Index
40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AsylG 1997 §32;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Pelant, Dr. Köller und Dr. Thoma als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Schimetits, über die Beschwerde des S M in W, nach eigenen Angaben geboren am 10. Mai 1981, vertreten durch Mag. Sonja Scheed, Rechtsanwalt in 1220 Wien, Brachelligasse 16, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 20. November 2000, Zl. 202.289/20-V/13/00, betreffend §§ 6 und 8 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, seinen Angaben zufolge am 10. Mai 1981 geboren, Staatsangehöriger des Senegal und am 10. Jänner 1998 in das Bundesgebiet eingereist, beantragte am 15. Jänner 1998 die Gewährung von Asyl. Bei seiner in englischer Sprache durchgeführten Einvernahme durch das Bundesasylamt am 27. Jänner 1998 begründete er diesen Asylantrag im Wesentlichen damit, dass er aus "Binjona", Casamance, stamme; sein Vater sei Rebell gewesen und habe ihn, den Beschwerdeführer, auf einer Liste als Rebellen angeführt; Militärs hätten den Vater getötet und die erwähnte Liste gesehen, weshalb er "zu einem Mann" geflüchtet sei; später seien die Rebellen gekommen und hätten den Beschwerdeführer in den Busch mitnehmen wollen; der Beschwerdeführer habe das abgelehnt, sich gegenüber den mit Messern bewaffneten Rebellen zur Wehr gesetzt und habe schließlich zu Freunden flüchten können (im Rahmen der "Personsbeschreibung" des Beschwerdeführers sind als "besondere Kennzeichen" eine Reihe von Narben angeführt, die alle von einem Kampf stammten); im Fall einer Rückkehr in den Senegal würde er von den Militärs und von den Rebellen umgebracht werden.
Zu seinem Fluchtweg befragt gab der Beschwerdeführer an, dass er sich zunächst nach Conakry (Guinea) begeben und dort ein Schiff bestiegen habe. Nach ca. einem Monat sei er in einem ihm unbekannten Land angekommen und von dort mit dem Zug nach Wien gefahren.
Das Bundesasylamt erachtete die Angaben des Beschwerdeführers zu seinem Fluchtweg als unglaubwürdig und hegte - im Hinblick auf Indizien, dass der Beschwerdeführer aus Tschechien eingereist sei -
den Verdacht, dass er sich bereits in Deutschland aufgehalten habe. Eine Anfrage nach Art. 15 des Dubliner-Übereinkommens wurde seitens der deutschen Behörden gemäß den im Verwaltungsakt erliegenden Unterlagen unter Verwendung eines Formblattes beantwortet. Auf diesem Formblatt ist neben dem Datum der Anfrage und dem Namen des Beschwerdeführers lediglich die Rubrik "Aliasnamen" ausgefüllt, und zwar mit "B., F. 20.7.66", darüber hinaus finden sich darauf nur die Vermerke "kein Asylverfahren" und "Fingerabdruckblatt positiv". In einem diesem Formular angeschlossenen und offenbar vom Bundesasylamt aufgenommenen Aktenvermerk ist als Ergebnis eines Telefonats mit dem (deutschen) Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (BAFL) festgehalten, dass der Beschwerdeführer am 26. Juli 1993 in Hamburg einen Asylantrag gestellt habe, jedoch beim BAFL nicht in Erscheinung getreten sei.
Am 12. März 1998 wurde dem Beschwerdeführer aus Anlass einer ergänzenden Einvernahme seitens des Bundesasylamtes ein vom Magistrat der Stadt Wien, Amt für Jugend und Familie, eingeholtes "medizinisches Gutachten" der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde vorgehalten, wonach eine Bestimmung des Knochenalters ein Knochenalter von 19 Jahren oder darüber ergeben habe. Der Beschwerdeführer blieb jedoch dabei, am 10. Mai 1981 geboren worden zu sein; sein Vater habe ihm sein Alter "so gesagt". Auf den weiteren Vorhalt, dass er am 26. Juli 1993 in Hamburg unter einem anderen Namen einen Asylantrag eingebracht habe, erwiderte der Beschwerdeführer, er sei das erste Mal in Europa; er sei "sehr überrascht und kann es mir gar nicht vorstellen".
