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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
MeldeG 1991 §17 Abs2 Z2;Beachte
Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden): 2002/05/0382Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident DDr. Jakusch und die Hofräte Dr. Giendl und Dr. Waldstätten als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Thalhammer, über die Beschwerde des Bürgermeisters der Stadtgemeinde Mödling, vertreten durch Mag. Gerald Gerstacker, Rechtsanwalt in Mödling, Schrannenplatz 3, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 15. Jänner 2002, Zl. 621.337/5- II/4/01-hoc, betreffend Reklamationsverfahren gemäß § 17 Abs. 2 Z. 2 Meldegesetz (mitbeteiligte Partei: Bürgermeister der Bundeshauptstadt Wien in Wien) (protokolliert zur Zl. 2002/05/0176), sowie über den Antrag des genannten Bürgermeisters, vertreten durch Mag. Gerald Gerstacker wie zuvor, auf Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (protokolliert zur Zl. 2002/05/0382), zu Recht erkannt:
Spruch
I. den Beschluss gefasst:
Dem Beschwerdeführer wird die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur rechtzeitigen Verbesserung der gegenständlichen Beschwerde bewilligt.
II. zu Recht erkannt:
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Begründung
Auf Grund des Vorbringens in der Beschwerde, des vorgelegten, angefochtenen Bescheides sowie der weiters vorgelegten Beilagen (Schriftverkehr im Verwaltungsverfahren samt Wohnsitzerklärung) geht der Verwaltungsgerichtshof von folgendem Sachverhalt aus:
Die 1947 geborene, verheiratete Betroffene, E.M., ist seit 3. April 1991 mit Hauptwohnsitz in der Gemeinde des beschwerdeführenden Bürgermeisters, Mödling (kurz: M), gemeldet. Zuvor war sie seit 1988 mit Hauptwohnsitz in Wien gemeldet, wo sie seither (3. April 1991) mit weiterem Wohnsitz gemeldet ist.
In ihrer Wohnsitzerklärung vom 15. Mai 1991 gab die Betroffene an, sie halte sich rund 150 Tage im Jahr in M. auf, wo sie mit ihrem Ehemann wohne, der dort mit Nebenwohnsitz gemeldet sei. Rund 215 Tage im Jahr halte sie sich in Wien auf, wo sie mit ihrem Ehemann wohne, der dort mit Hauptwohnsitz gemeldet sei. Die Frage nach Funktionen in öffentlichen und privaten Körperschaften wird für M. verneint und für Wien bejaht. Der Weg zur Arbeitsstätte im Maria Enzersdorf wird in der Regel von M. aus angetreten. Der Beschwerdeführer brachte in einer Stellungnahme an die belangte Behörde vom 25. Oktober 2001 vor, die Betroffene sei in M. mit Hauptwohnsitz gemeldet, womit eindeutig zu schließen sei, dass M. der Mittelpunkt ihrer Lebensbeziehungen sei, was sich auch daraus ergebe, dass anlässlich der Volkszählung für die Betroffene ein Personenblatt ausgefüllt worden sei.
Die Betroffene brachte in einer Stellungnahme vom 11. November 2001 vor, sie sei als Religionslehrerin im Bezirk Mödling an näher bezeichneten Orten berufstätig (nicht in M.), sodass für sie der Lebensmittelpunkt in Bezug auf die Lage des Arbeitsplatzes in M. gegeben sei. Darüber hinaus habe sie als diesbezügliche Fachinspektorin an Pflichtschulen in Niederösterreich die Aufgabe, diesen Religionsunterricht in Niederösterreich zu betreuen, was sich teils auf Besuche von solchen Religionslehrern in einem großen Teil Niederösterreichs (ausgenommen die Bezirke Wien-Umgebung, Bruck an der Leitha und Mistelbach) beziehe, teils auf Koordinationstätigkeit im betreffenden Schulamt, welches sich in St. Pölten befinde. Auch um diese Tätigkeit auszuüben, sei M. für ihre Dienstreisen geographisch der günstigere Ausgangspunkt. In der "Aufstellung der Volkszählung" (gemeint: in der Wohnsitzerklärung) habe sie zwar angegeben, nur 150 Tage im Jahr in M. zu verbringen, sei aber dabei lediglich von der Zahl an Unterrichtstagen ausgegangen, die sie selbst unterrichtend in den Schulen im Bezirk Mödling verbringe. Tatsächlich sei diese Zahl zu niedrig angesetzt und müsste mit mindestens 190 korrigiert werden. Es bestehe daher für sie zu ihrem Wohnort M. das überwiegende Naheverhältnis.
