TE Vwgh Erkenntnis 2002/4/25 2002/05/0098

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Veröffentlicht am 25.04.2002
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Index

41/02 Melderecht;

Norm

MeldeG 1991 §17 Abs2 Z2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident DDr. Jakusch und die Hofräte Dr. Giendl und Dr. Waldstätten als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Thalhammer, über die Beschwerde des Bürgermeisters der Bundeshauptstadt Wien gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 3. Jänner 2002, Zl. 613236/5-I/6/02-dea, betreffend Reklamationsverfahren gemäß § 17 Abs. 2 Z. 2 Meldegesetz (mitbeteiligte Parteien: 1. Bürgermeister der Marktgemeinde Schwarzach im Pongau in 5620 Schwarzach, Dr. Franz-Hain-Straße 2,

2. Friedrich Weiss (auch: Weiß) in Wien VI, Mollardgasse 78/18 bzw. in 5620 Schwarzach, Prim. Dr. Oberthalerweg 1), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

Der 1967 geborene, ledige Zweitmitbeteiligte ist jedenfalls seit 1991 mit Hauptwohnsitz in der Gemeinde des mitbeteiligten Bürgermeisters, Schwarzach im Pongau (kurz: S), mit Hauptwohnsitz gemeldet. Er war von Mai bis September 1991 in Wien mit Hauptwohnsitz gemeldet und ist seit Dezember 1997 in Wien mit weiterem Wohnsitz gemeldet. Er ist in Wien berufstätig.

In seiner Wohnsitzerklärung vom 10. Mai 2001 gab der Zweitmitbeteiligte an, er halte sich an rund 150 Tage im Jahr in S auf (wo er mit seinen Eltern und seiner Schwester wohne, die dort mit Hauptwohnsitz gemeldet seien), in Wien hingegen an 210 Tagen im Jahr. Die Frage nach Funktionen in öffentlichen und privaten Körperschaften wird für beide Wohnsitze bejaht (keine näheren Angaben). Der Weg zur Arbeitsstätte in Wien wird in der Regel von Wien aus angetreten.

Der mitbeteiligte Bürgermeister äußerte sich in einer Stellungnahme vom 29. Oktober 2001 insbesondere dahin, dass der Zweitmitbeteiligte seit Geburt in S lebe und seither mit Hauptwohnsitz gemeldet sei. In S lebten auch sämtliche Familienangehörige, zu denen er zweifellos noch einen starken Bezug habe.

Der Zweitmitbeteiligte seinerseits brachte vor, die Stellungnahme des mitbeteiligten Bürgermeisters sei in Absprache mit ihm verfasst worden und er erlaube sich noch zusätzlich zu bemerken, dass für ihn als Pongauer der regelmäßige Besuch der kulturellen Veranstaltungen in seinem Heimatort hohen Stellenwert besitze, den er nicht beabsichtige aufzugeben.

Mit dem angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde den Reklamationsantrag des Beschwerdeführers abgewiesen, was im Wesentlichen damit begründet wurde, dass der Zweitmitbeteiligte sowohl in S als auch in Wien Mittelpunkte seiner Lebensbeziehungen habe, womit ihm ein Wahlrecht zugekommen sei.

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt; angesprochen wird der Vorlageaufwand. Der mitbeteiligte Bürgermeister hat eine Gegenschrift erstattet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Im zulässigerweise eingeleiteten Reklamationsverfahren wird die bis dahin für den Hauptwohnsitz des Betroffenen ausschließlich maßgebliche "Erklärung" des Meldepflichtigen dahingehend "hinterfragt, ob der erklärte Hauptwohnsitz den in Art. 6 Abs. 3 B-VG (§ 1 Abs. 7 MeldeG) normierten objektiven Merkmalen entspricht" (siehe das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 26. September 2001, G 139/00-10, u.a.). Die Lösung der im Reklamationsverfahren maßgeblichen Rechtsfrage des Hauptwohnsitzes des Betroffenen hängt an dem materiell-rechtlichen Kriterium "Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen". Bei der Beurteilung dieses Tatbestandsmerkmales kommt es auf eine Gesamtschau an, bei welcher die Bestimmungskriterien des § 1 Abs. 8 MeldeG (in der Fassung der Novelle BGBl. I Nr. 28/2001), maßgeblich sind: Aufenthaltsdauer, Lage des Arbeitsplatzes oder der Ausbildungsstätte, Ausgangspunkt des Weges zum Arbeitsplatz oder zur Ausbildungsstätte, Wohnsitz der übrigen, insbesondere der minderjährigen Familienangehörigen und der Ort, an dem sie ihrer Erwerbstätigkeit nachgehen, ausgebildet werden oder die Schule oder den Kindergarten besuchen, Funktionen in öffentlichen und privaten Körperschaften.

