TE Vwgh Erkenntnis 2002/5/14 98/01/0514

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Veröffentlicht am 14.05.2002
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1997 §23;
AsylG 1997 §27 Abs1;
AsylG 1997 §38;
AsylG 1997 §7;
AVG §37;
AVG §45 Abs1;
AVG §58 Abs2;
AVG §67d;
EGVG 1991 Anlage Art2 Abs2 Z43a idF 1998/I/028;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski und Dr. Berger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Schimetits, über die Beschwerde des AK in W, geboren am 16. Juni 1977, vertreten durch Mag. Stephan Podiwinsky, Rechtsanwalt in 1040 Wien, Goldeggasse 5/13, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 16. Juli 1998, Zl. 203.819/0-XI/35/98, betreffend § 7 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, nach seinen Angaben ein Staatsangehöriger des Sudan, betrat am 17. November 1995 das Bundesgebiet und beantragte am 22. November 1995 die Gewährung von Asyl. Bei seiner schriftlichen Einvernahme vor dem Bundesasylamt gab er an, er habe den Sudan verlassen, weil er der christlichen Glaubensgemeinschaft angehöre und die Christen im Sudan von den Moslems verfolgt und getötet würden. Er habe Angst gehabt, während des Bürgerkriegs sein Leben zu verlieren. Er sei vor seiner Ausreise weder konkreten Verfolgungen aus politischen, religiösen, rassischen oder anderen Gründen ausgesetzt noch inhaftiert gewesen. Er habe jedoch Angst, bei Übergriffen durch die Moslems sein Leben zu verlieren, da ihm bereits vor ca. zehn Jahren von Moslems durch heißes Wasser Brandverletzungen am Rücken zugefügt worden seien.

Mit Bescheid vom 22. November 1995 wies das Bundesasylamt den Asylantrag mit der Begründung ab, der Beschwerdeführer habe keine konkreten, gegen ihn selbst gerichteten Verfolgungshandlungen glaubhaft machen können. Die kriegerischen Handlungen im Zuge des Bürgerkrieges im Heimatland des Beschwerdeführers, deren Auswirkungen sämtliche Angehörigen der jeweiligen Streitparteien im gleichen Ausmaß träfen, würden keine individuellen und konkreten Verfolgungshandlungen im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention darstellen. Weiters stützte das Bundesasylamt seine nach dem Asylgesetz 1991 ergangene Entscheidung darauf, dass der Beschwerdeführer bereits vor seiner Einreise nach Österreich in Italien vor Verfolgung sicher gewesen sei.

In seiner Berufung gegen den Bescheid des Bundesasylamtes wies der Beschwerdeführer neuerlich auf den Bürgerkrieg im Südsudan und die damit verbundenen Verfolgungen von Christen hin. Mit Bescheid vom 19. Dezember 1995 wies der Bundesminister für Inneres die Berufung als unbegründet ab. Dagegen erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof. Mit Inkrafttreten des Asylgesetzes 1997 trat das Verfahren gemäß § 44 Abs. 2 AsylG 1997 in das Stadium vor Erlassung des Berufungsbescheides des Bundesministers für Inneres zurück. Die Beschwerde wurde daher mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 13. Mai 1998, Zl. 96/01/0559, als unzulässig zurückgewiesen.

Im nunmehr fortgesetzten Berufungsverfahren führte die belangte Behörde Ermittlungen über die Verfolgung von Christen im Sudan durch und teilte dem Beschwerdeführer mit Schreiben vom 2. Juli 1998 mit, dass beabsichtigt sei, bei der Entscheidung über die Berufung von folgenden Tatsachen auszugehen:

"Ihr religiöses Bekenntnis betreffend ist darauf hinzuweisen, dass Christen im Sudan nicht generell im Sinne der Genfer Konvention verfolgt werden bzw. dem religiösen Bekenntnis nur in bestimmten Fallkonstellationen (z.B.: vom Islam abgefallene Moslems; Personen, die versucht haben, Moslems zum Christentum zu bekehren; Kopten, die nachweisen können, schikaniert zu werden) Bedeutung beizumessen ist (Rat der EU, Aufzeichnungen des Generalsekretariats des Rates für das CIREA vom 5.12.1997, Zl 12362/1/97, 13)."

Sollte der Beschwerdeführer der Ansicht sein, dass die geschilderte Situation auf seine Person nicht anzuwenden sei, möge er die Gründe hiefür darlegen und sein Vorbringen nach Möglichkeit (etwa durch Pressemeldungen etc.) belegen. Unter einem möge der Beschwerdeführer mitteilen, ob er nach 1985 konkreten Verfolgungen ausgesetzt gewesen sei. Ferner möge dargelegt werden, aus welchem Grund der Beschwerdeführer nicht imstande gewesen sei, in einer der Landessprachen des Sudan ein Gespräch mit dem Konsul der Republik Sudan (der diesen Umstand in einem an die Bezirkshauptmannschaft Oberpullendorf gerichteten Schreiben vom 5. Dezember 1995 festgehalten hatte) zu führen. Der Beschwerdeführer wurde aufgefordert, gemäß § 45 Abs. 3 AVG binnen zwei Wochen ab Zustellung zu diesem Schreiben Stellung zu nehmen.

