TE Vfgh Beschluss 1999/6/14 G245/98

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Veröffentlicht am 14.06.1999
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Index

62 Arbeitsmarktverwaltung
62/01 Arbeitsmarktverwaltung

Norm

B-VG Art140 Abs1 / Individualantrag
AlVG §10 Abs1

Leitsatz

Zurückweisung eines Individualantrags auf Aufhebung einer Bestimmung betreffend den Leistungsverlust in der Arbeitslosenversicherung mangels Legitimation; zumutbarer Rechtsweg gegeben

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung:

I. Gestützt auf Art140 Abs1 (letzter Satz) B-VG begehrt der Antragsteller, §10 Abs1 AlVG wegen Verstoßes gegen Art83 Abs2 und Art18 Abs1 B-VG als verfassungswidrig aufzuheben.

In dieser Bestimmung werden - korrespondierend zur Umschreibung der Arbeitswilligkeit im §9 AlVG - in einer taxativen Aufzählung jene Tatbestände genannt, die zu einem Leistungsverlust führen. §10 Abs1 AlVG (idF BGBl. 201/1996) lautet:

"Wenn der Arbeitslose

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sich weigert, eine ihm von der regionalen Geschäftsstelle zugewiesene zumutbare Beschäftigung anzunehmen oder die Annahme einer solchen Beschäftigung vereitelt, oder

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sich ohne wichtigen Grund weigert, einem Auftrag zur Nach(Um)schulung zu entsprechen oder durch sein Verschulden den Erfolg der Nach(Um)schulung vereitelt, oder

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ohne wichtigen Grund die Teilnahme an einer Maßnahme zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt verweigert oder den Erfolg der Maßnahme vereitelt, oder

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auf Aufforderung durch die regionale Geschäftsstelle nicht bereit oder in der Lage ist, ausreichende Anstrengungen zur Erlangung einer Beschäftigung glaubhaft zu machen,

verliert er für die Dauer der Weigerung, jedenfalls aber für die Dauer der auf die Weigerung folgenden sechs Wochen, den Anspruch auf Arbeitslosengeld. Liegt im Zeitraum eines Jahres vor dem Beginn eines Anspruchsverlustes bereits ein früherer Anspruchsverlust, so beträgt der im ersten Satz genannte Zeitraum acht Wochen. Die Zeiten des Anspruchsverlustes verlängern sich um die in ihnen liegenden Zeiträume, während derer Krankengeld bezogen wurde."

Der Antragsteller führt zu seiner Antragslegitimation im wesentlichen aus, daß er Notstandshilfe beziehe, die ihm laut formloser Mitteilung durch das Arbeitsmarktservice zustehe. Die Notstandshilfe werde aber am Fälligkeitstag nicht ausbezahlt, obgleich zu diesem Zeitpunkt kein anfechtbarer Bezugseinstellungsbescheid vorliege; vielmehr verfüge das Arbeitsmarktservice gestützt auf §10 Abs1 AlVG eine "faktische Auszahlungssperre" (so geschehen für die am 3. Dezember 1998 fällig gewordene Notstandshilfe für November 1998).

Dem Antragsteller stehe kein anderer zumutbarer Rechtsweg offen, um seine Bedenken gegen §10 Abs1 AlVG geltend zu machen:

Die faktischen Auszahlungssperren seien keine anfechtbaren Verwaltungsakte, anfechtbare Bezugseinstellungsbescheide ergingen "regelmäßig erst Monate nach der faktischen Auszahlungssperre" und sprächen auch dann nicht darüber ab, ob das Arbeitsmarktservice die Auszahlung der Bezüge bescheidlos verweigern durfte, sodaß auch in einem Beschwerdeverfahren nach Art144 B-VG gegen Bezugseinstellungsbescheide die Verfassungsmäßigkeit des §10 Abs1 AlVG nicht geprüft, vielmehr die Behandlung der Beschwerde mangels Präjudizialität dieser Gesetzesbestimmung kurzer Hand abgelehnt werde (Hinweis auf Beschlüsse des Verfassungsgerichtshofes betreffend Beschwerden gegen auf §49 Abs2 AlVG gestützte Bescheide). Auch in einem Verfahren nach Art137 B-VG werde die Verfassungsmäßigkeit dieser Bestimmung mangels Präjudizialität nicht geprüft (Hinweis auf VfSlg. 14419/1996, in dem es ebenfalls um den insofern mit der nunmehr angefochtenen Bestimmung vergleichbaren §49 AlVG ging).