Der Verwaltungsgerichtshof hat im Erkenntnis vom 13. November 2001, Zl. 2001/05/0935, klargestellt, dass das subjektive Kriterium "überwiegendes Naheverhältnis", das nur in der persönlichen Einstellung des Betroffenen zum Ausdruck kommt, nur in den Fällen den Ausschlag gibt, in denen als Ergebnis des Ermittlungsverfahrens zwei oder mehrere "Mittelpunkte der Lebensbeziehungen" des Betroffenen hervorgekommen sind (also wenn ausnahmsweise zwei oder mehrere Wohnsitze des Betroffenen solche Mittelpunkte darstellen, wobei die vom Betroffenen vorgenommene Bezeichnung eines Hauptwohnsitzes allein nicht jedenfalls maßgeblich ist). Das Reklamationsverfahren wird nur dann für den antragstellenden Bürgermeister erfolgreich sein, wenn der Betroffene ein "überwiegendes Naheverhältnis" an einem Ort behauptet, an dem er keinen Mittelpunkt der Lebensbeziehungen (§ 1 Abs. 7 MeldeG) hat, mag er dort auch einen Wohnsitz im Sinne des § 1 Abs. 6 MeldeG haben. Der Verwaltungsgerichtshof hat in diesem Zusammenhang auch klargelegt, dass eine "absolute Sicherheit" über die Lebenssituation des Meldepflichtigen für die Evaluierung des zu beurteilenden Sachverhaltes nicht notwendig ist; der Gesetzgeber hat durch die Regelung des § 17 Abs. 3 MeldeG bewusst die in Rede stehenden Unschärfen aus rechtspolitischen Gründen in Kauf genommen (siehe dazu näher das genannte Erkenntnis vom 13. November 2001, Zl. 2001/05/0935, oder auch das weitere Erkenntnis vom selben Tag, Zl. 2001/05/0930).

Der 34-jährige, ledige Zweitmitbeteiligte ist in Wien berufstätig und macht zu seinem Heimatort gesellschaftliche (darunter auch familiäre) Beziehungen geltend. Dazu ist zu bedenken, dass bei der im Reklamationsverfahren gebotenen generalisierenden Betrachtungsweise die familiäre Bindung einer Person an die Eltern umso mehr in den Hintergrund tritt, je mehr sich ihr Alter vom Erreichen der Volljährigkeit entfernt hat und auch die Heimatverbundenheit einer Person kein Kriterium des § 1 Abs. 8 MeldeG ist (siehe dazu das hg. Erkenntnis vom 27. Feber 2002, Zl. 2001/05/1163). In Anbetracht des Alters des Zweitmitbeteiligten und des Umstandes, dass Schwarzach von Wien relativ weit entfernt ist, kann eine derartige Reduktion seiner gesellschaftlichen Beziehungen zum Heimatort angenommen werden, dass eine Mittelpunktqualität des dortigen Wohnsitzes nicht mehr zu bejahen ist (siehe dazu auch beispielsweise die hg. Erkenntnisse ebenfalls vom 27. Feber 2002, Zlen. 2001/05/1049 oder auch 2001/05/1146). Er hat somit ohne Rechtsgrundlage eine Wahl nach § 1 Abs. 7 MeldeG getroffen.

Da die belangte Behörde dies verkannte, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.

Wien, am 25. April 2002

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2002:2002050098.X00

Im RIS seit

14.06.2002
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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