Dieser Vorhalt der Ermittlungsergebnisse wurde dem Beschwerdeführer am 3. Juli 1998 zugestellt, sodass die vierzehntägige Frist am 17. Juli 1998 endete. Mit Schreiben vom 15. Juli 1998, bei der belangten Behörde eingelangt am 20. Juli 1998, ersuchte der Beschwerdeführer um Erstreckung der Stellungnahmefrist um zwei Wochen.

Bereits am 16. Juli 1998 erließ jedoch die belangte Behörde den an diesem Tag dem Bundesasylamt durch Telefax zugestellten, nunmehr angefochtenen Bescheid, mit dem die Berufung des Beschwerdeführers ohne Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung gemäß § 7 AsylG 1997 abgewiesen wurde.

In der Begründung des angefochtenen Bescheids gab die belangte Behörde den vom Beschwerdeführer vorgebrachten "nicht objektivierbaren" Sachverhalt wieder. Die Ermittlungen über die derzeitige Situation im Sudan hätten ergeben, dass Christen im Sudan nicht generell im Sinne der Genfer Konvention verfolgt würden bzw. dem religiösen Bekenntnis nur in bestimmten Fallkonstellationen asylrelevante Bedeutung beizumessen sei. Dies sei dem Beschwerdeführer gemäß § 45 Abs. 3 AVG zur Kenntnis gebracht worden, dieser habe dazu jedoch trotz entsprechender Einladung keine Stellungnahme abgegeben. Da der Beschwerdeführer sein Vorbringen ausschließlich auf seine religiöse Gesinnung gestützt habe, ohne jedoch konkrete gegen seine Person gerichtete Verfolgungshandlungen zu behaupten, habe seinem Vorbringen - selbst wenn man diesem in vollem Umfang Glauben schenken würde - kein Erfolg beschieden sein können. Auch wenn der Beschwerdeführer schon 1985 von Moslems durch heißes Wasser verletzt worden wäre, so könne diese Tatsache angesichts der seither vergangenen Zeit, in der der Beschwerdeführer unbehelligt im Sudan gelebt habe, nichts daran ändern, dass es ihm nicht gelungen sei, eine asylrelevante Verfolgung glaubhaft zu machen.

Über die gegen diesen Bescheid gerichtete, Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Die belangte Behörde hat ihrer Entscheidung das Vorbringen des Beschwerdeführers sowie die dem Beschwerdeführer im Berufungsverfahren vorgehaltenen Ermittlungsergebnisse über die Situation im Sudan ohne Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung zugrunde gelegt. Werden nach der Erhebung der Berufung im Berufungsverfahren von der Berufungsbehörde Sachverhaltsermittlungen durchgeführt, so hat die belangte Behörde eine mündliche Verhandlung durchzuführen, wenn sie gestützt auf die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens über das Ergebnis des Ermittlungsverfahrens erster Instanz hinausgehend zusätzliche Sachverhaltsfeststellungen treffen will (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 22. April 1999, Zl. 98/20/0567, und vom 19. Dezember 2001, Zl. 98/20/0551, u.v.a.). Diesem Erfordernis kann nicht dadurch entsprochen werden, dass dem Beschwerdeführer Gelegenheit zur schriftlichen Stellungnahme zu den Ermittlungsergebnissen eingeräumt wird (vgl. die soeben zitierten Erkenntnisse sowie das Erkenntnis vom 23. März 2000, Zl. 99/20/0002, u.a.).

Darüber hinaus sind die von der belangten Behörde dem Beschwerdeführer vorgehaltenen "Aufzeichnungen" vom 5.12.1997 im vorgelegten Verwaltungsakt nicht enthalten. Mangels Vorhandenseins dieser "Aufzeichnungen" im vorgelegten Verwaltungsakt besteht für den Verwaltungsgerichtshof keine Möglichkeit, die von der belangten Behörde gezogene Schlussfolgerung auf deren Richtigkeit nachprüfen zu können. Dieses Material wurde offenbar auch dem Beschwerdeführer nicht zur Einsichtnahme übermittelt. Es genügt für ein mängelfreies Verfahren aber nicht, dass Tatsachen nur bei der Behörde notorisch sind (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 22. April 1999, Zl. 98/20/0567).

Auf die Erlassung des angefochtenen Bescheides vor Ablauf der dem Beschwerdeführer zur Stellungnahme zum Ergebnis des Ermittlungsverfahrens eingeräumten Frist braucht unter diesen Umständen nicht mehr eingegangen zu werden.

Da die belangte Behörde Verfahrensvorschriften außer acht gelassen hat, bei deren Einhaltung sie zu einem anderen Ergebnis hätte kommen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001.

Wien, am 14. Mai 2002

Schlagworte

Begründungspflicht Beweiswürdigung und Beweismittel Begründung der Wertung einzelner Beweismittel Begründungspflicht Beweiswürdigung und Beweismittel Begründung hinsichtlich einander widersprechender Beweisergebnisse

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2002:1998010514.X00

Im RIS seit

01.08.2002
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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