. ff zu § 71 AVG wiedergegebene hg. Judikatur). Auch ein Rechtsirrtum kann ein maßgebliches "Ereignis" darstellen (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 17. Juni 1999, Zl. 99/20/0253, vom 26. Juli 2001, Zl. 99/20/0075, und vom 23. Oktober 2001, Zl. 2000/11/0142, sowie die hg. Beschlüsse vom 21. September 2000, Zl. 2000/20/0167, und vom 18. September 2001, Zl. 2001/17/0067; insoweit unvollständig die Judikaturdarstellung in Walter/Thienel, aaO., E 114. ff zu § 71 AVG; vgl. aber Walter/Mayer, Verwaltungsverfahrensrecht7, (1999), Rz 618). Im vorliegenden Fall ist das "Ereignis", welches den Beschwerdeführer an der Einhaltung der Berufungsfrist hinderte, in der Unkenntnis von der erfolgten Zustellung durch Hinterlegung zu erblicken. Ob es für den Beschwerdeführer "unvorhergesehen oder unabwendbar" war, hängt davon ab, ob ihn an dieser Unkenntnis ein Verschulden traf und - wenn ja - ob dieses Verschulden über den minderen Grad des Versehens hinausging oder nicht. Konkret geht es in Anbetracht der Zustellung nach § 8 Abs. 2 iVm § 23 ZustG vor allem darum, wie die Verletzung der in § 8 Abs. 1 leg. cit. normierten Mitteilungspflicht zu bewerten ist.
Der Begriff des minderen Grades des Versehens ist als leichte Fahrlässigkeit iS des § 1332 ABGB zu verstehen. Der Wiedereinsetzungswerber darf also nicht auffallend sorglos gehandelt haben, somit die im Verkehr mit Behörden und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt nicht in besonders nachlässiger Weise außer Acht gelassen haben. Dabei ist an berufliche rechtskundige Parteienvertreter ein strengerer Maßstab anzulegen als an rechtsunkundige oder bisher noch nie an behördlichen oder gerichtlichen Verfahren beteiligte Personen. Bei der Beurteilung, ob eine auffallende Sorglosigkeit vorliegt, ist also ein unterschiedlicher Maßstab anzulegen, wobei es insbesondere auf die Rechtskundigkeit und die Erfahrung im Umgang mit Behörden ankommt (vgl. das hg. Erkenntnis vom 7. Juni 2000, Zl. 99/01/0337).
Im gegenständlichen Wiedereinsetzungsantrag hat der Beschwerdeführer seine Situation dergestalt beschrieben, dass er am 20. April 2001 aus dem Notquartier des Evangelischen Flüchtlingsdienstes entlassen worden und dass er in der Folge auf der Straße gestanden sei; er habe keine Unterkunft mehr gehabt und es sei ihm daher unmöglich gewesen, eine neue Wohnanschrift bekannt zu geben; auf Grund seiner Versuche, bei caritativen und gemeinnützigen Organisationen Unterstützung zu erlangen, habe sich "Asyl in Not" am 15. Mai 2001 bereit erklärt, als Postabgabestelle zu fungieren.
