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43/01 Wehrrecht allgemein;Norm
WehrG 1990 §36a Abs1 Z2 impl;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldner und die Hofräte Dr. Graf, Dr. Gall, Dr. Pallitsch und Dr. Schick als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Runge, über die Beschwerde des H in W, vertreten durch Mag. Martin Paar, Rechtsanwalt in 1040 Wien, Wiedner Hauptstraße 46/6, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 25. November 1999, Zl. 217750/5-IV/10/99, betreffend Befreiung von der Verpflichtung zur Leistung des ordentlichen Zivildienstes, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.089,68 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer stellte mit Schreiben vom 15. September 1999 beim Bundesminister für Inneres den Antrag auf gänzliche Befreiung vom ordentlichen Zivildienst. Er begründete diesen Antrag im Wesentlichen mit wirtschaftlichen Interessen.
Mit Schreiben vom 22. September 1999 stellte der Beschwerdeführer "hilfsweise" den weiteren Antrag, im Falle der Nichtstattgebung der gänzlichen Befreiung einen "Aufschub" von zwei Jahren zu gewähren.
Mit Schreiben vom 6. Oktober 1999 brachte der Beschwerdeführer vor, er müsse sich um familiäre Bereiche seiner Familie kümmern. Sein Onkel habe kürzlich einen Herzinfarkt erlitten und bedürfe ärztlicher, insbesondere aber auch finanzieller Unterstützung. Dazu müsse der Beschwerdeführer seinen Beitrag durch Zahlungen erbringen. Man erwarte dies von ihm, in der Türkei sei dies unausgesprochene Sitte und gesetzliche Verpflichtung. Vorgelegt wurde weiters ein Schreiben der Mutter des Beschwerdeführers vom 7. Oktober 1999, wonach diese ihren Lebensunterhalt durch eine türkische Rente in Höhe von umgerechnet ca. S 5.000,-- bestreite. Da diese Rente auch in der Türkei nicht ausreiche, um Miete zu bezahlen, lebe sie normalerweise bei ihrem 89-jährigen Vater, der ebenfalls Rentner sei. Beide seien auf die finanzielle Unterstützung durch den Beschwerdeführer angewiesen, der sie mit monatlich DM 1.500,-- unterstütze. Zurzeit lebe sie allerdings "zwangsweise" in Deutschland, und zwar als Pflegerin ihres Bruders (des Onkels des Beschwerdeführers), der im Februar 1999 dort einen schweren Gehirnschlag erlitten habe und seitdem dauernd zu 100 % pflegebedürftig sei. Der Bruder werde in Deutschland verpflegt, seine Pflegekosten trügen die deutschen Behörden. Den derzeitigen erhöhten Lebensunterhalt und die Kosten für den "derzeitigen doppelten Haushalt" übernehme zurzeit ebenfalls der Beschwerdeführer. Sobald der Bruder gesundheitlich in die Lage komme, häuslich gepflegt werden zu können, müsse sie ihren Bruder in die Türkei zurücknehmen und ihn selbst pflegen. Auch dann werde sie auf die finanzielle Hilfe des Beschwerdeführers angewiesen sein. Beigeschlossen war dieser Vorlage eine Kopie einer Bestellung der Mutter des Beschwerdeführers zur vorläufigen Betreuerin von dessen Onkel (Beschluss des Amtsgerichts Aachen, Bestellungsurkunde vom 27. Mai 1999).
