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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
FrG 1997 §36 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Enzenhofer und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Stummer, über die Beschwerde der J, (geb. 1975), vertreten durch Dr. Rudolf Mayer, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Universitätsstraße 8/2, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 2. Juni 1999, Zl. SD 1059/98, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.089,68 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
I.
1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 2. Juni 1999 wurde gegen die Beschwerdeführerin, eine französische Staatsangehörige, gemäß § 36 Abs. 1 und Abs. 2 Z. 1 iVm § 48 Abs. 1 des Fremdengesetzes 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von fünf Jahren erlassen.
Die Beschwerdeführerin sei dem vorliegenden Akteninhalt zufolge erstmals im Juli 1992 nach Österreich eingereist. Die damals noch jugoslawische Staatsangehörige habe am 27. Juli 1992 unter Vorlage einer Verpflichtungserklärung ihrer Tante die Ausstellung eines Sichtvermerkes beantragt, und habe in weiterer Folge zwei Sichtvermerke, zuletzt gültig bis 22. August 1993, erhalten. Am 11. April 1995 sei die Beschwerdeführerin wegen Verdachtes des Diebstahls zur Anzeige gebracht und daraufhin vom Bezirksgericht Innere Stadt Wien mit Urteil vom 28. Juni 1995 zu einer Geldstrafe rechtskräftig verurteilt worden. Am 27. Dezember 1995 habe eine Frau, bei der die Beschwerdeführerin als Bedienerin gearbeitet habe, Anzeige gegen die Beschwerdeführerin wegen des Verdachtes des Diebstahls erhoben. Damals habe die Beschwerdeführerin am Bezirkspolizeikommissariat Innere Stadt angegeben, vor ca. 15 Tagen aus Deutschland nach Österreich gekommen zu sein, um hier ihren Mann und ihr Kind, welche in Wien wohnen würden, zu besuchen. Sie hätte vier Tage bei ihrem Mann gewohnt, nachdem sie sich aber gestritten gehabt hätten, wäre sie dann zu ihrem Cousin gezogen. Dort wäre sie polizeilich nicht gemeldet gewesen. Die Beschwerdeführerin sei daraufhin wegen Übertretung des Meldegesetzes rechtskräftig bestraft worden. Nur wenige Zeit später, und zwar am 13. Mai 1995, sei die Beschwerdeführerin abermals wegen des Verdachtes des Diebstahls zur Anzeige gebracht worden. Diesbezüglich sei sie am 11. September 1996 vom Landesgericht für Strafsachen Wien gemäß § 259 Z. 3 StPO rechtskräftig freigesprochen worden. Aktenkundig sei darüber hinaus, dass ihr Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels vom 26. Mai 1995 vom Landeshauptmann von Wien mit Bescheid vom 17. April 1996 abgewiesen worden sei.
Am 13. Jänner 1997 habe die Beschwerdeführerin die Ausstellung eines EWR-Lichtbildausweises beantragt und dazu einen französischen Reisepass, ausgestellt am 30. September 1996, und eine Arbeitsbestätigung vorgelegt. Daraufhin sei ihr ein EWR-Lichtbildausweis, gültig bis 18. Februar 2002, ausgestellt worden.
Am 10. August 1998 sei die Beschwerdeführerin vom Landesgericht für Strafsachen Wien wegen des Verdachtes des Diebstahls zu einer bedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von zwei Monaten rechtskräftig verurteilt worden. Wie aus dem Urteil hervorgehe, habe die Beschwerdeführerin am 25. Juli 1998 in Wien im einvernehmlichen Zusammenwirken als Mittäterin mit einer Komplizin Gegenstände in einer Filiale eines Drogeriemarktes, in einer Filiale einer Lebensmittelkette sowie in einem Kinderbekleidungsgeschäft gestohlen.
Da die Beschwerdeführerin - wie oben dokumentiert - bereits zweimal wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhender strafbarer Handlungen rechtskräftig verurteilt worden sei, könne kein Zweifel bestehen, dass der Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z. 1 FrG erfüllt sei. Das Verhalten der Beschwerdeführerin bringe somit eine Geringschätzung fremden Eigentums zum Ausdruck, wobei von einer positiven Zukunftsprognose insofern nicht ausgegangen werden könne, weil sie sich bereits von einer erfolgten rechtskräftigen Verurteilung nicht habe davon abhalten lassen, neuerlich straffällig zu werden. Angesichts der dadurch bewirkten Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit sei die Erlassung des Aufenthaltsverbotes - vorbehaltlich der §§ 37 und 38 FrG - gerechtfertigt.
