TE Vwgh Erkenntnis 2002/5/14 2000/01/0349

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Veröffentlicht am 14.05.2002
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;
41/02 Staatsbürgerschaft;

Norm

FrPolG 1954 §2 Abs2 Z2;
FrPolG 1954 §8;
StbG 1985 §10 Abs1 Z1 idF 1998/I/124;
StbG 1985 §10 Abs4 Z1 idF 1998/I/124;
StbG 1985 §10 Abs5 Z3 idF 1998/I/124;
StbG 1985 §15 Abs1 lita idF 1998/I/124;
StbG 1985 §15 Abs2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Pelant, Dr. Köller und Dr. Thoma als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Schimetits, über die Beschwerde des EÖ in B, vertreten durch Dr. Arnulf Summer, Dr. Nikolaus Schertler und Mag. Nicolas Stieger, Rechtsanwälte in 6900 Bregenz, Kirchstraße 4, gegen den Bescheid der Vorarlberger Landesregierung vom 13. Juni 2000, Zl. Ia 370-274/2000, betreffend Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Vorarlberg hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.089,68 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die Vorarlberger Landesregierung (die belangte Behörde) den Antrag des Beschwerdeführers auf Verleihung der Staatsbürgerschaft gemäß §§ 10, 11a, 12, 13 und 14 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 (StbG) ab. Begründend führte sie aus, der am 15. Juli 1963 geborene Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsangehöriger, habe seit 26. Mai 1995 ununterbrochen seinen Hauptwohnsitz in Österreich. Im Jahr 1990 sei er unter Umgehung der Grenzkontrolle nach Österreich eingereist. Wegen seines illegalen Aufenthaltes und des Umstandes, dass er mittellos gewesen sei, habe die Bezirkshauptmannschaft Kufstein gegen ihn ein bis zum 25. Mai 1995 befristetes Aufenthaltsverbot für das Bundesgebiet Österreich erlassen. Auf Grund einer fehlerhaften Vormerkung des Aufenthaltsverbotes sei ihm bei einer neuerlichen Einreise nach Österreich am 21. September 1990 von der Bezirkshauptmannschaft Bludenz ein Sichtvermerk erteilt worden. Der Beschwerdeführer sei dann bei verschiedenen Firmen in Österreich beschäftigt gewesen und arbeite seit April 1998 bei einem Unternehmen als Maler und Kraftfahrer bzw. Kranfahrer. Gemäß § 15 Abs. 1 lit. a StbG werde der Lauf der Wohnsitzfristen nach § 10 Abs. 1 Z 1 und Abs. 4 StbG durch ein rechtskräftiges Aufenthaltsverbot unterbrochen. Es müsse daher von einem ununterbrochenen Hauptwohnsitz beginnend mit 26. Mai 1995 ausgegangen werden. Umstände, die auf bereits erbrachte oder zu erwartende außerordentliche Leistungen des Beschwerdeführers hinweisen könnten, seien im Verfahren nicht geltend gemacht worden und auch nicht hervorgekommen.

Auf Grund des wohl vier, aber noch nicht sechs Jahre währenden ununterbrochenen Hauptwohnsitzes in Österreich und da der Beschwerdeführer nach dem 9. Mai 1945 geboren worden sei, kämen für eine Verleihung der Staatsbürgerschaft nach § 10 StbG nur der Tatbestand des § 10 Abs. 6 leg. cit. und die auf Minderjährigkeit, EWR-Angehörigkeit oder Asyl bzw. Asylberechtigung abstellenden Tatbestände des § 10 Abs. 4 Z 1 leg. cit. in Betracht. Da sich nach den getroffenen Sachverhaltsfeststellungen keine Hinweise auf erbrachte oder noch zu erwartende außerordentliche Leistungen ergeben hätten, könnten für eine Verleihung der Staatsbürgerschaft nur die Tatbestände des § 10 Abs. 4 Z 1 StbG in Frage kommen. Der Beschwerdeführer sei aber weder minderjährig noch sei er Angehöriger eines EWR-Staates noch besitze er Asyl bzw. eine Asylberechtigung. Somit sei eine Verleihung der Staatsbürgerschaft nach § 10 StbG ausgeschlossen.

