TE Vwgh Erkenntnis 2002/5/14 2001/01/0186

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 14.05.2002
beobachten
merken

Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

VwGG §26 Abs2;
ZustG §13;
ZustG §16;
ZustG §17;
ZustG §4;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski und Dr. Köller als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Schimetits, über die Beschwerde des D in W, geboren am 31. Dezember 1980, vertreten durch Dr. Christian Willmann, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Dominikanerbastei 4, gegen den am 6. November 2000 mündlich verkündeten und am 8. November 2000 schriftlich ausgefertigten Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates, Zl. 213.959/0-XII/36/99, betreffend §§ 7 und 8 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Guinea-Bissau, betrat am 9. Dezember 1998 das Bundesgebiet und stellte am 21. Dezember 1998 einen Asylantrag. Als Fluchtgrund nannte der Beschwerdeführer bei seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 23. Dezember 1998 den Krieg in seinem Heimatland und die Furcht, von den Rebellen rekrutiert zu werden. Die Rebellen seien in sein Heimatdorf gekommen und hätten junge Leute rekrutieren wollen. Vor den Rebellen wäre er nirgends in seinem Heimaltland sicher gewesen. Er habe nicht versucht, in der Hauptstadt Bissau Schutz vor Verfolgung durch die Rebellen zu finden. Mit Bescheid vom 28. Oktober 1999 wies das Bundesasylamt diesen Asylantrag gemäß § 7 AsylG ab und sprach aus, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Guinea-Bissau gemäß § 8 AsylG zulässig sei. Nach der Begründung drohe dem Beschwerdeführer im Herkunftsstaat keine asylrelevante Verfolgung; Kriegshandlungen träfen grundsätzlich alle Einwohner einer Region gleichermaßen. Die beabsichtigte Rekrutierung durch die Rebellen sei nicht konkret gegen den Beschwerdeführer gerichtet gewesen.

Dieser an den damals minderjährigen Beschwerdeführer gerichtete Bescheid wurde seinem gesetzlichen Vertreter (Magistrat der Stadt Wien) zugestellt.

In der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung ergänzte der Beschwerdeführer seine Angaben im Wesentlichen dahin, dass sich eine Reihe von Männern aus seiner Region und seiner ethnischen Zugehörigkeit den Rebellen angeschlossen hätte. Teilweise würden die Rekrutierungen von jungen Männern ohne Zwang erfolgen. Letzteres nehme die Behörde bei jungen Männern aus seiner Herkunftsregion an, weshalb er keine Gelegenheit (gehabt) hätte, den Behörden darzustellen, dass er sich den Rebellen nicht angeschlossen habe und auch nicht anschließen wolle. Die Regierung mache keinen Unterschied zwischen Zwangsrekrutierten und freiwilligen Rebellen. Er könne sich daher nicht unter den Schutz der Sicherheitsbehörden des Herkunftsstaates stellen.

Mit Schreiben vom 20. April 2000 teilte die Caritas (Erzdiözese Wien) dem Bundesasylamt mit, dass der Beschwerdeführer seine Zustelladresse auf Anton Böckgasse 6/5/6, 1210 Wien, geändert habe. Das Bundesasylamt übermittelte dieses Schreiben mit Telefax vom 21. April 2000 an die belangte Behörde.

Am 16. Mai 2000 gab der Evangelische Flüchtlingsdienst dem Bundesasylamt die neue Anschrift des Beschwerdeführers mit Grimmgasse 6/3, 1150 Wien, bekannt. Nach der Aktenlage wurde diese Mitteilung nicht an die belangte Behörde weitergeleitet.

Die Ladung an den Beschwerdeführer für die für den 6. November 2000 anberaumte mündlichen Verhandlung sandte die belangte Behörde mittels Rsa-Brief an die Anschrift Anton Böckgasse 6/5/6, 1210 Wien, wobei nach zwei Zustellversuchen die Hinterlegung beim Postamt 1215 Wien erfolgte bei einem Beginn der Abholfrist am 10. Oktober 2000.