Die Beschwerdeführerin sei mit einem österreichischen Staatsbürger verheiratet. Aus dieser Beziehung stammten zwei Kinder. Anlässlich einer Amtshandlung im Zusammenhang mit einer Anzeige wegen des Verdachtes des Diebstahls habe der Ehegatte der Beschwerdeführerin am 27. Dezember 1995 gegenüber Sicherheitswachebeamten des Bezirkspolizeikommissariats Innere Stadt angegeben, seit ca. zwei Jahren mit der Beschwerdeführerin verheiratet zu sein, jedoch nicht zu wissen, wo seine Frau wohnhaft bzw. aufhältig wäre, weil sie kurz nach der Ehe die gemeinsame Wohnung in Wien verlassen hätte. Das letzte Mal hätte er sie vor ca. drei Wochen wieder gesehen, da die Beschwerdeführerin ihren Reisepass bei ihm abgegeben hätte. Die Beschwerdeführerin habe damals selbst angegeben, vor ca. 15 Tagen aus Deutschland kommend nach Österreich eingereist zu sein, um ihren Mann und das gemeinsame Kind zu besuchen. Nunmehr lebte die Beschwerdeführerin, ihren eigenen Angaben zufolge, wieder mit ihrem Mann und mittlerweile zwei gemeinsamen Kindern im gemeinsamen Haushalt. Weiters führe sie aus, dass ihr Mann Architektur studierte und sie von den Eltern finanziell unterstützt würden. Sie selbst beziehe ein monatliches Einkommen von etwa S 10.000,-- (Karenzgeld und Kinderbeihilfe). Es sei daher von einem mit dem Aufenthaltsverbot verbundenen Eingriff in ihr Privat- und Familienleben im Grund des § 37 FrG auszugehen. Dessen ungeachtet sei aber die gegen die Beschwerdeführerin gesetzte fremdenpolizeiliche Maßnahme zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele - hier: zur Verhinderung strafbarer Handlungen sowie zum Schutz der Rechte Dritter - dringend geboten und daher im Grund des § 37 Abs. 1 FrG zulässig, zumal die Beschwerdeführerin augenfällig dokumentiert habe, dass sie offenbar nicht in der Lage oder willens sei, die zum Schutz fremden Vermögens aufgestellten Normen einzuhalten.
Im Rahmen der nach § 37 Abs. 2 FrG erforderlichen Interessenabwägung sei zunächst festzuhalten, dass die Beschwerdeführerin lediglich von Juli 1992 bis August 1993 über einen Aufenthaltstitel verfügt habe. Erst im Jänner 1997 sei ihr im Hinblick darauf, dass sie mittlerweile die französische Staatsbürgerschaft erhalten habe, ein EWR-Lichtbildausweis ausgestellt worden. Gleichzeitig sei zu berücksichtigen gewesen, dass die aus der bisherigen Aufenthaltsdauer ableitbare Integration insofern stark vermindert sei, als die dafür erforderliche soziale Komponente durch das strafbare Verhalten der Beschwerdeführerin erheblich beeinträchtigt werde. Diesen - solcherart geminderten - privaten Interessen der Beschwerdeführerin stehe das hoch zu veranschlagende öffentliche Interesse an der Verhinderung der Eigentumskriminalität gegenüber. Bei Abwägung dieser Interessenlagen sei die belangte Behörde zur Auffassung gelangt, dass die Auswirkungen des Aufenthaltsverbotes auf die Lebenssituation der Beschwerdeführerin keinesfalls schwerer wögen, als die gegenläufigen öffentlichen Interessen und damit die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von dieser Maßnahme. Dies zumal der Kontakt zu ihrer Familie dadurch aufrecht erhalten werden könne, dass sie von ihrem Ehemann und den Kindern im Ausland besucht werden könne. Entgegen der offenbaren Rechtsauffassung der Beschwerdeführerin sei die Erlassung des Aufenthaltsverbotes auch gemäß § 48 Abs. 1 FrG zulässig, weil die Beschwerdeführerin als begünstigte Drittstaatsangehörige ihren Hauptwohnsitz nicht ununterbrochen seit zehn Jahren im Bundesgebiet habe. Ebenso unzutreffend vermeine die Beschwerdeführerin, dass ihr bereits die Staatsbürgerschaft hätte erteilt werden können und sohin das Aufenthaltsverbot unzulässig wäre. § 38 Abs. 1 Z. 3 FrG beziehe sich ausdrücklich auf § 10 Abs. 1 des Staatsbürgerschaftsgesetzes, welcher nicht nur einen seit mindestens zehn Jahren ununterbrochenen Hauptwohnsitz in Österreich, sondern auch voraussetze, dass die Beschwerdeführerin nach dem bisherigen Verhalten Gewähr dafür biete, dass sie zur Republik Österreich bejahend eingestellt sei und keine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit bilde. Da die Beschwerdeführerin - wie dargestellt - beide Voraussetzungen nicht erfülle, stehe auch § 38 Abs. 1 Z. 3 FrG der Erlassung des Aufenthaltsverbotes nicht entgegen. Vor diesem Hintergrund könne ein weiterer Aufenthalt der Beschwerdeführerin auch nicht im Rahmen des der Behörde zustehenden Ermessens in Kauf genommen werden.