Mit Bescheid vom 13. März 1998 wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 6 Z 3 AsylG als offensichtlich unbegründet ab. Weiters sprach es aus, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in seinen - nicht näher bezeichneten - Herkunftsstaat gemäß § 8 AsylG zulässig sei. Die Behauptungen des Beschwerdeführers, in seinem Heimatland Verfolgung befürchten zu müssen, entbehrten jeder Grundlage, weil auf Grund unrichtiger bzw. mangelnder Angaben zu seinem behaupteten Herkunftsstaat nicht habe festgestellt werden können, dass er tatsächlich senegalesischer Staatsangehöriger sei, weil er bereits 1993 in Deutschland als Asylwerber in Erscheinung getreten sei und weil er - sein Knochenalter sei mit 19 Jahren oder darüber bestimmt worden - nicht einmal sein Alter richtig angegeben habe.
In der gegen den Bescheid des Bundesasylamtes erhobenen Berufung machte der Beschwerdeführer geltend, dass er bei seinem "Interview" sehr nervös und verunsichert gewesen sei und Schwierigkeiten gehabt habe, den Dolmetscher ausreichend zu verstehen; da er nicht gut Englisch spreche und daher das ursprüngliche "Interview" nur schlecht verstanden habe bzw. sich nicht gut habe ausdrücken können, beantrage er die Aufhebung des erstinstanzlichen Bescheides und eine Wiederholung des "Interviews" in seiner Muttersprache.
Diese Berufung wies der unabhängige Bundesasylsenat (die belangte Behörde) zunächst mit Bescheid vom 25. März 1998 gemäß § 6 Z 3 AsylG ab. Nach Behebung dieses Berufungsbescheides durch den Verwaltungsgerichtshof (mit Erkenntnis vom 25. März 1999, Zl. 98/20/0363, wegen Verfassungswidrigkeit der zweitägigen Berufungsfrist des § 32 Abs. 1 AsylG in der Fassung vor der Novelle BGBl. I Nr. 4/1999) ersuchte die belangte Behörde das Bundesasylamt um Bekanntgabe näherer Umstände der "Alias-Identität" des Beschwerdeführers, insbesondere um Übermittlung schriftlicher Unterlagen. Dieses Ersuchen wurde seitens des Bundesasylamtes mit Note vom 29. November 1999 wie folgt beantwortet:
"Bezugnehmend auf Ihr Ersuchen vom 10.11.1999 erlaubt sich die ho. Abteilung mitzuteilen, dass am 28.1.1998 auf Ersuchen der Außenstelle Wien eine Datenanfrage gemäß Art. 15 des Dubliner Übereinkommens an Deutschland gestellt wurde, wobei das Fingerabdruckblatt des M. S., geb. am 10.5.1991, beigelegt wurde. Am 19.2.1998 langte bei der ho. Abteilung ein Formblatt des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge in Nürnberg ein, demzufolge die Auswertung des Fingerabdruckblattes ergeben hat, dass der im Betreff Genannte unter den Personaldaten B. F., geb. am 20.7.1966, in Deutschland in Erscheinung getreten ist, jedoch kein Asylverfahren betrieben hat. Auf fernmündliche Nachfrage wurde mitgeteilt, dass der im Betreff Genannte am 26.7.1993 bei der Ausländerbehörde in Hamburg ein Asylgesuch gestellt hat. Da es sich hiebei um eine unzuständige Behörde handelt, wurde er an das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge verwiesen. Da er dort nie in Erscheinung getreten ist, ist in Deutschland kein Asylverfahren aktenkundig."
Schon zuvor, mit Schriftsatz vom 26. November 1999, hatte der Beschwerdeführer (ua.) zum behördlichen Vorhalt, er sei am 26. Juli 1993 in Hamburg als Asylsuchender in Erscheinung getreten, Stellung genommen. Er hatte dazu ausgeführt:
"Der Antragsteller hat sich 1993 in der Casamance aufgehalten. Er war damals 12 Jahre alt und musste seinen Eltern helfen, die Bauern waren. Der Antragsteller war vor seiner Flucht 1997 niemals in Europa.