Der Beschwerdeführer verwies in einer weiteren Stellungnahme vom 22. November 2001 auf diese Erklärung der Betroffenen, woraus sich "wohl eindeutig" ergebe, dass sie den Mittelpunkt ihrer Lebensbeziehungen in M. habe und sie selbst auch erklärt habe, dass M. ihr Hauptwohnsitz sei.
Mit dem angefochtenen Bescheid (welcher aus einem "Hauptteil" besteht (kurz: Bescheid im engeren Sinn), der auf verschiedene Beilagen verweist (Schriftverkehr im Verwaltungsverfahren samt Wohnsitzerklärung), die teilweise zum integrierenden Bescheideinhalt erklärt werden) hat die belangte Behörde über Antrag des mitbeteiligten Bürgermeisters den Hauptwohnsitz der Betroffenen in M. aufgehoben, der Betroffenen den Auftrag erteilt, innerhalb eines Monats die erforderliche Ummeldung vorzunehmen, und ausgesprochen, dass der beschwerdeführende Bürgermeister sein Melderegister zu berichtigen habe. Dies wird auf Grundlage der Erklärungen im Verwaltungsverfahren im Wesentlichen damit begründet, die Betroffene habe das "überwiegende Naheverhältnis" zum gemeldeten Hauptwohnsitz nicht ausreichend darlegen können. Die Mittelpunktqualität sei weder in gesellschaftlicher Hinsicht gegeben noch in beruflicher Hinsicht (Arbeitsstätte in verschiedenen Gemeinden). Auf Grund der familiären und gesellschaftlichen Lebensbeziehung zu Wien komme dem Wohnsitz in M. keine Mittelpunktqualität mehr zu.
Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit.
Mit Verbesserungsauftrag vom 8. März 2002 wurde dem Beschwerdeführer (zu Handen seines Rechtsvertreters) aufgetragen, den fehlenden (nicht vorgelegten) angefochtenen Bescheid samt allfälligen als integrierenden Bestandteil erklärten Beilagen vorzulegen. Der Beschwerdeführer hat innerhalb der gesetzten Frist mit Schriftsatz vom 15. März 2002 erklärt, den angefochtenen Bescheid (im engeren Sinn) sowie fünf Beilagen vorzulegen, diesem Schreiben war aber der angefochtene Bescheid (im engeren Sinn) nicht angeschlossen, dessen Vorlage über Vorhalt des Verwaltungsgerichtshofes erst nach Ablauf der Verbesserungsfrist erfolgte.
Mit dem weiters verfahrensgegenständlichen (rechtzeitigen) Wiedereinsetzungsantrag begehrt der Beschwerdeführer die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur (rechtzeitigen) Vorlage des angefochtenen Bescheides (im engeren Sinn) und bringt zusammengefasst vor, der angefochtene Bescheid (im engeren Sinn) sei offensichtlich durch ein Versehen der im Übrigen versierten und verlässlichen Kanzleikraft irrig nicht mitkuvertiert worden (wird eingehend näher ausgeführt).
Der Verwaltungsgerichtshof ist der Auffassung, dass unter den geschilderten Umständen noch von einem minderen Grad des Versehens im Sinne des § 46 VwGG ausgegangen werden kann, sodass dem Beschwerdeführer antragsgemäß die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen war.
In der Sache selbst hat der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Im zulässigerweise eingeleiteten Reklamationsverfahren wird die bis dahin für den Hauptwohnsitz des Betroffenen ausschließlich maßgebliche "Erklärung" des Meldepflichtigen dahingehend "hinterfragt, ob der erklärte Hauptwohnsitz den in Art. 6 Abs. 3 B-VG (§ 1 Abs. 7 MeldeG) normierten objektiven Merkmalen entspricht" (siehe das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 26. September 2001, G 139/00-10, u.a.). Die Lösung der im Reklamationsverfahren maßgeblichen Rechtsfrage des Hauptwohnsitzes des Betroffenen hängt an dem materiell-rechtlichen Kriterium "Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen". Bei der Beurteilung dieses Tatbestandsmerkmales kommt es auf eine Gesamtschau an, bei welcher die Bestimmungskriterien des § 1 Abs. 8 MeldeG (in der Fassung der Novelle BGBl. I Nr. 28/2001), maßgeblich sind: Aufenthaltsdauer, Lage des Arbeitsplatzes oder der Ausbildungsstätte, Ausgangspunkt des Weges zum Arbeitsplatz oder zur Ausbildungsstätte, Wohnsitz der übrigen, insbesondere der minderjährigen Familienangehörigen und der Ort, an dem sie ihrer Erwerbstätigkeit nachgehen, ausgebildet werden oder die Schule oder den Kindergarten besuchen, Funktionen in öffentlichen und privaten Körperschaften.