Der Umstand, dass der Beschwerdeführer aus dem Notquartier des Evangelischen Flüchtlingsdienstes entlassen worden war, hätte von ihm gemäß § 8 Abs. 1 ZustG unverzüglich dem Bundesasylamt mitgeteilt werden müssen. Dass er, - wie behauptet - infolge Obdachlosigkeit keine neue Abgabestelle hatte, ließ seine diesbezügliche Obliegenheit unberührt, weil auch die Aufgabe einer Abgabestelle eine Änderung derselben darstellt (so ausdrücklich P. Oberhammer, "Änderung der Abgabestelle" durch Delogierung und Hinterlegung ohne vorausgehenden Zustellversuch, Wohnrechtliche Blätter 1994, 18 ff, FN 27; siehe auch Stoll, BAO-Kommentar I, 1052, wonach mit dem Begriff "Änderung" das Attribut des Endgültigen, der Verlegung, der Aufgabe, des Wechsels verbunden ist; implizit auch das hg. Erkenntnis vom 24. November 2000, Zl. 2000/19/0115). Allerdings kann es dem Beschwerdeführer nicht als auffallende Sorglosigkeit angelastet werden, wenn er im konkreten Fall erst durch Bekanntgabe einer Zustellvollmacht an das Bundesasylamt, dort eingelangt am 21. Mai 2001, herantrat. Es wird zwar im Regelfall auch für einen ausländischen Asylwerber zumindest bei entsprechender Belehrung über die Pflicht zur Bekanntgabe von "Änderungen" unmittelbar einsichtig sein, dass er der Behörde eine neue Adresse ehebaldigst mitzuteilen habe. Für den Fall der eingetretenen Obdachlosigkeit trifft das jedoch nicht in gleichem Maße zu. Auch der im vorliegenden Fall dem Beschwerdeführer am 12. Jänner 2001 ausgefolgte Ladungsbescheid für den 2. März 2001 enthielt lediglich den Hinweis, dass jede Änderung der Wohnadresse dem Bundesasylamt unverzüglich mitzuteilen sei. Wie die Beschwerde richtig aufzeigt, kann im Verkennen dieses Hinweises in die Richtung, dass lediglich eine neue Wohnadresse bekannt zu geben sei, noch keine grobe Fahrlässigkeit erkannt werden. Das gilt jedenfalls in Anbetracht des aus Äthiopien (allenfalls Eritrea) stammenden, sprachunkundigen und erst wenige Monate im Inland befindlichen Beschwerdeführers, der offensichtlich keine über das Asylverfahren hinausgehende Erfahrung im Umgang mit Behörden erworben hat und bei dem daher ein dementsprechend geringer Sorgfaltsmaßstab (vgl. das schon erwähnte hg. Erkenntnis vom 7. Juni 2000) anzulegen ist. Dass der Beschwerdeführer, wie im bekämpften Bescheid im Rahmen der rechtlichen Beurteilung ausgeführt, in Kenntnis der Folgen der nicht unverzüglichen Bekanntgabe einer Änderung seiner Abgabestelle an die Behörde gewesen sei, steht im Übrigen mit den getroffenen Feststellungen nicht im Einklang. Festgestellt wurde nämlich nur, dass dem Beschwerdeführer der Ladungsbescheid für den 2. März 2001 mit dem - aufgedruckten - Hinweis, wonach er jede Änderung der Wohnadresse dem Bundesasylamt unverzüglich mitzuteilen habe, ausgefolgt worden sei. Wenn die belangte Behörde weiter argumentiert, es könne einer Partei auch im Fall der Aufgabe eines ordentlichen Wohnsitzes zugemutet werden, hinsichtlich zu erwartender amtlicher Schriftstücke im Zuge eines Asylverfahrens für eine Postnachsendung oder anderwärtig für eine Zustellung Vorsorge zu treffen, so ist dem zunächst zu entgegnen, dass eine Postnachsendung mangels (anderer) Abgabestelle nicht in Betracht kam. Dass anderwärtig für die Zustellung Vorsorge hätte getroffen werden können, vermag aber vor dem Hintergrund der Behauptungen im Wiedereinsetzungsantrag und angesichts der zeitlichen Abfolge - die Zustellung durch Hinterlegung ohne vorhergehenden Zustellversuch erfolgte nicht einmal zwei Wochen nach der Entlassung des Beschwerdeführers aus dem Notquartier - jedenfalls nicht grobe Fahrlässigkeit zu begründen, sodass sich eine weitere Auseinandersetzung mit dieser Argumentationslinie erübrigt. Der Hinweis schließlich, dass es auch dem Vollmachtnehmer (Barbara C., per Adresse "Asyl in Not") zuzumuten gewesen wäre, durch Nachfrage beim Bundesasylamt Auskunft über zu erwartende Schriftstücke zu erhalten, geht schon deshalb fehl, weil innerhalb der Berufungsfrist - am 15. Mai 2001 - nur eine Zustellvollmacht, die nicht zu derartigen Nachfragen ermächtigte, erteilt worden war.
Im Ergebnis wäre dem Wiedereinsetzungsantrag damit unter Zugrundelegung der darin aufgestellten - und von der belangten Behörde nicht in Zweifel gezogenen - Behauptungen Folge zu geben gewesen. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001.
Wien, am 18. April 2002
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2002:2001010559.X00Im RIS seit
13.06.2002Zuletzt aktualisiert am
22.09.2008