...
Es ist nicht richtig, dass der Antragsteller unter dem Namen B. F. am 26.07.1993 in Hamburg als Asylsuchender in Erscheinung getreten wäre.
Zur Verlässlichkeit der nunmehr vorgehaltenen Information weist der Antragsteller darauf hin, dass die deutschen Behörden offensichtlich nicht in der Lage (und zwar seit ca. eineinhalb Jahren nicht), konkrete Informationen über diesen B. F. zur Verfügung zu stellen, insbesondere Lichtbilder, Fingerabdrücke oder Ähnliches, sodass die angebliche Identität von der Behörde nachvollzogen werden könnte. Es liegen auch keine Informationen darüber vor, was unter 'in Erscheinung getreten' zu verstehen ist, ob bzw welches Verfahren geführt wurde, wie es ausging und von wann die letzten Informationen stammen, die über B. F. vorliegen."
Weiter hatte der Beschwerdeführer in seiner Stellungnahme angegeben, dass seine Muttersprache "Mandinka" sei, dass er mit seiner Familie bis zu seiner Flucht in der Casamance, im Grenzgebiet zu Gambia, gelebt und von Freunden in Gambia "Alltagsenglisch" gelernt habe.
In der Folge führte die belangte Behörde am 20. April 2000 und am 17. November 2000 eine mündliche Verhandlung durch. In der den 20. April 2000 betreffenden Verhandlungsschrift ist eingangs festgehalten, dass der anwesende (gewillkürte) Vertreter des Beschwerdeführers, RA Mag. Otto Unger, als Vertreter im Verfahren zugelassen werde, weil "nach ho Erkenntnis alle bisher bekannten Altersfeststellungsverfahren nicht eindeutig sind" und weil der Beschwerdeführer zu Protokoll gegeben habe, sich vom anwesenden Rechtsanwalt vertreten lassen zu wollen. Außerdem wurde der Verhandlung - für die Sprachen "Mandingo" und "Wolof" - ein Dolmetscher beigezogen, den die belangte Behörde überdies als "Sachverständigen für Senegal" beeidete. In der mündlichen Verhandlung wurde der Beschwerdeführer zu persönlichen Umständen, insbesondere zu seinen Sprachkenntnissen und zu seinem Heimatort, sowie zu allgemeinen Verhältnissen im Senegal - hingegen nicht zu seinen konkreten Fluchtgründen - befragt. Er gab ua. an, dass "Mandinka" seine Muttersprache sei und dass er noch "Wolof", "Jola" und Englisch spreche. Er beharrte darauf, Senegalese zu sein, präzisierte, dass seine Mutter aus Gambia, sein Vater jedoch aus dem Senegal stamme und bestritt über neuerlichen Vorhalt, am 26. Juli 1993 bei der Ausländerbehörde in Hamburg ein Asylgesuch gestellt zu haben, dass er jemals in Deutschland gewesen sei. Der beigezogene Dolmetscher bzw. "Sachverständige für Senegal" bestätigte, dass der Beschwerdeführer fließend "Mandingo/Mandinka" und "Wolof" spreche und erklärte abschließend auf Frage des Vertreters des Beschwerdeführers, er glaube, dass der Beschwerdeführer Senegalese sei. (Die daran anschließende Frage des Verhandlungsleiters, ob er glaube, dass der Beschwerdeführer aus dem Senegal oder aus Gambia stamme, beantwortete er allerdings dahin, "Das ist dasselbe".)
