Index
40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AVG §9;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stoll und die Hofräte Dr. Riedinger, Dr. Holeschofsky, Dr. Beck und Dr. Bachler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Schlegel, über die Beschwerde des DP, geboren 1983, vertreten durch Dr. Michael Bereis, Rechtsanwalt in 1050 Wien, Pilgramgasse 22/7, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 27. Juni 2001, Zl. UVS-01/30/5724/2001- 11, betreffend Schubhaft,
Spruch
1.) zu Recht erkannt:
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 41,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
2.) den Beschluss gefasst:
Die auf "sofortige Enthaftung bzw. die Prüfung der weiteren Haftvoraussetzungen durch den Verwaltungsgerichtshof in dieser Angelegenheit schon jetzt binnen 1 Wochen ab Einlangen im Sinne Art 6/2 PersFrG" gerichteten Anträge werden zurückgewiesen.
Begründung
Mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 8. Mai 2001 wurde über den Beschwerdeführer, einen nach seinen eigenen Angaben "serbischen" Staatsangehörigen, unter Berufung auf § 61 Abs. 1 Fremdengesetz 1997 - FrG - die Schubhaft zur Sicherung des Verfahrens einer Abschiebung gemäß § 56 FrG angeordnet. Der Beschwerdeführer wurde am 15. Juni 2001 nach Entlassung aus der Strafhaft in Schubhaft genommen.
Die dagegen an die belangte Behörde gerichtete Beschwerde wurde mit Bescheid vom 27. Juni 2001 gemäß § 73 Abs. 1, 2 und 4 FrG iVm § 67c Abs. 4 AVG als unbegründet abgewiesen, der obgenannte Schubhaftbescheid vom 8. Mai 2001 und die Fortsetzung der Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft im Zeitpunkt der Entscheidung der belangten Behörde für rechtmäßig erklärt.
Der Beschwerdeführer sei am 20. März 1983 in Serbien geboren worden und sei "serbischer" Staatsbürger. Er halte sich seit 1994 ohne gültigen Aufenthaltstitel im Bundesgebiet der Republik Österreich auf und verfüge seit 1. Juni 1999 über keine polizeiliche Meldung. Aus diesem Grund sei gegen den Beschwerdeführer am 16. Februar 2000 gemäß § 33 Abs. 1 FrG eine Ausweisung erlassen worden. Der Beschwerdeführer sei am 18. Februar 2000 wegen Verdachtes des unrechtmäßigen Aufenthaltes im Bundesgebiet sowie Übertretung des Meldegesetzes gemäß § 110 Abs. 3 FrG festgenommen und wegen Verdacht des Raubes angehalten worden. Der Jugendgerichtshof Wien habe einen Haftbefehl erlassen. Er sei am 18. Februar 2000 in die Justizanstalt Erdberg eingeliefert worden. Während der Untersuchungshaft sei das Verfahren zur Erlassung eines Aufenthaltsverbotes bzw. in weiterer Folge zur Sicherung der Abschiebung eingeleitet worden. Der Bescheid über die Ausweisung vom 16. Februar 2000 sei dem Beschwerdeführer dort am 31. März 2000 zugestellt worden. Er habe in der Folge (Anmerkung: am 4. April 2000) Catharina T. als Vertreterin in fremdenpolizeilichen Angelegenheiten Vollmacht erteilt, diese habe in seinem Namen Berufung gegen die Ausweisung erhoben. Der Ausweisungsbescheid sei mit Berufungsvorentscheidung vom 18. April 2000 aufgehoben worden. Der Jugendgerichtshof habe den Beschwerdeführer am 13. April 2000 wegen § 142 Abs. 1 (Raub) und § 83 Abs. 1 StGB (Körperverletzung) zu einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten, davon acht Monate unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren, rechtskräftig verurteilt. In der Folge sei ein für die Dauer von