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E2D Assoziierung Türkei;Norm
ARB1/80 Art6 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sauberer und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Rosenmayr, Dr. Pelant und Dr. Sulzbacher als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Runge, über die Beschwerde des am 25. Juli 1972 geborenen E in H, vertreten durch Dr. Wilfried Ludwig Weh, Rechtsanwalt in 6900 Bregenz, Wolfeggstraße 1, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg vom 6. April 1999, Zl. Fr-4250a-117/96, betreffend Aufhebung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.089,68 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg vom 28. April 1997 war gegen den Beschwerdeführer, einen türkischen Staatsbürger, gemäß § 18 Abs. 1 i.V.m. § 21 des Fremdengesetzes, BGBl. Nr. 838/1992, ein mit zehn Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen worden. Diese Entscheidung war im Wesentlichen damit begründet worden, dass der Beschwerdeführer am 3. Jänner 1992 die Ehe mit einer österreichischen Staatsbürgerin nicht aus den der Eheschließung immanenten Beweggründen eingegangen wäre, sondern gegen Zahlung von S 15.000,-- zur Erlangung aufenthalts- und beschäftigungsrelevanter Berechtigungen. Der Beschwerdeführer wäre weiters mit Urteil des Landesgerichts Feldkirch vom 29. Dezember 1993 rechtskräftig wegen des Vergehens der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs. 1 StGB (nämlich der Unterdrückung von Heiratsurkunde, Geburtsurkunde und des Staatsbürgerschaftsnachweises seiner Ehegattin) "zu einer bedingten Geldstrafe von S 15.000,-- rechtskräftig bestraft" worden. Die privaten und familiären Interessen des Beschwerdeführers (ein bisheriger Aufenthalt von etwa sechs Jahren sowie ein aufrechtes Beschäftigungsverhältnis) könnten die durch das Verhalten des Beschwerdeführers gefährdeten massiven öffentlichen Interessen an einem geordneten Fremdenwesen nicht überwiegen.
Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde beim Verwaltungsgerichtshof wurde von diesem mit Erkenntnis vom 10. September 1997, Zl. 97/21/0412, gemäß § 35 Abs. 1 VwGG abgewiesen.
Mit Antrag vom 3. April 1998 begehrte der Beschwerdeführer gemäß § 44 des Fremdengesetzes 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, die Aufhebung des gegen ihn erlassenen Aufenthaltsverbotes, wobei er im Wesentlichen geltend machte, dass er seit dem 4. Februar 1992 ununterbrochen bei einem österreichischen Unternehmen beschäftigt und gemäß Art. 6 Abs. 1 dritter Fall des ARB Nr. 1/80 berechtigt sei. Das Bezirksgericht Wels habe mit Urteil vom 19. Mai 1994 ausgesprochen, dass die vom Beschwerdeführer geschlossene Ehe nicht nichtig sei, diese Entscheidung sei rechtskräftig. Damit wäre der Verwaltungsgerichtshof verpflichtet gewesen, von der Gültigkeit der vom Beschwerdeführer geschlossenen Ehe auszugehen. Durch die Aufrechterhaltung des Aufenthaltsverbotes würde er im Übrigen in den in Art. 8 und 12 EMRK gewährleisteten Rechten verletzt.
Mit dem im Instanzenzug ergangenen, nunmehr angefochtenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg vom 6. April 1999 wurde der Antrag des Beschwerdeführers gemäß § 36 Abs. 1 und Abs. 2 Z. 9 und § 44 des Fremdengesetzes 1997 abgewiesen.