Im Rahmen der am 6. November 2000 durchgeführten Berufungsverhandlung stellte das erkennende Mitlied der belangte Behörde fest, dass der Beschwerdeführer trotz durch Hinterlegung ordnungsgemäß zugestellter Ladung zur Verhandlung nicht gekommen sei.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 7 AsylG ab und sprach gemäß § 8 AsylG aus, dass seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Guinea-Bissau zulässig sei. Nach der Begründung hegte die belangte Behörde keine Zweifel an der vom Beschwerdeführer angegebenen Staatsangehörigkeit; als Fluchtgrund nahm die belangte Behörde die Furcht des Beschwerdeführers vor einer Zwangsrekrutierung durch eine - nicht näher bekannte - Rebellengruppe an. Negative Feststellungen traf die belangte Behörde über die Zugehörigkeit des Beschwerdeführers zu einer ethnischen Gruppe, über den Umstand, dass ihm eine regierungsfeindliche Gesinnung unterstellt würde, sowie über eine Verfolgung von ethnischen Gruppen oder Subgruppen, die in tatsächlicher oder vermeintlicher Opposition zu den Machthabern stünden. Zudem traf die belangte Behörde Feststellungen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers, die eine grundsätzlich ruhige politische und militärische Situation vermittelten.

Beweiswürdigend führte die belangte Behörde zu den in der Berufung ergänzten Fluchtgründen aus, dass der Beschwerdeführer bei seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt keinen Hinweis auf derartige Verfolgungsmaßnahmen gegeben habe und nach wie vor unklar sei, welcher Volksgruppe er angehöre; der Berufung könnten darüber nur allgemeine Behauptungen entnommen werden. Durch das unentschuldigte Fernbleiben des Beschwerdeführers von der mündlichen Berufungsverhandlung habe er seine Obliegenheit zur Mitwirkung am Verfahren verletzt; zudem habe die belangte Behörde keine Möglichkeit gehabt, im Rahmen einer ergänzenden Parteienvernehmung Anhaltspunkte für die in der Berufung in allgemeiner Form behauptete Verfolgung zu erlangen.

Die schriftliche Ausfertigung des in der Berufungsverhandlung mündlich verkündeten Bescheides wurde dem Beschwerdeführer wiederum an die Anschrift Anton Böckgasse 6/5/6, 1210 Wien, mit Rsa-Brief zugesandt und nach zweimaligem Zustellversuch beim Postamt 1215 Wien hinterlegt; die Abholfrist begann am 14. November 2000.

In einem am 27. Februar 2001 beim Verwaltungsgerichtshof eingelangten Schriftsatz brachte der Beschwerdeführer vor, er sei bis 16. Mai 2000 an der Anschrift Anton Böckgasse, danach bis zum 5. Oktober 2000 an der Adresse Grimmgasse 6 gemeldet gewesen. Der Bevollmächtigte des Beschwerdeführers habe am 13. Februar 2001 anlässlich einer Anfrage bei der belangten Behörde erfahren, dass die Berufung des Beschwerdeführers abgewiesen worden sei. Gleichzeitig mit diesem Schriftsatz stellte der Beschwerdeführer einen Antrag auf Gewährung von Verfahrenshilfe und legte eine ihn betreffende Meldeauskunft der Bundespolizeidirektion Wien vor, wonach er vom 18. April bis 16. Mai 2000 seinen Hauptwohnsitz in der Anton Böckgasse 6/5/6, 1210 Wien, vom 16. Mai bis 5. Oktober 2000 in der Grimmgasse 6, 1150 Wien und ab 5. Jänner 2001 in der Würtzlerstraße 16/11, 1030 Wien, gehabt habe bzw. habe.

Die in der Folge erhobene Beschwerde enthält für den Fall, dass die Zustellung des angefochtenen Bescheides an den Beschwerdeführer wirksam gewesen sein sollte, einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die als Hauptantrag erhobene Beschwerde erwogen:

Vorweg ist dem in ihrer Gegenschrift vorgetragenen Argument der belangten Behörde, es liege mangels wirksamer Zustellung an den Beschwerdeführer gar kein Bescheid vor, zu entgegnen, dass der angefochtene Bescheid dem Bundesasylamt mittels Telefax vom 9. November 2001 zugestellt worden ist und damit nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes als erlassen gilt (vgl. die bei Dolp, Verwaltungsgerichtsbarkeit3, auf Seite 187 zitierte Judikatur).

Davon ausgehend ist zu prüfen, ob die Zustellung der Ladung bzw. des angefochtenen Bescheides durch Hinterlegung an der Anschrift Anton Böckgasse 6/5/6, 1210 Wien, wirksam war:

Gemäß § 4 Zustellgesetz (ZustG) ist Abgabestelle im Sinne dieses Bundesgesetzes der Ort, an dem die Sendung dem Empfänger zugestellt werden darf; das ist die Wohnung oder sonstige Unterkunft, die Betriebsstätte, der Sitz, der Geschäftsraum, die Kanzlei oder der Arbeitsplatz des Empfängers, im Falle einer Zustellung anlässlich einer Amtshandlung auch deren Ort.