zehn Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen worden, wobei gemäß § 64 Abs. 2 AVG die aufschiebende Wirkung einer allfälligen Berufung ausgeschlossen worden sei. Dieser Bescheid sei Catharina T. am 30. März 2001 rechtswirksam zugestellt worden. Es sei keine Berufung erhoben worden. Mit weiterem Urteil habe der Jugendgerichtshof Wien den Beschwerdeführer am 9. November 2000 wegen der Begehung von Straftaten nach § 28 Abs. 3 Suchtmittelgesetz - SMG, § 28 Abs. 2 und 3 SMG sowie nach § 27 Abs. 1 SMG (Anm.: Strafbestimmungen betreffend Suchtgifte; § 28 Abs. 3 SMG als schwerstwiegende dieser Tatbestände stellt unter Strafe, wer gewerbsmäßig oder als Mitglied einer Bande ein Suchtgift in einer großen Menge erzeugt, einführt, ausführt oder in Verkehr setzt) zu einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten rechtskräftig verurteilt. Weiters sei der Beschwerdeführer mit Urteil des Jugendgerichtshofes Wien vom 19. Dezember 2000 wegen §§ 127 (Diebstahl), 131 (räuberischer Diebstahl), 127, 128 Abs. 1 Z. 4 (schwerer Diebstahl an einer Sache, deren Wert S 25.000,-- übersteigt), 129 Z. 3 (Einbruchsdiebstahl), 130 erster und vierter Fall (gewerbsmäßiger Diebstahl und Bandendiebstahl) StGB zu einer Freiheitsstrafe von 14 Monaten rechtskräftig verurteilt worden.
Daraus leitete die belangte Behörde in rechtlicher Sicht Folgendes ab:
"In Anbetracht dessen, dass der Beschwerdeführer über keine genügenden eigenen Barmittel zur Bestreitung seines Unterhaltes verfügt, sowie nach eigenen Angaben keinerlei Kontakt zu seinem leiblichen Vater hat und nicht im Besitz eines gültigen Reisedokumentes ist, bestehen schon daher ausreichende Gründe für die Annahme, dass er sich den fremdenpolizeilichen Maßnahmen entziehen werde, zumal er aktuell mit seiner Abschiebung rechnen muss.
Daran ändert auch nicht die beabsichtigte Adoption durch seinen Stiefvater, welcher aktenkundig als Sondernotstandsbezieher über keine ausreichenden Mittel für den Unterhalt des Beschwerdeführers verfügt.
Gemäß § 66 Abs. 1 FrG in der derzeit gültigen Fassung, BGBl. I Nr. 75/1997, kann die Behörde von der Anordnung der Schubhaft Abstand nehmen, wenn sie Grund zur Annahme hat, dass deren Zweck durch Anwendung gelinderer Mittel erreicht werden kann. Gegen Minderjährige hat die Behörde gelindere Mittel anzuwenden, es sei denn, sie hätte Grund zur Annahme, dass der Zweck der Schubhaft damit nicht erreicht werden kann. Im Weiteren ist insbesondere darauf zu verweisen, dass in beiden § 66 Abs. 1 FrG behandelten Fällen, also sowohl im Fall des volljährigen Schubhäftlings als auch im Fall des minderjährigen Schubhäftlings eine Beurteilung der Wahrscheinlichkeit der Erreichung des Zwecks der Schubhaft in Form einer Verhaltensprognose durchzuführen ist. Wie dem oben beschriebenen Akteninhalt entnommen werden kann, hat der Beschwerdeführer bereits drei rechtskräftige Strafurteile über sich ergehen lassen müssen. Weiterhin ist festzuhalten, dass die Delikte, deren er überführt wurde, bereits als Schwere Straftaten einzustufen sind, welche eine deutliche Missachtung der österreichischen Rechtsordnung erkennen lassen. Darüber hinaus ist darauf zu verweisen, dass zumindest eine Deliktsart, die fortgesetzte Missachtung der Suchtmittelgesetzgebung einen offensiven Angriff auf die österreichische Rechtsordnung mit verheerenden Folgen für die Rechtssicherheit der österreichischen Bevölkerung darstellt.
