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24/01 Strafgesetzbuch;Norm
FSG 1997 §25 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldner und die Hofräte Dr. Graf, Dr. Gall, Dr. Pallitsch und Dr. Schick als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Runge, über die Beschwerde des F in S, vertreten durch Dr. Christoph Rogler, Rechtsanwalt in 4400 Steyr, Stelzhamerstraße 9, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Oberösterreich vom 10. Mai 2001, Zl. VerkR-394.179/1-2001-Kof/Hu, betreffend Entziehung der Lenkberechtigung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.089,69 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 24 Abs. 1 Z. 1, § 25 Abs. 1 und Abs. 3 in Verbindung mit § 7 Abs. 2, Abs. 4 Z. 2 und Abs. 5 Führerscheingesetz - FSG die Lenkberechtigung für die Klasse B für die Dauer von drei Jahren, gerechnet ab der am 19. Februar 2001 erfolgten Zustellung des erstinstanzlichen Bescheides und ohne Einrechnung von Haftzeiten, entzogen.
In der Begründung dieses Bescheides führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer sei mit Urteil des Oberlandesgerichtes Linz vom 17. Oktober 2000 wegen des Verbrechens der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs. 1 (alte Fassung) StGB, des Verbrechens des sexuellen Missbrauches von Unmündigen nach § 207 Abs. 1 (neue Fassung) StGB und des Vergehens des Missbrauches eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von zweieinhalb Jahren verurteilt worden. Der Beschwerdeführer sei schuldig erkannt worden, er habe
I. in der Zeit von ca. 1993 bis 1997 eine unmündige Person auf andere Weise als durch Beischlaf zur Unzucht missbraucht, indem er wiederholt das Glied seines am 18. April 1985 geborenen Neffen C.F. in den Mund genommen und diesen veranlasst habe, das selbe bei ihm zu tun;
II. außer dem Fall des § 206 StGB eine geschlechtliche Handlung an unmündigen Personen vorgenommen oder von einer unmündigen Person an sich vornehmen lassen und zwar
1. in der Zeit von ca. 1993 bis 1997 seinen am 18. April 1985 geborenen Neffen C.F., indem er diesen wiederholt am Geschlechtsteil gestreichelt und ihn dazu veranlasst habe, sein Glied in die Hand zu nehmen,
2. in der Zeit zwischen Anfang 1998 und Ende 1999 seinen am 4. Juli 1988 geborenen Neffen D.M., indem er diesen wiederholt über und unter der Bekleidung am Penis gestreichelt habe,
3. Anfang Dezember 1999 seine am 20. Mai 1990 geborene Nichte J.M., indem er diese über der Bekleidung im Brust- und Genitalbereich gestreichelt habe,
III. in der Zeit von ca. 1993 bis Ende 1999 durch die zu I. und II. geschilderten Tathandlungen unter Ausnützung einer Stellung gegenüber seiner Aufsicht unterstehenden minderjährigen Personen diese zur Unzucht missbraucht.
An diese rechtskräftige Verurteilung sei die belangte Behörde gebunden. Der Beschwerdeführer weise zudem insgesamt 15 gerichtliche Vorstrafen (aus der Zeit zwischen 1972 bis 1996) auf.
Für die Annahme der Verkehrsunzuverlässigkeit komme es nicht darauf an, dass die strafbaren Handlungen im Zusammenhang mit dem Lenken von Kraftfahrzeugen begangen worden seien. Im Rahmen der Wertung seien zum Nachteil des Beschwerdeführers der lange Tatzeitraum sowie der Umstand zu berücksichtigen, dass mehrere Kinder von den Straftaten betroffen gewesen seien. Zugunsten des Beschwerdeführers sei die zwischen der Beendigung der Tathandlungen (Ende 1999) bis zur Entziehung der Lenkberechtigung (19. Februar 2001) verstrichene Zeit zu werten, wobei allerdings dem Wohlverhalten während des gerichtlichen Strafverfahrens bzw. des Verfahrens zur Entziehung der Lenkberechtigung nur geringes Gewicht zukomme. Zugunsten des Beschwerdeführers sei zudem zu berücksichtigen, dass er seine Schuld einsehe und sich einer Therapie unterziehe.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.
Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und beantragt in ihrer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Für den Beschwerdefall sind folgende Bestimmungen des Führerscheingesetzes - FSG maßgebend:
"Allgemeine Voraussetzungen für die Erteilung einer Lenkberechtigung
§ 3. (1) Eine Lenkberechtigung darf nur Personen erteilt werden, die:
...