II. Der Antrag ist unzulässig.

Der Verfassungsgerichtshof hat seit dem Beschluß VfSlg. 8009/1977 in ständiger Rechtsprechung den Standpunkt vertreten, die Antragslegitimation nach Art140 Abs1 B-VG setze voraus, daß durch die bekämpfte Bestimmung die (rechtlich geschützten) Interessen des Antragstellers nicht bloß potentiell, sondern aktuell beeinträchtigt werden müssen und daß der durch Art140 Abs1 B-VG dem einzelnen eingeräumte Rechtsbehelf dazu bestimmt ist, Rechtsschutz gegen rechtswidrige generelle Normen nur insoweit zu gewähren, als ein anderer zumutbarer Weg hiefür nicht zur Verfügung steht (zB VfSlg. 11684/1988, 13871/1994).

Dem Antragsteller ist durch §10 Abs2 AlVG ein solcher zumutbarer Rechtsweg eingeräumt. Er bestimmt nämlich u.a., daß "vor Erlassung einer Entscheidung gemäß Abs1" der Regionalbeirat anzuhören ist, sieht also keineswegs etwa nur eine formlose Einstellung der Leistung vor, sondern setzt vielmehr einen bescheidmäßigen Abspruch über die Einstellung der Leistung voraus. Die Behauptung des Antragstellers, diese Bescheide ergingen "regelmäßig erst Monate nach der faktischen Auszahlungssperre" und sprächen auch dann nicht darüber ab, ob das Arbeitsmarktservice die Auszahlung der Bezüge bescheidlos verweigern durfte, sodaß auch in einem darüber eingeleiteten Beschwerdeverfahren nach Art144 B-VG die Verfassungsmäßigkeit des §10 Abs1 AlVG nicht geprüft, vielmehr die Behandlung der Beschwerde mangels Präjudizialität dieser Gesetzesbestimmung kurzer Hand abgelehnt werde, vermag die Unzumutbarkeit dieses Weges nicht darzutun (sondern zeigt nur auf, daß ein solcher - dann anfechtbarer - Bescheid über die Gebührlichkeit der Leistung alsbald erlassen werden muß).

Der Verfassungsgerichtshof ist in seiner Rechtsprechung seit jeher von der Auffassung ausgegangen, daß es für die Frage der Zumutbarkeit belanglos ist, ob das Beschreiten des Verwaltungs- oder Gerichtsweges für den Betroffenen in der Sache selbst wegen der bestehenden einfachgesetzlichen Rechtslage aussichtsreich ist (zB VfSlg. 8485/1979, 8846/1980). Auch der Umstand, daß der Antragsteller im Verfahren nach Art144 B-VG die Gesetzesprüfung nur anregen kann und es der Beurteilung durch den Verfassungsgerichtshof überlassen bleibt, ob er von Amts wegen ein solches Prüfungsverfahren einleitet, kann nicht als Argument gegen die Zumutbarkeit der Beschreitung dieses Weges gelten, denn auf die materiellen Erfolgschancen des dem Antragsteller zur Verfügung stehenden Weges kommt es nicht an (vgl. zB VfSlg. 9285/1981, 10592/1985). Daß der Verfassungsgerichtshof die Behandlung von Beschwerden gegen auf §10 Abs1 AlVG gestützte Bescheide, für welche die Bestimmung also entgegen der Behauptung des Antragstellers sehr wohl präjudiziell war, abgelehnt hat (zB 9.6.1998, B693/97), begründet die Legitimation nach Art140 Abs1 letzter Satz B-VG nicht.

Der Antrag ist daher mangels Legitimation ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung zurückzuweisen (§19 Abs3 Z2 lite VerfGG).

Schlagworte

Arbeitslosenversicherung, VfGH / Individualantrag

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1999:G245.1998

Dokumentnummer

JFT_10009386_98G00245_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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