Der Unabhängige Verwaltungssenat Wien kommt daher im Zuge seiner Verhaltensprognose zu der Auffassung, dass nicht nur bei Zugrundelegung der gegenwärtigen Volljährigkeit des Beschwerdeführers, sondern darüber hinaus auch im Falle der Annahme einer Minderjährigkeit, auf Grund der Schwere der Straftaten des Beschwerdeführers Grund zur Annahme vorliegt, dass der Zweck der Schubhaft mit der Anwendung gelinderer Mittel nicht erreicht werden kann.
Der Unabhängige Verwaltungssenat Wien legt Wert auf die Feststellung, dass bei dem gegenständlich festgestellten Grad an krimineller Energie des Beschwerdeführers sogar im Falle seiner Minderjährigkeit die Anwendung gelinderer Mittel nicht geboten erscheinen würde.
Dies insbesondere auch deshalb, da dies ja bedeuten würde, dass der Beschwerdeführer genau in jene Umstände entlassen werden würde, unter denen er die schweren Straftaten, deren er überführt und rechtskräftig verurteilt wurde, zur Zeit seiner Wohnhaftnahme bei seinem Stiefvater nicht hindern hat können. Im Gegenteil lässt die Art und Schwere seines rechtswidrigen Verhaltens im Zuge der hier zu erstellenden Verhaltensprognose keinen Platz für die Annahme, dass die weit geringerwertigen Missachtungen der Anweisungen der fremdenpolizeilichen Behörde höher achten werde, als das nahezu weltweit strafrechtlich pönalisierte Rauschgifthandelsverbot."
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Breiten Raum widmet der Beschwerdeführer in der Beschwerde dem Vorbringen, er sei sowohl zum Zeitpunkt der Erteilung der Vollmacht zur Vertretung an Catharina T. als auch zum Zeitpunkt der Verhängung der Schubhaft entgegen der Ansicht der belangten Behörde minderjährig gewesen. Deshalb sei die Zustellung des Bescheides über die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes am 30. März 2001 an Catharina T. nicht rechtswirksam gewesen.
Gemäß § 9 AVG ist die persönliche Rechts- und Handlungsfähigkeit von Beteiligten von der Behörde, wenn in den Verwaltungsvorschriften nicht anderes bestimmt ist, nach den Vorschriften des Bürgerlichen Rechts zu beurteilen.
§ 95 des Fremdengesetzes 1997 (FrG), BGBl. I Nr. 75, lautet:
"Sonderbestimmungen für Minderjährige
§ 95. (1) Minderjährige Fremde, die das 16. Lebensjahr vollendet haben, sind in Verfahren nach dem 3., 4. und 6. Hauptstück handlungsfähig. Sie können zu einer mündlichen Verhandlung einen gesetzlichen Vertreter und eine an der Sache nicht beteiligte Person ihres Vertrauens beiziehen. Verfahrensfrei zu setzende Maßnahmen bleiben unberührt.
(2) Der gesetzliche Vertreter eines solchen Fremden hat das Recht,
1. auch gegen den Willen des Minderjährigen Akteneinsicht zu nehmen und zu dessen Gunsten Beweisanträge zu stellen und
2. innerhalb der einer Partei offenstehenden Frist Rechtsmittel einzulegen, Beschwerden einzubringen und Anträge auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand oder auf Wiederaufnahme des Verfahrens zu stellen.
..."
Im dritten Hauptstück wird der Aufenthalt von Fremden geregelt. Dessen zweiter Abschnitt enthält die Bestimmungen über die Aufenthaltsbeendigung. Die Ausweisung ist in § 33 ff FrG geregelt. Die Bestimmungen betreffend Aufenthaltsverbot finden sich in den §§ 36 ff FrG.
Dies hat zur Konsequenz, dass dem Beschwerdeführer, der am 20. März 1999 das 16. Lebensjahr vollendet hatte, ab diesem Zeitpunkt Bescheide betreffend Ausweisung oder Verhängung eines Aufenthaltsverbotes unmittelbar ohne Einschaltung des gesetzlichen Vertreters zugestellt werden durften und der Beschwerdeführer berechtigt war, in diesen Angelegenheiten rechtsgültig Vollmacht zu erteilen.