Schließlich seien keine der Voraussetzungen nach den §§ 11a, 12, 13 und 14 StbG gegeben, sodass auch eine Verleihung der Staatsbürgerschaft auf Grund dieser Tatbestände ausscheide.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

Der Beschwerdeführer sieht sich durch den angefochtenen Bescheid in seinem subjektiven öffentlichen Recht auf Verleihung der Staatsbürgerschaft (Recht auf fehlerfreie Ermessensentscheidung) verletzt. Eine inhaltliche Rechtswidrigkeit erblickt er darin, dass die belangte Behörde zu Unrecht davon ausgehe, dass die Verleihung der Staatsbürgerschaft nach § 10 StbG ausgeschlossen wäre, weil sich der Beschwerdeführer auf Grund des gültigen Aufenthaltstitels aus dem Jahre 1990 seit 21. September 1990 rechtmäßig in Österreich aufhalte. Bei richtiger rechtlicher Beurteilung hätte die belangte Behörde von einer längeren Aufenthaltsdauer ausgehen müssen, weshalb eine Ermessensübung gemäß § 11 StbG hätte für zulässig betrachtet werden müssen. Weiters sei im vorliegenden Fall eine Interessenabwägung nach § 11 StbG unterblieben, sodass die belangte Behörde ihr Ermessen nicht im Sinne des Gesetzes ausgeübt habe. Eine Verletzung von Verfahrensvorschriften liege darin, dass die belangte Behörde die von ihr im Rahmen des § 11 StbG ausgeübte Ermessensentscheidung nicht begründet habe.

Die hier maßgeblichen Bestimmungen des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 in der Fassung der Staatsbürgerschaftsgesetznovelle 1998, BGBl. I Nr. 124, lauten - auszugsweise - wie folgt:

"Verleihung

§ 10. (1) Die Staatsbürgerschaft kann einem Fremden verliehen werden, wenn

1. er seit mindestens zehn Jahren seinen Hauptwohnsitz ununterbrochen im Bundesgebiet hat;

...

(4) Von der Voraussetzung des § 10 Abs. 1 Z 1 kann abgesehen werden,

1. aus besonders berücksichtigungswürdigem Grund, sofern es sich um einen Minderjährigen, der seit mindestens vier Jahren, oder um einen Fremden handelt, der seit mindestens sechs Jahren seinen Hauptwohnsitz ununterbrochen im Bundesgebiet hat, es sei denn, es wäre in Abs. 5 hinsichtlich dieser Wohnsitzdauer anderes vorgesehen;

...

(5) Als besonders berücksichtigungswürdiger Grund (Abs. 4 Z 1) gilt insbesondere

1. der Verlust der Staatsbürgerschaft anders als durch Entziehung (§§ 33 und 34) oder

2. bereits erbrachte oder zu erwartende besondere Leistungen auf wissenschaftlichem, wirtschaftlichem, künstlerischem oder sportlichem Gebiet oder

3. der Nachweis nachhaltiger persönlicher oder beruflicher Integration oder

4. die Gewährung von Asyl nach dem Asylgesetz 1997, BGBl. I Nr. 76, einschließlich der Asylberechtigung (§ 44 Abs. 6 AsylG) nach einer Wohnsitzdauer von vier Jahren oder

5. der Besitz der Staatsangehörigkeit einer Vertragspartei des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR-Abkommen), BGBl. Nr. 909/1993, nach einer Wohnsitzdauer von vier Jahren oder

6. die Geburt im Bundesgebiet

...

§ 11. Die Behörde hat sich unter Bedachtnahme auf das Gesamtverhalten des Fremden bei der Ausübung des ihr in § 10 eingeräumten freien Ermessens von Rücksichten auf das allgemeine Wohl, die öffentlichen Interessen und das Ausmaß der Integration des Fremden leiten zu lassen.

...

§ 15. (1) Der Lauf der Wohnsitzfristen nach § 10 Abs. 1 Z 1 und Abs. 4, § 11a Z 4 lit. a, § 12 Z 1 und 2 sowie § 16 Abs. 1 Z 3 lit. a wird unterbrochen durch

a)

ein rechtskräftiges Aufenthaltsverbot;

b)

einen mehr als sechsmonatigen Aufenthalt in einer Anstalt ...

(2) Eine Unterbrechung des Fristenlaufes gemäß Abs. 1 lit. a ist nicht zu beachten, wenn das Aufenthaltsverbot deshalb aufgehoben wurde, weil sich seine Erlassung in der Folge als unbegründet erwiesen hat."

