Index
40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AsylG 1997 §7;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski und Dr. Berger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Schimetits, über die Beschwerde des JN in G, geboren am 10. Oktober 1978, vertreten durch Dr. Klaus Kocher, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Sackstraße 36, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 15. Juli 1998, Zl. 201.491/0-V/15/98, betreffend § 7 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der damals minderjährige Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger des Sudan, reiste am 26. Februar 1996 in das Bundesgebiet ein und beantragte am 4. März 1996 die Gewährung von Asyl. Bei seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesasylamt gab er an, er habe den Sudan verlassen, weil er der christlichen Glaubensgemeinschaft angehöre und die Moslems die Christen bekämpfen würden. Die Moslems würden die Christen umbringen und deren Häuser bombardieren. Er habe Angst gehabt, in diesem Bürgerkrieg sein Leben zu verlieren und sich deshalb zur Flucht entschlossen. Er selbst habe nicht an Kämpfen teilgenommen, jedoch sei sein Haus bombardiert worden. Wo seine Mutter sei, wisse er nicht. Er habe sie auf der Flucht verloren. Er selbst sei weder konkreten Verfolgungen aus politischen, religiösen, rassischen oder anderen Gründen ausgesetzt noch inhaftiert gewesen. Im Falle seiner Rückkehr in den Sudan fürchte er von Moslems umgebracht zu werden.
Mit Bescheid vom 4. März 1996 wies das Bundesasylamt den Asylantrag mit der Begründung ab, der Beschwerdeführer habe keine konkreten, gegen ihn selbst gerichteten Verfolgungshandlungen glaubhaft machen können. Die aus einem Bürgerkrieg oder einer drohenden Kriegsgefahr im Heimatland des Asylwerbers resultierenden Beeinträchtigungen, denen sämtliche Bewohner im selben Maße ausgesetzt seien, könnten nicht als konkrete, individuell gegen den Asylwerber gerichtete Verfolgungshandlungen eingestuft werden. Auch die Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen oder religiösen Minderheit sei als solche kein Grund für die Gewährung von Asyl. Dem Beschwerdeführer könne daher trotz der für ihn schwierigen Lebenssituation aufgrund des im Sudan herrschenden Bürgerkriegszustandes kein Asyl gewährt werden. Weiters stützte das Bundesasylamt seine nach dem Asylgesetz 1991 ergangene Entscheidung darauf, dass der Beschwerdeführer vor seiner Einreise nach Österreich im Zuge seines Fluchtweges bereits in einem anderen Staat vor Verfolgung sicher gewesen sei.
In der gegen diesen Bescheid vom örtlich zuständigen Jugendwohlfahrtsträger (Bezirkshauptmannschaft Oberpullendorf) in Vertretung des minderjährigen Beschwerdeführers erhobenen Berufung brachte der Beschwerdeführer vor, er habe bei seiner niederschriftlichen Einvernahme sehr wohl angeführt, dass seine Familie Verfolgungen ausgesetzt gewesen sei und er sein Heimatdorf infolge Verwüstung des Elternhauses verlassen habe. Wenn er auch konkret keine körperlichen Schäden erlitten hätte, so sei doch allein schon die Angst davor, wieder in kriegerische Verwicklungen zu geraten, Fluchtgrund genug. Tatsache sei, dass Angehörige christlicher Konfessionen im Sudan Verfolgungen ausgesetzt seien.