Diese Entscheidung wurde im Wesentlichen damit begründet, dass eine Nichtigerklärung der Ehe nicht erforderlich sei, um von einer "Scheinehe" in fremdenrechtlicher Hinsicht ausgehen zu können. Vielmehr sei es dazu ausreichend, dass mit der Ehe bezweckt werde, fremden- und arbeitsmarktrechtliche Bewilligungen zu erlangen, und eine Ehe im Sinne des Art. 8 EMRK jedoch nicht geführt bzw. nicht beabsichtigt werde. Dies werde vom Beschwerdeführer nicht bestritten. Es sei zu berücksichtigen, dass die öffentliche Ordnung erheblich beeinträchtigt werde, wenn Fremde sich durch gesetzwidriges Verhalten bedeutende Bewilligungen (Aufenthaltsbewilligung, Beschäftigungsbewilligung) verschaffen könnten. Bei Erlassung des Aufenthaltsverbotes sei davon ausgegangen worden, dass der Beschwerdeführer seit sechs Jahren in Österreich aufhältig gewesen und einer geregelten Beschäftigung nachgegangen sei. Diese Integration könne er jedoch nicht zu seinem Vorteil geltend machen, da sie auf eine rechtsmissbräuchlich eingegangene Ehe zurückzuführen sei. Seit Ablauf des ihm zuletzt erteilten Sichtvermerkes im Jahr 1995 halte er sich unrechtmäßig im Bundesgebiet auf.
Nach § 36 Abs. 2 Z. 9 des Fremdengesetzes 1997 stelle das Eingehen einer Scheinehe gegen Leistung eines Vermögensvorteiles ein Verhalten dar, welches die Annahme rechtfertige, dass der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit gefährde, und bei dem daher ein Aufenthaltsverbot erlassen werden könne. Daher müsse das Aufenthaltsverbot aufrecht bleiben, da die Umgehung gesetzlicher Bestimmungen nicht gebilligt werden könne, weil damit ein geregeltes Fremdenwesen unterlaufen und jene Fremden schlechter gestellt würden, die teils jahrelang warteten, um auf gesetzliche Weise Aufenthalts- und Beschäftigungsbewilligungen zu erhalten. Auch wenn der Beschwerdeführer assoziationsberechtigt wäre, würde dies nichts an der Zulässigkeit aufenthaltsbeendender Maßnahmen ändern. Er habe jedoch nur deshalb überhaupt einer Beschäftigung nachgehen können, da er sich durch die Ehe mit einer österreichischen Staatsbürgerin einen Befreiungsschein erschlichen habe. Somit könne er seine nunmehrige, nur auf sein rechtswidriges Verhalten zurückzuführende Beschäftigung nicht zu seinen Gunsten bzw. zu seinem Vorteil geltend machen.
Im Hinblick auf das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers könne nur berücksichtigt werden, dass sich seine - nunmehrige - Ehegattin in Österreich aufhalte. Ihre Einreise sei jedoch illegal erfolgt, weshalb in der Folge ihr Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung abgewiesen worden sei. Der unrechtmäßige Aufenthalt der Ehegattin des Beschwerdeführers wirke sich nicht verstärkend auf seine Interessen an einem Verbleib in Österreich aus. Seine zwischenzeitlich erlangte Integration könne er nicht zu seinen Gunsten geltend machen, da sie einerseits auf die Scheinehe zurückzuführen sei und andererseits auf seine Weigerung, den gesetzmäßigen Zustand durch seine freiwillige Ausreise herzustellen. Wenn der Beschwerdeführer für seinen Arbeitgeber unentbehrlich sei, so könne dies nicht berücksichtigt werden, da lediglich die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung mit den Interessen des Fremden an einem Verbleib im Bundesgebiet abzuwägen seien.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, sah jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift ab.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Mit seiner Berufung auf Art. 6 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80 des durch das Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei errichteten Assoziationsrates vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation (im Folgenden: ARB Nr. 1/80) zeigt der Beschwerdeführer keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf. Die durch eine Scheinehe herbeigeführte Täuschung der Behörden, die zur Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung sowie eines Befreiungsscheines geführt hat, stand - weil dadurch kein "ordnungsgemäßer Wohnsitz" im Sinne der angeführten Bestimmung geschaffen wurde - der Anwendung des Art. 6 ARB Nr. 1/80 nämlich entgegen (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom 5. November 1997, Zl. 96/21/0941, und vom 30. Mai 2001, Zl. 99/21/0310, m.w.N.).
Dennoch ist der Beschwerde Erfolg beschieden.