Gemäß § 15 Abs. 1 lit. a StbG wird der Lauf der Wohnsitzfrist nach § 10 Abs. 1 Z 1 leg. cit. durch ein rechtskräftiges Aufenthaltsverbot unterbrochen. Dies bedeutet, dass die vor dem Wegfall des Unterbrechungsgrundes verbrachten Zeiten unberücksichtigt zu bleiben haben und dass die Wohnsitzfrist erst mit dem Wegfall des gegen den Beschwerdeführer verhängten Aufenthaltsverbotes neu zu laufen beginnen konnte (vgl. das hg. Erkenntnis vom 13. Mai 1998, Zl. 96/01/0767, mwN.).

§ 15 Abs. 1 lit. a StbG meint ein nach den fremdenpolizeilichen Vorschriften verhängtes Aufenthaltsverbot. Es kommt nicht darauf an, dass das Aufenthaltsverbot vollstreckt und der Fremde abgeschoben wurde. Selbst wenn der Vollzug aufgeschoben wurde und der Fremde sich daher weiterhin in Österreich faktisch aufhält, tritt eine Unterbrechung ein. Erforderlich ist nur, dass der das Aufenthaltsverbot verfügende Bescheid rechtskräftig ist (Thienel, Österreichische Staatsbürgerschaft, Band II, S 194).

Nach § 2 Abs. 1 Z 2 des Fremdenpolizeigesetzes richtete sich die Dauer des rechtmäßigen Aufenthaltes des Fremden im Bundesgebiet nach der Geltungsdauer eines Sichtvermerkes. § 8 des Fremdenpolizeigesetzes sah die Aufhebung des Aufenthaltsverbotes vor, wenn die Gründe für seine Erlassung weggefallen sind. Durch die Erteilung des Sichtvermerkes an den Beschwerdeführer am 21. September 1990 erfolgte zwar keine förmliche Aufhebung des Aufenthaltsverbotes, jedoch hatte sie zur Folge, dass die Rechtskraftwirkung des Aufenthaltsverbotes - die Unrechtmäßigkeit eines Aufenthaltes des Beschwerdeführers im Bundesgebiet - für die Dauer der Geltung des Sichtvermerkes (§ 2 Abs. 2 Z 2 des Fremdenpolizeigesetzes) zumindest in einer unter dem Gesichtspunkt des § 15 Abs. 1 lit. a StbG beachtlichen Weise überlagert wurde. Die Unterbrechungswirkung des Aufenthaltsverbotes in Bezug auf die Wohnsitzfrist wurde dadurch zwar nicht wie in den Fällen des § 15 Abs. 2 StbG rückwirkend beseitigt, durch den später erteilten Sichtvermerk aber vorerst beendet. Für die weitere Prüfung des Falles ist es unter diesen Umständen u.a. von Bedeutung, ob die Überlagerung des Aufenthaltsverbotes durch einen Sichtvermerk bis zum Ablauf des Aufenthaltsverbotes andauerte oder dieses als Unterbrechungstatbestand in Bezug auf die Wohnsitzfrist vor seinem Ablauf nochmals wirksam werden konnte.

Da die belangte Behörde über die Geltungsdauer des unbestritten dem Beschwerdeführer erteilten Sichtvermerkes keine Ermittlungen vorgenommen hat, lässt sich nach dem Gesagten ihr tragendes Argument, der Beschwerdeführer weise wohl einen vier, aber noch nicht sechs Jahre währenden ununterbrochenen Hauptwohnsitz in Österreich auf, nicht nachvollziehen. Anhand der Feststellungen der belangten Behörde lässt sich auch das allenfalls wesentliche (Nicht-)Vorliegen eines besonders berücksichtigungswürdigen Grundes nach § 10 Abs. 4 Z. 1, Abs. 5 Z. 3 StbG nicht beurteilen.

Da die belangte Behörde infolge ihrer unrichtigen Rechtsansicht die im aufgezeigten Umfang erforderlichen Ermittlungen und Sachverhaltsfeststellungen unterließ, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001; die im Betrag von S 2.500,-- entrichtete Gebühr nach § 24 Abs. 3 VwGG war im Betrag von EUR 181,68 zuzusprechen.

Wien, am 14. Mai 2002

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2002:2000010349.X00

Im RIS seit

19.08.2002

Zuletzt aktualisiert am

22.09.2008
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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