Was die Gültigkeitsdauer des Aufenthaltsverbotes betreffe, so scheine die von der Erstbehörde vorgenommene Befristung nach Ansicht der Berufungsbehörde gerechtfertigt. In Anbetracht des aufgezeigten Gesamt(fehl)verhaltens der Beschwerdeführerin könne ein Wegfall des für die Erlassung dieser Maßnahme maßgeblichen Grundes, nämlich der Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit durch den Aufenthalt der Beschwerdeführerin im Bundesgebiet, nicht vor Verstreichen des festgesetzten Zeitraumes erwartet werden.
2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Begehren, ihn aufzuheben.
3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die Abweisung der Beschwerde beantragt.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1.1. Die Beschwerde wendet sich (u.a.) gegen die von der belangten Behörde gemäß § 37 FrG getroffene Beurteilung. Sie lebe in aufrechter Ehe mit einem österreichischen Staatsbürger. Dieser Ehe entstammten zwei Kinder (geb. 1993 bzw. 1997), welche ebenfalls österreichische Staatsbürger seien. In dieser Ehe kümmere sich die Beschwerdeführerin nicht nur um ihren Ehemann, sondern insbesondere um die beiden minderjährigen Kinder. Die Beschwerdeführerin macht auch - als Rüge eines Begründungsmangels -
geltend, dass der Hinweis im angefochtenen Bescheid, sie könne von ihrer nicht ganz zweijährigen Tochter im Ausland besucht werden, (in ihrem Fall) "eine Leerformel" darstelle.
1.2. Dieses Vorbringen ist im Ergebnis zielführend. Im angefochtenen Bescheid wird zwar zutreffend die Auffassung vertreten, dass der Verhinderung des von der Beschwerdeführerin gesetzten strafbaren Verhaltens gegen fremdes Eigentum auf dem Boden von im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Zielen großes Gewicht zukommt (vgl. oben II.1.). Die Beschwerdeführerin weist aber mit ihrem im Juli 1992 begonnen, nahezu siebenjährigen Aufenthalt (auch wenn dieser nach den unbestrittenen Feststellungen bis zum Jahr 1997 nicht ohne - allerdings nicht näher festgestellte - Unterbrechung gewesen sein mag), ihrer Ehe mit einem österreichischen Staatsbürger sowie ihrer familiären Bindung zu ihren beiden minderjährigen, im Jahr 1993 bzw. im Jahr 1997 geborenen Kindern, mit denen sie nach den unbestrittenen Feststellungen zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides in einem gemeinsamen Haushalt lebt, sehr große persönliche Interessen an einem Verbleib im Inland auf. Entgegen der Auffassung der belangten Behörde haben die besagten persönlichen Interessen ein so großes Gewicht, dass den von der Behörde ins Treffen geführten öffentlichen Interessen im Vergleich dazu kein größeres oder zumindest gleich starkes Gewicht zukommt. Von daher erweist sich die Auffassung der belangten Behörde, das Aufenthaltsverbot sei gemäß § 37 Abs. 1 FrG dringend geboten und die Auswirkungen dieser Maßnahme auf die Lebenssituation der Beschwerdeführerin und ihrer Familie wögen nicht schwerer als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung (§ 37 Abs. 2 leg. cit.), als unzutreffend.
2. Der angefochtene Bescheid war somit gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
3. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm § 3 Abs. 2 Z. 2 Eurogesetz, BGBl. I Nr. 72/2000, und der Verordnung BGBl. II Nr. 501/2001.
Wien, am 24. April 2002
Schlagworte
Besondere RechtsgebieteEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2002:1999180281.X00Im RIS seit
22.07.2002