Mit dem nunmehr bekämpften Bescheid vom 20. November 2000 wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers (neuerlich) gemäß § 6 Z 3 AsylG ab (Spruchpunkt 1.). Überdies stellte sie gemäß § 8 AsylG iVm § 57 Abs. 1 FrG fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers "nach dem Senegal" zulässig sei (Spruchpunkt 2.). Einleitend hielt sie unter Bezugnahme auf die schon erwähnte ärztliche Untersuchung des Knochenalters des Beschwerdeführers fest, dass dieser an Lebensjahren jedenfalls 19 Jahre bzw. älter als 19 Jahre sei. Weiter führte die belangte Behörde aus, dass das Berufungsvorbringen des Beschwerdeführers (er habe Schwierigkeiten gehabt, den vom Bundesasylamt herangezogen Dolmetscher für die englische Sprache zu verstehen) im Hinblick auf den Verlauf der seinerzeitigen Einvernahme nicht nachvollziehbar sei und sich sohin als bloße Schutzbehauptung darstelle. Als Ergebnis des durchgeführten Ermittlungsverfahrens - so die belangte Behörde weiter - "konnten weder die Identität, noch das Alter, noch die behauptete Staatsangehörigkeit des Antragstellers festgestellt werden. Ebenso wenig konnten die vom Antragsteller im Rahmen des Verfahrens relevierten Umstände des Verlassens seines Heimatstaates, noch die im Zuge seiner Einvernahme behaupteten Fluchtgründe festgestellt werden." Die Aussagen des Beschwerdeführers hätten eine Reihe von Ungereimtheiten bzw. Widersprüchlichkeiten aufgewiesen; außerdem habe er eine Reihe von Aussagen gemacht, welche "grundsätzlich gegen seine tatsächliche senegalesische Herkunft bzw. gegen seine persönliche Glaubwürdigkeit an sich sprechen." In diesem Zusammenhang führte die belangte Behörde ins Treffen, dass der Beschwerdeführer seinen Heimatort im Senegal nicht hinreichend glaubhaft "darzulegen" vermocht habe, dass er im frankophonen Senegal nicht des Französischen, jedoch des Englischen (Amtssprache in Gambia) mächtig sei, dass er ungeachtet seines Glaubensbekenntnisses keine einzige Moslem-Bruderschaft seiner (angeblichen) engeren Heimat habe nennen können, dass er im Zuge des Verfahrens widersprüchliche Angaben zur Rebellenbewegung, der sein Vater angehört habe, gemacht und dass er vor dem Bundesasylamt über Frage nach politischen Parteien seines Heimatlandes Parteibezeichnungen, die lediglich Gambia zugeordnet werden könnten, genannt habe. Im konkreten Fall stehe daher fest, dass der Beschwerdeführer "bei seiner Ersteinvernahme vor der Erstbehörde" offensichtlich bewusst falsche Angaben gemacht habe. Auf Vorhalt sei er nicht in der Lage gewesen, dafür eine nachvollziehbare Erklärung zu bieten, es seien (daher) keine Anhaltspunkte gegeben, dass seine unrichtigen Angaben "anlässlich seiner Ersteinvernahme" lediglich auf einem Missverständnis beruhen könnten. Da der Beschwerdeführer nicht im Stande gewesen sei, hinreichend plausible bzw. homogene Angaben zu machen, sei ihm die persönliche Glaubwürdigkeit zu versagen gewesen und hätten sohin auch keine asylrechtlich relevanten Tatsachen festgestellt werden können. Im Hinblick darauf, dass der Beschwerdeführer vor den Behörden der Bundesrepublik Deutschland unter einer "Alias-Identität" aufgetreten sei, wofür er keine nachvollziehbare Erklärung habe abgeben können, sei es (auch) nicht möglich, mit der für das gegenständliche Verfahren notwendigen hinreichenden Sicherheit seine Identität festzustellen. Außerdem habe der Beschwerdeführer offensichtlich falsche Angaben über sein Alter gemacht, wofür er gleichfalls keine plausible Erklärung geboten habe. Ihm habe daher die persönliche Glaubwürdigkeit versagt werden müssen bzw. sei seinem gesamten Vorbringen "bei einer Gesamtbetrachtung der zutage geförderten Fakten" die Glaubwürdigkeit abzusprechen.