Innerhalb der offenen Berufungsfrist langte beim Bundesasylamt ein weiterer Berufungsschriftsatz vom 17. März 1996 ein, in welchem Dipl.-Ing. Friedrich M. im Namen des Beschwerdeführers ebenfalls Berufung gegen den Bescheid des Bundesasylamtes erhob. Diesem Schriftsatz war keine schriftliche Vollmacht des einschreitenden Dipl.-Ing. Friedrich M. beigelegt, jedoch wurde im Schriftsatz angeführt, dass die Vollmacht "bei der BH Oberpullendorf hinterlegt" sei. In diesem Berufungsschriftsatz führte Dipl.-Ing. Friedrich M. für den Beschwerdeführer nicht nur aus, dass dieser als Christ in seiner Heimat den Verfolgungen durch Moslems, die praktisch die Staatsmacht repräsentierten, vollkommen ausgeliefert und potentiell von Menschenrechtsverletzungen durch Regierungsstellen betroffen sei, sondern brachte auch vor, dass der Beschwerdeführer sich geweigert habe, "gegen Moslems zu kämpfen" und eingesperrt worden sei. Bei einem Angriff sei das Gefängnis beschädigt worden, sodass der Beschwerdeführer nach einer Woche habe fliehen können. Zwischenzeitlich sei sein Haus zerbombt worden und seien seine Mutter und seine Schwester wahrscheinlich auch geflohen. Aus diesem Grund habe sich auch der Beschwerdeführer zur Flucht entschlossen.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde - gemäß der Übergangsbestimmung des § 44 Abs. 1 AsylG unter Anwendung des Asylgesetzes 1997 - die Berufung ohne Durchführung einer Berufungsverhandlung gemäß § 7 AsylG 1997 ab. Die belangte Behörde stellte "aufgrund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens, welchem insbesondere das Vorbringen des Berufungswerbers zugrunde gelegt wurde", fest, dass der Beschwerdeführer den Sudan verlassen habe, weil er der christlichen Glaubensgemeinschaft angehöre und die Christen in seinem Heimatland von den Moslems bekämpft würden. Ohne selbst konkreten Verfolgungen aus politischen, religiösen, rassischen oder anderen Gründen ausgesetzt gewesen zu sein, habe sich der Beschwerdeführer aus Angst, in diesem Bürgerkrieg sein Leben zu verlieren, zur Flucht entschlossen. Wenn in der vom gesetzlichen Vertreter eingebrachten Berufung nunmehr behauptet werde, der Beschwerdeführer habe sehr wohl angeführt, dass seine Familie Verfolgungen ausgesetzt gewesen wäre, so werde diesem Vorbringen entgegengehalten, dass sich eine derartige Aussage dem über die niederschriftliche Befragung vor dem Bundesasylamt aufgenommenen Protokoll nicht entnehmen lasse. Gemäß § 15 AVG liefere eine gemäß § 14 leg. cit. aufgenommene Niederschrift über den Verlauf und den Gegenstand der betreffenden Amtshandlung vollen Beweis. Wie das Bundesasylamt zutreffend ausgeführt habe, indiziere die Bürgerkriegssituation im Heimatstaat des Beschwerdeführers für sich allein nicht die Flüchtlingseigenschaft; die Furcht vor dem Bürgerkrieg stelle keinen Fluchtgrund im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention dar. Der Beschwerdeführer habe auch im Zuge des Berufungsverfahrens keine konkret gegen seine Person gerichtete staatliche Verfolgungshandlung behauptet; eine solche werde für die Asylgewährung jedoch vorausgesetzt.
Auf die "Berufungsergänzung" vom 17. März 1996 müsse nicht näher eingegangen werden, weil sie weder vom Berufungswerber selbst noch von dessen gesetzlichen Vertreter stamme. Der Verfasser des Schriftsatzes habe sich auf eine beim gesetzlichen Vertreter hinterlegte Vollmacht berufen, ohne eine solche anlässlich der Erhebung der Berufung vorgelegt zu haben. Die Berufung auf die erteilte Vollmacht ersetze gemäß § 10 Abs. 1 AVG deren urkundlichen Nachweis lediglich im Falle des Einschreitens eines Rechtsanwaltes oder Notars. Darüber hinaus hätte Dipl.- Ing. Friedrich M. als Verfasser der "Berufungsergänzung" ausschließlich vom gesetzlichen Vertreter bevollmächtigt werden dürfen; die Formulierung, dass die Vollmacht beim gesetzlichen Vertreter des Beschwerdeführers hinterlegt worden sei, lasse eher darauf schließen, dass diese von einem Dritten, nämlich dem Beschwerdeführer selbst, erteilt worden sei. "Der Vollständigkeit halber" merkte die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid schließlich an, dass auch eine Berücksichtigung der "Berufungsergänzung" nicht dazu geführt hätte, dem Beschwerdeführer Asyl zu gewähren, weil die in diesem Schriftsatz erstmalig aufgestellte Behauptung, der Beschwerdeführer sei aufgrund seiner Weigerung, gegen Moslems zu kämpfen, eingesperrt worden und aus dem Gefängnis geflohen, angesichts der vom Beschwerdeführer im erstinstanzlichen Verfahren getätigten Aussagen als nicht glaubhaft erscheine.