Der Verwaltungsgerichtshof hat im Erkenntnis vom 13. November 2001, Zl. 2001/05/0935, klargestellt, dass das subjektive Kriterium "überwiegendes Naheverhältnis", das nur in der persönlichen Einstellung des Betroffenen zum Ausdruck kommt, nur in den Fällen den Ausschlag gibt, in denen als Ergebnis des Ermittlungsverfahrens zwei oder mehrere "Mittelpunkte der Lebensbeziehungen" des Betroffenen hervorgekommen sind (also wenn ausnahmsweise zwei oder mehrere Wohnsitze des Betroffenen solche Mittelpunkte darstellen, wobei die vom Betroffenen vorgenommene Bezeichnung eines Hauptwohnsitzes allein nicht jedenfalls maßgeblich ist). Das Reklamationsverfahren wird nur dann für den antragstellenden Bürgermeister erfolgreich sein, wenn der Betroffene ein "überwiegendes Naheverhältnis" an einem Ort behauptet, an dem er keinen Mittelpunkt der Lebensbeziehungen (§ 1 Abs. 7 MeldeG) hat, mag er dort auch einen Wohnsitz im Sinne des § 1 Abs. 6 MeldeG haben. Der Verwaltungsgerichtshof hat in diesem Zusammenhang auch klargelegt, dass eine "absolute Sicherheit" über die Lebenssituation des Meldepflichtigen für die Evaluierung des zu beurteilenden Sachverhaltes nicht notwendig ist; der Gesetzgeber hat durch die Regelung des § 17 Abs. 3 MeldeG bewusst die in Rede stehenden Unschärfen aus rechtspolitischen Gründen in Kauf genommen (siehe dazu näher das genannte Erkenntnis vom 13. November 2001, Zl. 2001/05/0935, oder auch das weitere Erkenntnis vom selben Tag, Zl. 2001/05/0930).
Die Betroffene hat im Verwaltungsverfahren für die Bezeichnung ihres Wohnsitzes in M. als Hauptwohnsitz berufliche Gründe ins Treffen geführt. Allerdings ist die Betroffene verheiratet, wobei ihr Ehemann (mit welchem sie an beiden Wohnsitzen lebt) unbestritten seinen Hauptwohnsitz in Wien hat. Wie der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis (ebenfalls) vom 13. November 2001, Zl. 2001/05/0941, auf welches gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG verwiesen wird, näher dargelegt hat, ist dann, wenn sich der Betroffene mit einem Partner in einer ehelichen Lebensgemeinschaft befindet, davon auszugehen, dass die Ehegatten denselben Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen haben, es sei denn besondere, im Reklamationsverfahren zu behauptende und von der Behörde festzustellende Gründe sprächen für eine gegenteilige Annahme. Das ist hier aber nicht der Fall:
In der Beschwerde wird vorgebracht, die Betroffene besitze in Mödling eine Eigentumswohnung, die Wohnung in Wien könne "als dauerhafter Wohnsitz nicht angesehen werden", weil vertraglich festgelegt sei, dass sie nur auf Lebenszeit ihres Ehemannes zur Verfügung stehe. Dem ist zunächst zu entgegnen, dass auf dieses erstmals in der Beschwerde erstattete Vorbringen (vorgelegt wurde der gesamte Schriftverkehr im Verwaltungsverfahren, der Derartiges nicht enthält) im Hinblick auf das aus § 41 VwGG abgeleitete Neuerungsverbot nicht Bedacht genommen werden kann. Im Übrigen wäre dieses Vorbringen auch kein Grund, von unterschiedlichen Lebensmittelpunkten der Eheleute auszugehen, weil das Reklamationsverfahren gegenwartsbezogen ist und daher auf mögliche Wohnsitzänderungen im Falle des Todes des Ehegatten hier nicht Bedacht zu nehmen ist (siehe dazu das hg. Erkenntnis vom 27. Februar 2002, Zl. 2001/05/1163).
Nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes ist die zu Wien bestehende Lebensbeziehung als derart überwiegend anzusehen, dass der Mittelpunktcharakter von M. nicht bejaht werden kann, was die belangte Behörde zutreffend erkannt hat.
Die Beschwerde war daher gemäß § 35 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Wien, am 25. April 2002
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2002:2002050176.X00Im RIS seit
11.07.2002