2. verkehrszuverlässig sind (§ 7),
...
Verkehrszuverlässigkeit
§ 7.
...
(2) Als nicht verkehrszuverlässig gilt eine Person, wenn auf Grund erwiesener bestimmter Tatsachen (Abs. 4) und ihrer Wertung (Abs. 5) angenommen werden muss, dass sie wegen ihrer Sinnesart sich weiterer schwerer strafbarer Handlungen schuldig machen wird, die durch das Lenken von Kraftfahrzeugen erleichtert werden.
...
(4) Als bestimmte Tatsache im Sinne des Abs. 2 hat insbesondere zu gelten, wenn jemand
...
2. eine strafbare Handlung gegen die Sittlichkeit gemäß den §§ 201 bis 207 oder 217 StGB begangen hat,
...
(5) Für die Wertung der in Abs. 3 beispielsweise angeführten Tatsachen sind deren Verwerflichkeit, die Gefährlichkeit der Verhältnisse, unter denen sie begangen wurden, die seither verstrichene Zeit und das Verhalten während dieser Zeit maßgebend.
...
Entziehung, Einschränkung und Erlöschen der Lenkberechtigung
§ 24. (1) Besitzern einer Lenkberechtigung, bei denen die Voraussetzungen für die Erteilung der Lenkberechtigung (§ 3 Abs. 1 Z 2 bis 4) nicht mehr gegeben sind, ist von der Behörde entsprechend den Erfordernissen der Verkehrssicherheit
1. die Lenkberechtigung zu entziehen oder ...
...
Dauer der Entziehung
§ 25. (1) Bei der Entziehung ist auch auszusprechen, für welchen Zeitraum die Lenkberechtigung entzogen wird. Dieser ist auf Grund der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens festzusetzen.
...
(3) Bei einer Entziehung wegen mangelnder Verkehrszuverlässigkeit (§ 7) ist eine Entziehungsdauer von mindestens drei Monaten festzusetzen. Wurden begleitende Maßnahmen gemäß § 24 Abs. 3 angeordnet, so endet die Entziehungsdauer nicht vor Befolgung der Anordnung."
Auf Grund der Bindung an die oben bezeichnete rechtskräftige Bestrafung des Beschwerdeführers wegen des Verbrechens nach § 207 Abs. 1 StGB ist die belangte Behörde mit Recht vom Vorliegen einer bestimmten Tatsache gemäß § 7 Abs. 4 Z. 2 FSG ausgegangen. Dies wird vom Beschwerdeführer auch nicht in Zweifel gezogen. Der Beschwerdeführer meint, die Wertung der bestimmten Tatsache hätte zum Ergebnis führen müssen, dass er nicht als verkehrsunzuverlässig im Sinne des § 7 Abs. 2 FSG angesehen werden dürfe. Im Übrigen sei die Entziehungsdauer überhöht.
Die dem angefochtenen Bescheid zugrunde liegende Auffassung, der Beschwerdeführer sei als verkehrsunzuverlässig gemäß § 7 Abs. 2 FSG anzusehen, kann entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers nicht als rechtswidrig erkannt werden. Unter dem Wertungskriterium der Verwerflichkeit der strafbaren Handlungen fallen der lange Tatzeitraum, die Tatwiederholungen sowie die Begehung des Verbrechens nach § 207 Abs. 1 StGB an drei Opfern entscheidend ins Gewicht. Im Hinblick darauf, dass der Beschwerdeführer die letzte als Verbrechen nach § 207 Abs. 1 StGB zu qualifizierende Tathandlung Ende 1999 begangen und sich seit 31. März 2000 in Haft befunden hat, konnte nicht davon ausgegangen werden, er habe bereits im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides die in § 7 Abs. 2 FSG umschriebene Sinnesart überwunden. Es bedarf vielmehr eines längeren Wohlverhaltens des Beschwerdeführers, um die Überwindung dieser Sinnesart annehmen zu können.