Dem Vorbringen des Beschwerdeführers könne - so die belangte Behörde abschließend - mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit entnommen werden, dass die behauptete Verfolgungsgefahr auszuschließen sei. "Das erstinstanzliche Ermittlungsverfahren" lasse völlig unzweifelhaft den Schluss zu, dass die Behauptungen des Beschwerdeführers, in seinem Heimatland Verfolgung befürchten zu müssen, eindeutig jeder Grundlage entbehrten bzw. dass der Antrag zweifellos auf einer vorsätzlichen Täuschung beruhe oder gar einen Missbrauch des Asylverfahrens darstelle. Hieraus erhelle, dass der Asylantrag iS des § 6 Abs. 3 AsylG offensichtlich unbegründet sei. Da nach Ansicht der belangten Behörde die "Entnahme" von Fingerabdrücken sowie deren Vergleich als Stand der Technik gelte und bisher in keinen wissenschaftlichen Arbeiten ernsthaft in Zweifel gezogen worden sei, sei auf den "bezughabenden Beweisantrag" - der Vertreter des Beschwerdeführers hatte die Beischaffung des deutschen Aktes mit dem "Vergleichsfingerabdruck" beantragt - "zu verzichten".
Die belangte Behörde schließe sich der asylrechtlichen Würdigung durch das Bundesasylamt vollinhaltlich an und erhebe die bezughabenden Ausführungen des Erstbescheides zum Inhalt ihres Bescheides.
Über die dagegen erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:
Die belangte Behörde hat im Rahmen ihrer Bescheidbegründung - bei Darstellung der "offensichtlichen Unbegründetheit" iS des § 6 AsylG - verschiedentlich auf das erstinstanzliche Ermittlungsverfahren abgestellt. Sollte dem die Ansicht zu Grunde liegen, ihre Entscheidungsbefugnis wäre auf eine Kontrolle des erstinstanzlichen Bescheides des Bundesasylamtes beschränkt, so hätte sie allerdings schon im Hinblick auf § 66 Abs. 4 AVG die Rechtslage verkannt. Gemäß dieser auch im Verfahren vor der belangten Behörde anzuwendenden Vorschrift hat die Berufungsbehörde regelmäßig in der Sache selbst zu entscheiden, was im gegebenen Zusammenhang am Boden des § 32 AsylG bedeutet, dass die belangte Behörde unter Berücksichtigung der Ergebnisse des Berufungsverfahrens in die Prüfung einzugehen hat, ob der Asylantrag im Zeitpunkt ihrer Entscheidung iS des § 6 AsylG "eindeutig jeder Grundlage entbehrt" (vgl. zum Ganzen das hg. Erkenntnis vom 23. Juli 1998, Zl. 98/20/0175).
Versteht man den bekämpften Bescheid dergestalt, dass die belangte Behörde ohnehin in Einklang mit § 66 Abs. 4 AVG eine aktuelle Beurteilung über die "offensichtliche Unbegründetheit" des Asylantrags des Beschwerdeführers treffen wollte, so ist zunächst festzuhalten, dass sie einheitlich ausführte, weder die Identität, noch das Alter, noch die behauptete Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers und ebenso wenig die von ihm behaupteten Fluchtgründe feststellen zu können. Die Glaubwürdigkeit der Fluchtgründe selbst hat die belangte Behörde indes gar nicht eigens geprüft, vielmehr leitete sie ihr diesbezügliches Kalkül einerseits aus dem Umstand, dass die senegalesische Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers nicht habe festgestellt werden können, und andererseits aus der Annahme, dass der Beschwerdeführer in der Bundesrepublik Deutschland unter einer "Alias-Identität" aufgetreten sei und "offensichtlich" falsche Angaben über sein Alter gemacht habe, ab. Um in einem solchen Fall zu der Schlussfolgerung gelangen zu können, das Vorbringen eines Asylwerbers zu einer Bedrohungssituation entspreche iS des § 6 Z 3 AsylG offensichtlich nicht den Tatsachen, müssen die Behauptungen zur Staatsangehörigkeit sowie zur Identität und zum Alter ihrerseits offensichtlich unglaubwürdig (vgl. das hg. Erkenntnis vom 31. Jänner 2002, Zl. 99/20/0447) bzw. muss umgekehrt die Tatsache des Auftretens unter einer "Alias-Identität" völlig eindeutig sein.