Die am 4. April 2000 vom Beschwerdeführer an Catharina T. erteilte Vollmacht beinhaltete insbesondere, ihn in fremdenpolizeilichen Angelegenheiten zu vertreten. Die belangte Behörde ging daher zu Recht davon aus, dass der Aufenthaltsverbotsbescheid, welcher am 30. März 2001 Catharina T. zugestellt worden war, rechtswirksam auf Grund gültiger Vollmacht erlassen wurde. Dass gegen diesen Bescheid kein Rechtsmittel erhoben wurde, wird vom Beschwerdeführer bestätigt.
Der Beschwerdeführer rügt weiters, es käme nicht auf die drei Strafurteile und die wiederholte Strafhaft als solche an, sondern auf die diesen Bestrafungen zu Grunde liegenden Taten, "individualisiert nach Tatort, Deliktszeit und Strafbestimmung". Die belangte Behörde hätte diese "im Einzelnen auf Grund der ihr vorliegenden Aktenlage beschreiben und im Sinne einer Prognose bewerten müssen". Damit übersieht der Beschwerdeführer, dass die belangte Behörde ohnehin auf die zu Grunde liegenden Taten abstellt. Bei der Schwere der vom Beschwerdeführer begangenen Taten und dem nicht in Frage gestellten Umstand, dass diese Taten erst in den letzten Jahren begangen wurden (was aus dem angefochtenen Bescheid zwar nicht ausdrücklich, aber doch mit hinreichender Deutlichkeit schon deshalb zum Ausdruck kommt, weil erst nach Strafmündigkeit des Beschwerdeführers begangene Taten zu einer gerichtlichen Verurteilung führen konnten), kommt es auf eine nähere "Individualisierung nach Tatort, Deliktszeit und Strafbestimmung" nicht mehr an.
Sodann bringt der Beschwerdeführer gestützt auf seine Ansicht, er sei zum Zeitpunkt der Verhängung der Schubhaft minderjährig gewesen, vor, es hätten gelindere Mittel im Sinne des § 66 FrG angewendet werden müssen.
Es erübrigt sich zu klären, ob der Beschwerdeführer bei Verhängung der Schubhaft minderjährig oder volljährig war. Denn zur Frage der Anwendung gelinderer Mittel gemäß § 66 hat die belangte Behörde - wie oben wiedergegeben - mit näherer Begründung ausgesprochen, dass selbst für den Fall, dass der Beschwerdeführer tatsächlich als minderjährig angesehen werden müsste, gelindere Mittel nicht in Frage kämen. Dies kann vom Verwaltungsgerichtshof nicht als rechtswidrig angesehen werden.
Aufgrund der mehrfachen Begehung schwer wiegender Straftaten in letzter Zeit in Verbindung mit den vom Beschwerdeführer gar nicht in Abrede gestellten Feststellungen, dass er seit 1. Juni 1999 polizeilich nicht gemeldet sei und sein Stiefvater als Sondernotstandshilfebezieher über keine ausreichenden Mittel verfüge, um den Unterhalt des Beschwerdeführers zu sichern, ist es nicht rechtswidrig, dass die belangte Behörde sowohl die Voraussetzungen des § 61 FrG als gegeben erachtete als auch die Anwendung von gelinderen Mitteln gemäß § 66 FrG ausschloss.
Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 501/2001.
Die auf "sofortige Enthaftung bzw. die Prüfung der weiteren Haftvoraussetzungen ..." gerichteten Anträge waren zurückzuweisen, weil dem Verwaltungsgerichtshof nur die Prüfung des angefochtenen Bescheides auf seine Rechtmäßigkeit zusteht, jedoch nicht die Entscheidung über obige Anträge.
Wien, am 26. April 2002
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2002:2001020136.X00Im RIS seit
17.07.2002