Mit Schreiben vom 19. Oktober 1999 teilte der Beschwerdeführer dem Bundesminister für Inneres mit, er verfüge über keine gerichtlichen oder verwaltungsbehördlichen Entscheidungen aus Österreich oder der Bundesrepublik Deutschland für gesetzliche Unterhaltsansprüche ihm gegenüber. Er habe sich im Rahmen des türkischen Rechtes verpflichtet, die notwendigen finanziellen Unterstützungen für seine Verwandten aufzubringen. Auf Grund des oben erwähnten Gerichtsbeschlusses des Amtsgerichtes Aachen müsse seine Mutter ständig in Deutschland weilen, damit sie den vom Gericht zugewiesenen Aufgabenbereich wahrnehmen könne. Sie sei nicht in der Lage, Arbeit zu finden, und habe seines Wissens nach auch keine Arbeitsbewilligung für Deutschland. Auf Grund dieser Situation müsse der Beschwerdeführer entsprechende finanzielle Unterstützungen sowohl für seine Mutter als auch für seinen Onkel erbringen. Letzterer erhalte vom deutschen Staat Unterstützungszahlungen, doch reichten diese nur für die medizinischen Vorsorgebereiche (Medikamente, Pflegebetreuung durch Spital, Arzt usw.) aus. Die Kosten des täglichen Lebens müssten vom Beschwerdeführer sowohl für den Onkel als auch für die Mutter aufgebracht werden.
Der Bundesminister für Inneres wies mit Bescheid vom 25. November 1999 beide Anträge des Beschwerdeführers gemäß § 14 Abs. 1 und 2 in Verbindung mit § 13 Abs. 1 Z. 2 des Zivildienstgesetzes 1986 (ZDG) ab. In der Begründung führte der Bundesminister für Inneres nach Wiedergabe des Antragsvorbringens, der vorgelegten Beweismittel und der maßgeblichen Rechtslage aus, die Tätigkeit des Beschwerdeführers für die D. Holding könne nur als tatsächliche Berufsausübung, nicht aber als Berufsvorbereitung oder weiterführende Ausbildung im Sinne des Aufschubgrundes gemäß § 14 ZDG qualifiziert werden. Ein Aufschub sei demnach ausgeschlossen. Den Antrag auf Befreiung betreffend führte der Bundesminister für Inneres aus, der Beschwerdeführer habe nach seiner Stellung am 11. April 1997 bei der weiteren Gestaltung seiner Lebensverhältnisse auf die vor ihm liegende Dienstleistung (Wehrdienst oder Zivildienst) Bedacht zu nehmen gehabt. Die mangelnde Bedachtnahme darauf könne nicht Interessen im Sinn des § 13 Abs. 1 Z. 2 ZDG begründen. Der Beschwerdeführer habe am 3. Oktober 1997 eine rechtsgültige Zivildiensterklärung abgegeben und in der Folge mit der Zuweisung zur Leistung des ordentlichen Zivildienstes rechnen müssen. Er sei zunächst zur Leistung des ordentlichen Zivildienstes mit Dienstantrittstermin 5. Oktober 1998 zugewiesen worden. Über seine Eingabe vom 11. August 1998, wonach er mit einer türkischen Gesellschaft zusammenarbeite, laufende Projekte betreue und ab Oktober 1999 in der Lage wäre, Zivildienst zu leisten, sei die verfügte Zuweisung zur Leistung des ordentlichen Zivildienstes in eine solche mit Dienstantrittstermin 4. Oktober 1999 abgeändert worden. Die nunmehr geltend gemachten wirtschaftlichen Interessen seien jene der D. Holding und damit Fremdinteressen im gegenständlichen Verfahren. Zu den geltend gemachten familiären Interessen sei festzuhalten, dass eine besondere Rücksichtswürdigkeit gemäß § 13 Abs. 1 Z. 2 ZDG nur dann vorliege, wenn Angehörige nicht in der Lage seien, für lebensnotwendige Interessen finanzielle oder faktische Vorkehrungen zu treffen und der Zivildienstpflichtige die einzige hiefür in Betracht kommende Person sei. Gerichtliche oder verwaltungsbehördliche Titel zur behaupteten Unterhaltsverpflichtung seien nicht beigebracht worden. "Demnach" handle es sich bei den Leistungen des Beschwerdeführers um freiwillige Zahlungen, die während der Leistung des ordentlichen Zivildienstes entweder angemessen reduziert oder nach Maßgabe der privaten Vermögensverhältnisse des Beschwerdeführers fortgesetzt werden könnten, jedoch keine Basis für eine Befreiung darstellten. Anhaltspunkte dafür, dass eine angemessene Behandlung von Schlaganfall-Patienten in der Türkei nicht möglich wäre und die Mutter sowie der Onkel des Beschwerdeführers durch die ihnen in der Türkei zustehenden Sozialleistungen unterversorgt wären, seien gleichfalls nicht vorgelegen. Zivildienstleistende hätten "nach Maßgabe des § 25a ZDG" unter anderem Anspruch auf Pauschalvergütung, Reisekostenvergütung, Familienunterhalt, Wohnkostenbeihilfe, Kranken- und Unfallversicherung, wodurch die soziale "Sicherstellung" des Beschwerdeführers und unterhaltsanspruchsberechtigter Personen gewährleistet sei. Gesetzliche Unterhaltsverpflichtungen stellten keine Begründung für die Befreiung von der Verpflichtung zur Leistung des ordentlichen Zivildienstes dar.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.
Die belangte Behörde legte (unvollständig) die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde erwogen:
Im Beschwerdefall sind das ZDG in der Fassung der Novelle BGBl. Nr. 788/1996 sowie das Heeresgebührengesetz 1992 (HGG) in der Fassung der Novelle BGBl. I Nr. 122/1998 maßgeblich.
Die einschlägigen Bestimmungen des ZDG lauten (auszugsweise):
"§ 13. (1) Der Bundesminister für Inneres hat den Zivildienstpflichtigen - gleichgültig ob er bereits Zivildienst leistet oder auch nicht - von der Verpflichtung zur Leistung des ordentlichen Zivildienstes zu befreien
...
2. auf Antrag des Zivildienstpflichtigen, wenn und so lange es besonders rücksichtswürdige wirtschaftliche oder familiäre Interessen erfordern.
...
§ 34. (1) Der Zivildienstpflichtige, der
1. einen ordentlichen Zivildienst oder
...
leistet, hat Anspruch auf Familienunterhalt und Wohnkostenbeihilfe, wie er einem Wehrpflichtigen nach § 26 HGG 1992 zusteht.
(2) Auf den Familienunterhalt und die Wohnkostenbeihilfe sind die Bestimmungen des V. Hauptstückes des HGG 1992 ... anzuwenden.
... ."
§ 28 HGG 1992 lautet (auszugsweise):
"§ 28. (1) Der Anspruch des Wehrpflichtigen auf Familienunterhalt besteht
1.
für seine Ehefrau,
2.
für Kinder, für die ihm oder seiner nicht dauernd von ihm getrennt lebenden Ehefrau eine Familienbeihilfe auf Grund des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967, BGBl. Nr. 376, oder eine gleichartige ausländische Beihilfe gewährt wird, und
3. für andere Personen, sofern er ihnen kraft Gesetzes Unterhalt leistet oder zu leisten hätte."
Der Beschwerdeführer bekämpft den angefochtenen Bescheid primär wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes, und zwar insoweit, als die von ihm der belangten Behörde glaubhaft dargelegte wirtschaftliche Situation seiner Mutter bzw. seines Onkels sowie seiner Person jedenfalls besonders rücksichtswürdige familiäre Interessen im Sinn des § 13 Abs. 1 Z. 2 ZDG berührten und die belangte Behörde seinen Antrag auf Befreiung von der Pflicht zur Leistung des ordentlichen Zivildienstes dennoch abgewiesen habe.
Im Beschwerdeverfahren geht es ausschließlich darum, ob die belangte Behörde zu Recht angenommen hat, dass dem Beschwerdeführer keine besonders rücksichtswürdigen familiären Interessen im Sinne des § 13 Abs. 1 Z. 2 ZDG zuzubilligen sind.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann von besonders berücksichtigungswürdigen familiären Interessen (sowohl im Sinn des § 36a Abs. 1 Z 2 des Wehrgesetzes 1990 als auch nach § 13 Abs. 1 Z 2 ZDG) nur dann die Rede sein, wenn der unterstützungsbedürftige Familienangehörige durch die präsenzdienst- bzw. zivildienstbedingte Abwesenheit des Wehr- bzw. Zivildienstpflichtigen in lebenswichtigen Belangen gefährdet wäre (vgl. z.B. die hg. Erkenntnisse vom 4. Dezember 1987, Zl. 87/11/0094, sowie vom 27. April 1995, Zl. 95/11/0038; zur Übertragung der Judikatur zum Wehrgesetz 1990 auf das ZDG vgl. das hg. Erkenntnis vom 21. Oktober 1994, Zl. 94/11/0270). Vor diesem Hintergrund erweist sich die Beschwerde als begründet.
Die belangte Behörde ist in ihrer Begründung auf das Vorbringen des Beschwerdeführers nur ganz kusorisch eingegangen. Soweit sie zunächst aus dem Umstand, dass der Beschwerdeführer keine gerichtlichen oder verwaltungsbehördlichen "Titel" zur behaupteten Unterhaltsverpflichtung beigebracht hat, folgert, es handle sich bei den vom Beschwerdeführer geleisteten Zahlungen "um freiwillige Zahlungen", übersieht sie, dass eine gesetzliche Unterhaltspflicht auch dann besteht, wenn noch kein Titel durch eine Einzelfallentscheidung geschaffen wurde, weshalb der von ihr aus diesem Umstand gezogene Schluss, es handle sich um freiwillige Zahlungen, unzulässig ist.
Soweit sie weiters ihre Sachverhaltsannahme zu erkennen gibt, der Onkel des Beschwerdeführers könne sehr wohl in der Türkei behandelt werden und eine Unterversorgung sowohl des Onkels als auch der diesen pflegenden Mutter des Beschwerdeführers in die Türkei läge angesichts der den Genannten "in der Türkei zustehenden Sozialleistungen" nicht vor, beruht der Bescheid auf bloßen Mutmaßungen der belangten Behörde, die eine Überprüfung durch den Verwaltungsgerichtshof anhand der vorgelegten Akten nicht ermöglichen.
Falls das im Verwaltungsverfahren erstattete Vorbringen des Beschwerdeführers zutrifft, dieser finanziere maßgeblich die Betreuung des Onkels durch seine Mutter (nach den Angaben der Mutter zahlt der Beschwerdeführer allein für sie und seinen Großvater monatlich DM 1.500,--), so bedürfte es einwandfreier Feststellungen der Behörde, um rechtlich folgern zu können, dass dem Onkel die betreuende Mutter des Beschwerdeführers auch ohne dessen Leistungen nicht in ihren lebenswichtigen Belangen gefährdet sind, weshalb das Vorliegen besonders rücksichtswürdiger familiärer Interessen an einer Befreiung im Sinne des § 13 Abs. 1 Z. 2 ZDG zu verneinen wäre.
Soweit die belangte Behörde aber schließlich - entgegen ihrer bisher zum Ausdruck gebrachten Annahme und erneut ohne Feststellungen zu treffen - darauf verweist, im Falle einer gesetzlichen Unterhaltspflicht des Beschwerdeführers hätte dieser einen Anspruch auf Familienunterhalt nach § 34 Abs. 1 und 2 ZDG in Verbindung mit § 28 ff HGG 1992, fehlt es an einer Begründung dafür, dass diesfalls finanzielle Mittel in einem Ausmaß bereitstünden, welches geeignet wäre, die Unterhaltsbedürfnisse der Mutter des Beschwerdeführers zu decken.
Auf Grund der auf einer Verkennung der Rechtslage unterlaufenen Feststellungs- und Begründungsmängel war der angefochtene Bescheid, soweit damit der Befreiungsantrag des Beschwerdeführers abgewiesen wurde, gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001, BGBl. II Nr. 501.
Wien, am 23. April 2002
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2002:2000110153.X00Im RIS seit
01.08.2002