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41/02 Melderecht;Norm
MeldeG 1991 §17 Abs2 Z2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident DDr. Jakusch und die Hofräte Dr. Giendl und Dr. Waldstätten als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Thalhammer, über die Beschwerde des Bürgermeisters der Bundeshauptstadt Wien gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 19. Dezember 2001, Zl. 609395/5-I/A/1/01-fad, betreffend Reklamationsverfahren nach § 17 Abs. 1 Z. 2 Meldegesetz (mitbeteiligte Parteien: 1. Bürgermeister der Marktgemeinde Burgau in 8291 Burgau, 2. Siegmund Graf in Wien XVI, Lindauergasse 30/19 bzw. in 8291 Burgau, Bahnhofstraße 57), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
Der am 23. Jänner 1979 geborene, ledige Zweitmitbeteiligte ist seit Geburt in der Gemeinde des mitbeteiligten Bürgermeisters, Burgau (kurz: B), Bezirk Fürstenfeld, mit Hauptwohnsitz gemeldet. Er ist seit 1998 in Wien mit weiterem Wohnsitz gemeldet (an der gegenwärtigen Anschrift seit Juli 2000).
In seiner Wohnsitzerklärung vom 14. Mai 2001 gab der Zweitmitbeteiligte an, er halte sich an rund 25 Tagen im Jahr in B auf, wo er mit seinen Eltern und seinen Geschwistern wohne (die dort mit Hauptwohnsitz gemeldet seien), an 340 Tagen im Jahr hingegen in Wien, wo er mit seiner Freundin wohne (die dort mit Hauptwohnsitz gemeldet sei). Die Frage nach Funktionen in öffentlichen und privaten Körperschaften wird für beide Wohnsitze verneint. Der Weg zur Arbeitsstätte in Wien wird überwiegend von Wien aus angetreten.
Der mitbeteiligte Bürgermeister äußerte sich in einer Stellungnahme vom 24. Oktober 2001 dahin, dass der Mittelpunkt der Lebensbeziehungen des Zweitmitbeteiligten B sei, weil dieser sowohl bei den ortsansässigen Vereinen tätig sei als auch am gesellschaftlichen Leben der Gemeinde rege teilnehme. Aus beruflichen Gründe pendle er von seinem Elternhaus in B nach Wien aus. Der Zweitmitbeteiligte trat dem in einer Stellungnahme vom 12. November 2001 bei.
Mit dem angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde den Reklamationsantrag des Beschwerdeführers abgewiesen, was im Wesentlichen damit begründet wurde, der Zweitmitbeteiligte habe Mittelpunkte seiner Lebensbeziehungen sowohl in Wien als auch in B, womit ihm ein Wahlrecht zugekommen sei.
Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.
Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt; angesprochen wird der Vorlageaufwand
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Im zulässigerweise eingeleiteten Reklamationsverfahren wird die bis dahin für den Hauptwohnsitz des Betroffenen ausschließlich maßgebliche "Erklärung" des Meldepflichtigen dahingehend "hinterfragt, ob der erklärte Hauptwohnsitz den in Art. 6 Abs. 3 B-VG (§ 1 Abs. 7 MeldeG) normierten objektiven Merkmalen entspricht" (siehe das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 26. September 2001, G 139/00-10, u.a.). Die Lösung der im Reklamationsverfahren maßgeblichen Rechtsfrage des Hauptwohnsitzes des Betroffenen hängt an dem materiell-rechtlichen Kriterium "Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen". Bei der Beurteilung dieses Tatbestandsmerkmales kommt es auf eine Gesamtschau an, bei welcher die Bestimmungskriterien des § 1 Abs. 8 MeldeG (in der Fassung der Novelle BGBl. I Nr. 28/2001), maßgeblich sind: Aufenthaltsdauer, Lage des Arbeitsplatzes oder der Ausbildungsstätte, Ausgangspunkt des Weges zum Arbeitsplatz oder zur Ausbildungsstätte, Wohnsitz der übrigen, insbesondere der minderjährigen Familienangehörigen und der Ort, an dem sie ihrer Erwerbstätigkeit nachgehen, ausgebildet werden oder die Schule oder den Kindergarten besuchen, Funktionen in öffentlichen und privaten Körperschaften.
Der Verwaltungsgerichtshof hat im Erkenntnis vom 13. November 2001, Zl. 2001/05/0935, klargestellt, dass das subjektive Kriterium "überwiegendes Naheverhältnis", das nur in der persönlichen Einstellung des Betroffenen zum Ausdruck kommt, nur in den Fällen den Ausschlag gibt, in denen als Ergebnis des Ermittlungsverfahrens zwei oder mehrere "Mittelpunkte der Lebensbeziehungen" des Betroffenen hervorgekommen sind (also wenn ausnahmsweise zwei oder mehrere Wohnsitze des Betroffenen solche Mittelpunkte darstellen, wobei die vom Betroffenen vorgenommene Bezeichnung eines Hauptwohnsitzes allein nicht jedenfalls maßgeblich ist). Das Reklamationsverfahren wird nur dann für den antragstellenden Bürgermeister erfolgreich sein, wenn der Betroffene ein "überwiegendes Naheverhältnis" an einem Ort behauptet, an dem er keinen Mittelpunkt der Lebensbeziehungen (§ 1 Abs. 7 MeldeG) hat, mag er dort auch einen Wohnsitz im Sinne des § 1 Abs. 6 MeldeG haben. Der Verwaltungsgerichtshof hat in diesem Zusammenhang auch klargelegt, dass eine "absolute Sicherheit" über die Lebenssituation des Meldepflichtigen für die Evaluierung des zu beurteilenden Sachverhaltes nicht notwendig ist; der Gesetzgeber hat durch die Regelung des § 17 Abs. 3 MeldeG bewusst die in Rede stehenden Unschärfen aus rechtspolitischen Gründen in Kauf genommen (siehe dazu näher das genannte Erkenntnis vom 13. November 2001, Zl. 2001/05/0935, oder auch das weitere Erkenntnis vom selben Tag, Zl. 2001/05/0930).
Der Zweitmitbeteiligte ist in Wien berufstätig und wohnt in Wien mit seiner Freundin (die in Wien unbestritten mit Hauptwohnsitz gemeldet ist). Seinen eigenen Angaben zufolge hält er sich an seinem Heimatort nur an rund 25 Tagen im Jahr auf, woraus sich ergibt, dass er seine Freizeit weit überwiegend nicht in B verbringt. Die im Verwaltungsverfahren behauptete rege Teilnahme am gesellschaftlichen Leben in B ist nicht nachvollziehbar. Bedenkt man weiters, dass die Heimatverbundenheit einer Person kein Kriterium des § 1 Abs. 8 MeldeG ist (siehe dazu das hg. Erkenntnis vom 27. Februar 2002, Zl. 2001/05/1163), ist die Lebensbeziehung zu Wien als derart intensiv anzunehmen, dass dem Wohnsitz in B kein Mittelpunktcharakter mehr zukommt. Somit hat der Zeitmitbeteiligte ohne Rechtsgrundlage eine Wahl nach § 1 Abs. 7 MeldeG getroffen.
Da die belangte Behörde dies verkannte, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.
Wien, am 25. April 2002
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2002:2002050077.X00Im RIS seit
14.06.2002