Über die gegen diesen Bescheid gerichtete, Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Die belangte Behörde legte ihrer ohne Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung erlassenen Entscheidung zugrunde, dass der Beschwerdeführer der christlichen Glaubensgemeinschaft angehöre und "die Christen in seinem Heimatland von den Moslems bekämpft werden". Der Beschwerdeführer selbst sei jedoch konkreten Verfolgungen nicht ausgesetzt gewesen; seine Furcht vor dem Bürgerkrieg sei asylrechtlich nicht relevant.
In dem von Dipl.-Ing. M. in Vertretung des damals minderjährigen Beschwerdeführers eingebrachten Berufungsschriftsatz vom 17. März 1996 machte der Beschwerdeführer - über sein bisheriges Vorbringen hinaus - geltend, dass er eingesperrt worden sei, weil er sich geweigert habe, gegen Moslems zu kämpfen.
Die belangte Behörde hätte den Berufungsschriftsatz des Dipl.- Ing. M. nur dann unbeachtet lassen dürfen, wenn sie die Behebung etwaiger Vollmachtsmängel (ein solcher Mangel liegt auch vor, wenn der Bestand einer behaupteten Bevollmächtigung nicht nachgewiesen ist) von Amts wegen gemäß § 10 Abs. 2 zweiter Satz AVG unter sinngemäßer Anwendung des § 13 Abs. 3 AVG veranlasst hätte und dieses Verbesserungsverfahren erfolglos geblieben wäre (vgl. das hg. Erkenntnis vom 14. Dezember 1995, Zl. 93/07/0181, sowie das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes VfSlg. 12.924/1991).
Dieser Verfahrensmangel ist relevant, weil die von der belangten Behörde "der Vollständigkeit halber" gegebene Alternativbegründung der Unglaubwürdigkeit der "Berufungsergänzung" (im Fall deren wirksamer Erhebung) eine Verletzung von Verfahrensvorschriften bedeuten würde. Wäre das über das Berufungsvorbringen des gesetzlichen Vertreters hinausgehende neue Vorbringen des Beschwerdeführers in der "Berufungsergänzung" nach Erteilung des gebotenen Verbesserungsauftrages wirksam erstattet worden, hätte dieses von der belangten Behörde nicht ohne Durchführung einer Berufungsverhandlung als unglaubwürdig gewertet werden dürfen.
Wird in der Berufung ein dem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens der Behörde erster Instanz entgegenstehender oder darüber hinausgehender Sachverhalt neu und in konkreter Weise behauptet (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 11. November 1998, Zl. 98/01/0308, vom 19. Dezember 2000, Zl. 98/20/0551, u.v.a.), so ist es dem unabhängigen Bundesasylsenat nämlich verwehrt, durch Würdigung der Berufungsangaben als unglaubwürdig - gleichgültig, ob in an sich schlüssiger oder unschlüssiger Beweiswürdigung - den Sachverhalt ohne Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung und insbesondere ohne den Asylwerber selbst persönlich einzuvernehmen, als geklärt anzusehen (vgl. das oben angeführte hg. Erkenntnis vom 11. November 1998 u.v.a.).
Da die "Berufungsergänzung", die im Falle ihrer wirksamen Einbringung die belangte Behörde jedenfalls zur Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung verpflichtet hätte, ohne vorherige Durchführung eines Verfahrens zur Behebung des Vollmachtsmangels nicht unbeachtet hätte bleiben dürfen, kann dahinstehen, ob auch die vom gesetzlichen Vertreter eingebrachte Berufung allein die Verhandlungspflicht ausgelöst hätte.
Der angefochtene Bescheid war somit gemäß § 42 Abs. 3 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001.
Wien, am 14. Mai 2002
Schlagworte
Verbesserungsauftrag Bejahung BerufungsverfahrenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2002:1998010409.X00Im RIS seit
19.08.2002