Um zunächst auf den ersten Gesichtspunkt der behördlichen Erwägungen - die Frage der Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers - einzugehen, so werden im bekämpften Bescheid eine Reihe von Ungereimtheiten bzw. Widersprüchlichkeiten konstatiert, welche "grundsätzlich" gegen eine "tatsächliche senegalesische Herkunft" sprächen. Diese Formulierung legt den Schluss nahe, dass die belangte Behörde selbst insoweit nicht ein "Offensichtlichkeitskalkül" zu Grunde legte. Abgesehen davon kann eine nähere Erörterung der in diesem Zusammenhang von der belangten Behörde angestellten Überlegungen schon deshalb unterbleiben, weil der beigezogene Dolmetscher bzw. "Sachverständige für den Senegal" letztlich - wenn auch über Frage des Vertreters des Beschwerdeführers - festhielt, er glaube, dass der Beschwerdeführer Senegalese sei. Wie auch immer die von diesem Dolmetscher/Sachverständigen im Anschluss daran auf die Frage nach der Abstammung des Beschwerdeführers aus dem Senegal oder aus Gambia abgegebene Antwort ("Das ist dasselbe") zu werten sein mag, so ergibt sich aus der eben dargestellten Auffassung des Dolmetschers bzw. "Sachverständigen für Senegal" doch klar, dass hinsichtlich der Frage der Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers von "Offensichtlichkeit" (siehe dazu näher das hg. Erkenntnis vom 21. August 2001, Zl. 2000/01/0214) nicht die Rede sein kann. Auf die Sprachkenntnisse des Beschwerdeführers ("Mandingo/Mandinka" und "Wolof" sind, wie in der Beschwerde zutreffend aufgezeigt wird, in den von der belangten Behörde herangezogenen Unterlagen als im Senegal gebräuchliche Sprachen ausgewiesen) und auf die im bekämpften Bescheid getroffene Feststellung betreffend die fließenden ethnischen und sprachlichen Grenzen zwischen Gambia und Senegal (erkennbar ging die belangte Behörde davon aus, dass der Beschwerdeführer allenfalls Staatsangehöriger von Gambia sei; auf sein Vorbringen, seine Mutter stamme aus Gambia und er sei im Grenzgebiet aufgewachsen, ist sie allerdings nicht eingegangen) sei nur mehr der Vollständigkeit halber hingewiesen.
Auch hinsichtlich der Identität des Beschwerdeführers führte die belangte Behörde nur aus, dass es nicht möglich sei, mit der "notwendigen hinreichenden Sicherheit" eine Feststellung zu treffen. "Offensichtlichkeit" iS des § 6 AsylG wird damit erkennbar nicht angesprochen. Eine andere Frage ist, ob aus der von der belangten Behörde dem bekämpften Bescheid zu Grunde gelegten Annahme, der Beschwerdeführer wäre vor seiner Asylantragstellung in Österreich in Deutschland unter einer "Alias-Identität" aufgetreten, auf eine offensichtliche Unglaubwürdigkeit seines nunmehr in Österreich erstatteten Vorbringens geschlossen werden könnte. Diese Frage wäre im konkreten Fall jedenfalls angesichts der zeitlichen Abfolge - ein Deutschlandaufenthalt im Jahr 1993 würde die gesamte vom Beschwerdeführer vor dem Bundesasylamt vorgetragene Fluchtgeschichte aus den Angeln heben - wohl zu bejahen. Allerdings sind die Verfahrensergebnisse, welche die belangte Behörde zur Feststellung des Deutschlandaufenthaltes des Beschwerdeführers gelangen ließen, mangelhaft und somit nicht geeignet, die Beurteilung, die Angaben des Beschwerdeführers seien "offensichtlich unglaubwürdig", zu rechtfertigen. Zwar ist der belangten Behörde nicht entgegenzutreten, wenn sie die "Entnahme von Fingerabdrücken sowie deren Vergleich" - auf das Vorliegen identer Fingerabdrücke ist die Annahme über das Auftreten des Beschwerdeführers in Deutschland gegründet - als "Stand der Technik" bewertete, doch