Selbst die belangte Behörde geht davon aus, dass der Beschwerdeführer zur Zeit der versuchten Zustellungen der Ladung und des Berufungsbescheides an der ihr damals bekannten Zustelladresse nicht mehr wohnte; dieser Umstand, der zudem aus der vom Beschwerdeführer vorgelegten Meldeauskunft zu schließen ist und der Behörde erster Instanz mitgeteilt worden war, wird der Beurteilung, ob eine ordnungsgemäße Zustellung des angefochtenen Bescheides erfolgte, zu Grunde gelegt. Hatte der Beschwerdeführer aber seit 16. Mai 2000 keine Wohnung (Unterkunft) an dieser Anschrift, wobei die belangte Behörde zufolge der angeführten Mittelung hievon hätte Kenntnis erlangen können, so lag auch keine Abgabestelle iSd § 4 ZustG vor. Damit fehlte es an dem Bezugspunkt jeder Zustellung (vgl. §§ 13, 16 und 17 Zustellgesetz), weshalb die Zustellungen an der Anschrift Anton Böckgasse 6/5/6, 1210 Wien, weder im Oktober noch im November 2000 wirksam gewesen sind. Mangels wirksamer Zustellung des angefochtenen Bescheides im November 2000 konnte zu diesem Zeitpunkt der Beginn des Laufes der Beschwerdefrist nicht ausgelöst werden, weshalb daraus auch nicht auf eine verspätete Beschwerdeerhebung geschlossen werden kann.

Die Beschwerde ist auch nicht wegen des Umstandes, dass der Beschwerdeführer auf die aktenkundige Zustellung an das Bundesasylamt nicht ausdrücklich hinweist und sich nicht ausdrücklich auf § 26 Abs. 2 VwGG beruft, im Sinne der hg. Beschlüsse vom 25. Oktober 1996, Zl. 94/17/0290, und vom 12. August 1997, Zl. 97/17/0225, zurückzuweisen. Im Hinblick darauf, dass die Unwirksamkeit der Zustellung an den Beschwerdeführer in der Beschwerde ausdrücklich geltend gemacht wird, kann der Beschwerde nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes "entnommen werden", dass der Beschwerdeführer von dem ihm durch die erwähnte Bestimmung eingeräumten Recht, einen ihm noch nicht zugestellten Bescheid zu bekämpfen, Gebrauch machen wollte. Der - eine gleichfalls die Unwirksamkeit der Zustellung behauptende Beschwerde gegenteilig auslegende - hg. Beschluss vom 27. Jänner 2000, Zl. 99/20/0393, enthält keine Rechtsaussagen, die dieser Deutung der vorliegenden Beschwerde entgegen stünden.

In der Sache selbst rügt der Beschwerdeführer, dass ihm zu den Ermittlungsergebnissen des Berufungsverfahrens kein rechtliches Gehör gewährt worden sei. In diesem Punkt ist die Beschwerde begründet, weil die belangte Behörde einerseits Feststellungen aus mit dem Beschwerdeführer nicht erörterten Berichten getroffen hat; andererseits wäre der Beschwerdeführer zu dem in seiner Berufung erstatteten Vorbringen, das gegenüber dem erstinstanzlichen Vorbringen hinsichtlich der Schutzfähigkeit seines Heimatstaates Neuerungen aufwies, zu vernehmen gewesen (vgl. das Erkenntnis vom 11. November 1998, Zl. 98/01/0308). Zur Wahrung seines rechtlichen Gehörs und zum Zwecke seiner Vernehmung wäre der Beschwerdeführer zur Berufungsverhandlung zu laden gewesen, was nach dem zu den Zustellungen Gesagten im vorliegenden Fall nicht wirksam geschehen ist.

Angesichts des Berufungsvorbringens, dem Beschwerdeführer werde auf Grund näher genannter Faktoren eine rebellenfreundliche und somit regierungsfeindliche Gesinnung unterstellt, weshalb es ihm nicht möglich sei, sich unter den Schutz seines Heimatstaates zu stellen, ist es nicht auszuschließen, dass die belangte Behörde bei Einhaltung der Verfahrensvorschriften zu einem anderen Bescheid gekommen wäre.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG aufzuheben.

Die Entscheidung über den Kosten beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001.

Wien, am 14. Mai 2002

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2002:2001010186.X00

Im RIS seit

18.09.2002
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten