TE Vfgh Erkenntnis 1999/6/7 G238/98

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Veröffentlicht am 07.06.1999
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Index

L6 Land- und Forstwirtschaft
L6800 Ausländergrunderwerb, Grundverkehr

Norm

EMRK Art6 Abs1 / Tribunal
EMRK Art6 Abs1 / Gesetz
EMRK Art6 Abs1 / civil rights
Wr AusländergrunderwerbsG §1

Leitsatz

Verfassungswidrigkeit einer den Ausländergrunderwerb regelnden Bestimmung mangels Entscheidung über "civil rights" durch ein unabhängiges Tribunal

Spruch

Die Wortfolge "des Eigentums (Miteigentums)," in §1 Abs1 des Gesetzes betreffend den Grunderwerb durch Ausländer in Wien (Wiener Ausländergrunderwerbsgesetz), LGBl. für Wien Nr. 11/1998, wird als verfassungswidrig aufgehoben.

Die Aufhebung tritt mit Ablauf des 31. Dezember 1999 in Kraft.

Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Wirksamkeit.

Der Landeshauptmann von Wien ist zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruches im Landesgesetzblatt für Wien verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1.1. Mit Antrag vom 20. November 1998 stellte der Verwaltungsgerichtshof zu seiner Zl. A87/98 aus Anlaß eines bei ihm zu Zl. 98/02/0272 anhängigen Beschwerdeverfahrens gemäß Art140 Abs1 B-VG an den Verfassungsgerichtshof den Antrag, in §1 Abs1 des Gesetzes betreffend den Grunderwerb durch Ausländer in Wien (Wiener Ausländergrunderwerbsgesetz), LGBl. für Wien 11/1998 (im folgenden: GVG), die Worte "des Eigentums (Miteigentums)," als verfassungswidrig aufzuheben.

1.2. Bei der bei ihm anhängigen Beschwerde gegen einen Bescheid der Wiener Landesregierung sei - so das Antragsvorbringen des Verwaltungsgerichtshofes - der Erwerb des Eigentums an je 74/849 Anteilen an einer Liegenschaft in Wien aufgrund eines Kaufvertrages vom Mai 1995 durch die Beschwerdeführer, zwei polnische Staatsangehörige, unter Berufung auf §4 GVG nicht genehmigt worden. Aus der Begründung des Bescheides in Verbindung mit der Aktenlage ergebe sich, daß die Beschwerdeführer mit dem erwähnten Kaufvertrag Wohnungseigentum erwerben wollten. Der Verwaltungsgerichtshof gehe davon aus, daß die oben umschriebenen Worte in §1 Abs1 GVG bei Fällung seines Erkenntnisses über die von den Beschwerdeführern gemäß Art131 B-VG erhobene Beschwerde anzuwenden und somit in dieser Beschwerdesache im Sinne des Art140 Abs1 i.V.m. Art89 Abs2 und Art135 Abs4 B-VG präjudiziell seien.

1.3. §1 Abs1 (die angefochtene Wortfolge ist hervorgehoben) und §4 GVG lauten:

"§1. (1) Unter Lebenden bedürfen der Erwerb des Eigentums (Miteigentums), eines Baurechtes, des Rechtes der persönlichen Dienstbarkeit an bebauten oder unbebauten Grundstücken jeder Art durch Ausländer oder eine im Grundbuch einzutragende Bestandgabe solcher Grundstücke an Ausländer zu ihrer Gültigkeit der behördlichen Genehmigung.

...

§4. Eine nach diesem Gesetz erforderliche Genehmigung erteilt die Landesregierung nach Anhörung der zuständigen gesetzlichen Interessenvertretung (Wirtschaftskammer Wien, Kammer für Arbeiter und Angestellte für Wien, Wiener Landwirtschaftskammer). Die Genehmigung ist zu erteilen, wenn am Zustandekommen des Rechtsgeschäftes ein volkswirtschaftliches oder soziales Interesse besteht, oder wenn nachgewiesen wird, daß das Grundstück, auf welches sich das Rechtsgeschäft bezieht, ausschließlich zur besseren Nutzung eines anderen Grundstückes dienen soll und im Vergleich zu diesem nur von geringem Ausmaß ist. Andernfalls oder wenn andere öffentliche Interessen entgegenstehen, insbesondere solche militärischer oder sicherheitspolizeilicher Natur, ist die Genehmigung zu versagen."

1.4. In der Sache hegt der Verwaltungsgerichtshof die gleichen verfassungsrechtlichen Bedenken, welche er bereits in seinem - zum in den maßgeblichen Bestimmungen im wesentlichen gleichlautenden Gesetz vom 16. Juni 1967 betreffend den Grunderwerb durch Ausländer in Wien, LGBl. für Wien 33/1967, ergangenen - Antrag vom 20. Februar 1998 vortrug, welcher zur Aufhebung einer Bestimmung im Wiener AusländergrunderwerbsG 1967 durch Erk. des VfGH 3.12.1998, G48/98, führte:

Ein Verfahren zur behördlichen Genehmigung des Eigentumserwerbes habe zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen (den sogenannten Kernbereich der "civil rights") im Sinne des Art6 EMRK zum Gegenstand; es bestehe daher nach Art6 EMRK ein verfassungsrechtlicher Anspruch auf ein mit bestimmten Garantien ausgestattetes Verfahren vor einem unabhängigen "Tribunal" (Hinweis auf VfSlg. 11211/1987). Dieses habe in der Sache selbst zu entscheiden; die nachprüfende Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts reiche nicht aus (Hinweis auf VfSlg. 12774/1991). Daß die Wiener Landesregierung, die gemäß §4 GVG in einziger (und letzter) Instanz u.a. über den Erwerb des Eigentums (Miteigentums) im Sinne des §1 Abs1 GVG zu entscheiden habe, kein Tribunal im Sinne des Art6 Abs1 EMRK darstelle, bedürfe keiner näheren Ausführung (abermaliger Hinweis auf VfSlg. 12774/1991).

2. Die Wiener Landesregierung erstattete aufgrund ihres Beschlusses vom 23. Februar 1999 eine Äußerung, in welcher sie im Hinblick auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 3.12.1998, G48/98, von einer inhaltlichen Stellungnahme Abstand nahm. Für den Fall der Aufhebung der vom Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Worte des GVG stellte die Wiener Landesregierung unter einem den Antrag, der Verfassungsgerichtshof wolle gemäß Art140 Abs5 B-VG für deren Außerkrafttreten eine Frist von einem Jahr bestimmen.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über den zulässigen Antrag (s. dazu bereits VfGH 3.12.1998, G48/98) erwogen:

1. Der Verfassungsgerichtshof hat im Anschluß an und unter ausdrücklicher Berufung auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte im Fall Ringeisen (EGMR 16.7.1971, Serie A, Nr. 13) im Erkenntnis VfSlg. 7068/1973 (S 383 der Amtlichen Sammlung) klargestellt, daß die Entscheidung über die Erteilung oder Verweigerung einer grundverkehrsbehördlichen Genehmigung einen zivilrechtlichen Anspruch bzw. eine zivilrechtliche Verpflichtung im Sinne des Art6 EMRK betrifft. An dieser Rechtsprechung hielt der Verfassungsgerichtshof seither in einer Reihe von Entscheidungen fest; verwiesen sei insbesondere etwa auf die Erkenntnisse VfSlg. 7099/1973, 7630/1975, 8309/1978, 8317/1978, 8501/1979, 10639/1985, 11211/1987, 11786/1988, 11957/1989, 12074/1989, 12126/1989, 12669/1991, 13211/1992, 13247/1992, 13459/1993, 13709/1994, 13857/1994, 14024/1995, 14109/1995 und zuletzt etwa VfGH 3.12.1998, G48/98).

2. Die Wiener Landesregierung als gemäß §4 GVG zuständige Behörde zur Entscheidung über Ausländergrunderwerbe entspricht den Garantien des Art6 EMRK offenkundig nicht (s. zuletzt VfGH 3.12.1998, G48/98).

3. Das Antragsvorbringen des Verwaltungsgerichtshofes erweist sich somit als begründet; die bekämpfte, den Ausländergrunderwerb betreffende Regelung ist im Hinblick darauf, daß sie nicht von einem den Garantien des Art6 Abs1 EMRK entsprechenden Staatsorgan, also nicht von einem "Tribunal" zu vollziehen ist, als verfassungswidrig aufzuheben.

4. Die Aufhebung macht - soll der Genehmigungsvorbehalt für Eigentumserwerbe an Grundstücken durch Ausländer beibehalten werden - legistische Anpassungen erforderlich. Anderseits gilt es zu bedenken, daß der konventionswidrige Zustand ehestmöglich abzustellen ist und daß die Verfassungswidrigkeit der Regelung - zumindest - bereits seit dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 3.12.1998, G48/98, zugestellt am 1. Februar 1999, bekannt sein mußte. Im Hinblick darauf ist die Setzung einer Frist von rund sechs Monaten für die Wirksamkeit der Aufhebung als ausreichend anzusehen.

5. Die Verpflichtung des Landeshauptmannes zur Kundmachung dieses Ausspruches erfließt aus Art140 Abs5, zweiter Satz, B-VG; der Ausspruch über das Nichtwiederinkrafttreten früherer Vorschriften stützt sich auf Art140 Abs6 B-VG.

III. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4, erster Satz, VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Schlagworte

Ausländergrunderwerb, civil rights, Tribunal

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1999:G238.1998

Dokumentnummer

JFT_10009393_98G00238_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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