§ 114 Abs. 3 FrG normiert hinsichtlich auf das Fremdengesetz BGBl. Nr. 838/1992 gegründeter Aufenthaltsverbote, die vor dem Inkrafttreten des FrG mit 1. Jänner 1998 erlassen wurden, Folgendes:
"(3) Aufenthaltsverbote, deren Gültigkeitsdauer bei Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes noch nicht abgelaufen sind, gelten als nach diesem Bundesgesetz erlassene Aufenthaltsverbote mit derselben Gültigkeitsdauer. Solche Aufenthaltsverbote sind auf Antrag oder - wenn sich aus anderen Gründen ein Anlass für die Behörde ergibt, sich mit der Angelegenheit zu befassen - von Amts wegen aufzuheben, wenn sie nach den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes nicht erlassen hätten werden können."
Es kommt also darauf an, ob der zur Begründung des Aufenthaltsverbotes herangezogene Sachverhalt auch bei fiktiver Geltung des FrG diese Maßnahme im Zeitpunkt ihrer Verhängung gerechtfertigt hätte (vgl. das hg. Erkenntnis vom 30. Mai 2001, Zl. 98/21/0438). Dies ist hinsichtlich des gegen den Beschwerdeführer im Jahr 1997 mit einer Gültigkeitsdauer von zehn Jahren verhängten Aufenthaltsverbotes aus den folgenden Gründen zu verneinen:
Gemäß § 36 Abs. 1 FrG kann ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass sein Aufenthalt 1. die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit gefährdet oder 2. anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft. In § 36 Abs. 2 Z. 9 FrG wurde nunmehr - im Unterschied zur Rechtslage nach dem Fremdengesetz 1992 - als gesonderter Tatbestand, bei dessen Verwirklichung insbesondere ein Aufenthaltsverbot erlassen werden kann, der Fall aufgenommen, dass ein Fremder "eine Ehe geschlossen, sich für die Erteilung eines Aufenthaltstitels oder eines Befreiungsscheines auf die Ehe berufen, aber mit dem Ehegatten ein gemeinsames Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK nie geführt und für die Eheschließung einen Vermögensvorteil geleistet hat". Gemäß § 39 Abs. 1 FrG darf ein auf Grund dieser Vorschrift erlassenes Aufenthaltsverbot aber nur "für die Dauer von höchstens fünf Jahren" erlassen werden.
Im vorliegenden Fall wurde das gegen den Beschwerdeführer im Jahr 1997 mit einer Gültigkeitsdauer von zehn Jahren verhängte Aufenthaltsverbot zwar nicht ausschließlich auf seine - im Jahr 1992 - rechtsmissbräuchlich geschlossene Ehe und seine Berufung auf diese zur Erlangung fremdenrechtlicher und arbeitsrechtlicher Vorteile gegründet, sondern auch darauf, dass er nach Schließung der Ehe - damit im Zusammenhang stehende - Urkunden unterdrückt habe und dafür mit Urteil des Landesgerichts Feldkirch vom 29. Dezember 1993 "zu einer bedingten Geldstrafe von S 15.000,-- " verurteilt worden sei. Der letztere Umstand hätte jedoch weder den Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z. 1 FrG erfüllt noch hatte die Behörde bei Erlassung des Aufenthaltsverbotes im Jahr 1997 aus dem dieser Verurteilung zu Grunde liegenden Fehlverhalten des Jahres 1992 eine spezifische Gefährlichkeitsprognose getroffen, welche - bei fiktiver Anwendung der §§ 36 und 39 FrG - angesichts der ausdrücklichen Beschränkung der Gültigkeitsdauer von auf § 36 Abs. 2 Z. 9 FrG gegründeten Aufenthaltsverboten auf fünf Jahre - die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes mit der Gültigkeitsdauer von zehn Jahren gerechtfertigt hätte. Ein mit zehn Jahren befristetes Aufenthaltsverbot hätte bei Anwendung des Fremdengesetzes 1997 daher nicht erlassen werden dürfen.
Das im Jahr 1997 gegen den Beschwerdeführer verhängte Aufenthaltsverbot wäre im vorliegenden Fall von den Behörden daher auf Grund des § 114 Abs. 3 FrG aufzuheben gewesen. Indem die belangte Behörde dies verkannte, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit. Dieser war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Die Durchführung einer vom Beschwerdeführer beantragten mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 4 VwGG unterbleiben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i.V.m. der Verordnung BGBl. II Nr. 501/2001.
Wien, am 25. April 2002
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2002:1999210154.X00Im RIS seit
01.07.2002