Für die Festsetzung der Entziehungsdauer ist die - unter Berücksichtigung der Wertungskriterien gemäß § 7 Abs. 5 FSG zu erstellende - Prognose maßgebend, wann der Betreffende die Verkehrszuverlässigkeit wiedererlangen werde (siehe dazu u.a. das hg. Erkenntnis vom 20. September 2001, Zl. 2001/11/0119), m.a.W. wann er die Sinnesart gemäß § 7 Abs. 1 oder 2 FSG, deretwegen die Verkehrsunzuverlässigkeit anzunehmen ist, überwunden haben wird. Im vorliegenden Fall war dabei zu berücksichtigen, dass der Beschwerdeführer nach der Aktenlage die über ihn verhängte Freiheitsstrafe verbüßt und die Entlassung aus der Strafhaft voraussichtlich im September 2002 erfolgen wird. Der von der belangten Behörde festgesetzten Entziehungsdauer liegt demnach die Auffassung zugrunde, der Beschwerdeführer werde erst Ende September 2005 wieder die Verkehrszuverlässigkeit erlangen, bis dahin müsse angenommen werden, er werde wegen seiner Sinnesart sich weiterer strafbarer Handlungen schuldig machen, die durch das Lenken von Kraftfahrzeugen erleichtert wird. Der Verwaltungsgerichtshof hat es (auch im Geltungsbereich des Führerscheingesetzes) für zulässig erachtet, Entziehungszeiten unter Nichteinrechnung von Haftzeiten festzusetzen (siehe dazu u. a. das hg. Erkenntnis vom 4. Oktober 2000, Zl. 2000/11/0060). Dies ist dann nicht rechtswidrig, wenn es über das Wohlverhalten während der Haft hinaus noch eines weiteren in Freiheit unter Beweis gestellten Wohlverhaltens bedarf, um auf die Wiedererlangung der Verkehrszuverlässigkeit schließen zu können. Die Haftzeiten sind aber in diesem Zusammenhang nicht ohne Bedeutung, sondern in die Prognose miteinzubeziehen, insbesondere weil die Strafe (neben anderen Strafzwecken) auch spezialpräventiven Bedürfnissen dient (vgl. dazu Leukauf/Steininger, Kommentar zum StGB3, Allgemeine Vorbemerkungen RN 34 und 35).
Berücksichtigt man im vorliegenden Fall, dass der Beschwerdeführer im Zusammenhang mit den von ihm zu verantwortenden Straftaten kein Kraftfahrzeug verwendet hat und sich einer Therapie unterzieht, ist die Prognose, der Beschwerdeführer werde erst Ende September 2005, also rund sechs Jahre nach der Beendigung der strafbaren Handlungen, die zur Verkehrsunzuverlässigkeit nach § 7 Abs. 2 FSG führende Sinnesart überwunden haben, verfehlt. Die von der belangten Behörde erwähnten gerichtlichen Vorstrafen fallen im gegebenen Zusammenhang nicht entscheidend ins Gewicht, weil sie einerseits schon mehrere Jahre zurückliegen und durchwegs keine strafbaren Handlungen gegen die Sittlichkeit zum Gegenstand hatten. Die belangte Behörde beruft sich im angefochtenen Bescheid zur Begründung für die festgesetzte Entziehungsdauer auf die - zum KFG 1967 ergangenen - hg. Erkenntnisse vom 29. Juni 1993, Zl. 92/11/0263, und vom 15. Dezember 1995, Zl. 93/11/0249, in denen im Falle eines Verbrechens nach § 207 Abs. 1 StGB eine Entziehungsdauer von drei Jahren als nicht rechtswidrig erklärt wurde. Der Verwaltungsgerichtshof vermag die diesen Erkenntnissen zugrunde liegende Rechtsauffassung, dass es im Falle eines Verbrechens nach § 207 Abs. 1 StGB - unabhängig vom Ausmaß der vom Gericht verhängten Freiheitsstrafe und deren Verbüßung - darüber hinaus jedenfalls einer Entziehung der Lenkberechtigung für die Dauer von drei Jahren bedarf, auf der Grundlage des FSG nicht aufrecht zu erhalten. Dass auf Grund besonderer Umstände für eine derartig lange Zeit die der Verkehrsunzuverlässigkeit gemäß § 7 Abs. 2 FSG zugrunde liegende Annahme gerechtfertigt wäre, ist nicht zu erkennen. In diesem Zusammenhang ist hervorzuheben, dass es für die Verkehrsunzuverlässigkeit nach dieser Gesetzesstelle nicht ausreicht, dass die Begehung weiterer schwerer strafbarer Handlungen nicht ausgeschlossen werden kann. Es muss vielmehr die Annahme begründet sein, dass der Betreffende "sich weiterer schwerer strafbarer Handlungen schuldig machen wird".
Aus den dargelegten Erwägungen folgt, dass die Behörde mit einer wesentlich kürzeren Entziehungsdauer das Auslangen hätte finden können.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 501/2001.
Wien, am 23. April 2002
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2002:2001110195.X00Im RIS seit
22.07.2002