übersieht sie, dass der Beschwerdeführer, der einen Deutschlandaufenthalt stets bestritt, nicht daktyloskopische Untersuchungen an sich, sondern die Verlässlichkeit bzw. Authentizität des im konkreten Fall verwendeten Vergleichsmaterials in Zweifel zog. Tatsächlich existieren in den vorgelegten Akten nur die eingangs erwähnte Anfragebeantwortung der deutschen Behörden mit dem hier wesentlichen Vermerk "Fingerabdruckblatt positiv" sowie die (erläuternde) oben wörtlich wiedergegebene Mitteilung des Bundesasylamtes vom 29. November 1999 an die belangte Behörde. Im Ergebnis liegt damit eine (bloße) Stellungnahme der deutschen Behörden vor, die weder eine Auskunft über das konkret verwendete Vergleichsmaterial gibt noch eine nachvollziehbare Begründung dafür enthält, warum "Identität" gegeben sei. Zwar können und sollen die Asylbehörden derartige Stellungnahmen regelmäßig im Sinn der Verfahrensvereinfachung wohl - vorerst - genügen lassen. Wird jedoch wie hier die Richtigkeit einer solchen Stellungnahme im Verfahren bestritten, so bietet sie für sich allein noch keine taugliche Grundlage für die Annahme, es liege Identität zwischen dem Asylwerber und der Vergleichsperson vor. Letztlich handelt es sich bei einer derartigen Stellungnahme nämlich um eine unüberprüfbare Behauptung, der gegebenenfalls eine gegenteilige Behauptung des Asylwerbers gegenübersteht. Von da her versteht es sich aber des Weiteren von selbst, dass die belangte Behörde im vorliegenden Fall dem Beweisantrag des Beschwerdeführers auf Beischaffung des deutschen Aktes mit dem "Vergleichsfingerabdruck" Folge zu geben und ein daktyloskopisches Gutachten in Auftrag zu geben gehabt hätte.
Letztlich ist auf die Ansicht der belangten Behörde einzugehen, der Beschwerdeführer habe offensichtlich falsche Angaben über sein Alter gemacht. Dabei ging sie - abgesehen von der Frage eines Deutschlandaufenthaltes im Jahr 1993 - ersichtlich von dem dem Beschwerdeführer seitens des Bundesasylamtes vorgehaltenen "medizinischen Gutachten" der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde (siehe oben) aus, wonach das Knochenalter des Beschwerdeführers bei 19 Jahren oder darüber liege. Abgesehen davon, dass auch insoweit bloß eine Stellungnahme und kein überprüfbares Gutachten vorliegt, hat die belangte Behörde eingangs der mündlichen Verhandlung am 20. April 2000 selbst festgehalten, dass "nach ho Erkenntnis alle bisher bekannten Altersfeststellungsverfahren nicht eindeutig" seien. Vor diesem Hintergrund und in Anbetracht dessen, dass die eben wiedergegebene behördliche Überlegung im Zusammenhang mit der Zulassung des gewillkürten Vertreters des Beschwerdeführers angestellt worden ist (was mangels anderem erkennbaren Anlass Zweifel an der Volljährigkeit des Beschwerdeführers indiziert), kann - zumal in der Bescheidbegründung nicht weiter argumentativ auf die Altersfrage eingegangen wird - nicht zu Grunde gelegt werden, dass die Angaben des Beschwerdeführers zu seinem Alter "offensichtlich" unglaubwürdig seien.
Nach dem Gesagten ist der bekämpfte Bescheid, wie auch immer er im Hinblick auf die mehrfache Bezugnahme auf das erstinstanzliche Ermittlungsverfahren im Zusammenhang mit dem anzustellenden "Offensichtlichkeitskalkül" auch zu verstehen sein mag (siehe oben), jedenfalls mit einer Rechtswidrigkeit seines Inhaltes behaftet. Er war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001.
Wien, am 18. April 2002
Schlagworte
Inhalt der BerufungsentscheidungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2002:2001010079.X00Im RIS seit
13.06.2002